Corona-Virus: Was die Gastronomie jenseits des Krisenmodus tun kann
Umstellen, nicht einstellen
Sagen wir, wie es ist: Das gastronomische Grundprinzip – Gast kommt ins Restaurant, wird dort exquisit bedient, himmlisch bekocht und verlässt es hin und weg vor kulinarischer Verzückung – liegt derzeit auf Eis. Klar, im einen oder anderen Bundesland hat das eine oder andere Restaurant noch geöffnet, doch auch dort brechen die Umsätze in apokalyptischem Ausmaß ein.
Als Gastronom hat man also zwei Optionen: Den Laden dicht machen und sich zu Hause in der unverdauten Schockstarre suhlen. Oder sich und sein Geschäftsmodell, zumindest ein Stück weit, neu zu erfinden.
Damit wir uns richtig verstehen: Ja, die Corona-Krise geht der Gastronomie wie kein zweites Phänomen seit dem Zweiten Weltkrieg an den Kragen. Und ja, die Auswirkungen dieses verheerenden Virus’ sollen im Folgenden keinesfalls relativiert oder gar heruntergespielt werden.
Aber: Nachdem in jeder Krise irgendwie, irgendwo und irgendwann auch eine Chance steckt, gilt es vor allem jetzt, wo die Lage so hoffnungslos wirkt, genau diese herauszuarbeiten – und als Gastronom auch wahrzunehmen.
Warum nicht Gutscheine kaufen oder verschenken? Es wäre ein sinnvoller Beitrag zur Liquidität, und wird eingelöst wenn dieses Chaos vorbei ist.
3-Sterne-Koch Juan Amador hat mit seinem Vorschlag aufhorchen lassen
Lieferservice: Think big oder act local?
Die naheliegendste Umstellung war und ist natürlich, die Küchen weiter am Brodeln zu halten. Nicht aus Langeweile natürlich, sondern um die Gerichte, die ansonsten auf den geselligen Tischen landen, Gästen und neuen Kunden nach Hause zu liefern. Dass in diesen Zeiten nicht jedem nach einem 195-Euro-Menü ohne Weinbegleitung plus 9,80 Euro Liefergebühr zumute ist, versteht sich von selbst.
Wie wär’s also, als Sternetempel das perfekte Küchenhandwerk für einfachere Gerichte – ganz im Bistronomy-Stil – anzubieten? Als Multigastronom könnte jetzt die Devise also lauten, einen seiner zugänglichsten und geographisch am günstigsten gelegenen Betriebe für den Lieferservice oder Take-Aways zu rüsten.
The Duc Ngo beispielsweise liefert seit vorgestern seine bahnbrechenden Indochine-Gerichte aus dem Madame Ngo in Berlin direkt nach Hause – und wie er auf Instagram verkündet, möchte er bald auch „den Lieferdienst für die meisten meiner Läden organisieren.“ Ob und wie die Umstellung auf den Zustelldienst funktioniert, hängt natürlich von entscheidenen Faktoren ab wie: Kooperiere ich mit einem renommierten Zustellservice und beliefere ich damit ein möglichst großes Gebiet?
Oder wählt man eher den Weg, den beispielsweise das Restaurant Marco Simonis in Wien einschlägt, das den Lieferservice auf eigene Faust unternimmt und sich ausschließlich auf den überschaubaren Bereich rund um die Adresse Dominikanerbastei 10 beschränkt?
Gutscheinspritze als Liquiditätsinjektion?
Mit einer anderen Idee ließ unter anderem Österreichs Dreisterner Juan Amador aufhorchen. „Ich greife hier mal eine Idee vieler Kollegen auf“, so der Spitzenkoch auf Instagram, „die, wie ich finde, einen ganz guten und wichtigen Weg darstellt, fernab der staatlichen Hilfen, uns in der Gastwelt zu unterstützen und die angespannte Situation zu entschärfen.“
Seine rhetorische Frage: „Warum nicht Gutscheine kaufen oder verschenken? Es wäre ein sinnvoller Beitrag zur Liquidität, und wird eingelöst wenn dieses Chaos vorbei ist.“
Womit wir im Grunde genommen am Kern der ganzen Krisenbewältigungsgeschichte angekommen sind. Nein, nicht wegen der Gutscheine. Die Idee ist zwar ohne Zweifel sinnvoll und löblich. Doch hier geht es um das in dieser Situation absolute Schlüssel-, um nicht zu sagen: Zauberwort: nämlich „Kommunikation“.
Corona-Kommunikationsoffensive volle Kraft voraus
Abgesehen von Charity-Aktionen wie jene des Steirerecks oder des zweimaligen Mälzer-Bezwinger Max Strohe, der für Menschen in den elementaren Funktionsberufen aufkochte, ist es jetzt an der Zeit für spitze Kommunikationsoffensiven.
Diese müssten jetzt – und zwar so schnell wie möglich – sowohl intern als auch extern aufbereitet werden. Was heißt das konkret?
Die interne Dimension betrifft alles „innerbetriebliche“. Das heißt, diese Kommunikationsoffensive zielt auf die ehemaligen Gäste des entsprechenden Betriebs ab. Unsere heiß geliebte Datenschutz-Grundverordnung hat auch den Gastronomen eines nicht nehmen können: Die Gästekartei, oder zumindest die E-Mail-Adressen jener Menschen, die eine oder auch mehrere Reservierungen im Betrieb vorgenommen haben. Hier zeigt sich einmal mehr, warum Daten als neue Währung kaum überschätzt werden können.
Denn gerade jetzt kann man sich als gewiefter Gastgeber persönlich an seine Kunden wenden. Beispielsweise in Form von Newslettern oder auch etwas persönlicher gestalteter E-Mails, in denen über eben jene Maßnahmen aufgeklärt wird, mit denen man seinen Betrieb um- und nicht einstellt: Lieferdienst, Gutscheinkauf – aber auch Rezepte für die Heimquarantäne können in diesen Zeiten eine effiziente Gästebindung bewirken.
Dass diese erste, interne Dimension der Kommunikationsoffensive fließend in die zweite übergehen kann, steht außer Zweifel. Beispiel: Live-Streams aus der Heim- oder leeren Restaurantküchen können nach der internen Ankündigung nicht nur den „Karteigästen“, sondern auch Fans, Freunden und Followern die Möglichkeit bieten, Neues zu lernen. Und damit die Gast-Gastgeber-Beziehung nicht nur weiterführen, sondern sogar erweitern.
Von Paul Ivic bis zu Éric Fréchon: Extrovertiertes Homecooking als Marketingtool
Paul Ivic macht es genauso wie seine französischen Kollegen Emmanuel Renaut oder Éric Fréchon: Kochen von zu Hause aus – wobei sie in Form von Live-Videos nicht nur die Rezepte erklären und demonstrieren, sondern auch einzelne Produzenten, deren Produkte da verkocht werden, nennen. Und damit mit ihren Zehntausenden Followern einen solidarischen Werbewert für die krisengebeutelte Branche generieren.
Diese – im besten Sinne des Wortes – Hauruckaktionen bergen immenses Branding-Kapital: Endlich sieht man, wie so ein völlig abgehobener Sternekoch auch einmal zu Hause kocht, und das mit einem Herd, der genauso heruntergekommen aussieht wie der eigene und einem Ofen, der brummt, als hätte er bereits während der Quarantäne der Spanischen Grippe vor 100 Jahren gar treue Dienste geleistet.
Erfrischend auch: Keine Pinzetten. Nirgends. Stattdessen: Eier, Mehl, Zucker, Rum – und ganz, ganz viel Butter, womit Paul Ivic beispielsweise einen Kaiserschmarren nach Familienrezept zaubert.
Im Falle des Pariser 3-Sterne-Herdmagiers Éric Fréchon ist es hingegen einfach nur ein Spargel-Foto mit einem ebenso kurz gefassten wie konzisen Rezept, das in Zeiten, in denen in französischen Supermärkten Schlägereien ausbrechen, auf low-waste („anti-gaspi“ auf Französisch) setzt: Frischer Spargel in Butter geröstet, mit Wein abgelöscht und mit Sonnenblumenkernen serviert. Aus den Schalen des Spargels wird mit crème fraîche und einer Prise Salz eine Suppe gemacht – zack, aus, Bombe.
Emmanuel Renaut hingegen ertränkt seinen blanchierten Spinat in einer Ratz-Fatz-Béchamelsauce mit Käse, die über pochierte Eier gegossen wird. Wie viele Stammgäste sich Emmanuel Renaut damit in einem Guss erworben hat, wird sich hoffentlich bald weisen.
Ja, die Corona-Krise erschüttert die Gastronomie gerade in ihren Grundfesten. Aber wer sich in diesen harten Zeiten zu Gemüte führt, wie die eisernen Kämpfer unserer Branche zu Hause ihre Béchamelsaucen, Kaiserschmarren und Spargelsuppen herausballern, hat jeden Grund, enthusiastische Hoffnung zu schöpfen – und wie damals, als in der geschäftigen Küche das Gericht abgeschmeckt wurde, lauthals auszurufen: Geil!