Albert Trummer zur Corona-Krise: Es kann Jahre dauern, bis sich New York erholt
Dass die USA ein genauso kompliziertes wie buntes Pflaster sind, ist gemeinhin bekannt. In Zeiten der Corona-Krise kann das aber durchaus gefährliche Auswirkungen haben. Dazu kommt, dass die Entscheidungen über Maßnahmen und Schließungen derzeit ad hoc passieren – und von Stadt zu Stadt unterschiedlich sind. Während in anderen Städten noch reger Betrieb herrscht, müssen etwa in New York seit vergangenen Sonntag alle Bars und Restaurants geschlossen haben.
Infos aus der New Yorker Apotheke
Auch Albert Trummers Apotheke, in der es für jeden ein Rezept gab, hat nun zu. Eine Empfehlung hat der gebürtige Österreicher trotzdem parat: Ein Schluck Haus-Absinth jeden Morgen, Desinfektion von innen sozusagen. Das mag vielleicht – ohne Gewähr – gegen das Corona-Virus helfen. Der Corona-Krise entgeht damit aber niemand. Denn die schlägt in New York, wo das Gesundheitssystem ein Klassensystem ist und Hilfskredite nur sehr langsam greifen, besonders dramatisch zu.
Die Lage sieht Barchef Trummer ernst, aber nicht hoffnungslos. Für ihn gebe es erstens Glück im Unglück und zweitens alternative Projekte. Dass er damit zu wenigen Privilegierten zählt, weiß er. Wie die Situation in den USA derzeit genau aussieht und was sie für Trummer bedeutet, hat er uns im Exklusiv-Interview erzählt.
Albert Trummer im Interview
Hallo Albert, wie geht es dir denn momentan?
Albert Trummer: Ich lebe schon seit 18 Jahren in New York. Wir haben hier viel miterlebt, 9/11 zum Beispiel. Die Apotheke habe ich 2008 aufgemacht, als alle gesagt haben, man kann in der Finanzkrise kein Business aufmachen. Mit meinem neuen Konzept, dem Atelier, war ich kurz vor dem Aufsperren, hatte aber mit der Bürokratie in New York eineinhalb Jahre lang zu kämpfen. Aufgrund der aktuellen Situation habe ich letzten Endes nicht geöffnet. So ist die Lage. Ich bin dann in den letzten beiden Wochen sozusagen nach Florida, nach Miami, geflüchtet.
Das bedeutet: In New York ist alles geschlossen und du bleibst erstmal in Miami.
Trummer: Ja, in New York ist schon seit über eineinhalb Wochen alles geschlossen. Man hat das vorausgesehen. Ich habe durch andere Firmenverträge gute Kontakte in Miami, habe auch mal hier gelebt, und bin dann hierher gekommen. In Miami haben sie es aber leider so sehr übertrieben, dass es bis vor einer Woche noch Beachpartys gab. Ich bin an Hotels vorbeigegangen – da waren 500 Leute am Pool. Eigentlich gab es am Anfang nur die Anweisung, einfach um acht oder neun Uhr zuzusperren. Aber die Leute haben sich nicht daran gehalten. Und jetzt ist alles zu. Jetzt darf man nicht mal mehr am Strand spazieren, jetzt ist alles abgeriegelt. So ist die Situation in Miami.
Und in New York?
Trummer: In New York ist es ganz schlimm, weil die Leute das Ganze auch nicht sehr beachten und eher sagen: Das ist für die älteren Leute und mir passiert eh nichts. Wir schauen gerade Fernsehen und in New York steigen die Zahlen am stärksten. Weil natürlich die Leute dort dicht gedrängt zusammen wohnen. New York hat in den letzten zehn Jahren viel überlebt. Aber ich glaube, nach dem [Anm. d. Red.: der Corona-Krise] wird es schwierig. Das Haupteinkommen der New Yorker sind immer noch die Gastronomie und deren Zulieferungsfirmen. Es gibt über 20.000 Bars und Restaurants in New York. Ich weiß gar nicht, wie hoch der Verlust der Produzenten nur alleine dadurch ist, dass es gerade keinen offenen Restaurants gibt. Das muss in die Billionen gehen.
New York hat in den letzten zehn Jahren viel erlebt. Aber ich glaube, nach der Corona-Krise wird es schwierig.
Barchef Albert Trummer über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise
Für wie lange gelten die Schließungen in New York?
Trummer: Der Präsident will gleich wieder aufsperren. Ich glaube, uns passiert das gleiche in New York wie in Italien. Deswegen sind wir alle weg. In Italien haben sie es am Anfang auch auf die leichte Schulter genommen. Wenn man die Kurven vergleicht: Was in New York jetzt passiert und was vor einem Monat in Italien passiert ist, das sieht in New York genau gleich aus. Vor drei Wochen hatten wir nicht einmal 1000 Infizierte, jetzt sind es 20.000.
Gibt es Subventionen oder Hilfe vom Staat für Unternehmer, die ihr Geschäft zusperren müssen?
Trummer: Das werden wahrscheinlich die Großen kriegen. Für die Kleinen gibt es nicht sehr viel, außer du hast ein wenig gespart. Man kann „Zero-Kredite“ anfordern, also Kredite, bei denen man keine Zinsen zahlt. Das ist vom Staat subventioniert. Aber die Liste der Einreichungen wird so groß sein, dass du, wenn du jetzt einreichst, vielleicht im Oktober Geld bekommst. Und wer weiß, wie viele so lange überleben können. Mein Vorteil ist, dass ich das Atelier nie aufgesperrt habe. Und dass dadurch meine Investition jetzt in einem neuen, fertigen Lokalkonzept liegt. Dadurch habe ich wahrscheinlich nur mit dem Hausbesitzer wegen der Miete zu streiten. Aber es vermindert den Wert nicht. Das heißt, Steuern, Personalkosten und andere laufende Kosten fallen bei mir natürlich weg. Und ich muss jetzt glücklicherweise auch niemanden entlassen. Da hatte ich Glück im Unglück, muss ich sagen.
Angenommen, Donald Trump lässt Geschäfte nach zwei Wochen wieder öffnen. Sperrst du dann auf?
Trummer: Wir richten uns nicht nach Trump. Wir richten uns nach dem Gouvernour von New York, Andrew Cuomo. Er ist in New York in erster Instanz verantwortlich für die Sicherheit. Und ich glaube nicht, dass er in einigen Wochen schon aufsperren lässt. Weil wir wie gesagt alle fürchten, dass New York das zweite Italien wird.
Wie geht es bei dir jetzt weiter?
Trummer: Ich habe mir jetzt auch überlegt, was ich nun machen soll, und ich habe immer sehr viele Spirituosen mit meinen Kräutern angereichert. Ich versuche jetzt, online Tipps zu geben. Seit über zwei Wochen mache ich meinen eigenen Haus-Absinth und schlucke ihn jeden Tag in der Früh und am Abend. Weil ich denke: Wenn der Virus im Rachen ist, dann muss man den irgendwie runterspülen. Und ich hatte bis jetzt nichts. Abgesehen davon versuche ich natürlich auch andere Sachen zu machen, die man jetzt in der Gastronomie nicht mehr wirklich ausüben kann.
Ich mache meinen eigenen Haus-Absinth und schlucke ihn jeden Tag in der Früh und am Abend. Wenn der Virus im Rachen ist, dann muss man den irgendwie runterspülen.
Albert Trummer ergänzt angesichts des Corona-Virus seine Hausapotheke
Welche zum Beispiel?
Trummer: Ich arbeite schon seit Jahren mit einer Wiener Destillerie zusammen. Wir haben ein Produkt entwickelt, das jetzt fertig gewesen wäre, einen Kräuterlikör. Den möchte ich jetzt gerne auf den Markt bringen. Also ich schaue, dass ich andere Wege habe, mich zu beschäftigen, und durch den Alkohol auch noch einen anderen Berufszweig finde. Ich glaube nicht, dass in New York in den nächsten drei Monaten irgendetwas aufsperrt.
Auch hier ist bis dato nicht ganz klar, wie lange das Ganze im Endeffekt dauern wird.
Trummer: Ja, nur der Unterschied ist: Wenn man Menschen in Deutschland und Österreich etwas sagt, dann halten die sich daran. In Miami und New York bekomme ich Warnungen, sehe aber gleichzeitig 1000 Leute auf einer Beachparty. Dass bei uns alles derzeit verzögert ist, daran sind die Menschen teilweise auch selbst schuld. Ich war zum Beispiel die letzten beiden Wochen wirklich nur zuhause. Ich habe zwar keine Angst. Aber ich denke, wenn jeder jetzt einfach zwei Wochen Ruhe geben würde, würde die Welt ein wenig besser aussehen. Man muss sich eben anders beschäftigen.
Und das machst du in Miami?
Trummer: Ja, vor zwei Wochen gab es in New York die ersten Warnungen. Und dort steckst du schon in der U-Bahn gleich 1000 Menschen an. Es ist unweigerlich in New York. Wo auch immer du hingehst, überall sind Ballungszentren. Also habe ich meine Betriebe zugesperrt und bin mit meinem Sohn, der mit mir arbeitet, nach Florida geflogen. Viele sind aber in dem Unglück, dass sie über Nacht zusperren mussten.
Wie sieht deren Situation aus?
Trummer: Es sind Millionen von Restaurantleuten entlassen worden. 80 Prozent der Amerikaner leben nur von ihrem Paycheck, den sie alle zwei Wochen bekommen. Und jetzt kommt die Katastrophe, dass die nicht mehr einkaufen oder weggehen können. Nach der Corona-Krise wird es sicher auch eine finanzielle Krise geben. Viele Leute sparen ja gar nicht, sondern leben von Tag zu Tag. Besonders in New York wird die Situation schlimm werden. Viele Betriebe werden gar nicht mehr aufsperren. Tom Colicchio hat gerade in einem Interview gesagt, es wird die ganze Bar- und Restaurantebene in New York auslöschen. Nach der Krise wird es wie nach dem Krieg sein. Alles muss neu aufgebaut werden. Was da passieren wird, ist vielen jetzt noch nicht bewusst.
Es sind Millionen von Restaurantleuten entlassen worden. Viele Betriebe werden gar nicht mehr aufsperren.
Albert Trummer über die Auswirkungen der Corona-Krise
Es ist ein wenig so, als würde man der Krise ins Auge sehen, aber nicht realisieren, wie gefährlich sie tatsächlich ist.
Trummer: Ja, genau. Draußen scheint die Sonne und es sieht alles gut aus. Viele haben ja auch einfach keine Symptome. Viele sind krank, ohne es zu wissen, und stecken andere an.
Das wird hier auch vermutet.
Trummer: Viele wollten dann nicht zusperren. Am Anfang gab es wie hier in Miami Einschränkungen: Bitte sperrt um elf Uhr zu, hieß es, und macht keine Ansammlungen mit mehr als 50 Menschen. Aber dann siehst du um eins noch Menschen und ständig volle Terrassen. Das muss reine Profitgier sein. Aber die Welt sieht die Bilder durch Instagram. Und seit Sonntag ist alles zu.
Das scheint gerade überall zu kommen.
Trummer: Ja, und es wird noch schlimmer kommen. Der Gouvernour sagt, dass es bei uns so sein wird wie in Italien und wir deswegen alles machen müssen. In Europa hast du ja noch ein relativ gutes Gesundheitssystem. Ein Gesundheitssystem gibt es hier aber gar nicht. Für 70 Prozent der Bevölkerung, die kein Gesundheitssystem haben oder sich das nicht leisten können, wird es sehr schlimm werden. Hier sagt man: Wer es sich nicht leisten kann, wird sterben müssen. Das ist wirklich schlimm. Man sieht auch, dass die Regierung wirklich nicht weiß, was sie machen soll.
Wie sieht dein Plan aus?
Trummer: Unsere Verluste halten sich in Grenzen. Wir haben mit den Restaurants 9/11 überlebt. Meine Apotheke habe ich 2008 aufgesperrt. Man entwickelt einen Überlebensinstinkt. Und ich glaube, wir werden auch das irgendwie überleben. Aber in der Gastronomie wird sich einiges ändern, vor allem in New York, das eine Welthauptstadt für die Gastronomie ist. Das ist für alle ein Riesenschock. Viele Restaurants haben im Millionenbereich investiert. Wenn die jetzt auch nur einen Monat geschlossen haben, kann man sich die Auswirkungen zusammenrechnen. Vielen wird auch das Personal ausgehen, weil die Menschen aus New York abwandern oder ganz nach Europa zurückgehen werden. Es ist grauenhaft zu sehen, wie so eine tolle Stadt ausgelöscht wird. Das kann Jahre dauern, bis sich alles wieder erholt. Für die nächsten Zeit müssen wir alle einfach eine sinnvolle Beschäftigung finden. Dann schaffen wir das schon irgendwie.
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