Mastermind
Fotos: beigestellt, Fondation Escoffier
Weil Mutter Natur bei ihm einige Zentimeter für das Erreichen der körperlichen Durchschnittsgröße einspart, macht sich bei Auguste Escoffier schon früh verbissener Ehrgeiz und strategisches Denken bemerkbar. Was seine Kochkollegen allerdings nicht ernst, wenn überhaupt wahrnehmen. Er trinkt kein Bier, hasst es zu fluchen, ist klein, leise und zudem der Neffe des Restaurantbesitzers. Also insgesamt genau das Gegenteil eines prototypischen Kochs einer Küchenbrigade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dass er 1859 eine Koch-Kellner-Lehre beginnt, bestimmt sein Vater, als sich herausstellt, dass Augustes Kreativität nicht für den Beruf des Malers reichen werde. Eine Entscheidung, die Escoffier mit folgenden trockenen Worten quittiert: „Dem konnte ich nichts entgegensetzen, als zu gehorchen.“ Escoffier ist 13 Jahre alt, als ihm die Flammen der Holzkohleöfen für Suppe, Saucen und Fleisch im Restaurant Français in Nizza das erste Mal seine Nasenhaare ansengen. Trotz extra angefertigter Plateauschuhe.
Von den in seinen Augen völlig proletoiden Kollegen für nicht voll genommen, von dem extremen Geräuschpegel in der Küche und den noch lauter geschrienen Anweisungen des Chef de Cuisine gänzlich irritiert, ist Escoffier klar: Wenn er eines Tages in der Rangfolge ganz oben steht, wird ein anderer Ton herrschen. Dass er eines Tages ganz oben steht, daran zweifelt er nicht. Nie.
„Meine ersten Jahre waren hart,…
Fotos: beigestellt, Fondation Escoffier
Weil Mutter Natur bei ihm einige Zentimeter für das Erreichen der körperlichen Durchschnittsgröße einspart, macht sich bei Auguste Escoffier schon früh verbissener Ehrgeiz und strategisches Denken bemerkbar. Was seine Kochkollegen allerdings nicht ernst, wenn überhaupt wahrnehmen. Er trinkt kein Bier, hasst es zu fluchen, ist klein, leise und zudem der Neffe des Restaurantbesitzers. Also insgesamt genau das Gegenteil eines prototypischen Kochs einer Küchenbrigade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dass er 1859 eine Koch-Kellner-Lehre beginnt, bestimmt sein Vater, als sich herausstellt, dass Augustes Kreativität nicht für den Beruf des Malers reichen werde. Eine Entscheidung, die Escoffier mit folgenden trockenen Worten quittiert: „Dem konnte ich nichts entgegensetzen, als zu gehorchen.“ Escoffier ist 13 Jahre alt, als ihm die Flammen der Holzkohleöfen für Suppe, Saucen und Fleisch im Restaurant Français in Nizza das erste Mal seine Nasenhaare ansengen. Trotz extra angefertigter Plateauschuhe.
Von den in seinen Augen völlig proletoiden Kollegen für nicht voll genommen, von dem extremen Geräuschpegel in der Küche und den noch lauter geschrienen Anweisungen des Chef de Cuisine gänzlich irritiert, ist Escoffier klar: Wenn er eines Tages in der Rangfolge ganz oben steht, wird ein anderer Ton herrschen. Dass er eines Tages ganz oben steht, daran zweifelt er nicht. Nie.
„Meine ersten Jahre waren hart, aber der Wunsch und das Gefühl, dass ich etwas bewegen, ändern werde, ließ mich die Situation mit der geringst möglichen Unzufriedenheit akzeptieren. Nach einigen Monaten habe ich die Wichtigkeit des Kochens verstanden und welchen Einfluss ein gewissenhafter Koch haben kann.“ Später gibt er zu, dass es ihm außerdem gegen den Strich geht, dass der Küchenchef im Status nicht über den normalen Bediensteten eines Restaurants steht – eine Überzeugung, die er als solcher gerne auslebt, und einer der Gründe, warum die Reformation der Küche bereits in jungen Jahren zu seiner Besessenheit wird. Um ein wenig vom Fahrwasser der Eitelkeiten zu kosten, genießt es Escoffier in der Ausbildungszeit, an den Tischen der High Society herumzuschleichen, die sich in gepflegter Regelmäßigkeit bei seinem Onkel einfindet. Und diese Kreise wünscht Escoffier nicht mehr zu verlassen. Im tiefsten Inneren ist er bereits zu Teenagerzeiten ein veritabler Snob.
1865, Escoffier ist 19 Jahre alt und mittlerweile im Chez Philippe in Nizza führender Saisonkoch, verhilft ihm eine seiner ersten eigenen Rezepturen zu einem gewaltigen Karrieresprung. M. Bardoux, der Eigentümer des Petit Moulin Rouge in Paris, ist auf der Suche nach vielversprechenden Talenten für sein Restaurant, als ein Freund ihm den Tipp gibt, im Chez Philippe die „Langouste niçoise“ zu probieren. Dieses Gericht, heute besser bekannt als „Homard à l’américaine“, hinterlässt Eindruck bei Bardoux. Und Escoffier wittert die Chance, seinem obersten Ziel, endlich Paris, näher zu kommen. „Ich bin hinaus und habe ihn nach einer Juniorstelle in der Küche seines Etablissements gefragt, die er mir daraufhin aufs Freundlichste zusicherte.“ Die Legende, dass Bardoux selbst nach dem Koch gefragt hat, ist das, was es ist. Eine Legende. Wäre Escoffier „entdeckt“ worden, hätte er es genau so gesagt. Tiefstapeln ist keine seiner Angewohnheiten.
Am Mittwoch, dem 12. April 1865, tritt Escoffier im Petit Moulin Rouge seine Stelle als zweiter Commis-Rôtisseur an – oder als Küchen-Assistent, wie er es selbst nennt. Schnell zeigt sich sein Können und der neue Inhaber, Rahaut, lässt ihn jeden Posten ausprobieren und auch ab und an in den Gastraum. „Die feine Gesellschaft, Könige und Kaiser nahmen hier Platz.“ Welche genau, rezitiert Escoffier mit Freude. Namedropping ist nämlich sehr wohl eine seiner Angewohnheiten.
Das Jahr der Weltausstellung, 1867, bringt Paris das Aluminium und dem Petit Moulin Rouge einen neuen Chef Gardemanger, ein Jahr später folgt der Aufstieg zum Chef Saucier. Nun ist Escoffier mit 22 Jahren der zweite Mann in einem Pariser Restaurant mit hohem Imagefaktor und, viel wichtiger für den Verlauf der europäischen Kochhistorie, verantwortlich für alle Saucen.
Selige Sößchenkunde
Bevor Escoffier daran ging, die schwere französische Küche aus ihren festgelegten Angeln zu heben, diente eine Sauce generell dazu, unerwünschte Geschmäcke zu übertünchen und trockenes Fleisch erträglich zu machen. Sie bestand aus willkürlichen Zutaten, die der Koch aus der aktuellen Laune heraus hinzufügte. Für Escoffier gleicht das einer Gotteslästerung. Für den Anspruch des ehrgeizigen Kochs ist es nicht genug, dass eine Sauce eine künstlerische Geste ist, eine Fanfare für das Gericht. Die Sauce ist für ihn Teil der wahren Seele der Kulinarik. Zwei Jahre beschäftigt er sich ausschließlich mit Textur, Geschmack, Struktur und der Kombination unterschiedlicher Geschmäcke. Er erstellt Kategorien und die Grundrezepte aller heute bekannten und verwendeten Saucen. Der Grundstein seines kulinarischen Erbes, das er knapp 30 Jahre später als „Le Guide Culinaire“ der Welt zugänglich macht und bis heute Gültigkeit besitzt.
Feuer unter dem Herd
Wie stark Escoffiers Leben auf das Kochen ausgelegt ist, offenbart sich in seinem Tagebucheintrag vom 27. Oktober 1870. Es ist die Beschreibung des Gerichtes für den Abend: „Es gibt Riz à la Lorraine: Reis in Ziegenmilch gekocht, geschichtet in einer Timbale mit Confiture de Mirabelles de Metz und einem Topping aus Apfel-Compôte und knusprigem Keks-Crumble. Verfeinert mit einem Schuss Kirsch.“
Am nächsten Tag werden das No.-2-Headquarter von Colonel d’Andlau sowie dessen Chefkoch und Reservist Auguste Escoffier in Metz nach der wochenlangen Belagerung durch die Preußen in Gefangenschaft genommen. Napoleon III. verliert den Deutsch-Französischen Krieg, 138.871 Soldaten auf der Seite Frankreichs sterben, 474.414 werden gefangen genommen. Doch darüber verliert Escoffier kein Wort.
Es ist November 1872, Escoffier ist wieder in seinem Geburtsort Villeneuve-Loubet und sein Ziel, sich einen Namen als Chefkoch zu machen, ungebrochen. Das Angebot des Postens als Chef de Cuisine aus dem Petit Moulin Rouge, kommt
da gelegen. Und Escoffier zieht, so wie er es sich einst versprochen hat, neue Saiten auf.
Die neue Zeitrechnung
Eine Änderung, ein winziges Detail, hat dabei die größte Auswirkung: Der Mann, der die Order der Kellner in die Küche ruft, heißt bei Escoffier nicht mehr „Aboyeur“, also Ausrufer, sondern „Annonceur“, Ansager, und es ist ihm verboten zu schreien. So ist nun die gesamte Küchenmannschaft gezwungen, leise zu sein, um die Order zu verstehen. „Die Stoßzeit in der Küche ist nicht die Zeit für einen Stapel dahingeworfener Worte.“ Doch das löst nicht das zweite Problem Escoffiers: das rüpelhafte Verhalten seiner Köche. Dazu muss man wissen, dass es in den Küchen damals unfassbar heiß ist, die Kohleöfen glühen mit unbarmherziger Hitze, der Rauch hängt in der Luft und den Kehlen, die Fenster müssen geschlossen bleiben, da sonst die Speisen kalt werden. Regelmäßiges Trinken muss sein. Das Getränk der Wahl: Bier. Und das macht selbst aus dem nettesten Kerl nach 14 Stunden einen launischen Saufkopf. Escoffier verbannt kurzerhand das Bier und sorgt für ununterbrochenen Nachschub an Wasser. Ein Novum, das wirkt.
Doch nicht nur in der Küche ändern sich die Sitten, Escoffier beginnt, die Gewohnheiten seiner adeligen und reichen Gäste zu studieren und zu kartieren. Ein wichtiger Schritt – Escoffier weiß nur noch nicht, in welche Richtung ihn das führen wird.
Fokussiert auf seine Karriere, ist die Ehe für ihn etwas, das man eben macht. Als er 1978 mit Freund Paul Daffis wettet, er würde jene Partie Billard gewinnen, ist der Einsatz die Hand von Tochter Delphine Daffis. Escoffier versenkt zuerst und heiratet. In seinen Tagebuchaufzeichnungen erwähnt er die Mutter seiner drei Kinder keine zehn Mal. Doch es gibt einen Menschen, dessen Erscheinen das Leben Escoffiers maßgeblich prägt. César Ritz. Der Hotelier-Neuling mit bahnbrechenden Ideen verpflichtet Escoffier als Küchendirektor für das Grand Hôtel de Monte Carlo. Das Angebot ist überdurchschnittlich, sonst hätte Escoffier Paris niemals verlassen. Für Ritz steht fest, ein Luxushotel kann nur dann bestehen, wenn die Küche hervorragend ist. Escoffier hingegen hängt an seiner Freiheit, weiß aber, dass seine Art des Kochens mehr als kostspielig ist, was mit einem Hotel in der Hinterhand leichter zu managen ist. Diese Eingeständnisse machen die beiden in den kommenden Jahren zu den einflussreichsten Businesspartnern ihrer Zeit.
Dient es dem Geschmack?
Escoffier überträgt das moderne Küchenmanagement des Petit Moulin Rouge ins Grand Hôtel, doch eine weitere Idee lässt ihn nicht los: Die Präsentation des Essens verschlechtert den Geschmack des selbigen. Der Stil der damaligen Zeit geht auf Maire-Antoine Carême zurück und bedeuetet pauschal gesagt: Alles wird zugleich eingestellt. Wer nun an dem einen Ende des Tisches sitzt, bekommt nichts von dem, was auf der anderen Seite steht. Denn ein Herüberreichen gilt als unsittlich. Auch stimmt die Temperatur der Speisen nicht mehr. Escoffiers Mentor Félix Urbain-Dubois, ein im wahrsten Sinne des Wortes Schwergewicht der Branche, gibt seinem Eleven recht. Schließlich serviert er die Speisen auch auf die russische Art. Nämlich in einzelnen Gängen. Escoffier adaptiert das System für sich, vereinfacht seine Gerichte zu einem ausbalancierten Menü, lässt es gangweise servieren und startet damit eine kulinarische Revolution, auf der die heutige Gastronomie basiert.
1890 wechselt das Duo nach England, in das Savoy. Escoffier schaudert alleine der Gedanke daran, weigert sich, Englisch zu lernen aus Angst, die Rohheit der Sprache könnte die Zartheit seiner französischen Küche beeinflussen. Weil er den Engländern – auch dem Königspaar und dem Maître d’hôtel, der Empfehlungen ausspricht – Unfähigkeit in der Auswahl der Speisen unterstellt, setzt er abgestimmte Menüs zu einem bestimmten Preis vorab zusammen – das Prix-fixe-Menü. Durch seine Karteikärtchen kennt er die Vorlieben und Abneigungen, designt individuelle Speisen, wie „Pêche Melba“ für die Sopranistin Nellie Melba oder „Cuisses de Nymphes à l’Aurore“ für den Prince of Wales. Bei ihm unbekannten Gästen lässt er recherchieren.
Damit die Gerichte à la minute serviert werden können, strukturiert er den Küchenablauf neu: Die Brigade de Cuisine wird in Parties eingeteilt, denen jeweils ein Chef de Partie, der wiederum vom Maître de Cuisine befehligt wird, vorsteht. Ein System, das er aus seiner Reservisten-Zeit kennt. Nun schafft es Escoffier, binnen fünf Minuten nach der Bestellung zu servieren. In nur wenigen Wochen verwandeln Ritz und Escoffier das Savoy ganz nach ihren Vorstellungen. Mit durchschlagendem Erfolg – und die Generalprobe für das Hôtel Ritz in Paris, das 1898 eröffnet wird. Ihre Karriere im Savoy endet jäh: angeblich Streitigkeiten mit dem Management.
Doch es gibt Hinweise, dass es doch eher die Summe von 6400 Pfund (entspricht heute 650.000 Euro) war, die das Duo in Form von Wein und Spirituosen unterschlagen hat, um Investoren für ihr neues Projekt, das Carlton Hotel in London, einzugarnen. Was zur fristlosen Kündigung führt. Escoffier flucht das erste Mal in seinem Leben, bleibt aber durch das Arrangement mit der Ritz Hotel Development Company. „Es war eine Frage des Selbstrespekts. Ich wollte England nicht verlassen, bevor ich nicht die Aufgabe gelöst habe, mit der ich im Savoy begann: die Entwicklung der französischen Küche nicht nur in England, sondern überall auf der Welt.“
Was Escoffier, wie die Geschichte zeigt, in den nächsten 20 Jahren spielend gelingt. Er festigt seinen Ruf, publiziert die Bibel der Köche, den „Guide Culinaire“, gehört selbst zur High Society, was ihn in weiterer Folge mehr als alles andere beflügelt. Es gibt nur eine Frage, die sich der kleine Mann, der die Welt veränderte, immer wieder stellt: „Dient es dem Geschmack?“