Erfinder der Gastronomie: Köche mit Köpfchen

Die Erfinder der Branche erleichtern die Arbeit, vereinfachen das Leben oder geben eine ganz neue Richtung vor. Technikfreaks, Visionäre oder Tüftler: Die Gastronomie lebt von all diesen kreativen Geistern.
März 15, 2018 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: Hervé This, Michael Preschl, Helge O. Sommer, Modernist Cuisine LLC, Thomas Schauer, Helge Kirchberger Photography, beigestellt

Okay, die Glühbirne hat Thomas Edison erfunden. Das ist irgendwie klar. Aber wer die Menschen sind, die die moderne Küche zu dem gemacht haben, was sie heute ist, ist dann schon eine Ecke schwieriger.
Wer zum Beispiel hat die molekulare Küche entwickelt? Oder die Erlebnisgastronomie im deutschsprachigen Raum neu definiert? Oder das Verständnis der Regionalität revolutioniert? Oder den Cronut® erfunden? Auch wenn die Namen nicht präsent sind, ist die Wirkung fast jeden Tag Teil des Küchenalltags. Und das sollte gefeiert werden.
Simpel und effizient: Hangar-7- Küchenchef Jörg Bruch mit seiner Erfindung, dem Bruchstück No. 1.
Simpel und effizient: Hangar-7- Küchenchef Jörg Bruch mit seiner Erfindung, dem Bruchstück No. 1. 
Ideen, ob sie die Küche nun komplett revolutionieren oder vielleicht nur einen kleinen Baustein in der Gastrowelt darstellen, sind das, wovon die Branche lebt. Jeder Koch, der etwas auf sich hält, erfindet mit jedem Gericht etwas Neues.
Mit einer innovativen Kombination der Zutaten, einer gewagten Anrichteweise oder einem kleinen Spektakel direkt vor dem Gast – jeder kreative Koch ist ein Erfinder. Meist nur im kleinen Kosmos des eigenen Restaurants und manchmal eben im Großen. Aber auch wenn nicht jeder die Welt bewegt, treibt jede Idee das Rad der Gastronomie weiter voran.

Okay, die Glühbirne hat Thomas Edison erfunden. Das ist irgendwie klar. Aber wer die Menschen sind, die die moderne Küche zu dem gemacht haben, was sie heute ist, ist dann schon eine Ecke schwieriger.
Wer zum Beispiel hat die molekulare Küche entwickelt? Oder die Erlebnisgastronomie im deutschsprachigen Raum neu definiert? Oder das Verständnis der Regionalität revolutioniert? Oder den Cronut® erfunden? Auch wenn die Namen nicht präsent sind, ist die Wirkung fast jeden Tag Teil des Küchenalltags. Und das sollte gefeiert werden.
Simpel und effizient: Hangar-7- Küchenchef Jörg Bruch mit seiner Erfindung, dem Bruchstück No. 1.
Simpel und effizient: Hangar-7- Küchenchef Jörg Bruch mit seiner Erfindung, dem Bruchstück No. 1.
Ideen, ob sie die Küche nun komplett revolutionieren oder vielleicht nur einen kleinen Baustein in der Gastrowelt darstellen, sind das, wovon die Branche lebt. Jeder Koch, der etwas auf sich hält, erfindet mit jedem Gericht etwas Neues.
Mit einer innovativen Kombination der Zutaten, einer gewagten Anrichteweise oder einem kleinen Spektakel direkt vor dem Gast – jeder kreative Koch ist ein Erfinder. Meist nur im kleinen Kosmos des eigenen Restaurants und manchmal eben im Großen. Aber auch wenn nicht jeder die Welt bewegt, treibt jede Idee das Rad der Gastronomie weiter voran.

Auf die richtige Technik kommt es an

Vor 200 Jahren sah die Küche noch ganz anders aus. Es gab keine Elektroherde, keine Küchenmaschinen, keine modernen Kühlschränke. Erst mit dem unermüdlichen Erfindungsreichtum kamen Prozesse, Techniken und Entwicklungen dazu, die den Küchenalltag erleichterten, vereinfachten und effizienter gestalteten.
Und genau an diesem Punkt befand sich auch Jörg Bruch – allerdings vor nicht ganz 200, sondern rund zwei Jahren. Christian Bau war damals Gastkoch im Salzburger Sternerestaurant Hangar-7, in dem Bruch als Küchenchef arbeitet. Seit 14 Jahren setzt er um, was die Gastköche aus aller Welt im Hangar-7 zeigen möchten.
Einer davon war der deutsche 3-Sterne-Koch Christian Bau, dessen Gerichte oftmals eine Brücke zwischen europäischer und asiatischer Küchenkultur darstellen. Er spielt gerne mit Texturen und wählt des Öfteren die Sphärifikation als Mittel zum Zweck. Dabei werden flüssige Zutaten in Perlenform gebracht – mit flüssigem Kern und feiner Gel-Haut, die dann im Mund zerplatzt. Trockeneis und Geliermittel machen es möglich.
Du brauchst mindestens ein Feedback, von jemandem, der deine Idee beschissen findet.
Jörg Bruch über konstruktive Kritik

Der Prozess nimmt allerdings viel Zeit in Anspruch, denn ein Mitarbeiter muss die Geschwindigkeit der aus einer Spritze tropfenden Flüssigkeit kontrollieren und aufpassen, dass die Perlen im Auffangbehälter nicht aneinanderkleben. Bei der Vielzahl an Perlen im Menü von Bau bedeutete das mindestens einen ganzen Tag Arbeit für einen Koch.
„Viel zu ineffizient!“, sagt Bruch, der durch Baus Menü auf die Idee der Automatisierung kam. „Dafür musste es eine einfachere Lösung geben. Meine Lösung: die Schwerkraft nutzen. Sehr simpel, aber viel effizienter.“
Das Bruchstück No. 1 ist eine an der Wand montierbare und dosierbare Spritze, aus der die Flüssigkeit in einen Trockeneisbehälter tropft. Kein Mensch mehr nötig. Eine Arbeitskraft gespart.
Bruch: „Der Fachkräftemangel ist ein Aspekt, warum ich meine Firma Bruchstücke gegründet habe. Über Bruchstücke möchte ich mein Wissen und Know-how weitergeben. Ein kleiner Teil sollen meine Erfindungen zur effizienteren Gestaltung des Arbeitsalltages sein. Außerdem möchte ich Beratungen, Coachings und Consulting zur Unterstützung anbieten. Das größte Problem ist immer der Personalmangel. Ich habe viel von den Gastköchen gelernt und über Bruchstücke möchte ich etwas zurückgeben.“
Küchenchef, Technikfreak und Erfinder: Marcel Blättler beim Löten am Prototyp des Räuchergeräts Foom.
Küchenchef, Technikfreak und Erfinder: Marcel Blättler beim Löten am Prototyp des Räuchergeräts Foom.
Aus einem anderen Grund hat sich Marcel Blättler mit der Konstruktion seines Räuchergeräts Foom beschäftigt: „Bei Banketten und Caterings musste ich immer hoffen, dass die Geräte funktionieren. Immer eine Zitterpartie. Deshalb habe ich angefangen, die Schwachstellen selbst zu bearbeiten und dann an einem eigenen Gerät zu tüfteln.“
Blättler ist Eigentümer und Küchenchef im Res­taurant Leue Waldenburg rund 30 Kilometer südlich von Basel. Im Keller des Restaurants verbringt er jede freie Minute und bastelt an seinen Erfindungen. Begonnen hat Blättler 2013 mit dem Bau der Maschine.
Bis heute hat er fast jeden Tag zwei Stunden daran gearbeitet, mit NASA-Ingenieuren WhatsApp-Konferenzen geführt, Teile verbaut, die unter das Waffengesetz fallen und daher nicht in Krieg führende Länder verkauft werden dürfen, mit Windkrafttechnikern an der Dosierbarkeit des Rauchs gearbeitet, mit mehreren Designern und Maschinenbauern am Entwurf gefeilt und mit dem einen oder anderen Stammgast aus der Uhren- und Medizintechnik im Restaurant kleine und große Planungskrisen bewältigt.
Blättler: „Ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert. Bis zum fertigen Gerät waren es rund drei Jahre und bestimmt über 200.000 Franken.“

Gegenüber den Investoren hat Blättler übrigens oft geblufft: „Mir ist ein Stein von Herzen gefallen, als all das, was ich den Investoren versprochen habe, auch tatsächlich aufgegangen ist. Als es dann endlich funktionierte, haben wir die Bude so zugeräuchert, bis der Rauchmelder anging.“
Heute kann der Schweizer darüber lachen, aber in der Tüftelphase hat er oft daran gedacht, das Handtuch zu werfen. Auch Bruch erging es unzählige Male so: „Eine Erfindung ist nur so gut wie die investierte Energie“, erklärt der junge Küchenchef.
Auch wenn Bruch nicht reich mit dem Bruchstück No. 1 werden möchte, freut er sich über jedes verkaufte Teil. Wenige hat er bisher verkauft. Seine Zielgruppe besteht aus der Spitzengastronomie, das bedingt das Anwendungsfeld des Geräts. Blättlers Smoker hat sich bereits 100 Mal verkauft: „Jeder, der ein stabiles Gerät auf Banketten und Caterings dabeihaben will, ist mit Foom gut bedient.“
Außerdem ist der Rauch kalt, das Gehäuse hält durch Magnete zusammen, der Schlauch ist verstellbar, die Rauchmenge fein dosierbar und alle Utensilien im Gerät sind platzsparend verstaut. Rundum durchdacht eben.

 

Erfinder sind keine Einzelkämpfer

Auch wenn oftmals ein Name hinter einer neuen Technik oder einer Idee steht, wären die meisten Brains der Gastronomiegeschichte nicht so weit gekommen, wenn sie eigenbrötlerisch im Keller getüftelt hätten. Bei Blättler waren es unzählige Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen aus mehr oder weniger relevanten Branchen.
Auch Bruch hat sich immer wieder Feedback geholt: „Du brauchst mindestens zehn Meinungen. Vielleicht sind neun Menschen dabei, die die Idee feiern, aber du brauchst eben diesen einen Kritiker, der dich auf Probleme hinweist. Erst so entdeckt man Schwächen und kann das Beste aus der Idee rausholen.“
Ich habe nur geblufft! Ich war so erleichtert, als all das, was ich den Investoren versprochen habe, auch tatsächlich aufgegangen ist.
Marcel Blättler über die unsichere Anfangsphase

Claus Meyer, der geistige Erfinder einer ganzen Küchenlinie, der die Nordic Cuisine mit seinem Manifest untermauerte und die ganze Fine-Dine-Szene umkrempelte, war auch nicht allein. Er hat in Symposien, Diskussionen und in Kontakt mit Produzenten und Köchen erst die Kraft entwickelt, um der französisch geprägten High-End-Szene die Nordic Cuisine entgegenzupfeffern.
Oder Ferran Adrià, der es nur mit einem ganzen Team im Restaurant und später im elBulli-Labor schaffte, die Kulinarik aus ihren festgerosteten Angeln zuheben.

Oder Nathan Myhrvold, der gemeinsam mit Chris Young und Maxime Bilet die Buchreihe „Modernist Cuisine: Die Revolution der Kochkunst“   – allesamt Forscher, Erfinder und Meister des Küchenfachs – erschuf. Ein Kompendium mit wissenschaftlich inspirierten Zubereitungsmethoden, das die Hintergründe der modernen Kochkunst bis ins kleinste Detail erklärt.
Oder Hans-Peter Wodarz, der die Erlebnisgastronomie in Deutschland maßgeblich mitbestimmte. Aber er ist nicht aus heiterem Himmel darauf gekommen, sondern durch ein waches Auge und einen scharfen Verstand: Einen bleibenden Eindruck hinterließ Bernhard Paul, seines Zeichens Direktor des Circus Roncalli und später Geschäftspartner des Spitzenkochs, bei dem damaligen Küchenchef des Sternerestaurants Ente im Lehel.
Physikochemiker mit Herz fürs Kochen: Der Franzose Hervé This legte den Grundstein für die Molekularküche.
Physikochemiker mit Herz fürs Kochen: Der Franzose Hervé This legte den Grundstein für die Molekularküche.
Wobei es nicht einmal der persönliche Kontakt mit Paul war, sondern die Gäste, die aus dessen Zirkusvorstellung zu ihm ins Restaurant kamen. „Die kamen um 22 Uhr zu mir zum Essen – locker, sehr happy und mit Konfetti im Haar. Das ging dann über Tage und Wochen und da habe ich gemerkt, dass Gäste, die gut gelaunt sind, auch mehr trinken. Ist doch klar.“
Eine Erkenntnis, die den weiteren Weg des Kochs prägen sollte. Als Wodarz dann 1980 als Mitglied des Committee 2000 (Anm.: Initiative aus Kunst und Kultur, um die Jahrtausendwende gebührend zu begehen. Ihr schlossen sich auch Andy Warhol und Joseph Beuys an.) zu seiner Vision des Restaurants im Jahr 2000 befragt wurde, antwortete er spontan:
„Wenn ein Gast im Jahr 2000 bei mir eine Tomatensuppe bestellt, servieren meine Kellner in roten Jacken, das Restaurant erstrahlt in einem roten Licht und ein Künstler kommt an den Tisch und jongliert mit Tomaten. Das war der Anfang, die Idee des Restaurant-Theaters, und das hat mich dann nicht mehr losgelassen.“
Und so kann Wodarz’ Ente als die Urzelle der Erlebnisgastronomie bezeichnet werden. Die Premiere seines eigenen, für Deutschland revolutionären Konzepts unter dem Namen „Panem et Circenses“ fand dann 1990 in München statt. Küchenchef war kein Geringerer als Alfons Schuhbeck.

Das Trio Wodarz, Paul und Schuhbeck zog die Leute an und so folgte dem gigantischen Erfolg in der Bayernmetropole eine Tournee durch europäische Großstädte wie Köln, Hamburg, Barcelona und Mailand.
Wenn ich mithilfe von effizienter Technik schneller zum Ziel komme, habe ich mehr Zeit, an den Feinheiten zu arbeiten.
Jörg Bruch über gelebten Perfektionismus
Was lernen Hobby-Erfinder daraus? Alleine wird das nichts. Nur im Team können sich gute Ideen zu richtig guten Konzepten entwickeln. Patent oder Branding – das ist hier die Frage Das mit dem Patent auf die eigenen Erfindungen ist so eine Sache.
Abgesehen davon, dass geistige Erfindungen wie die Erlebnisgastronomie von Wodarz oder die Gedanken von Claus Meyer nur sehr schwerlich zu schützen sind, ist ein gekauftes Patent nur sieben Jahre gültig. Und auch nur auf Technik, die sich weniger als 30 Prozent verändert.

Das bedeutet, wenn jemand beispielsweise den Smoker von Blätter um 30 Prozent verändert nachbaut, darf er das, ohne dass das Patentrecht zum Tragen kommt. Blättler hat sich aber nicht deswegen gegen ein Patent entschieden, sondern weil in der Technik so unglaublich viel Wissen steckt, dass es sowieso nur ganz wenige überhaupt schaffen würden, das Original nachzubauen.
Bei Bruch ist es genau umgekehrt: Das Bruchstück No.1 ist so einfach, dass es sehr leicht wäre, es um 30 Prozent zu ändern und einen sehr ähnlichen Effekt zu erzielen. Bruch: „Außerdem ist ein Patent anzumelden sehr teuer. Da investiere ich lieber ins Marketing und Branding.“
Genauso sieht es Blättler: „Wenn wir Gas geben und uns einen Namen machen, dann hoffen wir, dass die Kunden explizit das Original erstehen möchten.“
Reich werden beide jungen Erfinder mit ihren Geräten wohl eher nicht. Das ist aber auch nicht wirklich das Ziel. Es sind vielmehr der Spaß am Basteln und das Schaffen von etwas Neuem. So haben beide beispielsweise ihre Frustrationsgrenzen neu entdeckt – und das ist ja auch schon einiges.

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