Der Kuss der Muse

Einmal Inspiration, bitte! Natürlich wird es tunlichst vermieden, in der Branche nachzumachen, was die Kollegen so auf ihre Teller bringen. Aber ein Blick über den eigenen Tellerrand regt die Fantasie an. Wer und Was hinter und in den wohl schönsten Gerichten des Jahres steckt, erfahrt ihr hier.
November 24, 2017 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: J.L. Lopez de Zubiria, Tuuka Koski/contact@koskisyvari.com, Photoshelter http://www.photoshelter.com, Richard Boll, BD@PV, Colin Page 2013, César del Río, Helgekirchberger/Red Bull Hanger-7, beigestellt

Jeder einzelne Koch könnte Motivationscoach werden. Köche arbeiten sich mit unendlich viel Schweiß, Blut und Leidenshaft an die Spitze, jeder auf seine eigene Art.

Sprüche wie: „Es liegt nur an dir. Du kannst alles schaffen“ oder „Du entscheidest, wer und was du sein willst“ sind nicht umsonst Erfolgsschlager in der Lifecoach-Riege und passen nirgendwo so gut wie in der Gastro­nomiebranche. Wenn man sich die Gehälter einmal ansieht, ist klar, dass viele den Job nicht machen, weil sie damit versuchen, reich zu werden.

Beso helado de Ostras von Andoni Luis Aduriz

Nein, vielmehr stecken hinter dem Erfolg und dem Superstar-Image, das Köche heute teilweise erleben dürfen, harte Arbeit, viele dunkle Stunden und das Ziel, etwas zu verändern. Eine Geschmacksexplosion zu entzünden oder die Gäste aus dem Alltag zu reißen, die Welt zu verbessern, aus jeder einzelnen Zutat das Bestmögliche herauszuholen. Jedem Blatt, jeder Knospe, jedem Stück Fleisch gerecht zu werden. Sie zu veredeln.

Jeder einzelne Koch könnte Motivationscoach werden. Köche arbeiten sich mit unendlich viel Schweiß, Blut und Leidenshaft an die Spitze, jeder auf seine eigene Art.

Sprüche wie: „Es liegt nur an dir. Du kannst alles schaffen“ oder „Du entscheidest, wer und was du sein willst“ sind nicht umsonst Erfolgsschlager in der Lifecoach-Riege und passen nirgendwo so gut wie in der Gastro­nomiebranche. Wenn man sich die Gehälter einmal ansieht, ist klar, dass viele den Job nicht machen, weil sie damit versuchen, reich zu werden.

Beso helado de Ostras von Andoni Luis Aduriz

Nein, vielmehr stecken hinter dem Erfolg und dem Superstar-Image, das Köche heute teilweise erleben dürfen, harte Arbeit, viele dunkle Stunden und das Ziel, etwas zu verändern. Eine Geschmacksexplosion zu entzünden oder die Gäste aus dem Alltag zu reißen, die Welt zu verbessern, aus jeder einzelnen Zutat das Bestmögliche herauszuholen. Jedem Blatt, jeder Knospe, jedem Stück Fleisch gerecht zu werden. Sie zu veredeln.

Wie Künstler können Köche tage-, wochen- oder jahrelang an Gerichten, den Zusammensetzungen von Aromen, dem Anbau von besonderen Pflanzen, dem Aufspüren der richtigen Fleischproduzenten oder im eigenen Kräutergarten tüfteln, bis sich nach langer Zeit das kleine Gefühl einstellt, dass alles gut werden wird.

Nach der Verzweiflung, der tiefen Gedankenarbeit kommt endlich der Funke, den alle anzustreben versuchen. „Es wird gut. Der Weg ist das Ziel. Es ist gut. Die Arbeit lohnt sich.“

Andoni Luis Aduriz
Der spanische 2-Sterne-Koch ist eine der einfluss­reichsten Personen der Branche. Er ist nicht nur Chef des Restaurants Mugaritz, das 2017 auf Platz neun der 50-Best-Restaurants-Liste rangiert, mit täglich 50 belegten Plätzen, sondern geht Consulting-Verpflichtungen von Dubai bis Südspanien nach und versorgt vier weitere Restaurants in San Sebastián und Bilbao mit kreativem Input und Konzepten, die wie das Mugaritz zur IXO Gruppe gehören. Bei Aduriz darf das Spiel nicht zu kurz kommen: Da können schon einmal die Pralinen in kleinen Holzsärgen serviert werden, angelehnt an die sieben Todsünden, oder, wie links gezeigt, der „Eisige Kuss der Auster“, die als Eis daherkommt.

Von wem könnte man also besser lernen, dass alles auf deine Disziplin, deinen Ehrgeiz und deine Hingabe zurückzuführen ist, als von den Meistern der Selbstkasteiung, die täglich Opfer bringen, um ein höheres Gut anzustreben? Und besonders von denen, die es geschafft haben, sich in der Welt als einflussreiche Personen zu etablieren. Die etwas verändern. Die sich selbst in den Hintergrund stellen, sich jeden Tag motivieren, um der Sache zu dienen.
Genau von denen kann man am besten lernen.

Erfolgsfaktoren

Aber nicht nur die eigene Motivation führt zum Erfolg, sondern auch die Fähigkeit der Inspiration aus alltäglichen Dingen sowie die Leidenschaft, etwas Neues auszuprobieren. Über sich hinauszuwachsen, neue Produkte zu suchen, sich selbst etwas Neues einfallen zu lassen. Innovation nicht zu verteufeln, sondern wertzuschätzen, sie als Treibstoff zu nutzen.

Virgilio Martínez Erfolgsfaktoren

Aber nicht nur die eigene Motivation führt zum Erfolg, sondern auch die Fähigkeit der Inspiration aus alltäglichen Dingen sowie die Leidenschaft, etwas Neues auszuprobieren. Über sich hinauszuwachsen, neue Produkte zu suchen, sich selbst etwas Neues einfallen zu lassen. Innovation nicht zu verteufeln, sondern wertzuschätzen, sie als Treibstoff zu nutzen.

Virgilio Martínez

Auf der Suche nach stets Neuem hat sich besonders Virgilio Martínez einen Namen in der internationalen Branche gemacht. Der südamerikanische Spitzenkoch streift durch die Berge und Wälder der Anden in Peru, um aus allem, was er entdeckt, etwas Geniales zu kreieren.

Das Hochland der Anden wartet mit einzigartigen Getreidearten und Gemüsesorten auf. Allein an Kartoffeln wachsen hier über 3000 Sorten. Im Regenwald gibt es Maniok, Palmherzen und Kochbananen. In dem hier gezeigten Gericht verarbeitet er Scales, die durch ihr Aussehen schon der absolute Hammer sind.

Geschmacklich bringen die Samen die puren Anden auf den Teller. Der Erfolg lässt bei so viel Einfallsreichtum nicht lange auf sich warten: Drei Jahre in Folge wurde Martínez mit seinem Restaurant Central in der peruanischen Hauptstadt Lima zum besten Restaurant Lateinamerikas gekürt – auf der Liste der 50 Best Restaurants liegt er auf Platz fünf.

Der Peruaner versucht mit festem Willen, die Komplexität des Landes zu vermitteln, konzentriert sich fast schon radikal auf seine Heimat, verarbeitet sie ausgefallen, kombiniert neu zu perfekt abgestimmten und überaus ästhetischen Gerichten. Er gilt damit als Vertreter einer neuen Generation der peruanischen Küche.

Dominique Persoone

Ein anderer Vertreter für die Verehrung der Innovation – besonders in der süßen Küche – ist Dominique Persoone. Der Belgier macht kein Geheimnis daraus, was die große Leidenschaft seines Lebens ist. Der Koch hat sich der Pâtisserie verschrieben, nachdem er die Kunst bei Granden wie Pierre Hermé in Paris oder Pascal Brunstein erlernt hatte. Der Shock-o-latier ist wohl der berühmteste Schoko-Künstler der Welt.

Er ist ein absolut erfolgreicher und innovativer Fachmann, dessen kleines Geschäft The Chocolate Line auf den ersten Blick so gar nicht auf den extrovertierten Meister schließen lässt. Dafür sind seine Kreationen auf den zweiten Blick dermaßen kreativ, dass man es kaum glauben kann.

Pralinen kommen mit Waldduft und stimmungsvoller Musik daher, weil eben alle Sinne angesprochen werden müssen, so Persoone. Manchmal erinnern seine Gerichte aber auch an Horrorfilme wie das hier gezeigte „A kiss from the night nurse“ (zu Deutsch: Der Kuss der Nachtschwester). Der zuckersüße Kuss ist aber viel ansprechender als er aussieht. Und lustiger zu essen ist er auch.

Persoone arbeitet vornehmlich mit 3-Sterne-Köchen zusammen, hat für Stanley Kubrick nackte Menschen mit Schokolade verziert und für die Rolling Stones einen Kakao-Shooter entworfen. Der Betreiber einer Chocolate Factory hat zudem zwei Schoko-Läden, ist Buchautor und TV-Koch.

Und damit er auch bei seinen Produkten die absolute Kontrolle zu perfekter Qualität hat, ist er auch noch Herr über mehr als 3200 Kakaosträucher in Mexiko. Verteilt auf 3,5 Hektar Anbaufläche. Wenn das mal kein Material für eine Karriere als Motivationscoach ist. Das Credo: „Du musst wissen, was du willst, dann kannst du es auch schaffen.“

Dan Barber

Für Dan Barber steht die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Er setzt sich für ein zukunftsfähiges Leben ein. Für den rücksichtsvollen Umgang mit weltlichen Ressourcen. Und das auch noch auf eine charmante Art, die nicht im Entferntesten an den erhobenen Zeigefinger erinnert.

Mit seinem Gericht, in dem Radicchioenden verwendet werden, steht er genau für die Verringerung von Lebensmittelabfällen ein und kombiniert sie mit dem geräucherten Rogen luxuriös. Der amerikanische Sternekoch tritt nicht nur mit seinem Stone Barns Center für Lebensmittel und Agrarkultur öffentlich für ebendieses Ziel ein, sondern spricht auch vor Publikum und versucht mit Humor aufzuklären.

Keiner kann so unterhaltsam in einem TED-Talk erklären, wie er sich in einen nachhaltig produzierten Fisch verliebte. Vom Koch mit wenig Kontakt zu Gästen hat es der Spitzenkoch auf die Bühne geschafft. Seine Meinung zählt. Seine Perspektive wird geschätzt.

Yannick Alléno

Auch Yannick Alléno hat es geschafft, sich von der Küche aus zu einem der einfluss­reichsten und erfolgreichsten Menschen der Food-Szene hoch zu arbeiten. Der Franzose hat schon als Kind das Kochen für sich entdeckt. Nachdem er mit 15 Jahren seine Lehre begann, hat er sich über verschiedene erstklassige Stationen zu dem entwickelt, was er heute ist: ein Verfechter der modernen französischen Küche.

Kunst, Wissen, Tradition und unerschütterliche Experimentierfreude sind feste Bestandteile seiner Persönlichkeit und Philosophie. Heute führt er mit Florence Cane, die als Direktorin fungiert, die Yannick Alléno Groupe mit 16 Restaurants in fünf Destinationen und 1200 Angestellten.

Die Restaurantgruppe entwirft Konzepte für die High-End-Gastronomie in Frankreich, aber auch weltweit, und ist Management- und Marketing-Headquarter der zugehörigen Restaurants. Visionen, die Wertschätzung des Gelernten und der stetige Versuch, sich selbst, seine Produkte, sein Können jeden Tag ein Stück besser zu machen, haben Alléno zu dem gemacht, was er heute ist: ein Guru der Gastronomieszene, der auch einfach mal Schokolade und Kaviar in einem Gericht vereinen kann.

Mithilfe seiner Wurzeln in der französischen klassischen Küche und seinem Mut, etwas zu verändern, hat er es so weit gebracht. Die Branche braucht Menschen, die unentwegt am Fortschritt arbeiten.
Von ebendiesen kann jeder etwas lernen, sich inspirieren lassen, sich motivieren – und wenn es nur ein Blick auf die Teller dieser Köche ist. Ein Blick reicht, um zu wissen, dass diese Köche nicht nur von der Muse geküsst wurden, sondern auch unbändige Arbeitstiere sind, die keine Angst vor Innovationen haben. Der Erfolg gibt ihnen recht.

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