Game Changer
Fotos: Wolfgang Hummer
Ollie Dabbous hat drei Regeln. Erstens: Vergiss das mit der Liebe. Zweitens: Vergiss, dass du ein soziales Leben haben könntest. Drittens: Iss niemals außerhalb deiner eigenen Küche – außer sie ist besser als deine.
Mit 32 Jahren ist Dabbous das Poster-Child der neuen englischen High-Cuisine und hat für so etwas wie Leben keinen Kopf. Food-Kritiker Tom Parker Bowles nennt ihn die größte Errungenschaft seit Heston Blumenthal und Gourmet-Veteranin Fay Maschler, deren Meinung mehr zählt als die aller wichtigen Guides zusammen, hat mit ihrer Kolumne im Evening Standard vom 2. Februar 2012 die große Welle losgetreten. Sie gibt dem gerade für vier Tage geöffneten Restaurant in Fitzrovia und seinem bis dato unbekannten Chef de Cuisine Schrägstrich Inhaber und Namensgeber fünf Sterne, was so viel bedeutet wie…
Fotos: Wolfgang Hummer
Ollie Dabbous hat drei Regeln. Erstens: Vergiss das mit der Liebe. Zweitens: Vergiss, dass du ein soziales Leben haben könntest. Drittens: Iss niemals außerhalb deiner eigenen Küche – außer sie ist besser als deine.
Mit 32 Jahren ist Dabbous das Poster-Child der neuen englischen High-Cuisine und hat für so etwas wie Leben keinen Kopf. Food-Kritiker Tom Parker Bowles nennt ihn die größte Errungenschaft seit Heston Blumenthal und Gourmet-Veteranin Fay Maschler, deren Meinung mehr zählt als die aller wichtigen Guides zusammen, hat mit ihrer Kolumne im Evening Standard vom 2. Februar 2012 die große Welle losgetreten. Sie gibt dem gerade für vier Tage geöffneten Restaurant in Fitzrovia und seinem bis dato unbekannten Chef de Cuisine Schrägstrich Inhaber und Namensgeber fünf Sterne, was so viel bedeutet wie: „This place will change games.“
Und das hat sich im vergangenen Jahr nicht geändert. Bis zu 300 Anfragen pro Stunde kommen per Telefon und E-Mail, die knapp 30 Sitzplätze sind bis zu einem Jahr im Voraus ausgebucht und vor der schweren Eisentüre in der Whitfield Street Nummer 39 geht es allabendlich zu wie vor einem der schwer angesagten Clubs im East End Londons. Und das alles wegen ihm. Ollie Dabbous, optischer Purist, aromatischer Maxima-
list und bodenständig-stilbewusster Junge von nebenan mit tief ausgeschnittenem weißen Shirt und jeder Menge schwerer Ringe an den Fingern. Sieht man den Mastermind hinter Gerichten wie „Gegrilltes Ibérico mit Pfefferkraut-Eichel-Praline, Rübenblättern und hausgemachtem Apfel-Essig“ und „Gestocktes Hühnerei mit Pilzen aus dem Unterholz und geräucherter Butter“ – mittlerweile so etwas wie sein Signature –, würde man niemals vermuten, dass dermaßen filigrane, sinnliche und feminine Kompositionen aus seiner Feder stammen.
Leichte Küche, fein strukturiert mit einem hohen Grad an technischer Präzision und intelligente Zusammen-
stellung, die den Gast fordert, ohne dabei zu überfordern. „Ich glaube an Simplizität und Klarheit. Ich will Gerichte mit dem Wow-Faktor, die aber aussehen, als wären sie mühelos entstanden.“
Effekthascherei ist für Dabbous nur Ablenkung vom Wesentlichen. Er beschäftigt sich lieber damit, wie viele Minze-Blättchen für den perfekten Endiviensalat mit Lebkuchen, Orange und Minze nötig sind. 16, um darauf die Antwort zu geben, bei zwölf Chicorée-Blättern und derselben Anzahl von Orangen-Stückchen. Jedes seiner Rezepte ist dabei ähnlich einer Excel-Tabelle akribisch akkurat aufgebaut – Bauchgefühl ist zwar gut für die Idee, bei der Umsetzung folgt seine Mannschaft aber einem straffen, generalstabsmäßigen Plan. Ohne dass Dabbous ihnen von hinten die Kommandos ins Ohr schreien würde. „Die besten Küchen sind die, in denen es leise ist. Das erhöht die Effektivität.“ Er muss es wissen, schließlich hat er sich – vor seiner Selbst-
ständigkeit – in selbigen herumgetrieben. Bei Rowley Leigh im Kensington Palace, Artischocken und Pfifferlinge putzend bei Guy Savoy in Paris, in René Redzepis noma und in Heston Blumenthals Fat Duck. Wobei er selbst meint, von Raymond Blanc im Le Manoir aux Quat’Saisons am meisten gelernt zu haben.
„Immer verkosten, immer Frische und Saisonalität.“ Nun gut, das klingt für Kontinentler nun ein wenig wie Eulen nach Athen tragen, für Engländer ist das aber die Wiederentdeckung des Heiligen Grals und Dabbous dabei ihr Ritter Camelot. Und dass er sich bei seinem Kreuzzug für den Traum vom eigenen Restaurant für nichts zu schade ist, beweist, dass er ein Jahr lang in einem Nachtclub Burger gebraten hat, um untertags Geldgeber für das Dabbous aufzutreiben. „Niemand hat an meine Türe geklopft und gesagt: He, du bist ein geiler Typ, hier hast du mal einen Sack Geld. Ich habe es wirklich gehasst, um Hilfe zu betteln, aber mein eigenes Restaurant, das wollte ich um jeden Preis.“ Und so fragte er auch bei Blanc an, der sich – für Dabbous, der nicht einmal sicher war, ob sich der Sternekoch an ihn erinnern würde – ebenfalls einkaufte.
„Das war der Kick-off. Sein Name war anscheinend für die anderen ein Garant dafür, dass ich das Ding nicht gegen die Wand rennen werde.“ Und Blanc hatte mit seiner Entscheidung recht, nach nur einem Jahr schreibt das Dabbous schwarze Zahlen. „Wir haben etwa 600.000 Euro an Investition gehabt, für London sind das eigentlich Peanuts.“
Der Hype rund um das Dabbous blieb den Testern vom Guide Michelin nicht verborgen und die schlugen mit der Vergabe des Sterns nach nur neun Monaten Laufzeit in die gleiche Kerbe. Keine Überraschung, überraschend allerdings, wie Dabbous damit umging: „Als ich es erfahren habe, hatte ich einen Kühl-
schrank, der nicht funktionierte, gerade eine Krankmeldung und der Stern war auf meiner Prioritätenliste an etwa vierter Stelle. Wir waren einfach zu eingespannt, um schnell mal eine Flasche Champagner aufzureißen. Auszeichnungen sind großartig, aber wir bekommen sie, weil wir sie verdient haben.“
Was ein bisschen überheblich und nach einem Anflug von Divenhaftigkeit klingt, ist aber nur der dabboussche verbale Shortcut über die harten Anstrengungen der letzten Jahre.
Und der Erfolg freut Dabbous, auch wenn er das nur in sel-
tenen Momenten rauslässt. „Ich bin glücklich. Ich will keine
Frau, kein Kind – ich will zu dem, was ich gerade mache,
kein Alternativprogramm. Schlafen und Arbeiten – ohne Kompromiss.“
Und schon plant Londons most wanted auch schon am zweiten Restaurant und an einem Kochbuch, das heuer noch erscheinen soll. Allerdings bleibt er in Angaben von Details wortkarg. „Solange ich auf dem Niveau des Perfektionismus bleiben kann, das mir vorschwebt, ist alles gut. Merke ich, dass der Standard auch nur ein bisschen fällt, verabschiede ich mich von dem Projekt.“ Das sollte ihm allerdings früh genug auffallen, denn für das Dabbous wird wohl auch weiterhin eine Wartezeit von über einem Jahr gelten …