Die Wahrheit über Austern
In meinem Alltag spielt die Auster eine nicht unwesentliche Rolle. Sowohl privat als auch geschäftlich. Privat nicht zuletzt deshalb, weil einer meiner engsten Freunde, Rüdiger Meyer, über viele Jahre der Chef des Austernmeyer-Restaurants auf Sylt war. Dort wurden die berühmten „Sylt Royal Austern“ nicht nur geklärt, sondern auch tagfrisch in vielen Variationen zubereitet und serviert. Geschäftlich bin ich seit vielen Jahren auf der Suche nach der perfekten Auster und dem Geheimnis, das sie umgibt.Bevor ich ins Detail gehe, möchte ich erst einmal mit einem alten Ammenmärchen, genannt Eiweißallergie, aufräumen. Bei vielen Führungen durch unsere Firma und deren Lagerräume machen wir uns einen Spaß daraus, in den verschiedenen Abteilungen des Lagers kleine Probierstationen aufzubauen. So, dass man im Schokolager einige handgeschöpfte Schokoladen, in der Weinabteilung einen Champagner, im Schinkenlager einen Schinken und im Frischelager eine Auster probieren kann. Da die Leute, die uns besuchen, in der Regel kulinarisch interessiert sind, machen ihnen die Verkostungen sehr viel Spaß – bis wir zu den Austern kommen. Dort teilt sich der Besuch in drei Gruppen auf. Im Schnitt sind von zehn Besuchern zwei Austernfreunde, die sich sofort über die dargereichten Austern hermachen. Vier weitere halten nicht viel von Austern oder finden sie sogar ekelhaft. Die letzten vier haben eine Eiweißallergie oder -unverträglichkeit. Sie können zwar Fisch, Fleisch und Eier essen, aber…
In meinem Alltag spielt die Auster eine nicht unwesentliche Rolle. Sowohl privat als auch geschäftlich. Privat nicht zuletzt deshalb, weil einer meiner engsten Freunde, Rüdiger Meyer, über viele Jahre der Chef des Austernmeyer-Restaurants auf Sylt war. Dort wurden die berühmten „Sylt Royal Austern“ nicht nur geklärt, sondern auch tagfrisch in vielen Variationen zubereitet und serviert. Geschäftlich bin ich seit vielen Jahren auf der Suche nach der perfekten Auster und dem Geheimnis, das sie umgibt.
Bevor ich ins Detail gehe, möchte ich erst einmal mit einem alten Ammenmärchen, genannt Eiweißallergie, aufräumen. Bei vielen Führungen durch unsere Firma und deren Lagerräume machen wir uns einen Spaß daraus, in den verschiedenen Abteilungen des Lagers kleine Probierstationen aufzubauen. So, dass man im Schokolager einige handgeschöpfte Schokoladen, in der Weinabteilung einen Champagner, im Schinkenlager einen Schinken und im Frischelager eine Auster probieren kann.
Da die Leute, die uns besuchen, in der Regel kulinarisch interessiert sind, machen ihnen die Verkostungen sehr viel Spaß – bis wir zu den Austern kommen. Dort teilt sich der Besuch in drei Gruppen auf. Im Schnitt sind von zehn Besuchern zwei Austernfreunde, die sich sofort über die dargereichten Austern hermachen. Vier weitere halten nicht viel von Austern oder finden sie sogar ekelhaft. Die letzten vier haben eine Eiweißallergie oder -unverträglichkeit. Sie können zwar Fisch, Fleisch und Eier essen, aber gegen das Eiweiß der Auster sind sie allergisch.
Da meine Besucher wie gesagt kulinarisch interessiert sind, hat fast jeder irgendwann und irgendwo schon einmal eine Auster probiert und es stimmt genau, was sie sagen. Zwei hatten das Glück, als erste Auster in ihrem Leben eine sehr gute Auster in passendem Ambiente probieren zu dürfen. Sie wissen daher, wie geil eine Auster schmecken kann. Was danach kam, reichte oft nicht an die erste Auster heran. Das Schlüsselerlebnis ist jedoch so stark, dass über spätere Unzulänglichkeiten anderer Austern hinweggesehen wurde. Man bleibt quasi „auf der Jagd“ nach der ersten Auster. Vier weitere Besucher haben als erste Auster eine rotzige und salzige Schleimauster probieren müssen und diese kaum runtergebracht oder gar ausgespuckt.
Vier weiteren Besuchern ist nach dem „Genuss“ der ersten Auster wirklich schlecht geworden und das wurde mit der saloppen Diagnose Eiweißallergie abgetan. Hat aber nix damit zu tun. Was in Wirklichkeit passiert war, ist Folgendes: Die beiden Austernfreunde haben vermutlich in einem Austern produzierenden Land an der Küste in der richtigen Jahreszeit eine Auster von hoher Qualität probiert. Ein Geschmackserlebnis, das seinesgleichen sucht und kaum sonst wo zu finden ist. Die zweite Gruppe hat ihre erste Auster meist in Deutschland oder Österreich oder in einer Touristenfalle probiert. In allen drei Fällen werden Sie wirklich gute Austern wahrscheinlich vergeblich suchen. Die dritte Gruppe ist vermutlich Opfer eines zu sparsamen Küchenchefs oder der falschen Jahreszeit gewesen. Die Sache mit den sparsamen Küchenchefs möchte ich hier erläutern und gleichzeitig anprangern, da sie mir und meiner Frau schon dreimal passiert ist. Hierzu muss man wissen, dass Austern von hoher Qualität nach dem Ernten wesentlich länger im Kühlhaus gelagert werden können als Austern von minderer Qualität.
Das liegt daran, dass qualitativ hochwertige Austern zu Lebzeiten oft und regelmäßig vom Wasser ins Trockene verlagert werden. Dieses aufwändige Training dient dazu, das Austernfleisch und den Schließmuskel, der die beiden Austernschalenhälften zusammenhält, zu kräftigen. Stark trainierte Austern können so ihre Schalen bis zu zwei Wochen geschlossen halten, schlecht trainierte Austern machen dagegen bereits nach fünf bis sieben Tagen schlapp und sterben.
Diese sind auch die Austern, die sich ekelig „rotzig“ im Mund anfühlen und dafür sorgen, dass man sich beim Probieren schütteln muss. Jetzt kommt die Sache mit dem sparsamen Küchenchef. Eine Topauster ist etwa doppelt so teuer wie eine Mistauster. Da in Deutschland wie in Österreich jedoch keine Austernkultur zu verzeichnen ist und viele Küchenchefs sogar selbst keine Austern essen, kaufen sie diesen Artikel nicht wegen dessen Qualität, sondern über den Preis ein – fataler Fehler Nummer eins. Jetzt sind diese Mistaustern auch noch in kürzester Zeit vergammelt. Kaum hat man sie gekauft, sterben sie wie die Fliegen. Um sie nicht wegschmeißen zu müssen, werden diese Schmerzpatienten auf skurrilste Art und Weise in die Tageskarte oder ins Menü eingebaut – fataler Fehler Nummer zwei.
Ich möchte hier mal die drei Fälle aufzählen, die ich selbst erlebt habe. Fall 1: In einem Restaurant in Düsseldorf gab es im Menü einer Veranstaltung eine Austernterrine. Die war so knapp am Rande der Körperverletzung, dass fast die ganze Gesellschaft das restliche Menü mit grüner Gesichtsfarbe zu sich nahm. Bis auf die, die keine Austernterrine gegessen haben.
Fall 2: Hochzeitstagessen in Lyon. Der Koch servierte im Überraschungsmenü eine kalte Austernsuppe. Mir war danach ein wenig übel. Aber ich bin ein großer, robuster Kerl. Meiner Frau hingegen war es hundeelend. Sie ist klein und zierlich und hatte der Austernsuppe nur wenig entgegenzusetzen. Nach einer Stunde ging es wieder und wir konnten weiteressen. Jedoch ohne richtiges Vergnügen.
Fall 3: Wieder ein Hochzeitstagessen mit meiner Frau. Diesmal in Hasselt, Belgien. Auf dem Vorspeisenteller – gemischte Meeresfrüchte – waren unter anderem drei ausgelöste, rohe Austern, leicht mariniert. Da meine Frau tapfer ist und die Sache in Lyon zu den Akten gelegt hatte, aß sie die drei Austern. Damit war unser Hochzeitstagessen bereits mit der Vorspeise beendet. Ich brachte meine Frau ins Zimmer und schaute mir die belgische Sportschau im Fernsehen an, während meine Gattin auf der Toilette den Rest des Abends mit dem großen, weißen Telefon telefonierte. Von da an war meiner Frau klar, dass sie eine „Eiweißallergie“ hat und mied in den nächsten Jahren alles, was irgendwie mit Austern und Muscheln zu tun hat. Umso erstaunlicher ist es, wenn Sie meine Gattin heute beobachten würden, wie sie manchmal abends vor dem Zubettgehen noch 15 bis 20 Austern knackt und vertilgt, sofern ich eine Kiste mit guten Austern mit heimgebracht habe. Kommen wir jetzt zum Knackpunkt dieser Geschichte.
Es gibt also Austern, die länger trainiert werden als andere Austern und deshalb länger halten, ein kräftigeres Fleisch und einen stärkeren Muskel haben. Haben diese Austern noch andere Vorteile und vor allem, wie kann man sie erkennen und finden? Ja, sie haben noch andere Vorteile, sie sind oft nicht so salzig. Das liegt an dem Wörtchen „Claire“ in ihrem Namen, denn „Claire“ bedeutet, dass diese Austern mehrfach in Klärbecken von Sand und einem Übermaß an Salz befreit werden. Sie alle haben doch sicher schon einmal die Bezeichnung „Fines de Claire“ gehört, nicht wahr? Haben Sie auch schon einmal die Bezeichnung „Speziales de Claire“ gehört? Nein? Sehen Sie, genau hier liegt der Hase im Pfeffer. „Speziales“ sind wesentlich aufwändiger zu hältern und zu trainieren als „Fines“ und deshalb teurer. Trotzdem werden bei uns fast nur „Fines“ angeboten. Hinzu kommt, dass „Speziales de Claire“ das positive Ende der gesetzlichen Bestimmungen repräsentieren, es jedoch einige Austernproduzenten gibt, die noch mehr zur Qualitätssteigerung der Austern tun als zum Erreichen der höchsten Qualitätsstufe nötig ist. Diese hängen der Bezeichnung „Speziales“ noch ihren eigenen Namen an, um zu belegen, dass allein die Bezeichnung „Speziales de Claire“ ihrem Aufwand nicht gerecht wird.
Das bekannteste Beispiel ist die „Speziales Gillardeau“, womit wir zum Anfang der Geschichte zurückkehren. Ich sagte, dass ich schon lange auf der Suche nach der perfekten Auster bin. Meine Suche begann vor ungefähr 15 Jahren an dem Tag, als mich der Sylter Austernzüchter Dittmayer zu einem Ausflug auf die Austernfelder im Sylter Wattenmeer einlud. Er erklärte mir dort, dass das Training bei der Sylter Auster größtenteils von Ebbe und Flut übernommen wird. Wir hatten an diesem Tag auch meinen Freund Rüdiger Meyer, den Chef des Austernmeyer-Restaurants, bei uns. Der ist nicht nur ein großer Austernfachmann, sondern auch einer der schnellsten Austernöffner Deutschlands.
Wir hatten geplant, Austern direkt auf dem Wasser zu ernten, zu öffnen und zu probieren, frei nach dem Motto: „Frischer geht’s nicht.“ Die Austern waren wirklich sehr frisch, jedoch auch ein wenig sandig und recht salzig. Nach etwa zehn normalen Austern hielt mir Rüdiger eine hin und sagte: „Die musst du probieren, die ist perfekt, wie eine leicht angekochte Miesmuschel.“ Genau so war es. Sie war fest und muskulös. Nicht so weich wie die anderen. Die jetzt noch vom Sand befreit und etwas weniger salzig, das wäre die perfekte Auster. Es dauerte noch fast fünf Jahre, bis ich sie im Marenne-Becken vor der Insel Iles de Orlean gefunden hatte.
Es ist die besagte „Speziale Gillardeau“ und es ist die Auster, für die meine Frau nachts aufsteht. Und wenn ich bei meinen Führungen durchs Frischelager einen der acht Nichtaustern esser zum Probieren überreden kann, ist es auch diese Auster, die ihn zum Austernfreund konvertieren lässt. Sie ist genau so wie beschrieben. Sie hat die Konsistenz einer leicht angekochten Miesmuschel, ist natürlich sandfrei und durch konsequentes Klären fast schon süßlich. Hinzu kommt ein leichter, frischer Gurkengeschmack, der nur dieser Auster eigen ist. Die „Gillardeau“ gehört zur Familie der pazifischen Felsenauster. Das sind die langen, tiefen Austern, die fast immer in den Kisten sind, die aus Frankreich kommen. Für den rohen Verzehr sollte man die Größe M4 wählen, da diese genau einen Happs oder einen Bissen ergeben. Für die warme Verarbeitung empfehle ich die etwas größeren M2, da durch das Erwärmen ein Teil der Flüssigkeit verloren geht. Ich selbst habe mich auf dem Weg bis zur „Gillardeau“ durch so ziemlich alles gegessen, was irgendwie den Namen Auster trug. So auch durch die Edelsorten „Belon“ und „Imperial“, die in ihren flachen Gehäusen lange Zeit als das Maß aller Dinge galten. Geschmacklich kommen sie ihrem Ruf jedoch nicht nach. So ist es auch kein Wunder, dass in den Küchen fast aller 3-Sterne-Restaurants die „Gillardeau“ die „Belon“ verdrängt hat.