Brot und Spiele
Fotos: Jose Luis Lopez de Zubiria/Mugaritz
Paukenschlag auf Sylt: Das mit zwei Sternen des Guide Michelin dekorierte Restaurant La Mer schließt mit Anfang des Jahres 2015. Der Grund: Die wirtschafltiche Rechnung geht nicht auf. „Das La Mer hat das Betriebsergebnis des Luxushotels A-Rosa jährlich mit einem Minus von rund 200.000 Euro belastet“, bestätigt Horst Rahe, Inhaber der A-Rosa-Gruppe gegenüber der deutschen Wirtschaftswoche.
Dabei flatterte das Aromenmenü von Pâtissier Christian Hümbs als neue Sensation durch die internationale Presse. Und auch wenn dieser seit einigen Monaten im 2-Sterne-Restaurant Haerlin in Hamburg süße Vibes verbreitet, so mangelte es auch Chefkoch Sebastian Zier keineswegs an guten Bewertungen und positivem
medialem Echo.
Warum schaffte es das Restaurant also trotzdem nicht, schwarze Zahlen abzuliefern? Wo sich doch Restauranttester und Presse so einig waren, dass das Essen im La Mer fabelhaft ist? Weil wir eben nicht alle Restauranttester sind – so einfach. Scheint es zumindest auf
den ersten Blick.
Offensichtlich ist also, dass das, was für Menschen, für die Restaurantbesuche zum täglichen Business gehören, großartig ist, eben oft nicht für die breite Gästemasse gilt.
Andere sehen die Problematik in…
Fotos: Jose Luis Lopez de Zubiria/Mugaritz
Paukenschlag auf Sylt: Das mit zwei Sternen des Guide Michelin dekorierte Restaurant La Mer schließt mit Anfang des Jahres 2015. Der Grund: Die wirtschafltiche Rechnung geht nicht auf. „Das La Mer hat das Betriebsergebnis des Luxushotels A-Rosa jährlich mit einem Minus von rund 200.000 Euro belastet“, bestätigt Horst Rahe, Inhaber der A-Rosa-Gruppe gegenüber der deutschen Wirtschaftswoche.
Dabei flatterte das Aromenmenü von Pâtissier Christian Hümbs als neue Sensation durch die internationale Presse. Und auch wenn dieser seit einigen Monaten im 2-Sterne-Restaurant Haerlin in Hamburg süße Vibes verbreitet, so mangelte es auch Chefkoch Sebastian Zier keineswegs an guten Bewertungen und positivem
medialem Echo.
Warum schaffte es das Restaurant also trotzdem nicht, schwarze Zahlen abzuliefern? Wo sich doch Restauranttester und Presse so einig waren, dass das Essen im La Mer fabelhaft ist? Weil wir eben nicht alle Restauranttester sind – so einfach. Scheint es zumindest auf
den ersten Blick.
Offensichtlich ist also, dass das, was für Menschen, für die Restaurantbesuche zum täglichen Business gehören, großartig ist, eben oft nicht für die breite Gästemasse gilt.
Andere sehen die Problematik in den Erwartungen, die heutzutage an einen Restaurantbesuch gestellt werden, und dem Umgang der Gastronomen damit. So meint etwa Jürgen Dollase, Restaurantkritiker und Autor der Kolumne „Esspapier“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): „Es gibt überall schon Restaurants, in denen sich die zeremoniellen Formalitäten sehr in Grenzen halten. Das entspricht dem Zeitgeist. Nur die kulinarischen Formate haben noch nicht nachgezogen.“
Schließlich soll Essen Vergnügen sein und nicht den Eindruck vermitteln, harte Arbeit zu sein. „Es ist nicht Sinn und Zweck, nach einem strapaziösen Restaurantbesuch zu denken ‚Das kann ich mir erst in einem halben Jahr wieder antun‘“, so Dollase. Der Kritiker bezieht sich dabei insbesondere auf die Anzahl an Gängen und das daraus resultierende zu große Sättigungsgefühl der Gäste. Die Gänge seien oft schlichtweg zu viele. Entstanden aus der Motivation des Kochs heraus, dem Gast alles zu zeigen, was er kann, und damit ein unvergessliches Erlebnis zu bescheren.
Dabei ist weniger oft mehr. Das kann Sternekoch und Mehrfachgastronom Tim Raue nur bestätigen: „Früher ging es beim Essengehen darum, einmal das Werk eines bekannten Küchenbonzen zu probieren und sich einen Service zu geben, der vornehmer ist als alles, was man je erlebt hat. Heute geht es darum, Emotionen auszulösen.“
Und zwar mit der Gesamtheit aus Atmosphäre, Service, Architektur und natürlich dem Essen. Raue: „Im Restaurant der Zukunft werden Design, aber vor allem die Stimmung, die die Leute schaffen, die in dem Betrieb arbeiten, sowie der Eventcharakter einen noch viel höheren Stellenwert haben.“
Blickt man über den nationalen Tellerrand, scheinen bereits Lokale wie das spanische 3-Sterne-Restaurant Azurmendi oder das New Yorker Restaurant Eleven Madison in dieser Hinsicht alles richtig zu machen. Raue gibt sich begeistert: „Wenn du eine Bühne schaffst, dann musst du sie auch zum Leben erwecken. Im Azurmendi wird das auf allerhöchstem Niveau betrieben. Es ist allein schon architektonisch der Hammer. Der Rundgang durch den genialen Garten sowie in die Küche, lassen einen als Besucher Teil des Ganzen werden. Das sind pure Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben.“
Emotionen wecken also. Darum geht es. Schade nur, dass das nicht gerade zu den einfachsten Disziplinen zählt. Schon überhaupt nicht bei Menschen, die man gar nicht kennt. Vor allem zu Beginn ist also Blindflug angesagt. Und dieser bringt naturgemäß auch die eine oder andere gastronomische Bruchlandung mit sich. Kulinarische Strohfeuer, die, wenn jeder die überinszenierte Vorstellung einmal besucht hat, auch schnell wieder erloschen sind. „Wenn du ein Disneyland baust, wirst du auch nur Disneyland-Besucher anziehen“, bringt es Raue auf den Punkt.
„Trotz aller Inszenierung muss ein Restaurantbesuch immer noch authentisch bleiben und die Gerichte vor allem eines – schmecken“, sind sich die Experten einig.
Was die gelungene Balance aus Inszenierung betrifft, ohne den Fokus auf das Essen zu verlieren, so scheinen die Spanier, der kulinarischen Weisheit letzten Schluss wieder einmal für sich gepachtet zu haben. „Den Spaniern ist es gelungen, ihre Tapaskultur in die gehobene Gastronomie zu transportieren“, so Dollase, der sich dabei auf den im Gegensatz zu Deutschland und Österreich rasanten Service von 20 Gängen und mehr bezieht. „Dabei ist die Geschwindigkeit kein Kriterium. Es geht um das Erlebnis, die lockere Atmosphäre und darum, den Gast mit etwas Neuem zu überraschen und zu unterhalten.“
Den Versuch, diese Leichtigkeit und Unbeschwertheit der spanischen Gastronomie eins zu eins in Deutschland und Österreich umzusetzen, sieht der Kritiker problematisch. Denn es ende viel zu oft in elendslangen Abenden, mit Servicepausen, die auch das beste Gericht nicht mehr retten kann. „Während eines Konzertbesuchs haben sie doch auch keine zehn Pausen.“ Im Restaurant weiß allerdings niemand, was in diesen Servicepausen eigentlich passiert.
Für Dollase ist jede einzelne eine vergebene Chance, den Gast ab- und auf die Bühne zu holen. Sprich, ihn in den Restaurantablauf zu integrieren. „Viele Köche arbeiten heute mit großartigen und außergewöhnlichen Produkten. Jeder, der sich für Essen interessiert, wird sicher auch gerne einmal vom Grundprodukt selbst probieren, oder mehr darüber erfahren wollen. Das sollte man ihm ermöglichen. Im Menü.“, so der Kritiker. „Warum also nicht in einer dieser Pausen einen Kollegen an den Tisch senden, der einen ein Stückchen Buddhas-Hand pur kosten lässt? Das ist eine von vielen Möglichkeiten. Ganz generell müssen wir in Deutschland und Österreich aber in den Menüs vor allem kleiner und vielseitiger werden“, ist Dollase überzeugt.
Die Gäste vorab in die Gestaltung und Abfolge der Menüs sowie die Restauranterfahrung an sich zu integrieren, ist vielleicht eine Idee, die so naheliegend ist, dass man sie nicht mehr sieht. Ralf Flinkenflügel, Chefredakteur des Guide Michelin Deutschland: „In vielen Restaurants wird im Vorfeld gefragt, welches Tempo vorgelegt werden darf. Der Gast begrüßt es in jeder Hinsicht, wenn man auf ihn zugeht.“ Es geht darum, den Gast zu integrieren, ihm das Gefühl zu geben, ungezwungen er selbst sein dürfen und in der großen Restaurantfamilie willkommen zu sein. Ohne Etikette und steife Essensvor-
schriften. „Durch diese neue, ungezwungene Art der Gastronomie gehen auch immer mehr junge Leute in Sternerestaurants essen. Das heißt nicht, dass das Personal deshalb nicht fachlich top ist“, so Flinkenflügel. „Die große Kunst liegt darin, es einfach aussehen zu lassen. Auch wenn im Hintergrund Tausende Prozesse laufen“, resümiert Thomas Weber, Chef der Entwicklungs- und Forschungsabteilung des Restaurants noma, laut Liste der „50 Best Restaurants“ das beste Restaurant der Welt. Aus dem so mancher schon mit enttäuschter Miene wieder nach Hause geflogen ist.
„Das Essen war gut, aber ich habe es nicht verstanden“, hört man immer wieder von Foodies nach dem Besuch von Restaurants des Typus noma. Natürlich soll der Gast mit Gerichten auch gefordert, aber eben nicht überfordert werden.
Alles nicht so einfach. Authentisch soll man sein, aber auch innovativ und im Gast Emotionen wecken. Raue: „Die Anforderungen an einen Restaurantbesuch werden immmer komplexer. Das Wissen der Gäste ist enorm gestiegen. Daher muss ein Restaurantbesuch heutzutage auch eine ganzheitliche Erfahrung sein. Und trotzdem zählt am Ende des Tages das, was auf dem Teller ist. Dort muss die Kraft als Erstes hin.“ Und: Man müsse immer mit dem Intellekt der Besucher rechnen, ist der Sternekoch überzeugt. „Ich habe mehrmals in Restaurants gegessen, von denen ich sage ‚Es war großartig‘. Man darf aber nicht vergessen, dass ich mich hauptberuflich mit Kochen beschäftige. Viele unserer Stammgäste haben mir nach dem Besuch desselben Lokals mitgeteilt, dass sie dort nie mehr hingehen wollen.“ In der Gastronomie arbeitet man immer für den Gast, will Raue damit sagen. „Du musst immer wissen, in welcher Realtität du dich bewegst. Es bringt nichts, ein Gericht zu servieren, für das ich in Hongkong Begeisterungsstürme ernte, das in Berlin aber keiner versteht“, so Raue weiter.
Parallelwelten
Unverstandenheit, ein Problem, mit dem sich Ferran Adrià bis Juli 2011 in seinem dreifach besternten Restaurant elBulli nahezu täglich auseinandersetzen musste. Bevor es zur Stiftung wurde und Adrià sich nicht mehr neben der Erforschung kulinarischer Hintergründe und Techniken auch noch mit der Bewirtung von Gästen herumschlagen musste. Vielleicht rührt auch daher seine Aussage: „Mein Freund Nathan Myhrvold (Anm. Autor und Initiator der Modernist-Cuisine-Bibel) war schlau: Er hat wenigstens niemals ein Restaurant eröffnet.“
Eine Sichtweise, die Tim Raue verstehen, aber nicht unterschreiben kann: „Das ist die Meinung eines Genies über ein anderes.“ Adriàs Küche sei immer Prêt-a-porter, der Laufsteg der Gastronomie gewesen. Das, was dann tatsächlich für Restaurants umsetzbar ist, die wirklich tragbare Mode, ist eine Abstufung davon.
„Außerdem liebe ich die soziale Komponente am Kochen. Ich wurde dafür geboren, Koch zu sein. Es erfüllt mich, wenn ich Leute mit meinen Gerichten glücklich mache“, so der Executive Chef des Berliner 2-Sterne-Restaurants Tim Raue.
„Allerdings bin ich der Meinung, dass neben dem Essen der Eventfaktor beim Essengehen einen immer höheren Stellenwert bekommen wird.“ Wenn er diesen in seinem Lokal, frei von wirtschaftlichen Grenzen, erhöhen wolle, würde er ein Stück Mauer kaufen: „Wir befinden uns direkt am Checkpoint Charlie, an dem Punkt, an dem auch die Berliner Mauer verlaufen ist. Es wäre eine noch viel intensivere Erfahrung, an diesem Punkt neben einem Stück Geschichte zu essen.“ Das Ganze aber in Kalifornien auf dieselbe Manier aufzuziehen, ginge wieder in Richtung Disneyland.
Authentizität lautet dabei für den Sternekoch das Schlagwort. Sowohl in der Ausstattung des Interiors als auch auf dem Teller. „Das heißt nicht, dass man sich nicht von Kollegen inspirieren lassen kann. Trotzdem muss es am Ende immer noch dein Ding sein, ohne den Gast dabei zu überfordern. Schließlich zahlt er deine Rechnungen“, oder wie Michelin-Chefredakteur Flinkenflügel es formuliert: „Die Zeit der austauschbaren, weil abgeschauten, Crumble und Gele ist weitgehendst vorbei. Es geht darum aus eigener Kraft eine angenehme Restauranterfahrung für den Gast zu schaffen.“