Vom wahren Wesen der Nachhaltigkeit
Fotos: Molly DeCoudreaux
Dominique Crenn
Speerspitze der weiblichen Küchen-Avantgarde. Für die Küche ihres Restaurants Luxe im Intercontinental Hotel San Francisco erntete Crenn 2009 und 2010 jeweils einen Michelin-Stern. 2011 eröffnete sie mit dem Atelier Crenn ihr erstes eigenes Workshop-Restaurant in der Bay Area. Ihre kreativ-intelligente, regional gefärbte und kunstvoll auf den Teller gebrachte franko-amerikanische Küche brachte ihr 2013 den zweiten Michelin-Stern ein. Sie ist damit aktuell die höchst-dekorierte Köchin der USA.
Wie weit hat sich der moderne Konsument von den genauen Umständen der Nahrungsproduktion und dem ihm sich täglich bietenden Nahrungsangebot entfremdet? Diese Frage ist mittlerweile vollends im öffentlichen Diskurs angekommen. Das Bewusstsein, dass die moderne Massenproduktion nicht nur aus ernährungstechnischer Sicht in Zweifel zu ziehen ist, sondern dass dadurch auch lokale, nachhaltig erwirtschaftete und traditionelle Sorten verdrängt werden, ist heute ausgeprägter als noch vor vielen Jahren. Aber mindestens ebenso wichtig wie der physische und realwirtschaftliche Aspekt, der diesem stetig wachsenden Bewusstsein zugrunde liegt, ist meiner Meinung nach auch der seelisch-emotionale Aspekt. Immer mehr Menschen erkennen, dass…
Fotos: Molly DeCoudreaux
Dominique Crenn
Speerspitze der weiblichen Küchen-Avantgarde. Für die Küche ihres Restaurants Luxe im Intercontinental Hotel San Francisco erntete Crenn 2009 und 2010 jeweils einen Michelin-Stern. 2011 eröffnete sie mit dem Atelier Crenn ihr erstes eigenes Workshop-Restaurant in der Bay Area. Ihre kreativ-intelligente, regional gefärbte und kunstvoll auf den Teller gebrachte franko-amerikanische Küche brachte ihr 2013 den zweiten Michelin-Stern ein. Sie ist damit aktuell die höchst-dekorierte Köchin der USA.
Wie weit hat sich der moderne Konsument von den genauen Umständen der Nahrungsproduktion und dem ihm sich täglich bietenden Nahrungsangebot entfremdet? Diese Frage ist mittlerweile vollends im öffentlichen Diskurs angekommen. Das Bewusstsein, dass die moderne Massenproduktion nicht nur aus ernährungstechnischer Sicht in Zweifel zu ziehen ist, sondern dass dadurch auch lokale, nachhaltig erwirtschaftete und traditionelle Sorten verdrängt werden, ist heute ausgeprägter als noch vor vielen Jahren. Aber mindestens ebenso wichtig wie der physische und realwirtschaftliche Aspekt, der diesem stetig wachsenden Bewusstsein zugrunde liegt, ist meiner Meinung nach auch der seelisch-emotionale Aspekt. Immer mehr Menschen erkennen, dass allzeit verfügbare, industriell hergestellte Massenware nicht nur der eigenen Gesundheit und der Umwelt schadet, sondern dass diesen Produkten keine Seele innewohnt.
Der fehlende Bezug zu den Grundprodukten und der Nahrungsmittelproduktion begünstigt dieses Gefühl der emotionalen Abkapselung von einem so wichtigen Teil unserer Kultur. Die vielleicht größte Herausforderung – nicht nur für uns Köche, sondern für alle, die direkt und indirekt an der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln beteiligt sind – besteht darin, dieses emotionale Band zwischen Konsument und Produkt wiederherzustellen. Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen, wäre, das mittlerweile im Fine Dining etablierte Farm-to-Table-Konzept in einen größeren Kontext einzubetten. Der Kultur im Begriff der „Agrikultur“ mehr Beachtung zu schenken. Größeres Augenmerk darauf zu legen, dass jedes einzelne Endprodukt, das in unseren Küchen landet, Teil eines Zyklus ist, der nicht beim produzierenden Bauern anfängt und auf dem Teller endet.
Diese Zyklus umfasst auch die Beschaffenheit, Fruchtbarkeit und Gesundheit der Böden, die ausgewählten Samen, die Preise für die Produktion, die Preise, die wir bereit sind zu zahlen, und die Community, der wir die Nahrungsmittelproduktion überhaupt zu verdanken haben. Als Köche haben wir die Möglichkeit, den Menschen wieder die Augen dafür zu öffnen, wie Lebensmittel genau entstehen, woher sie kommen und wie sie Teil eines unserer Gerichte wurden. Nicht nur haben wir die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, Stellung zu beziehen. Uns im größtmöglichen Detail mit der Herkunft unserer Produkte zu beschäftigen und uns in der Wahl unserer Zutaten dem saisonalen Zyklus der Natur anzupassen. Viel wichtiger noch: Wir müssen anfangen nachzudenken, bevor wir anfangen zu kochen. Und dieser Prozess der Reflexion beginnt bei den Produzenten, die wir nicht mehr nur als Lieferanten, sondern als echte Partner betrachten sollten. Mit einer Auseinandersetzung, was wie und wo angebaut wird, und wie unsere Kaufkraft diese Entscheidungen beeinflusst.
Wie die landwirtschaftliche und sozioökonomische Realität in Zukunft aussieht, darauf können wir als Köche durchaus Einfluss nehmen – und wir sollten diese Chance auch weiterhin wahrnehmen. Denn erfreulicherweise hat sich in der Welt der Kulinarik mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Beziehung zwischen Gast und Koch keineswegs nur eine geschäftliche ist, sondern auch ein Akt ökonomischer, ökologischer, geistiger und emotionaler Verantwortung, die wir übernehmen. Wir bieten unseren Gästen nicht einfach nur eine Mahlzeit, sondern auch ein tief greifendes, reflektiertes, ästhetisches Erlebnis. Unsere Restaurants und Workshops sollen Orte sein, an denen Essen, Emotion und Erinnerung miteinander verschmelzen. Ich möchte meinen Gästen ein Gefühl der Freude, des sinnlichen Erlebens, des Wohlgefühls und Zuhauseseins vermitteln.
Sie sollen die Harmonie zwischen Mensch und Natur erleben dürfen, und als Künstler und Handwerker können wir diese Harmonie vertiefen. Wie? Indem wir Wege aufzeigen, wie unsere Gäste sich selbst wieder als empfindsame Wesen erfahren können, nicht als der Natur über- oder unterlegen, sondern als Teil der natürlichen Ordnung. Meiner Ansicht nach ist das der Weg, den wir beschreiten müssen, um dem Wort Nachhaltigkeit zukünftig wirklich tiefgreifende Bedeutung zu verleihen und es nicht nur als oberflächlichen Teil eines Fine-Dining-Trends zu missbrauchen. Ein umfassendes Verständnis dieses Begriffes unseren Gästen näherzubringen, wird nicht nur die Qualität unserer eigenen Arbeit positiv beeinflussen, sondern Köchen wie Gästen das Gefühl vermitteln, wieder Teil einer reichen, lebendigen und authentischen Kultur zu sein.