Der große Schleck-Guide
Fotos: Otto Gourmet, Werner Krug, Shutterstock, Wolfgang Hummer
Fleisch wächst auf der Wiese und nicht im Supermarkt. Dieser Tatsache scheinen sich aktuell nicht nur großstädtische Balkonkinder kaum bewusst zu sein, sondern auch viele unter den Jungköchen der kommenden Generation. Wer Fleisch konsumiert, isst totes Tier. Und von dem nur Filet und Kotelett zu essen, ist respektlos und ein kulinarischer Verlust. Außerdem: Nur die Edelstücke zu servieren, ist langweilig und von gestern…
Fotos: Otto Gourmet, Werner Krug, Shutterstock, Wolfgang Hummer
Fleisch wächst auf der Wiese und nicht im Supermarkt. Dieser Tatsache scheinen sich aktuell nicht nur großstädtische Balkonkinder kaum bewusst zu sein, sondern auch viele unter den Jungköchen der kommenden Generation. Wer Fleisch konsumiert, isst totes Tier. Und von dem nur Filet und Kotelett zu essen, ist respektlos und ein kulinarischer Verlust. Außerdem: Nur die Edelstücke zu servieren, ist langweilig und von gestern.
Schwein
Gilt gegenüber anderen Tierzungen als minderwertig. Trotzdem sind Schweinezungengerichte alles andere als einseitig: In allen erdenklichen Variationen findet man Zubereitungsformen, die meist darauf ausgerichtet sind, ihren spezifischen milden Geschmack zu unterstreichen. (in etwa 1 kg, bis zu 20 cm)
Kalb
Die Kalbszunge ist besonders zart und leicht verdaulich, also ein richtiger Leckerbissen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie besonders fettarm, aber umso eiweißreicher ist. Die Kalbszunge ist feiner im Geschmack als die Rinderzunge, die auch um einiges größer ist. Teuer und meist schwer zu bekommen. (in etwa 800 g, bis zu 25 cm)
Lamm
Beim Kauf unbedingt darauf achten, dass das Fleisch von guter Qualität ist. Das ist daran zu erkennen, dass es glänzend, schimmernd und die Oberfläche leicht feucht ist. Das Fleisch darf auf keinen Fall unangenehm riechen, die Farbe der Zunge sollte nicht matt sein. (in etwa 500 g, bis zu 15 cm)
Rind
Rinderzunge ist in rohem Zustand zartrosa und sehr feinporig. Je jünger das Schlachttier, umso kleiner, zarter und eiweißreicher, dafür fettarmer ist die Rinderzunge. Der Geschmack der Rinderzunge wird umgekehrt intensiver, je älter das Tier ist. Mit bis zu zwei Kilogramm das größte unter den gängigen Schleckinstrumenten. (in etwa 2 kg, bis zu 40 cm)
Lange waren Innereien von deutschen Tellern verbannt. Jetzt erleben sie ein Comeback. In New York gibt es sogar schon ein reines Innereien-Restaurant: Wer im Breslin speisen will, muss Wochen vorher reservieren. Vermehrt immer weiter oben auf der Hitliste der Spitzenköche: die Zunge. Sternekoch Heinz O. Wehmann erklärt, warum auf seiner Karte das leckere Schleckinstrument auf keinen Fall fehlen darf: „Bei vielen Menschen spielt sich ein Kopfkino ab. Sie finden die Vorstellung, Zunge oder Gehirn zu verspeisen, unappetitlich, vielleicht sogar abstoßend. Wer aber offen für solche Sachen ist, findet es großartig, weil sich völlig neue Geschmacksnuancen eröffnen.“ Das Faible des Spitzenkochs für die Zunge ist leicht nachzuvollziehen: Die Zunge ist ebenso wie Herz oder Magen ein Muskelkörper, da sie als Kau- und Schluckapparat ein hohes Maß an Bewegung erzeugen muss. Ihr Fleisch ist von entsprechend zarter Konsistenz, sodass ihre Verarbeitung als Lebensmittel nüchtern betrachtet naheliegend ist.
Dass Zunge zu den Innereien zählt, ist daher nicht ganz logisch, aber auch nicht zu verwechseln, wenn man es mit wählerischen Genießern zu tun hat. Wobei auch hier gesagt sein muss, dass unterschiedliche Tiere und deren Lebensumstände auch unterschiedliche Qualitäten und damit eben auch Geschmäcke liefern. Es ist auch zu beachten, dass die Zubereitung der Zunge mit diversen Prozeduren verbunden ist. So muss sie zunächst mit Sorgfalt abgekratzt und anschließend mit kochendem Wasser abgebrüht werden. Die Schleimhaut, die man beim Gedanken an das Organ in erster Linie vor Augen hat, wird dadurch vom fertigen Fleischstück getrennt.
Die Exoten
Kabeljau
Kabeljauzungen sind vor allem in Skandinavien und Norddeutschland eine Delikatesse. Diese Zungen haben ringsherum eine recht feste und raue Haut. Es reicht, wenn die Haut vor dem Braten kreuzweise eingeschnitten wird. Sie zieht sich etwas zusammen und wird knusprig, während das Innere noch glasig ist. Der Garprozess dauert etwa doppelt so lange wie bei einem gleich dicken Filet. Auf den Lofoten wird diese Spezialität auch in saurer Sahne oder Currysauce serviert, schmeckt aber am besten frittiert.
Rentier
Fans von Santa Claus und dem rotnasigen Rudolph haben beim Gedanken an das skandinavische Nationalheiligtum wahrscheinlich schwer zu schlucken. Der Geschmack von Rentierzunge ist jedoch unglaublich. Noch feiner als der von Rind oder Kalb und auch etwas kräftiger. Die Skandinavier haben generell eine lange Tradition, was die komplette Verwertung von Tieren betrifft. noma-Chef René Redzepi etwa kochte die Rentierzunge einst Sous vide für 24 Stunden und verfeinerte sie mit Apfelvariationen sowie Wildkräutern.
Nachtigall
Nachtigallzungen waren nicht nur im Mittelalter, sondern auch schon zur Zeit der Römer das absolute Luxusprodukt. Der Hintergrund: Den Appetit beim Genuss einer Nachtigallzunge regte der Gedanke an ihren schönen Gesang an. Ein Gericht war damals auch schön, wenn es aus ungeheuren Massen bestand, denn damit man etwas auf den Teller bekam, mussten natürlich unzählige Vögel getötet werden. Laut Bundesnaturschutzgesetz sind sie heute jedoch besonders geschützt. Definitiv eine der teuersten Delikatessen, die es je gab.
Wolfgang Otto von Otto Gourmet: „Dreht sich manchem bei Innereien und Zunge der Magen um, finden Liebhaber dieses genusstechnisch spannende Produkt entweder als Hauptkomponente bei typischer Hausmannskost oder eingebaut in Salaten und Sülzen der Sterne- und Spitzengastronomie. Dünn aufgeschnitten, geschnetzelt oder gewürfelt, die einzigartige Struktur und der unverwechselbare Geschmack sind es wert, Zunge auch in der gehobenen Küche zu verarbeiten.“ Auswahl gibt es genug: Enten-, Lamm-, Schweine-, Rinder oder Wagyu-zunge sind spannende Optionen für die kreative Küche.
Sternekoch und Innereien-Missionar Michael Kempf ist Küchenchef im Berliner Restaurant Facil und weist auf die sorgfältige Vor- und Zubereitung des sensiblen Produkts hin: „Langsames Garen ist aus meiner Sicht gerade bei der Zubereitung von Zungen unerlässlich. Grundsätzlich ist die Frische natürlich absolut wichtig. Man sollte vor allem aber auch den entsprechenden Lieferanten und Produzenten kennen.“
Während die Rinderzunge auf Speiseplänen deutlich verbreiteter ist und auch gerne als ganzes Fleischstück oder in Scheiben, etwa beim japanischen Grillgericht Gytan, angerichtet wird, findet man interessanterweise die Schweinezunge zumindest hierzulande vorwiegend zu Wurst verarbeitet wieder. Denn gegenüber der Zunge von Rind, Lamm oder Kalb gilt sie als minderwertig.
Doch ganz egal von welchem Tier, Sternekoch Otto Koch weist darauf hin, dass dieses Stück Fleisch ganz besondere Aufmerksamkeit benötigt: „Man beschäftigt sich mit Zunge definitiv länger und intensiver, bevor sie gegessen werden kann. Das ist es aber, was sie ausmacht, wenn sie butterzart auf die Geschmacks-knospen trifft.“ Gesund ist Zunge sowieso, denn sie ist ein fettarmer, nährstoffreicher Eiweißlieferant. Ein Highlight, das für Otto Koch auf seiner Karte nicht fehlen darf: „Wir bieten Zunge zur Wahl an, weil ich natürlich weiß, dass so etwas nicht jedermanns Sache ist. Aber diejenigen die sie gerne essen, sind immer happy.“
Lecker schmecker
1 Pökeln
Soll die Zunge schön rot werden, muss Nitritpökelsalz verwendet werden. Mit einer Lake aus Meersalz entsteht dieses Rot nicht. Faustregel: drei Esslöffel Pökelsalz auf einen Liter Wasser. Dann acht Tage lang mit individueller Gewürzmischung pökeln.
2 Sous-vide-Garen
Sternekoch Michael Kempf gart etwa Lammzunge bei 80 Grad Celsius 12 Stunden lang im Wasserbad im Vakuumbeutel konfiert mit Schwarzkümmel, Zitrone, frischem Koriander, Rosmarin, Thymian, Knoblauch und Olivenöl.
3 Kochen
Die Zunge ist gar, wenn sie weich ist und sich die Knochen an der Zungenwurzel vom Fleisch zu lösen beginnen. Kleinere Zungen kann man auch blanchieren. Dadurch bekommen sie eine hellere Farbe und können anschließend geschmort werden.
4 Braten
Die fetten und etwas lose anhängenden Teile der Zunge abschneiden und die Zunge einige Stunden wässern. Danach unbedingt sehr langsam und auf kleiner Hitze garen, da sie sonst bitter werden kann.
5 Räuchern
Zunge mit Gewürzen nach Geschmack 35 Minuten im Schnellkochtopf kochen, kalt abschrecken, die Haut abziehen und 12 Stunden trocknen. Danach vier Stunden lang bei 60 Grad Celsius über Buchenholz räuchern.
6 Verwursten
Es handelt sich dabei um Blutwurst, die bei Zugabe von Zungenfleisch Zungenwurst heißen darf. Die Wurst besteht aus gewürztem Blut, Speck und Schwarte vom Schwein. Dazu kommen oft Gelatine, Zwiebeln oder Grütze.
Gerald Zogbaum
Sternekoch Gerald Zogbaum führt seit 2004 gemeinsam mit Lebensgefährtin Angela Gnade das Restaurant Küchenwerkstatt in Hamburg und ist großer Verfechter der gesamten Verwertung von Tieren. Der experimentierfreudige Spitzenkoch über Garzeiten, Gästeakzeptanz und Variationsmöglichkeiten.
www.kuechenwerkstatt-hamburg.de
Auf was sollte man bei der Zubereitung von
Zungen ganz besonders achten?
Gerald Zogbaum: Zungen eignen sich aufgrund ihres hohen Bindegewebeanteils sehr gut zum Garen bei niedrigen Temperaturen, zum Beispiel Confieren oder Sous-vide-Garen. Außerdem ist es ratsam, die Zungen vorher nass zu pökeln oder Entenzungen mit Meersalz gewürzt zwei Stunden ziehen zu lassen. Das Ergebnis ist etwas zarter und vor allem vermeidet man die Graufärbung des Fleisches.
Kocht man Entenzungen ähnlich wie Rinder-
oder Schweinezungen?
Zogbaum: Das Verfahren bleibt das gleiche. Nur Zeit und Temperatur ändern sich. Allerdings haben Entenzungen einen stabilisierenden Knorpel in der Zunge, der nach dem Garen leicht herauszuziehen ist.
Wie unterscheidet sich der Geschmack von Entenzungen von dem der größeren Vertreter?
Zogbaum: Zungen sind sehr vielseitig einsetzbar. Ob nun als Salat mariniert, nach der Garung über Holzkohle gegrillt in mediterranen Gerichten, als Einlage in Saucen oder als Einlage in klassischen Pasteten: Alles ist möglich!
Und wie ist die Akzeptanz der Gäste: Reagieren sie eher neugierig oder doch skeptisch?
Zogbaum: Ehrlich gesagt: beides. Es gibt natürlich Kunden, die einer Zunge anfangs großes Misstrauen entgegenbringen. Oft zeigen sich Gäste aber auch unglaublich überrascht und begeistert, wie wunderbar
zart das Fleisch ist.