Chefdays 2015 – Even Ramsvik: Held der Küche Norwegens
Hinter seiner Rockstar-Fassade verbirgt sich einer der brillantesten und kreativsten Köche Skandinaviens, der es geschafft hat, die kulinarische Reputation eines ganzen Landes nach vorne zu katapultieren. Erzählt Even Ramsvik die Geschichte seines Restaurants Ylajali, das auf den gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers Knut Hamsun aus dem Jahr 1890 zurückgeht, wirkt er eher verträumt wie in einer anderen Welt. „Die Hauptfigur ist ein armer, arbeitsloser Autor, der desillusioniert durch die Straßen Oslos streift. In diesem Zustand entdeckt er ein Mädchen, das schönste Geschöpf, das er je gesehen hat. Aber er spricht nicht mit ihm, kennt seinen Namen nicht. Er nennt es Ylajali. Er folgt ihm, bis es in einem Haus verschwindet und in diesem Haus befindet sich heute mein Restaurant.“ Den Kontext eines Romans übernimmt Ramsvik für die Dramaturgie seiner durchkomponierten Menüs: Beginnend mit einem Prolog mit kleinen Snacks, darauf folgen die weiteren Gänge in Kapitel unterteilt und abschließend ein Epilog mit Käse und Dessert.
Die Erfindung der norwegischen Identität
Größte Herausforderung für die norwegische und damit für Ramsviks Küche: extrem kurze Jahreszeiten und dafür ein sehr langer Winter verbunden mit der Schwierigkeit, dass die Zeit für frische Produkte außerordentlich kurz ist. „Wir haben wirklich tolle Produkte, sie sind eben nur drei oder maximal vier Monate erhältlich, dann kommt schon wieder der Winter. Deshalb müssen wir viel konservieren und lagern. Das zweite Problem liegt darin, dass wir, weil wir ein sehr junges Land sind, fast keine Esskultur haben.“ Das wurde Even Ramsvik bewusst, als er nach seiner Zeit in Frankreich und Bocuse-d’Or-Projekten nach Norwegen zurückkehrte. Nach weiteren Stationen übernahm er mit 26 Jahren als Mitinhaber und Küchenchef das Restaurant Ylajali. Oft sei dort in der Gastronomie mit Importware gekocht worden, mit der Begründung, dass diese besser sei. Zeit für den Spitzenkoch, seinen eigenen Weg zu finden: „Als der nordische Trend anfing, fühlte es sich für mich falsch an, so zu kochen wie in vielen Restaurants hierzulande, weil die Art für mich nicht wirklich norwegisch war. Deshalb ging es für mich darum, eine norwegische Identität zu erfinden oder sie innerhalb der nordischen Küche zu kreieren.“ Der heutige Sternekoch besinnt sich auf die Qualitäten und Techniken, die in der Tradition seines Landes überliefert wurden: salzen, pökeln, smoken, fermentieren, trocknen und einlegen. Natürlich wurden diese Techniken in erster Linie verwendet, um Dinge haltbar zu machen, „aber das ist auch ein Aromaprofil für mich mit kräftigen und robusten Geschmäcken, die ich gerne in unsere umfangreichen Menüs integriere“. Das sei eine ziemlich große Herausforderung, für die es eine hohe Temperatur beim Kochen braucht. Erzielt wird sie mit dem Holzofen, Holzkohle und offenem Feuer, die zudem für spannende Aromakomponenten sorgen.
mit ihrem kühlen, schönen Waldaroma.
Wie die tradtionellen Techniken und Produkte in seine minimalistische Handschrift mit maximaler Geschmacksausbeute einfließen, präsentiert der Küchen-Rockstar in seinem Signature-Dessert mit Apfel, das die Philosophie des Ylajali widerspiegelt: gereift, konserviert, aber mit der unmittelbaren Frische des Waldes. Für dieses Geschmackserlebnis kombiniert er Winteräpfel mit frischen, noch unreifen Wacholderbeeren. Wobei Ramsvik betont: „Wir sind keine Pâtisserieküche, wir machen Desserts so, wie wir unsere anderen Gerichte zubereiten. Die Techniken sind in der Regel recht einfach, worauf wir uns konzentrieren, ist die Balance und interessante Aromen herauszuarbeiten.“
Beim Apfel geschieht dies durch Rösten über offenem Feuer, bis beim Schwärzen der Schale der Karamellisierungsprozess einsetzt, jedoch bevor der Apfel gar ist, und dennoch ein Raucharoma erhalten hat. Danach wird die Frucht für vier bis fünf Tage dehydriert, bis sie komplett zusammenschrumpft und ein extrem kräftiger, säureintensiver Apfel zurückbleibt. Die Bratapfelaromen der abgelösten, geschwärzten Schale löst Ramsvik in Apfelsaft und erhält so gleichzeitig Karamell- und frische Apfelnoten. Aus dem restlichen, dehydrierten Apfel kocht der norwegische Sternekoch unter Zugabe von Sago-Perlen ein Kompott. Zweite Komponente seines Signature-Desserts ist Even Ramsviks Lieblingsprodukt: „Das ist die frische, noch nicht reife Wacholderbeere. Wir pflücken Schiffsladungen davon und frieren sie ein. Sie schaffen ein sehr interessantes, kühles, schönes Waldaroma zum Dessert.“ Zusätzliche ausgeklügelte Raucharomen erhält das Eis aus grünen Wacholderbeeren durch den Smoke von Wacholderzweigen, der die Buttermilch durchdringt. Ergebnis: eine norwegische Landschaft auf dem Teller.
Der perfekte Raum für jeden Gang
19 oder 20 Servings seien für ihn sehr schwierig, gesteht der Ausnahmekoch. „Bei Restaurants hat man häufig das Gefühl, dass man viele Gänge weglassen könnte, weil sie nur dazu da sind, um den Ehrgeiz der Küche zu zeigen. Ich will, dass jedes Serving seinen perfekten Raum im Menü hat – bei der Platzierung, aber auch bei den Aromen.“ Im Ylajali geht es dem Küchenchef darum, eine vollkommene Mahlzeit in jeder Hinsicht zu schaffen und darin eine Dramaturgie zu erarbeiten, die die Gäste triggert, sie während des gesamten Essens am Ball hält. Es ist sein Anspruch, das Interesse und die Spannung auf einem hohen Level zu halten. Dafür greift er nicht nur bei den Aromen zum einen oder anderen Trick: „Unsere Stühle sind gerade bequem genug, um drei Stunden darauf zu sitzen, nicht länger. Ich will, dass meine Gäste konzentriert sind, ich will nicht, dass sie daliegen. Sie sollten die Zeit bei mir nicht zu sehr genießen“, betont Ramsvik in seiner schmunzelnd zurückhaltenden Art die Philosophie seiner neuen norwegischen Cuisine.
Zweiter und umso wichtigerer Part ist die Dramaturgie der Aromen, da der Geschmackssinn nach so vielen Gängen oft kombiniert mit Weinbegleitung ermatte. Eben deshalb haben der 600-Grad-Holzofen und der Rauch einen wichtigen Stellenwert in Ramsviks Küche, die im Menü „leicht anfängt und sich steigert. Dafür muss man die Aromen richtig in die Höhe schießen, was einfach mit Umami-Aromen wie in Sojasauce, Kapern oder Anchovis möglich wäre, aber die Hauptzutat überdeckt und ihnen nicht ihren Raum lässt.“ Er selbst setzt auf die richtigen Techniken, die es dem Aroma erlauben, die komplette Bandbreite abzudecken. Wie bei einem Steinbutt als 15. Gang, der auf der Haut gebraten, mit Heu und Butter geröstet und gesmokt, ein rustikales Aroma erhält, jedoch mit einer eleganten Umsetzung. So gelingt es dem Erfinder der neuen norwegischen Esskultur, die Kontraste der Tradition mit einer gewissen Leichtigkeit mit seinem modernen Anspruch zu verknüpfen.
Norwegischer Winterapfel – vom Lagerfeuer mit grünem Wacholder