Robert M. Parker: Das Parker System
Hundert Punkte reichen, um auf Wolke sieben zu schweben. In einem fetten, tanninhaltigen und vollmundigen Himmel, wie ihn Robert M. Parker geschaffen hat. Denn dem Gründer des Magazins „The Wine Advocate“ ist es gelungen, mit seinem eigens entwickelten Punktesystem internationale Winzer auf eine Berg- oder auch Talfahrt der Gefühle zu schicken. Und damit auch die Bilanzen ihrer Unternehmen. Aber dazu später mehr.
Hundert Punkte reichen, um auf Wolke sieben zu schweben. In einem fetten, tanninhaltigen und vollmundigen Himmel, wie ihn Robert M. Parker geschaffen hat. Denn dem Gründer des Magazins „The Wine Advocate“ ist es gelungen, mit seinem eigens entwickelten Punktesystem internationale Winzer auf eine Berg- oder auch Talfahrt der Gefühle zu schicken. Und damit auch die Bilanzen ihrer Unternehmen. Aber dazu später mehr.
Erbe in Buchform
Tatsächlich hat Robert M. Parker mit seinem Bewertungssystem die Weinwelt nachhaltig geprägt. Daran ändert auch sein 2012 vollzogener Rückzug nichts mehr. Denn selbst wenn der legendäre Kopf nicht mehr am Ruder sitzt, das Team des „The Wine Advocate“ führt das Erbe des Weingurus nun im Eigentum der Michelin-Company unbeirrt weiter. Und das – sagen manche – genauso kompromisslos wie der Gründer selbst. Kein Wunder, hat dieser doch in mehreren Büchern haargenau beschrieben, wie denn ein Parker-Tester nach Punkten trinken muss.
Grob geht das so: Jeder Wein startet mit 50 Basispunkten ins Rennen. Null bis fünf Punkte sind für das Aussehen zu vergeben, Null bis 15 Punkte für Aroma und Bouquet, weitere maximal 20 Punkte für Geschmack, Textur und Verarbeitung sowie höchstens zehn Zähler für die Gesamtqualität und die Alterungsfähigkeit. Zu den Punkten gesellt sich im besten Falle noch ein Pluszeichen hinzu, welches signalisiert, dass sich der Wein mit der Lagerzeit noch besser entwickelt.
Eine so hohe Bewertung kann den Preis sogar verzehnfachen!
„Der Wine Advocate hat es geschafft, Wein zu einem ganz großen Thema zu machen und dieser Hype kam und kommt natürlich uns Winzern zugute“, sagt Top-Winzer Armin Tement. Seiner Meinung nach ist gerade diese exakte Punkteregelung für Weinbauern ein großer Vorteil: „So weiß ich genau, wie der Verkoster kostet und kann einschätzen, wie ein 90-Punkte-Wein und wie ein 95-Punkte-Wein schmecken soll.“ An den von Parker einst detailliert formulierten Geschmacksbildern könne man sich als Winzer durchaus orientieren, so Tement.
Zehnfacher Preis bei 100 Punkten
Bis heute hat das Team des „The Wine Advocate“ nach eben diesen strengen Kriterien mehr als 400.000 Weine verkostet und bewertet. Doch die magische 100er-Marke haben nur wenige geknackt. Welche Kraft aber so eine Bewertung haben kann, erlebte das älteste Weingut Österreichs, der Nikolaihof, im Jahr 2014. Für seinen „Vinothek Riesling 1995“ gingen erstmals 100 Punkte in die Alpenrepublik. Der Rummel drumherum machte das Weingut schlagartig in aller Welt bekannt. Und das wiederum löste einen regelrechten Weintourismus-Boom ins niederösterreichische Weinbaugebiet Wachau aus. „Eine so hohe Bewertung kann den Preis eines Weines zumindest verdoppeln, aber in manchen Fällen sogar verzehnfachen“, sagt Sebastian Russold.
Deutschlands Sommelier des Jahres 2021/2022 ist eben deshalb durchaus ein Verfechter des Parker-Systems. Zumal es seiner Auffassung nach seit dem Abgang des Weinpapstes noch besser wurde – wie ein 100-Punkte-Wein, der lange liegt. „Ich sehe die Entwicklung des Advocate seit dem Refreshing durchaus positiv. Parker hatte seine ganz klare Philosophie, wie Weine zu schmecken haben. Die Qualitätsphilosophien haben sich in den letzten Jahren aber verändert und es wurde notwendig, sich den neuen Gegebenheiten und Weinentwicklungen anzupassen.“ Laut Russold wurde das System in den vergangenen Jahren adaptiert. „Es ist zeitgemäßer geworden, der Einfluss der Bewertungen auf den Weinmarkt ist aber dennoch groß geblieben.“
Kein Platz im Restaurant
Großes Aber: Verkostungsergebnisse aus der Testerwelt werden von den Top-Sommeliers der Sterne-Häuser grundsätzlich nur am Rande zur Kenntnis genommen, weiß Russold. An seiner Wirkungsstätte, dem „Kölner Weinkeller“, verlässt er sich auch lieber auf seinen feinen Gaumen. Genauso wie sein Kollege René Antrag, Ausnahmesommelier in Heinz Reitbauers Steirereck. Für ihn sind Weinkritiken generell kein Thema. „Wir Sommeliers nehmen die Arbeit von Wine Advocate und Co zwar wahr, doch im Restaurant können wir mit Weinpunkten wenig anfangen“, sagt er. Seiner Meinung nach sind es eher die Winzer und Weinhändler, die mit der Parker-Parade ihre Freude (oder liebe Not) haben. Schließlich beeinflussen die Punkte nicht nur den Preis – sondern auch die Nachfrage.
„Unseren Gästen im Restaurant brauch ich nicht erzählen, dass dieser und jener Wein eine tolle Bewertung bekommen hat. Das interessiert hier wenige Menschen, weil sie über Jahre ein Vertrauen zu uns aufgebaut haben und sich auf unsere Expertise verlassen.“ Schließlich habe er als Sommelier die Aufgabe, den passenden Wein für Gast oder Gericht zu finden. Antrag: „Dabei verlassen wir uns ganz auf unser Wissen und unser Gespür, kombiniert mit der Philosophie des Hauses.“
Schuld war ein Cola
Fairerweise muss man Robert M. Parker zugutehalten, dass es auch nie seine Idee war, die Arbeit der Sommeliers zu übernehmen. Das dem amerikanischen Schulnotensystem entlehnte Punktesystem entstand eher zufällig und im Grunde während eines Flirts mit seiner Frau Patricia in Paris. In einem Bistro wollte Robert sein geliebtes Coca-Cola bestellen. Doch Patricia mahnte, dass Cola hier teurer sei als eine Karaffe Wein. Fazit: Das Paar fand Gefallen am Vergleichen der Tropfen.
Eine Leidenschaft, die 1978 im ersten Newsletter „The Wine Advocate“ mündete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt definierte Parker die Zielgruppe seines Weinführers: Er sollte die Verbraucher adressieren, jene, die sich nicht mit Weinen auskennen. Kurios ist jedenfalls, dass der Rechtsanwalt und Sohn einer Alkohol verachtenden Mutter der mächtigste Weinkritiker der Welt wurde. Und ein System erschuf, das weit über seine Schaffenszeit hinaus Bestand haben dürfte.
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ROBERT M. PARKER
1947 in Baltimore geboren, studierte Parker erst Geschichte und Kunstgeschichte, ehe er sich den Rechtswissenschaften widmete. Über zehn Jahre war er als Anwalt für eine Kreditbank tätig, ehe ihm durch Zufall die Idee zum unabhängigen und vor allem verbraucherorientierten Weinführer kam. Parker erfuhr weltweite Aufmerksamkeit, als er im Gegensatz zu allen anderen Kritikern den Jahrgang 1982 von Bordeaux als großartiges Jahr ausrief. Der Diskurs darüber hält in der Fachwelt bis heute an.