Rainer Heubeck: Der Experten Blog

Der Foodhunter erklärt die Gourmetwelt auf neue Art: Er schreibt über Mikroproduzenten, die Großes zustande bringen.
April 27, 2016 | Text: Rainer Heubeck | Fotos: Rainer Heubeck

Rainer Heubeck

Olivenöl „nativ extra“

Es ist eines der meistbenutzten Fette in der Küche, allerdings auch jenes, bei dem am meisten beschissen wird: das Olivenöl. „Nativ extra“ oder übersetzt besonders unberührt ist die höchste Qualitätsstufe – und die gibt es in jedem Supermarkt inzwischen in rauen Mengen zu superniedrigen Preisen.
Oft erfüllen diese Olivenöle gerade einmal die Mindestanforderungen der Verkehrsfähigkeit, manchmal nicht mal das. Doch wo kein Kläger und Richter (oder Kontrolleur), wird munter gepanscht, chemisch gewaschen, desodoriert und schamlos Etikettenschwindel betrieben. Toskana, oder zumindest Italien, sollen die Zypressen auf dem schmucken Bild auf der Flasche suggerieren, ein Blick auf die Rückseite offenbart: Oliven aus dem Mittelmeerraum.
Nun ja, es könnte aus Italien sein, eher aber stammen die Ölfrüchte aus Marokko, Tunesien, Syrien oder Spanien. Kein Hof- oder Erzeugername, sondern ein mittels  Großbuchstaben abgekürzter Abfüller-Name, keine Angabe der Olivensorte oder Erntezeit – es sind die besten Vorraussetzungen, ein sogenanntes Lampantöl minderer Qualität vor sich zu haben.
Dieses eigentlich nicht zum Verzehr geeignete Olivenöl wird mit viel Physik und Chemie zurechtgebogen für einen gigantischen Geiz-ist-geil-Markt.

Hochwertiges Olivenöl zum Spottpreis?

3,49 Euro für den halben Liter Olivenöl sind  gar nicht möglich, wenn der Aufdruck „nativ extra“ etwas mit der Wahrheit in der Flasche zu tun haben soll. Käme eigentlich ein Autofahrer auf die Idee, dass ein Liter Motorenöl für knapp sieben Euro das richtige Schmiermittel für den PS-Protz unter der Haube ist? Warum muten das viele dem eigenen Motor – oder dem der Gäste – zu? Sparen, sparen, sparen?
Nun, bei hohem Literverbrauch an Olivenöl mag das angebracht sein, doch da sollte lieber überprüft werden, ob dieser Mengeneinsatz immer sein muss. Lieber Qualität gezielt einsetzen – doch wo finden sich sehr gute Olivenöle?
Zunächst einmal in den bekannten Regionen wie Ligurien, der Toskana, auf Sizilien oder in Apulien, auf Kreta oder der berühmten Halbinsel Mani, in Spaniens Extremadura oder auf „Malle“ (ja, auch dort).
Der Besuch beim Produzenten ist probates Mittel, eine Ölprobe muss dann sein, manchmal gibt es die gleiche Sorte in zwei „Ausführungen“: als „grün“ (frühe Ernte) oder „fruchtig“ (späte Ernte). Will Ihnen jemand ein sogenanntes Tropföl als das beste andrehen, sagen Sie getrost „Nein“. Denn das Öl, das dem auf Matten gestrichenen Olivenbrei vor der Pressung entrinnt, ist zwar das jungfräulichste, hat aber auch den meisten Sauerstoffkontakt und ist quasi von Geburt an ranzig.

So muss Olivenöl schmecken

Abseits der ausgetrampelten Olivenöl-Pfade gibt es einige kleine Anbauzonen, die tolle Qualitäten bieten – jene im provencialischen Nyons und Les Baux etwa oder dem südliche Gardasee. Dort in den Hügeln sind zwei absolute Qualitätsfanatiker am Werk: Walter Nember und Gianfranco Comincioli. Letzterer macht bei seinen Oliven vor dem Vermahlen den Kern raus  – „denocciolato“ heißt das im italienischen Fachjargon.
Lecchino- und Casaliva-Oliven ergeben zwei absolut saubere, feinwürzige Öle, das Cuvée beider Sorten heißt „Number 1“ und trägt diesen Namen nicht zu Unrecht. Ob es das beste Olivenöl Italiens ist, bleibt Geschmacksfrage. Für mich zählt es jedenfalls zu den fünf besten, die ich je auf der Zunge hatte. Eine Offenbarung war der gegrillte Gardaseefisch, der mit einem feinen Strahl dieses Öles aromatisiert wurde (im Restaurant La Campagnola in Salò). Einfach (und) perfekt.
Gut, das Öl ist exorbitant teuer – der Literpreis entspricht dem eines Top-Motorenöls. Wenn es nicht gleich der Ferrari sein muss und Zeit zum Stöbern vor Ort nicht vorhanden ist, gibt es auch ambitionierte Olivenöl-Händler und -projekte. So wie Conrad Bölicke und dessen „artefakt“. Er arbeitet mit kleinen Olivenbauern, kauft und kontrolliert deren Ernte, sichtet geeignete Mühlen vor Ort und vermarktet dann das Öl.
Er zahlt den Bauern gutes Geld, damit die Olivenhaine nicht aufgegeben werden, sondern weiter Teil jahrhundertealter Kulturlandschaften bleiben. Für ihn ist Nachhaltigkeit der „Ausgleich zwischen der Ökonomie, der Ökologie und dem Sozialen“.
Auch deswegen: nicht länger zögern! Meine Tipps zum Ölwechsel in der Küche: Comincioli und „artefakt“.

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