Der grüne Boom
Fotos: shutterstock, Wolfgang Hummer, Björn Moschinsky
Keine Milchprodukte, keine Eier, kein Fleisch: Ein Veganer definiert sich über das, was er nicht isst. Doch fleischfrei zu leben, liegt im Trend. Rund 800.000 Menschen in Deutschland haben ihre Ernährung umgestellt, in Österreich sind es immerhin schon 40.000. Das bedeutet, es gibt eine immer größer werdende Zielgruppe für innovativ denkende Gastronomen. Denn nicht nur Menschen, die vegan leben, schätzen die stetig steigende Anzahl fleischloser Angebote, auch Gäste, die bewusster leben und genießen wollen, kehren vermehrt in vegane Restaurants ein. Corinna Krampe und Sarah Engelmann sind die Betreiberinnen des veganen Hamburger-Restaurants leaf und definieren ihre Kunden so: „Ich schätze, ein Drittel unserer Gäste sind Veganer.
Noch mal so viele Vegetarier. Der Rest sind Leute, die einfach neugierig sind und bewusst genießen wollen. Auch einige unserer treuesten Stammkunden sind Omnivoren, die aber einfach gerne gut essen gehen.“ Auch Paul Ivic, Küchenchef des vegetarischen Wiener Restaurants tian, hat ein veganes Degustationsmenü im Angebot und weiß, dass…
Fotos: shutterstock, Wolfgang Hummer, Björn Moschinsky
Keine Milchprodukte, keine Eier, kein Fleisch: Ein Veganer definiert sich über das, was er nicht isst. Doch fleischfrei zu leben, liegt im Trend. Rund 800.000 Menschen in Deutschland haben ihre Ernährung umgestellt, in Österreich sind es immerhin schon 40.000. Das bedeutet, es gibt eine immer größer werdende Zielgruppe für innovativ denkende Gastronomen. Denn nicht nur Menschen, die vegan leben, schätzen die stetig steigende Anzahl fleischloser Angebote, auch Gäste, die bewusster leben und genießen wollen, kehren vermehrt in vegane Restaurants ein. Corinna Krampe und Sarah Engelmann sind die Betreiberinnen des veganen Hamburger-Restaurants leaf und definieren ihre Kunden so: „Ich schätze, ein Drittel unserer Gäste sind Veganer.
Noch mal so viele Vegetarier. Der Rest sind Leute, die einfach neugierig sind und bewusst genießen wollen. Auch einige unserer treuesten Stammkunden sind Omnivoren, die aber einfach gerne gut essen gehen.“ Auch Paul Ivic, Küchenchef des vegetarischen Wiener Restaurants tian, hat ein veganes Degustationsmenü im Angebot und weiß, dass der Großteil der Gäste sich nicht einer bestimmten Gruppe zuordnen lässt, sondern ganz einfach Genussmenschen sind: „Es gibt eben immer mehr Menschen, die sich sehr bewusst mit dem Thema Nahrung, Nachhaltigkeit und Tierschutz auseinandersetzen. Wir wollen genau diesen Menschen ein Angebot bieten, das vor allem durch Geschmack punktet.“
Viele der Gäste wählen laut Ivic bevorzugt das vegane Menü. Auch wenn es sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ein rein veganes, kulinarisch anspruchsvolles Menü zu erstellen: „Die Zusammenstellung des veganen Menüs wechselt bei uns sehr selten, da man natürlich in der Auswahl der Produkte eingeschränkt ist und so weit mehr Zeit aufwenden muss, um Gerichte auf aromatisch höchstem Niveau anzubieten.“ Eine eigenständige Küche zu entwickeln, immer wieder mit neuen Menüs zu überraschen, geschmackvoll und anspruchsvoll zu kochen, in die Gäste das Vertrauen zu haben, dass sie neue Kreationen annehmen und dass nicht das Vegane, sondern der Genuss im Vordergrund steht, sind laut den leaf-Betreibern die großen Herausforderungen.
Bereits seit drei Jahren bietet das französische Lokal Chez Nico in Innsbruck vegetarische und auf Wunsch auch vegane Gerichte an. Maximal fünf Prozent der Chez-Nico-Gäste sind Vegetarier oder Veganer, 95 Prozent Fleischesser. Auch im mit 14 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Restaurant steht also der fleischlose Genuss und nicht das Motiv im Vordergrund. Längst sind tierfreie Lebensmittel keine Produkte mehr, deren Verbreitung ausschließlich über kleine Naturkostläden und Reformhäuser stattfindet. Laut aktuellen Zahlen setzte der Handel im Jahr 2012 etwa 232 Millionen Euro vor allem mit Lebensmitteln um, die auf tierische Bestandteile verzichten. Bisher ein Geschäft von Mittelständlern, entdecken auch Discounter den Markt für sich.
Da stellt sich für alle Köche noch eine wichtige Frage: Spart man durch diese Küche gutes Geld? Bei Gastronomen, die auf rein vegane Menüs setzen, trifft das nicht unbedingt zu, da das Zubereiten veganer Speisen personalaufwendiger ist als die klassische Küche. Doch ist die Zielgruppe eine stetig wachsende und somit eine gute Auslastung gewiss. Was vor einigen Jahren also noch eine Nische war, hat sich mittlerweile zum positiven Ernährungstrend gemausert. Auch Veganer möchten einen tollen Restaurantbesuch nicht missen. Findige Lokale haben das bereits erkannt und sich darauf spezialisiert.
Das braucht die Zielgruppe
Diese Ernährungspyramide verschafft einen Überblick darüber, was eine vegane Ernährung alles beinhaltet.
1 Wasser
Die Grundlage einer gesunden veganen Ernährung bilden etwa 2,5 Liter ungesüßte Getränke am Tag. Man sollte kalziumhaltiges Mineralwasser anbieten, Kräuter-, Früchte- oder Grüntee sowie gut verdünnte Direktsaft-Schorlen im Sortiment haben.
2 Vitamine und Mineralstoffe
Die Grundlage einer gesunden veganen Ernährung bilden etwa 2,5 Liter ungesüßte Getränke am Tag. Man sollte kalziumhaltiges Mineralwasser anbieten, Kräuter-, Früchte- oder Grüntee sowie gut verdünnte Direktsaft-Schorlen im Sortiment haben.
3 Kohlenhydrate
Insbesondere Vollkornprodukte, Nudeln, Brot und Brötchen, aber auch Reis, Mais, Kartoffeln, Quinoa, Bulgur, Amarant, Hirse, Maronen oder sogar Kochbananen versorgen den Körper mit seinem Hauptbrennstoff: den Kohlenhydraten. Vor allem die alten Getreidesorten sind reich an Mineralien und Vitaminen.
4 Eiweiß
Rein pflanzliche Proteinlieferanten sind Hülsenfrüchte, Nüsse oder Samen. Darunter fallen zum Beispiel grüne Bohnen, weiße Bohnen, Kidneybohnen, gering verarbeitete Sojaprodukte, wie Tofu oder Tempeh, Linsen in allen Farben, Erbsen, Zuckerschoten, Kichererbsen und Erdnüsse. Das reine Weizeneiweiß (Gluten), auch als Seitan bekannt, und Lupineneiweiß werden oft als Fleischersatzprodukt in der pflanzlichen Küche verwendet. Nüsse und Samen, wie Walnüsse, Paranüsse, Haselnüsse,Cashewnüsse, Sonnenblumenkerne und Kürbiskerne, liefern neben sehr viel Energie auch eine Extraportion Eiweiß.
5 Öle, Fette und Salz
Ein wichtiger Punkt: Abwechslung bei der Ölauswahl und einen sparsamer Umgang mit Salz. Leinöl liefert ganz besonders viele Omega-3-Fettsäuren. Der nötige Kick in jedem fleischlosen Gericht: Meersalz mit jodhaltigen Algenzusätzen oder jodierte Speisesalze.
6 Süßigkeiten, Desserts und Alkohol
Süßigkeiten und Alkohol werden von Veganern sehr sparsam und bewusst genossen. Man sollte die Speisekarte also diesbezüglich abstimmen. Und Vorsicht: Nicht alle alkoholischen Getränke sind vegan. Bestimmten Szene-Getränken werden auch unvegane Stoffe (z. B. Farbstoffe) zugesetzt.
Gemüse ist sein Fleisch
Björn Moschinski ist einer der bekanntesten veganen Köche Deutschlands und verblüfft in seinem neu eröffneten Restaurant Mio matto nicht nur Veganer. Der kreative Spitzenkoch über Klischees, Gästepotenzial und Produktmöglichkeiten.
Welche soziale Schicht geht Ihrer Erfahrung nach ins vegane Restaurant?
Björn Moschinski: Das Schöne an einer veganen Gastronomie ist die Vielfalt der Gäste. Die vegane Küche ist nicht, wie viele denken, den jungen alternativen Menschen vorbehalten. Nein, auch ältere Menschen, die sich immer intensiver mit dem Thema Gesundheit beschäftigen, oder Akademiker, die sich mit dem Thema Ökologie und Nachhaltigkeit auseinandersetzen, zählen zu unseren Kunden. Es ist kurz gesagt ein Publikum, das sich durch alle Schichten und jedes Alter auszeichnet.
Kommen zu Ihnen ausschließlich vegan lebende Menschen oder auch Flexitarier?
Moschinski: Den Köchen des Mio Matto gelingt es nicht nur, Gerichte für Veganer zu schaffen, sondern wir zählen auch zahlreiche Vegetarier, Mischköstler und natürlich auch Flexitarier zu unseren Kunden.
Woher bekommen Sie Ihre Produkte? Haben Sie spezielle Lieferanten?
Moschinski: Die Produktbeschaffung ist noch ein großes Problem, da die Vielfalt fehlt. Zurzeit gibt es in ganz Deutschland nur einen Großhändler für rein vegane Produkte. Zum Glück ist meine Küche auf frischen Zutaten aufgebaut, die wir über den Gemüsegroßhandel oder auch bei regionalen Bauern beziehen können.
Was ist die große Herausforderung beim veganen Kochen?
Moschinski: Die große Herausforderung sehe ich in der Produktkenntnis. Es gibt in der klassischen Küche viele Zutaten, die komplett oder zum Teil aus tierischen Komponenten hergestellt werden. Einem klassischen Koch bricht somit im ersten Moment die Arbeitsgrundlage weg. Wenn dieser dann die rein pflanzlichen Alternativen kennenlernt und damit umzugehen weiß, kann ein kreativer Prozess stattfinden.
Wie schafft man es, Gästen nicht nur eine Fleischalternative anzubieten, sondern ein tolles eigenständiges Essen?
Moschinski: Gerichte mit Fleischalternativen sind für mich sehr eigenständig. Da sich in unseren Gehirnen bestimmte Geschmacks- und Geruchsmerkmale einprägen, die nicht zwangsläufig vom Fleisch, sondern hauptsächlich von den Gewürzen und der Zubereitung bestimmt werden, ist der Schritt zu Fleischalternativen nachvollziehbar. Die vegane Küche ist keine Küche des Genussverzichts. Aber wir kreieren in der Küche des Mio Matto auch immer ein 3- bis 5-Gänge-Fine-Dining-Menü, das fast ausschließlich ohne Fleischalternativen auskommt. Dafür benötigt man eine gute Kenntnis über Kräuter, Gewürze, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst, um ein Menü zu entwickeln, das geschmacklich überzeugt und auch satt macht.
Auf welche Produkte kann man dabei zurückgreifen, die in unseren Breitengraden nicht so geläufig sind?
Moschinski: Da wir auch den Fleisch- und Fischesser im Mio Matto geschmacklich befriedigen wollen, suchen wir natürlich nach Produkten, die zum Beispiel im Seafood-Bereich angesiedelt sind. Spontan fällt mir da die gemahlene Nori-Alge ein, die wir zur Verstärkung des Fischgeschmackes verwenden. Oder wir würzen unsere Desserts auch gern mit der hier kaum bekannten Tonkabohne. Aber spannender finde ich den Schritt hin zu heimischem Gemüse. Und zwar zu jenem, das bereits in Vergessenheit geraten ist. Allen voran die wunderbare Urkarotte, Teltower Rübe, Schwarzwurzel oder Melde.
Wie sind denn die Reaktionen der Gäste, die bei Ihnen zum ersten Mal vegan essen?
Moschinski: Fast ausschließlich positiv. Es ist auch einfach zu erklären. Die Mehrheit der Mischköstler, welche zum ersten Mal ins Mio Matto gehen, haben eine extrem reduzierte Vorstellung von der Küche und dem Ambiente. Das ist mir bewusst und daher habe ich besonders darauf geachtet, dass das Ambiente wertig und bequem ist, wir eine umfangreiche Wein- und Cocktailkarte haben, einen geschulten und professionellen Service sowie eine abwechslungsreiche und schmackhafte Karte, die auch einen Mischköstler überzeugen kann.
Ist die Optik bei veganem Essen ein wichtiger Faktor?
Moschinski: Die Optik ist weniger eine Frage von Vegan oder Nicht-Vegan. Ich bin der Meinung, je hochwertiger ein Gastronom seine Speisen anbieten möchte, umso hochwertiger sollte auch die Optik der Speisen sein. Es ist auch immer eine Preisfrage, denn jede Bewegung des Koches beim Anrichten kostet Zeit und Geld. Gerade bei uns im Business-Lunch steht die Optik hinter dem Geschmack und der Geschwindigkeit, in der das Essen beim Gast sein muss. Am Abend sind dem Gast eine hohe Qualität und Optik gewiss.
Österreich:
40.000 Menschen leben in Österreich vegan
60 vegane Restaurants
18.000 Veganer über 30 Jahre
22.000 Veganer unter 30 Jahre
60% der Veganer leben in Städten ab durchschnittlich 150.000 Einwohnern
Deutschland
800.000 Menschen leben in Deutschland vegan. Rund 9 Millionen sind Vegetarier. Das sind etwa 9% der Bevölkerung.
600 vegane Restaurants
350.000 Veganer über 30 Jahre
450.000 Veganer unter 30 Jahren
45% der Veganer stammen aus Städten mit mehr als 400.000 Einwohnern