Weichteile
Fotos: Wolfgang Hummer, Shutterstock
In der Spitzengastronomie orientiert sich Europa ja schon länger nicht mehr allzu stark an der Grande Nation. Diese Form der gezielten Orientierungslosigkeit sollte allerdings nicht auf einen Bereich überschwappen, in dem die Franzosen völlig zu Recht das Top-Checker-Label am Revers der Kochjacke heften haben: Austern. Gemeinsam mit Champagner und Kaviar bilden die im Schalenfarbenspektrum zwischen grau und bräunlich angesiedelten Weichtierchen das ultimative Triumvirat des Luxus-Feinschmeckertums. Und die Grande Nation beherrscht nicht nur die Zucht der Muschel wie keine andere – die Spéciales- Gillardeau-Austern aus dem bretonischen Marennes gelten immerhin als beste Schlürfaustern der Welt – auch in puncto Verzehr macht den Atlantikküstenbewohnern so schnell keiner was vor. An der Küste Frankreichs gelten frische Austern ebenso wie die berühmten Moules de Bouchot nämlich als beliebtestes Fast Food überhaupt. Und was man sich als mit Verzehrge- und verboten ausgestattetes Austern-Greenhorn gleich mal hinter die Ohren schreiben sollte, sind drei Dinge.
Erstens: Nein, Austern machen nicht sexy und regen – mal abgesehen von den Geschmacksknospen – rein gar nichts an. Zweitens: Dass man Austern nur in Monaten ohne „r“ im Namen verzehren darf, ist eine schöne Idee, aber völliger Humbug. Einst von den Franzosen selbst als Maßnahme gegen übermäßige Ausbeutung als Gerücht in die Welt gesetzt, schätzen Feinschmecker die edlen Muscheln heute gerade in ebendieser ehemals verbotenen Periode, bevor sich die Muscheln fortpflanzen. Und drittens: Wer aus der Muschel schlürft, muss nicht zwingend auch aus einem Glas Schampus schlürfen. Die Möglichkeiten, den fein salzigen Meeresgeschmack der Auster mit alkoholischen Getränken zum ultimativen Geschmackserlebnis mutieren zu lassen, sind…
Fotos: Wolfgang Hummer, Shutterstock
In der Spitzengastronomie orientiert sich Europa ja schon länger nicht mehr allzu stark an der Grande Nation. Diese Form der gezielten Orientierungslosigkeit sollte allerdings nicht auf einen Bereich überschwappen, in dem die Franzosen völlig zu Recht das Top-Checker-Label am Revers der Kochjacke heften haben: Austern. Gemeinsam mit Champagner und Kaviar bilden die im Schalenfarbenspektrum zwischen grau und bräunlich angesiedelten Weichtierchen das ultimative Triumvirat des Luxus-Feinschmeckertums. Und die Grande Nation beherrscht nicht nur die Zucht der Muschel wie keine andere – die Spéciales- Gillardeau-Austern aus dem bretonischen Marennes gelten immerhin als beste Schlürfaustern der Welt – auch in puncto Verzehr macht den Atlantikküstenbewohnern so schnell keiner was vor. An der Küste Frankreichs gelten frische Austern ebenso wie die berühmten Moules de Bouchot nämlich als beliebtestes Fast Food überhaupt. Und was man sich als mit Verzehrge- und verboten ausgestattetes Austern-Greenhorn gleich mal hinter die Ohren schreiben sollte, sind drei Dinge.
Erstens: Nein, Austern machen nicht sexy und regen – mal abgesehen von den Geschmacksknospen – rein gar nichts an. Zweitens: Dass man Austern nur in Monaten ohne „r“ im Namen verzehren darf, ist eine schöne Idee, aber völliger Humbug. Einst von den Franzosen selbst als Maßnahme gegen übermäßige Ausbeutung als Gerücht in die Welt gesetzt, schätzen Feinschmecker die edlen Muscheln heute gerade in ebendieser ehemals verbotenen Periode, bevor sich die Muscheln fortpflanzen. Und drittens: Wer aus der Muschel schlürft, muss nicht zwingend auch aus einem Glas Schampus schlürfen. Die Möglichkeiten, den fein salzigen Meeresgeschmack der Auster mit alkoholischen Getränken zum ultimativen Geschmackserlebnis mutieren zu lassen, sind nämlich zahlreich – und erlaubt ist eigentlich alles, von Rotwein bis zu dunklem Bier.
Gemeinsam mit der Herzmuschel zählt Vongole veraci, die strahlförmige Venusmuschel, mit ihrem nussigen, leicht nach Meerwasser schmeckenden Muschelfleisch zu den beliebtesten Vertretern der Muschelfraktion. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich praktisch über den gesamten Globus, man findet sie aber auch in sandigen Flussmündungen. Knapp vier Tonnen Herz- und Venusmuscheln aus Zuchtbetrieben landen jährlich in den Töpfen, als Hauptlieferanten gelten die Mittelmeerländer. Die Fischerei auf Herzmuscheln ist aufgrund der verheerenden Öko-Bilanz in Deutschland verboten.
Die charakteristischen schmalen und länglichen Scheidenmuscheln, zu denen die Messerscheide und ihre kleine Verwandte, die schwertförmige Scheidenmuschel zählen, werden bis zu 20 Zentimeter lang. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Norwegen bis zum Mittelmeer. Das längliche Muskelfleisch ist von fester Konsistenz und zeichnet sich durch ein mildes, leicht süßliches Aroma aus.
Die Jakobsmuschel ist aufgrund ihres fein nussigen, leicht süßlichen Geschmacks mittlerweile ein Fixstarter in der gehobenen Küche. Unter dem Begriff Jakobsmuschel werden, ganz genau genommen, zwei unterschiedliche Arten am Markt angeboten: die Jakobsmuschel und die Große Pilgermuschel. Hauptverbreitungsgebiet der bis zu 14 Zentimeter großen, fächerförmigen Muscheln sind das Mittelmeer und der Atlantik, die Hauptfangsaison ist von November bis März. Für den rohen Verzehr führt kein Weg an Frischware vorbei, handgetauchte Exemplare aus Norwegen gelten hier als Nonplusultra.
Austern stammen heute zu rund 95 Prozent aus Zuchtbetrieben, die Mehrheit davon aus Frankreich, gefolgt von Irland und den Niederlanden. Die wichtigsten Austernarten auf dem europäischen Markt sind die Pazifische Felsenauster, die Amerikanische Auster sowie die Europäische Auster. Wildbestände von letzterer sind in Top-Qualität noch an den Küsten Schottlands sowie dem dänischen Limfjord zu finden. Als beste Schlürfaustern der Welt gelten französische Marennes-Austern, die vor dem rohen Verzehr in künstlichen Salzwasserbecken, den sogenannten „claires“, veredelt werden. Die Dauer dieser Veredelung bestimmt die Sorte: Austern mit der Bezeichnung claires lagern etwa zwei Wochen im Klärbecken, Fines de claire zwei Mal so lange, die vollfleischigen Spéciales
de claire werden am längsten gelagert – was sich im Preis, aber auch in der Qualität niederschlägt.
So viel gleich vorweg: Die Miesmuschel verdankt ihren Namen dem mittelhochdeutschen Begriff für Moos. 190.000 Tonnen Miesmuscheln stammen heute noch aus Wildfang, mehr als eineinhalb Millionen aus Zuchten. Gefarmt wird die Miesmuschel in Muschelgärten sowie an Seilen oder Pfählen, an denen sie sich mit ihren charakteristischen Eiweißfäden festheften. Die zahlreichen Unterarten der Miesmuschel bevölkern vor allem die Atlantikküsten Europas sowie den Pazifik südlich bis Japan. Beste Qualitäten der Blaumuschel liefert Frankreich, die Moules de Bouchot aus der Bucht des Mont St. Michel zeichnen sich durch ihren außergewöhnlich feinen und zarten Geschmack aus.
Perceves, auch Entenmuscheln genannt, zählen eigentlich zu den Rankenfußkrebsen. Ihr Hauptvorkommen konzentriert sich auf die Atlantikküste Portugals und Spaniens, wo die Delikatesse unter Lebensgefahr von den Steilküsten manuell geerntet wird. Der essbare Teil der Entenmuschel ist ihr muskulöser Stiel, der de facto ein umgewandelter Vorderteil des Kopfes ist. Traditionell werden die muschelig-fruchtigen Perceves kurz gekocht, Kopf und Stiel abgetrennt und das Innenleben mit den Fingern aus der Ummantelung gezogen. In Portugal und Spanien werden die sehr rar gewordenen Entenmuscheln vor allem als Vorspeise geschätzt. Ein wenig Kleingeld sollte man für den Elefantenfuß, wie Perceves auch genannt werden, allerdings übrig haben …
Bevor aber ob der hervorragenden Qualitäten, die Frankreich in puncto Austern- und Miesmuscheln zweifelsfrei vorzuweisen hat, die berühmt-berüchtigste Selbstverliebtheit der Franzosen überbordet: Der Mensch lebt nun mal nicht von Fines de Claire und Gillardeau-Austern alleine (weil es nämlich zwischen Amerika und Sylt verdammt viele Austernsorten gibt), und der am Meeresboden grundelnde Mitbewerb hat in der modernen High-End-Cuisine auch ordentlich was zu bieten.
Hoch die Schälchen!
In Spitzenkoch Albert Adriàs 41° etwa wird einer ganz scharfen Meeresbewohnerin kulinarisch Tribut gezollt: Die Messerscheidenmuschel hat hier, flankiert von Safranperlen und Estragon, ihren großen Auftritt. Den prominenten Status in der spanischen Küche verdankt die längliche Delikatesse natürlich auch der Tatsache, dass sie an Spaniens feinsandiger Mittelmeerküste besonders prächtig gedeiht. In mitteleuropäischen Sterneküchen haben Scheidenmuscheln noch ein schweres Standing, langsam, aber bestimmt bahnt sich die Delikatesse jedoch auch ihren Weg über die Alpen.
Tintenfisch, Trüffel und Perceves.
Längst angekommen auf der Lieblingsliste der Weichtier-affinen Sterne- und Haubenriege sind hingegen drei andere, fächerförmige Vertreter der Mollusken: Jakobs-, Herz- und Venusmuschel. Bei 2-Sterne-Koch Tim Raue darf erstere sich etwa in Misosud erwärmen, Londons Fine-Dining-Whiz-Kid Ollie Dabbous verleiht ihr geröstet mit Rapsöl-Mayonnaise und Jerusalem-Artischocke den letzten Schliff. In einer Sache sind sich die Muschel-Aficionados bei der beliebten Pilgermuschel aber einig: Nur Frischware ist das Wahre, und handgetaucht sollte sie sein. „Handgetauchte Jakobsmuscheln aus Norwegen sind in puncto Qualität und Geschmack nicht mit Schleppnetzware zu vergleichen“, bestätigt auch Mario Corti, Küchenchef des mit einem Michelin-Stern ausgezeichenten Restaurants Luce d’Oro auf Schloss Elmau. Und auch für Rainer Stranzinger, mit drei Hauben und 17 Gault-Millau-Punkten dekoriertes Österreich-Aushängeschild der französischen Küche, muss die Pilgermuschel von Hand an die Oberfläche befördert werden. Und natürlich roh oder leicht glasig zubereitet werden, denn alles andere straft die agile Diva mit Härte.
Für eine gewisse Härte ist ja die Küche von Sergio Hermans 3-Sterne-Tempel Oud Sluis auch bekannt, wenn es an die Herzmuschel geht, schmilzt aber sogar der Meister höchstselbst dahin. Der All-time-Klassiker Spaghetti Vongole kommten in seinem Restaurant zwar wohl nicht einmal als Mitarbeiteressen infrage, sehr wohl dafür Herzmuscheln, Ponzu-Sorbet und Sojacreme. Nebst der delikaten Herzförmigen hat sich in den Lagerräumen von Edelrestaurants rund um den Globus mittlerweile auch eine gattungsfremde Dame eingeschlichen, die aber dennoch als Muschel durchgeht. Die Rede ist von Perceves, auch Entenmuscheln genannt. Die ist nämlich de facto ein Krebstier, erinnert rein äußerlich jedoch mehr an eine Muschel – weswegen man biologische Prädispositionen bei der Namensgebung lässig ignoriert. Einst vor allem in ihrer Heimat, der portugiesischen Algarve, als Delikatesse und insbesondere als Tapa geschätzt, ist die schmackhafte Entenmuschel zusehends auch auf Gourmetführer-geadelten Speisekarten hierzulande präsent.
Bei so vielen Grandes Dames der Weltmeere ist es also nicht ganz einfach, eine einzig wahre Königin auszuerwählen. Zu vielfältig sind die salzig-nussigen Verführungen, zu breit das Spektrum an Möglichkeiten, die harten Schalen zu knacken und dem schmackhaften, weichen Innenleben zu neuem Glanz zu verhelfen. Auch wenn die Franzosen da bestimmt ganz anderer Meinung wären.
Frische Jakobsmuscheln sollten vor dem Öffnen etwa zwei Stunden in kaltem, klarem Wasser gewässert werden. Mit einer kleinen Palette oder einem geraden, langen und stabilen Messer zwischen die Schalenhälften der Jakobsmuschel gehen und den Muskel möglichst glatt rundum trennen. An der oberen Schalenhälfte sollte möglichst kein Muskelfleisch zurückbleiben.
Von den Rändern der Schale noch etwaige Sandrückstände entfernen. Dann den äußeren graubräunlichen Rand rund um den orangefarbenen Rogensack (Corail) und das weiße Muskelfleisch entfernen.
Den Muskel so eng wie möglich an der Schale abtrennen, dann lassen sich Corail und Muskel einfach aus der Schale heben. Die Schalen zu Dekorationszwecken beiseitelegen, den Rogen und den Muskel vom restlichen Fleisch und Häuten befreien.
Mit dem Messer das weiße Muskelfleisch sehr vorsichtig von den restlichen Bestandteilen abtrennen. Dasselbe gilt für den Rogen. Die Haut rund um den weißen Muskel sollte gleich mit dem übrigen Gewebe mit entfernt werden. Corail und Muskel kurz unter kaltem Wasser abspülen.