Die Sterneküche vor dem Untergang? Tohru Nakamura im Interview

Die Welt der Spitzengastronomie steckt in der Krise: Selbst in den besten Restaurants der Welt bleiben viele Tische leer. Ein Phänomen, das auch Deutschlands Gastronomie fest im Würgegriff hält. Zweisterne-Koch Tohru Nakamura erklärt, warum das so ist – und wie er in seinem Münchner Restaurant erfolgreich dagegen ankämpft.
April 25, 2024 | Text: Interview: Lucas Palm | Fotos: Julia Losbichler, Ramon Haindl

Ein Gespenst geht um, in der Welt der Spitzengastronomie. Und nein, wir sprechen hier nicht vom notorischen Fachkräftemangel. Sondern vom „Empty Table“-Phänomen. Heißt: Es fehlen die Gäste. Und zwar überall. Ob an einem Donnerstagmittag im Disfrutar in Barcelona – immerhin auf Platz drei der „World’s 50 Best Restaurants“-Liste – oder an einem Freitagabend im ach so gehypten Eleven Madison Park in New York.

Immer öfter bleiben Tische leer. Wo man sich früher schon monatelang im Vorhinein einen Tisch erkämpfen musste, bekommt man ihn heute nicht nur innerhalb weniger Tage nachgeschmissen – es wird umgekehrt gar um jeden Gast gekämpft. Mit allen möglichen Mitteln. Elitäre Sternerestaurants führen plötzlich „Schnitzel­tage“ ein, andere setzen auf einen „Schweinsbraten-Donnerstag“ – und wieder andere stutzen gleich das ganze Menü auf vier Gänge zusammen.

Mittendrin in dieser verzwickten Gemengelage: Tohru Nakamura. Auch in seinem mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Tohru direkt in der Münchner Innenstadt könnte die Auslastung besser sein. „Aber ganz im Ernst: Ich möchte hier nicht Schnitzel oder Backhendl servieren“, sagt er und zeigt auf die zwölf filigranen Tische im schicken – und noch leeren – Gastraum.

Wie so viele seiner Unternehmer-Kollegen in der Branche treibt auch ihn eine Frage um: Wie reagiert man auf diese Krise, ohne seine qualitativen Prinzipien über Bord zu werfen? Im ausführlichen Gespräch – das übrigens bis kurz vor der Mise en place dauert, weil für ihn eben echt wichtig – spürt Nakamura dieser Thematik genauso schonungslos wie weitsichtig nach.

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Augen zu und – abtauchen? Die Spitzengastronomie ist unter Wasser – Tohru Nakamuras Devise lautet daher: Kräfte sammeln und mit neuen Ideen auftauchen

Ein Gespenst geht um, in der Welt der Spitzengastronomie. Und nein, wir sprechen hier nicht vom notorischen Fachkräftemangel. Sondern vom „Empty Table“-Phänomen. Heißt: Es fehlen die Gäste. Und zwar überall. Ob an einem Donnerstagmittag im Disfrutar in Barcelona – immerhin auf Platz drei der „World’s 50 Best Restaurants“-Liste – oder an einem Freitagabend im ach so gehypten Eleven Madison Park in New York.

Immer öfter bleiben Tische leer. Wo man sich früher schon monatelang im Vorhinein einen Tisch erkämpfen musste, bekommt man ihn heute nicht nur innerhalb weniger Tage nachgeschmissen – es wird umgekehrt gar um jeden Gast gekämpft. Mit allen möglichen Mitteln. Elitäre Sternerestaurants führen plötzlich „Schnitzel­tage“ ein, andere setzen auf einen „Schweinsbraten-Donnerstag“ – und wieder andere stutzen gleich das ganze Menü auf vier Gänge zusammen.

Mittendrin in dieser verzwickten Gemengelage: Tohru Nakamura. Auch in seinem mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Tohru direkt in der Münchner Innenstadt könnte die Auslastung besser sein. „Aber ganz im Ernst: Ich möchte hier nicht Schnitzel oder Backhendl servieren“, sagt er und zeigt auf die zwölf filigranen Tische im schicken – und noch leeren – Gastraum.

Wie so viele seiner Unternehmer-Kollegen in der Branche treibt auch ihn eine Frage um: Wie reagiert man auf diese Krise, ohne seine qualitativen Prinzipien über Bord zu werfen? Im ausführlichen Gespräch – das übrigens bis kurz vor der Mise en place dauert, weil für ihn eben echt wichtig – spürt Nakamura dieser Thematik genauso schonungslos wie weitsichtig nach.

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Augen zu und – abtauchen? Die Spitzengastronomie ist unter Wasser – Tohru Nakamuras Devise lautet daher: Kräfte sammeln und mit neuen Ideen auftauchen

Tohru, warum fehlen seit Neuestem weltweit die Gäste in der Spitzengastronomie?

Ich bin der Meinung, dass wir die eigentliche große Krise erst jetzt haben – und nicht während der Coronazeit hatten. In der Zeit der Lockdowns herrschte eine ganz andere Stimmung. Schluss­endlich war es einfach: Wir durften eben nicht aufmachen, deswegen blieben die Tische leer. Punkt. Die Gesellschaft hat damals bemerkt, wie sehr ihr die Gastronomie fehlt.

Also hat sie sich nach dem Erlebnis eines Restaurantbesuchs gesehnt. Danach, wieder gemeinsam das Essen und Trinken zu zelebrieren. Heute ist diese Sehnsucht aufgrund der multiplen Krisen – Inflation, Energiepreise, Kriege – aber verpufft. Kurzum: Viele wollen oder können sich momentan den Luxus eines Sternerestaurantbesuchs nicht leisten.

Sind die Preise in den Sternerestaurants einfach zu hoch?

Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob das Angebot zu preisintensiv ist. Aber einfach mit den Preisen runterzugehen oder aus einem Fine-Dine-­Konzept etwas Einfacheres zu machen, ist in den wenigsten Fällen eine nachhaltige Lösung. Als Basis muss man sich in dieser schwierigen Situation zuallererst einmal fragen: Wie selbstbewusst und konsequent stehe ich hinter meinem Produkt, hinter meinem Restaurant als solches?

Und eines ist, zumindest in meinem Fall, klar: Ich habe mich nicht jahrelang intensivst mit Produkten und dem komplexen Kochhandwerk befasst, um plötzlich Hausmannsküche zu kochen.

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Ein ziemlich europäischer Gang für Nakamuras Verhältnisse: Gebeizter Rehrücken mit Lauchherz, Anchovis, Koji, marinierten Preiselbeeren und Douglasienschaum

Aber einfach so weitermachen wie bisher, geht ja auch nicht – oder?

Natürlich nicht. Das tun wir auch nicht. Allein auf Produktebene mussten wir schon die eine oder andere Notbremse ziehen. Seezunge beispielsweise bestellen wir gar nicht mehr, weil die Preise einfach zu hoch sind. Ich finde es auch spannend zu sehen, dass es in den letzten Jahren einige Restaurants geschafft haben, ihre Daseinsberechtigung mit – nur vermeintlich – simplen Produkten zu begründen. Mit Produkten, die ja eigentlich gar nicht so simpel sind.

Rote Bete oder Kohlrabi beispielsweise, die wirklich etwas Besonderes sind, weil sie alten Sorten entstammen, weil man dem Gast sagen kann, auf welchem Feld sie genau gezogen worden sind, auf welchen Böden, oder weil sie völlig neuartig zubereitet werden.

Abgesehen von der Seezunge: Welche Auswirkung hat diese Krise sonst noch konkret auf dein Restaurant?

Wir haben zwölf Tische und fünf Tage die Woche abends geöffnet. Während dieser fünf Tage bleiben insgesamt acht bis zehn Tische frei. Anders gesagt: Von den 60 Tischen, die wir pro Woche verkaufen könnten, können bis zu zehn unbelegt bleiben. Aber das ist eher schon der Worst Case.

Was bedeutet das in Couverts gerechnet?

Wenn wir kalkulieren, gehen wir von knapp 30 Couverts aus, bedeutet 150 Gäste in der Woche. Schlimmstenfalls sind es dann mal 130. Das ist für die momentane Krisensituation einigermaßen okay. Wir haben damit auch unseren Deckungsbeitrag drinnen, aber viel Spielraum für Neuinvestitionen bleibt auch uns nicht.

Wir stellen uns die Frage: Wenn die Tische leer sind, wie kann man sie sonst noch nutzen, außer fürs Essen und Trinken?

Dazu muss man wissen: Ich spreche aus einer relativ privilegierten Situation heraus. Wir haben ja bei der Eröffnung 2021 nicht als No-Name gestartet. Meine Zeit im Werneckhof mit zwei Sternen, die ausgebuchten Pop-ups danach – das Restaurant baut ja darauf auf. Restaurants, die wirklich bei allem mit Null anfangen, haben es heute viel schwieriger. Vor allem im Sternebereich.

Was uns zur Frage führt: Gibt es zu viele Sternerestaurants in Deutschland?

Die Nachfrage ist jedenfalls nicht so exponentiell gestiegen wie das Angebot. Wir haben mittlerweile über 300 Sternerestaurants in Deutschland, Tendenz steigend. Das bedeutet, wir haben über 300 Sous Chefs im Land, die in absehbarer Zeit wiederum neue Küchenchefs werden könnten. Nur kann der Guide Michelin nicht anders, als mehr Sterne zu vergeben, wenn die Qualität steigt.

Aber braucht es wirklich mehr Sternerestaurants in Zeiten, in denen selbst die besten des Landes nicht ausreichend ausgelastet sind?

Das kommt darauf an, ob und inwiefern ein Land wie Deutschland es in Zukunft schafft, sich als Kulinarik-Destination zu positionieren. Ich finde, da passiert mittlerweile schon einiges. Die jährliche Guide Michelin-Veranstaltung wird stark von den Städten umworben, und hier in München haben wir einen guten Austausch unter den Restaurants, die für internationale Foodies interessant sein könnten, damit mehr Sichtbarkeit geschaffen wird. Trotzdem sind wir meines Erachtens momentan nicht soweit, dass die Nachfrage mit dem Angebot mithalten könnte.

Sprechen wir über eure Lösungsansätze, um diese Krise zu bewältigen. Was macht ihr konkret und was habt ihr noch vor?

Zunächst einmal: Viel reden hilft viel. Sowohl innerhalb unseres Teams, wo jeder seine eigene Erfahrung miteinbringt, wenn es um Zukunftsideen geht. Aber wir blicken auch bewusst über den Tellerrand und schauen, wie andere Branchen arbeiten. Da helfen mir auch die Kooperationen, die ich habe, wie zum Beispiel mit Lexus in der Automobilbranche oder mit Gaggenau als Gerätehersteller. Durch gemeinsame Veranstaltungen und Events – auch in Form von Four-Hands-Dinners – kann man nicht nur seine Sichtbarkeit steigern, auch dieses „Out of the box“-Denken wird damit gefördert.

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Das Restaurant Tohru in der Schreiberei gehört zu den besten Adressen Deutschlands – und trotzdem bleiben manche Tische leer

Kannst du uns dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Was uns momentan beschäftigt, sind eben diese leeren Tische. Was, wenn wir uns fragen, wie wir diese leeren Tische sonst noch nutzen könnten? Also jenseits vom klassischen Essen und Trinken? Könnten Restaurants ihre Tische nicht auch ähnlich wie ein Airbnb anbieten? Über solche Dinge jenseits des klassischen Gastro-Denkens kann und muss man momentan einfach nachdenken.

Die Nachfrage nach Sternegastronomie ist weniger stark gestiegen als das Angebot!

Was wir außerdem zur Coronazeit gelernt haben: Die Verknappung eines Angebots schafft Nachfrage. Deswegen denken wir auch viel über dieses „Fear of missing out“-Prinzip nach: Dinge also nur für einen begrenzten Zeitraum anzubieten – und das natürlich auch entsprechend zu kommunizieren.

Der Geschäftsmann hinter dem Koch ist geforderter denn je.

Ja, und trotzdem ist es wichtig, weiter das zu tun, was meine Leidenschaft ist. Ich könnte natürlich auch irgendeine hardcore emotionslose Gastronomie und irgendwas mit Franchise machen. Aber nur reines Business ohne Herz – davon lebt die Welt der Spitzengastronomie nicht.

Es gibt ja diesen Marketingspruch: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Aber in der Art von Gastronomie, wie sie mir und vielen meiner Kolleginnen und Kollegen vorschwebt, muss der Köder sehr wohl auch uns selbst schmecken. Bei all den Herausforderungen ist das etwas, was wir nicht vergessen sollten.

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Klarer sieht man, wenn man den Blick auch darauf richtet, was außerhalb der Gastro-Bubble liegt: Tohru Nakamura macht’s vor

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Tohru Nakamura

1983 geboren, wuchs der Sohn eines Japaners und einer Deutschen in München auf. Dort machte er im Hotel Königshof unter Küchenchef Martin Fauster seine Ausbildung. Es folgten prestigeträchtige Stationen wie das Vendôme unter Joachim Wissler oder das Oud Sluis unter Sergio Herman. Als Küchenchef im Werneckhof in München erkochte Nakamura zwei Michelin-Sterne und 19 Punkte im Gault-Millau. 2021 eröffnete er sein Fine–Dine-Restaurant Tohru in der Münchner Schreiberei, das der Guide Michelin mit zwei Sternen auszeichnet.

schreiberei-muc.de/tohru

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