Moralo fatalo

CSI Gastronomie: Wie die verschärften Kontrollen der Branche schaden.
November 13, 2015

Foto: Shutterstock, Wolfgang Hummer
Moralo fatalo

Die Welt in Gut und Böse einzuteilen, ist manchmal verdammt schwer, aber nicht immer. In letzte Kategorie fällt jedenfalls jenes Schicksal, das Marius Kneyder, ehemaligem Sous Chef des Salzburger Nobellokals Schmederer, widerfahren ist. Im April 2011 suchten Kneyder sowie 15 weitere Angestellte des Restaurants bei der Arbeiterkammer Salzburg um Rechtshilfe wegen Hunderter unbezahlter Überstunden an – in Kneyders Fall waren das 800 innerhalb eines Jahres, wovon die Hälfte nicht bezahlt wurde. Horrorberichte von nicht existenten Ruhezeiten und sieben Wochen durchgängiger Arbeit füllten Zeitungen, es wurde auf Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite viel diskutiert, aber so schnell und gewaltig, wie die Causa über die Salzburger Gastronomieszene hereinbrach, so rasch wurde es auch wieder still.

Der Fall Kneyder ist eines der wohl krassesten Negativbeispiele, die es in puncto Arbeitnehmerschutz in der heimischen Gastronomie gibt – und hier gibt es auch keinen Spielraum hinsichtlich der Frage, ob diese Arbeitsbedingungen vertretbar sind oder nicht. Wer die Gastronomie- und Hotelleriebranche allerdings sowohl von Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite aus nüchtern in ihrer Gesamtheit betrachtet, dem muss klar sein, dass die Grenzen…

Foto: Shutterstock, Wolfgang Hummer
Moralo fatalo

Die Welt in Gut und Böse einzuteilen, ist manchmal verdammt schwer, aber nicht immer. In letzte Kategorie fällt jedenfalls jenes Schicksal, das Marius Kneyder, ehemaligem Sous Chef des Salzburger Nobellokals Schmederer, widerfahren ist. Im April 2011 suchten Kneyder sowie 15 weitere Angestellte des Restaurants bei der Arbeiterkammer Salzburg um Rechtshilfe wegen Hunderter unbezahlter Überstunden an – in Kneyders Fall waren das 800 innerhalb eines Jahres, wovon die Hälfte nicht bezahlt wurde. Horrorberichte von nicht existenten Ruhezeiten und sieben Wochen durchgängiger Arbeit füllten Zeitungen, es wurde auf Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite viel diskutiert, aber so schnell und gewaltig, wie die Causa über die Salzburger Gastronomieszene hereinbrach, so rasch wurde es auch wieder still.

Der Fall Kneyder ist eines der wohl krassesten Negativbeispiele, die es in puncto Arbeitnehmerschutz in der heimischen Gastronomie gibt – und hier gibt es auch keinen Spielraum hinsichtlich der Frage, ob diese Arbeitsbedingungen vertretbar sind oder nicht. Wer die Gastronomie- und Hotelleriebranche allerdings sowohl von Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite aus nüchtern in ihrer Gesamtheit betrachtet, dem muss klar sein, dass die Grenzen zwischen richtig und falsch nicht immer so eindeutig ausfallen.

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Die Gastrobranche zählt unzweifelhaft zu den härtesten überhaupt. Wer sich für einen Beruf in dieser Sparte entschieden hat, ist starken köperlichen Belastungen ausgesetzt, leistet häufig Überstunden, hat unregelmäßige Arbeitszeiten und zählt normalerweise nicht zu den Spitzenverdienern. Fakt ist, dass Arbeitnehmer einen gewissen Schutz genießen müssen und behördliche Kontrollen notwendig sind, um Fälle wie den von Kneyder zu verhindern. Fakt ist auch, dass Betriebe Hygienestandards nachzukommen haben, die dem Verbraucher- und Mitarbeiterschutz dienen. Aber so wichtig Regeln und deren entsprechende Überprüfung auch sind, es gilt wie immer das alte Sprichwort: Auf die Dosis kommt es an, von förderlich bis tödlich.

In Krankenhäusern sterben jedes Jahr zig Menschen an Keimen, aber in 30 Jahren ist keiner nach einem Restaurantbesuch gestorben. Es gibt keinen Handlungsbedarf!
Christian Rach über die Sinnhaftigkeit der mittlerweile gescheiterten Hygieneampel

Ampelgate und andere Witze
Stellen Sie sich vor, es wird ein neues Gesetz beschlossen, und keiner geht hin. So oder so ähnlich könnte man jene Fehde beschreiben, die monatelang in Deutschland zum Thema Hygieneampel zwischen Gastronomen, Vertretern der deutschen Tourismuswirtschaft und den Wirtschaftsministern der Länder tobte. Die Branche lief Sturm gegen jene dreistufige „Sauberkeitsplakette“ – Grün für sehr gut, Gelb für leichte Mängel, Rot für schwere Mängel –, welche die bisherige Hygieneuntersuchung vereinheitlichen und ersetzen sollte. Was theoretisch gut klingt, trieb von TV-Koch Christian Rach bis zum Präsidenten der BTW (Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft) alle auf die Barrikaden, die wissen, welchen potenziellen Imageschaden so eine Ampel anrichten kann. Der Grund: Die Planung sah vor, dass alle Betriebe die Bewertungen der letzten drei Kontrollen veröffentlichen müssen.

Selbst wenn also alle allfälligen Mängel bereits behoben worden sein sollten, stünde der Betrieb immer noch am Pranger. Wer einmal Rot gesehen hat, dem wäre also anzuraten, besser gleich die Pforten dichtzumachen. Im Zuge des letztjährigen Tourismusgipfels im Berliner Hotel Adlon geißelte BTW-Präsident Klaus Läpple die geplante Hygieneampel als „unnötig und unverhältnismäßig“, es brauche nicht „noch mehr Kontrollen, schon gar nicht solche, die Existenzen gefährden, sondern politisches Umdenken und Verständnis für die Branche“. Während man sich noch inbrünstig darum zankte, was denn nun mit der Ampel geschehen solle, hatten die Berliner bereits einen anderen, ziemlich erfolgreichen Weg in der Aufschlauung des hygienebewussten Gastes eingeschlagen. Bereits 2010 testete man in der Hauptstadt das dänische „Smiley-System“ zur Bewertung der Hygiene in Restaurants, seit 2011 bietet die Online-Plattform „Sicher Essen in Berlin“ einen Überblick über alle getesteten Restaurants und Kontrollergebnisse. Im Falle der Hygieneampel haben die Kritiker sich übrigens endgültig durchgesetzt – das umstrittene und eigentlich bereits beschlossene System wird nicht in Kraft treten. Und man ist geneigt zu sagen: Gott sei Dank.

Menschen, Mächte, Mythen
Politisches Umdenken – und nach deutschem Vorbild auch Unterstützung von den Interessenvertretern der Wirtschaftskammer, die wir für eine Stellungnahme nicht erreichen konnten – wäre auch in Österreich angebracht. Dort herrscht nach einer Schwerpunktaktion der KIAB (Kontrolle illegaler Ausländerbeschäftigung) 2011 aktuell an anderer Front reichlich Aufregung in puncto Kontrollen. Wie Dr. Elsbeth Huber, Leiterin der Abteilung Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene des Bundes für Arbeit und Konsumentenschutz, gegenüber ROLLING PIN bestätigt, verrichten die Inspektoren des Landes schwerpunktmäßig seit geraumer Zeit im Namen der Arbeitnehmer ihre Pflicht.

Auf dem Prüfstand stehen Arbeitszeiten, Ruhezeiten, Konfliktmanagement & Co., wobei sich der Strafrahmen für Verstöße je nach Schweregrad und Häufigkeit von 20 bis etwa 3600 Euro pro Delikt und Arbeitnehmer erstreckt. Huber kann der von ihr geleiteten Schwerpunktaktion naturgemäß viel abgewinnen. „Es geht vor allem darum, die psychischen Belastungen, denen Arbeitnehmer etwa durch schlechte Personalplanung und daraus resultierende Mehrbelastungen ausgesetzt sind, zu reduzieren. Wenn ich vorausschauend plane, dann schaffe ich es auch, ein entsprechendes Arbeitsklima zu schaffen und in Folge auch die hohe Fluktuation in der Branche etwas einzudämmen.“ Das klingt vernünftig und ist es auch. Denn dass sich das Konzept der Anarchie auf unserem Heimatplaneten nicht flächendeckend durchgesetzt hat und nicht jeder Arbeitgeber tun und lassen kann, was er will, hat durchaus seine Berechtigung.

Top-Gastronomie funktoniert nicht nach einem sturen Gesetz. Unsere Mitarbeiter sind nicht weniger motiviert, nur weil sie hin und wieder länger arbeiten.
Hermann Döllerer, Senior-Chef von Döllerer’s Genusswelten in Going

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Realität für die Betroffenen weit weniger einfach ist, als sie sich für die Behörden darstellt. Wer tatsächlich glaubt, dass es mit ausreichend guter Planung alleine möglich ist, sich an die vorgeschriebenen Arbeits- und Ruhezeiten zu halten, wohnt entweder im Taka-Tuka-Land oder ist Politiker. In letzter Konsequenz fügt man Arbeitgebern, Arbeitnehmern, aber auch dem Gast mit Kon-trollen von realitätsfern gestalteten Gesetzen und Vorschriften jedenfalls Schaden zu. Wie auch Klaus Läpple am Tourismusgipfel deutlich machte, fehle es an allen Ecken und Enden an poltischem Verständnis für die Branche, die auf zufriedene Gäste angewiesen sei. Dennoch werde immer mehr Bürokratie geschaffen, und das ginge auch zulasten derer, die eigentlich geschützt werden sollten. Apropos Schutz: In dem 2011 vom IFES publizierten Arbeitsklima-Index Gastronomie und Hotellerie fühlten sich 40 Prozent der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz körperlich belastet, an unregelmäßigen Arbeitszeiten störten sich „nur“ 29 Prozent und 24 Prozent klagten über überlange Arbeitszeiten. Und diese Prozentsätze sagen wohl auch einiges aus.

„Wir sind Dienstleister und keine Beamten!“

Thomas M. Walkensteiner
Executive chef des LUXURY COLLECTION RESORT & SPA hotels schloss fuschl am see in salzburg.
www.schlossfuschlsalzburg.com

Thomas M. WalkensteinerSinn und wahnsinn
Der 47-jährige gebürtige Vorarlberger spitzenkoch ist seit 2003 herr über die küchen des Hotels schloss fuschl. Er hat grundsätzlich kein problem damit, wenn die wächter über das recht am arbeitsplatz bei ihm vorbeischauen, warnt aber davor, das viel zitierte kind nicht mit dem Bade auszuschütten.

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz führt seit letztem Sommer schwerpunktmäßig arbeitsrechtliche Kontrollen in Gastronomie- und Hotelleriebetrieben durch. Was halten Sie davon?
Thomas M. Walkensteiner: Vorab muss ich sagen, dass ich faire Bedingungen am Arbeitsplatz für absolut notwendig und wünschenswert halte, denn die Gastronomiebranche ist leider oft alles andere als fair. Es ist eben immer noch nicht überall ein Geben und ein Nehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und dass hier auch seitens der Behörden schärfer kontrolliert und auch sanktioniert wird, finde ich gut. Aber nicht alle Kontrollen sind wirklich sinnvoll und notwendig, sie schaden meiner Meinung nach in gewisser Weise oft mehr, als sie nützen.

Können Sie uns ein Beispiel geben?
Walkensteiner: Es gibt immer wieder mal Schwerpunktaktionen wie die aktuelle, aber ich habe das Gefühl, dass die eigentlichen schwarzen Schafe mit solchen Aktionen nur selten erreicht werden. Stattdessen wird den Gastronomen, die ohnehin bereits alle möglichen Hebel in Bewegung setzen, um das Personal nicht übermäßig zu belasten und ein angemessenes Klima am Arbeitsplatz zu schaffen, das Leben schwer gemacht. Wenn die Politik mit solchen Maßnahmen langfristig durchsetzen will, dass etwa Arbeitszeiten in der Gastronomie auf Komma und Strich genau eingehalten werden, dann würde das nicht nur der Branche, sondern der gesamten Tourismuswirtschaft schaden. Dass man gerade in Österreich so agiert, kann ich nicht nachvollziehen.

Was unterscheidet Österreich denn dahingehend von anderen Ländern?
Walkensteiner: Der Tourismus ist unser wichtigster Wirtschaftszweig, und man kann nicht auf der einen Seite mit hoher Servicequalität und Spitzengastronomie werben und auf der anderen Seite durchsetzen wollen, dass mein Küchenpersonal, egal in welcher Situation, nach acht Stunden alles stehen und liegen lässt und nach Hause geht. Ich muss den Gast bewirten dürfen, denn wir haben nun mal keinen Job, wo man dem Gast sagen kann ‚Kommen Sie doch morgen wieder, dann bekommen Sie auch Ihren Hauptgang, der geht sich heute nicht mehr aus, weil mein Personal jetzt weg ist‘. Ein Restaurant ist keine Tischlerei, wir müssen flexibel arbeiten können, um die Qualität zu halten, und können unsere Gäste nur glücklich machen, wenn wir die Möglichkeit haben, Personal auch dementsprechend einzusetzen. Ich bin dagegen, dass jemand 16 Stunden arbeitet, aber in der Gastronomie hat man eben Peaks und wir brauchen ein sinnvolles, modulares System, das nicht abstraft, sondern einen Spielraum im Umgang mit der Ressource Mitarbeiter einräumt.

Es geht Ihnen also weniger um die Kontrollen als vielmehr um das System, auf dessen Basis diese durchgeführt werden?
Walkensteiner: Ja. Mir ist schon klar, dass die Arbeitsinspektoren ja auch nur ihre Arbeit machen und dass die Interessen der Arbeitnehmer gewahrt bleiben müssen. Aber man muss ein wenig darauf achten, dass hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Es ist Aufgabe der Politik und auch der Wirtschaft, die ja naturgemäß eigentlich ein ausgesprochen starkes Interesse daran haben sollte, dass die Dienstleistungsqualität in Österreich auf einem so hohen Level bleibt, sich hier mehr an der Realität in der Gastronomie zu orientieren. Wenn es das Geschäft erfordert, dann brauchen wir als Arbeitgeber die Möglichkeit, auch mal über gewisse gesetzliche Vorgaben hinaus agieren zu dürfen. Und dafür braucht es flexiblere Arbeitsmodelle und ein Umdenken auf hoher Ebene.

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