Die Kakao-Revoluzzer: Chocolatiers Dominique und Julius Persoone
Belgien und Schokolade. Das ist eine ganz eigene Geschichte. Über 200.000 Tonnen Schokolade werden pro Jahr in dem kleinen Land produziert. Und mit knapp acht Kilo Schokoladenverzehr pro Kopf im Jahr – Tendenz steigend – gehören Belgier naturgemäß zu den internationalen Spitzenreitern.
Belgien und Schokolade. Das ist eine ganz eigene Geschichte. Über 200.000 Tonnen Schokolade werden pro Jahr in dem kleinen Land produziert. Und mit knapp acht Kilo Schokoladenverzehr pro Kopf im Jahr – Tendenz steigend – gehören Belgier naturgemäß zu den internationalen Spitzenreitern.
Warum das so ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Die einen sagen, das liege am Kolonialismus. Damals, im 19. Jahrhundert, sei man durch die kolonialisierten Gebiete mit ihren Kakaoplantagen, vor allem dem heutigen Kongo, auf den Geschmack gekommen. Andere wiederum verweisen auf die weltoffenen Handelszentren wie Antwerpen oder Brügge. Diese hätten bereits im 16. Jahrhundert mit Waren gehandelt, von denen der Rest Europas nur träumen konnte.
Selbst gelobte Genossenschaften zahlen den Kakaobauern zu wenig Geld.
Deswegen gehen die Persoones völlig neue Wege
Auf den Geschmack wären die handelswütigen Belgier also auch ganz ohne Kolonialismus gekommen. Wie dem auch sei: Wer etwas von Schokolade versteht oder verstehen will, der muss nach Belgien. Und dort wiederum sollte man der absoluten Kreativzelle belgischer Chocolatierskunst einen Besuch abstatten: dem Schokoladen-Geschäft „The Chocolate Line“ von Dominique und Julius Persoone in Brügge.
Vor Kurzem wurden Vater und Sohn vom Gault&Millau in Belgien zu den Chocolatiers des Jahres gekürt. Wobei das nur das jüngste Highlight einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte ist. Vater Dominique gilt seit 30 Jahren als eine der wohl exzentrischsten Chocolatier-Koryphäen weltweit. Sein Schokoladengeschäft eröffnete er Anfang der 1990er in Brügge – und wurde durch seine ungewöhnlichen Kreationen international berühmt. Anfang der 2000er-Jahre wurde Persoones Schokoladen-Hotspot gar in den Guide Michelin aufgenommen. Stars und Promis reißen sich seit Jahren um Persoones exklusive Schoko-Kreationen für ihre Parties und Hochzeiten. Und dass die Spitzengastronomie zu den heißesten Abnehmern der Schokolade à la Persoones zählt, versteht sich von selbst.
Die nächste Schoko-Generation
Mit Sohn Julius, 24 Jahre jung, scharrt nun die nächste Generation in den Schoko-Startlöchern. Der Youngster hat vor rund einem Jahr einem Sofa sorgt der grasgrüne Boden für viel Freifläche, die den hauptberuflichen Schoko-Kreativlingen viel Raum für neue Ideen bietet. Eine Wendeltreppe führt hinauf in ein kleines Dachgeschoß. Dort stehen in Regalen volle Einmachgläser. Julius Persoone experimentiert hier gerade mit Pastinake, Sellerie, Tomate, Himbeere, Mais und einer Menge anderer Sachen. Doch um zu verstehen, was hier genau passiert, müssen wir einen Schritt zurück gehen. Und dieser führt uns nach Mexiko. Genauer gesagt in das Hinterland des Bundesstaats Yucatán.
Mayas als Kakaoflüsterer
2012 pflanzte Dominique Persoone dort seinen ersten Kakaobaum. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits wollte Persoone über seine eigenen Criollo-Kakaobohnen verfügen. Diese edelste aller Kakaobohnen hat wenig Bitterstoffe, einen relativ niedrigen Säuregehalt – und je nach Lage und Verarbeitungstechnik eine unglaublich vielschichtige Aromenstruktur.
Das Problem: Sie ist sehr schwierig zu kultivieren und wirft wenige Bohnen ab. Zumindest im Gegensatz zu den zwei anderen Hauptsorten der weltweit angebauten Kakaobohnen: der Forastero und der Trinitario. Diese sind viel weniger anfällig gegenüber all den Pilzen und Schädlingen. Deswegen wird der allergrößte Teil der Kakao-Erzeugnisse weltweit auch aus diesen beiden Bohnen hergestellt. Der weltweite Anteil der Criollo-Bohne an allen Edelkakao-Erzeugnissen hingegen beträgt allerhöchstens fünf Prozent. Neben der geschmacklichen Komponente ist den Persoones noch etwas anderes wichtig: die Nachhaltigkeit.
Und zwar nicht nur in klimatischer, sondern auch in menschlicher, ja, gesamt-gesellschaftlicher Hinsicht. „Das Problem ist, dass die meisten Kakaobauern immer noch viel zu wenig Geld für ihr Produkt bekommen“, sagt Dominique Persoone. „Deswegen wollten wir irgendwann keine Bohnen mehr von den Kakao-Kooperativen kaufen, mit denen so viele Fairtrade-Siegel werben. Natürlich ist die Idee von Genossenschaften, in denen sich Kakaobauern zusammentun, gut.
Bei der Trocknung legen wir Sauerteig zwischen die Kakaobohnen und die Bananenblätter. So entsteht eine vielschichtige Säure.
Julius Persoone verrät eines seiner vielen Kakao-Geheimnisse
Aber ständig hören wir von den Genossenschaften, um wie wenig Geld sie uns Kakaobohnen liefern können, da sie es direkt bei den Bauern kaufen. Das bedeutet doch, dass sie den Bauern einen Spottpreis zahlen! Und genau das wollten wir ändern.“ Auf der Criollo-Plantage in Yucatán arbeiten ausschließlich alteingesessene Kakaobauern aus dem Volk der Maya. Sie kümmern sich um die kapriziösen Criollo-Bäume nach uralten Traditionen, die natürlich allen denkbaren Bio-Richtlinien entsprechen.
„Wir bezahlen sie im Gegensatz zu den Kooperativen so fair, dass ihre Kinder auch studieren gehen können“, sagt Persoone. Dasselbe gelte übrigens für eine Schokoladenfabrik in der Demokratischen Republik Kongo. Ganz in der Nähe des berühmten Virunga-Nationalparks, wo Tausende von Bauern Trinitario-Plantagen besitzen, ließ Persoone zusammen mit einem Investor und dem belgischen Direktor dieses Parks eine Schokoladenfabrik bauen. „Ich selbst verdiene keinen Cent damit“, sagt er, „uns ging es mit diesem Wohlfahrtsprojekt einfach darum, die Wertschöpfung dort regionaler zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen, den Leuten mehr Einkommen zu ermöglichen. Noch nie gab es dort eine Schokoladenfabrik, und das, obwohl dort so viel Kakao angebaut wird! Jetzt können sie von dort ihre Schokolade verkaufen, wohin sie wollen, anstatt nur die Bohnen zu einem Spottpreis.“
Sauerteig für den Säurekick
Aber zurück ins mexikanische Yucatán, dem „Kernstück unseres Tuns“, wie Persoone sagt. Zwei Mal im Jahr sind Julius und er selbst vor Ort. Und zwar, wenn es an die Ernte geht. „Es gibt einerseits die Ernte in der feuchten Jahreszeit, wie jetzt im September“, erklärt Julius, „und eine in der trockenen Jahreszeit, die findet meist zwischen Januar und März statt“. Bereits der Zeitpunkt der Ernte entscheidet über das vorherrschende Aroma der Kakaobohne, und später also der Schokolade. „In der feuchten Jahreszeit haben die Kakaobohnen viel mehr Säure, die Aromen können sogar in Richtung Passionsfrucht und Zitrone gehen. Die in der trockenen Jahreszeit geernteten Bohnen hingegen sind rauchig, würzig, haben leichte Tabaknoten.“ Aber wie genau funktioniert die Ernte? Und was passiert danach mit den Bohnen?
Es sind lediglich eine Handvoll Leute, die Dominique und Julius bei der Ernte unterstützen. An den kleinen, strauchartigen Bäumen hängen ovale Früchte, in denen sind die Bohnen versteckt. „Nach dem alten Maya-Brauch öffnen bei uns meist die Frauen der Erntehelfer die Früchte“, erklärt Julius. „Man sieht dann erst einmal weißes Fleisch. Erst darunter befinden sich die Bohnen. Sie werden alle gesammelt und dann im Freien auf eine Fläche ausgebreitet.“ Hier fängt bereits der Fermentationsprozess an. Wobei auch klar wird, warum Dominique Persoone bei der Gründung dieser Plantage so viel Wert auf die majestätischen Bananenbäume legte, die gleich daneben wachsen. Denn die frisch geernteten Kakaobohnen werden jetzt mit Bananenblättern bedeckt. Damit erhöht sich in den nächsten fünf bis zehn Tagen die Temperatur auf bis zu 50 Grad. Die Bohnen keimen kurz auf und sterben anschließend soweit ab, dass ihre Keimfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Das macht sie nach abgeschlossenem Fermentationsprozess länger haltbar. Doch die Persoones wären nicht die Persoones, hätten sie da nicht einen kleinen Twist in diesem Fermentationsprozess eingebaut: „Von Anfang an legen wir Sauerteig zwischen die Bohnen und die Bananenblätter“, verrät Julius. Warum? „Weil damit eine unglaublich vielschichtige Säure in den Bohnen entsteht. Das macht die ohnehin schon sehr feingliedrige Crillo-Bohne noch komplexer.“ Nach dem Fermentationsprozess werden die Bohnen in der Sonne getrocknet. In Jutebeutel abgefüllt, werden sie dann nach Brügge in die Chocolate-Line-Manufaktur verschifft.
Von Bienen und Umami-Bomben
Dort findet die Röstung statt. Und diese wiederum formt das Geschmacksspektrum der Bohne wieder entscheidend mit. „Die meisten Konzerne rösten mit sehr hoher Temperatur“, erklärt Julius. „Weil sie so viele Bakterien wie möglich abtöten wollen. Wir machen das anders. Wir versuchen es mit möglichst niedrigen Temperaturen, um die säuerlichen Aromen zu behalten.“ Dann geht es ans Mahlen. Dafür besitzen die Persoones eine einzigartige Maschine. „Die hat eine unglaubliche Kraft“, schwärmt Dominique Persoone. „Sie kommt aus Indien und wurde ursprünglich für das Mahlen des Currypulvers entwickelt.“ Im Zuge dieses Prozesses wird meist bereits ein wenig Zucker beigemengt. Auch hier viel weniger als es die großen Konzerne tun. Und sowieso: „Wir benutzen Kakao-Blüten-Zucker oder Zucker aus dehydriertem Honig“, sagt Dominique. Dehydriertem Honig? Ja, denn Vater Persoone ist so ganz nebenbei auch Imker. Auf den Dächern der Produktionsstätte in Brügge hält er über 300.000 Bienen, nicht zuletzt, um dem weltweiten Bienensterben etwas entgegenzusetzen. „Ihrem Honig entziehen wir die Flüssigkeit und haben so einen natürlichen, regionalen und vor allem nachhaltigen Zucker, der unserer Schokolade wieder das gewisse Etwas verleiht.“
Wir entziehen dem Honig die Feuchtigkeit und erhalten auf diese Weise einen nachhaltigen und regionalen Zucker!
Bienenretter Dominique Persoone über seine bevorzugte Süßungsmethode
Und genau dieses gewisse Etwas treibt Sohn Julius mit seiner ganz eigenen Vision von schokoladiger Nachhaltigkeit auf die Spitze. Zum Beispiel, indem er mit fermentierten Früchten, Gemüse und Getreide aus der unmittelbaren Umgebung arbeitet. „Ich liebe es, die fermentierten Umami-Aromen in die Schokolade zu bringen“, sagt er. Das gelingt ihm unter anderem durch verschiedene Gelees, wie beispielsweise jenem aus drei Monate lang fermentierten Karotten. „Das letzte Experiment“, erzählt Julius weiter, „ist ein Kakaobonbon mit fermentierten Maisstückchen, einem Mais-Miso und einer laktofermentierten Mais-Ganache. Es war unglaublich, wie gut das bei den Kunden ankommt“, schwärmt er. „Das zeigt auch, dass die Menschen bereit sind für Neues. Und dass wir mit unserer Philosophie einer nachhaltigen Schokolade mit regionalen Produkten genau den Nerv der Zeit treffen.“