Ein Kavier-Krimi: Die Rogendealer

Korruption, Schmuggel, Fälschungen: Über falsche Weisheiten, die sich bis heute um das schwarze Gold ranken, und dunkle Machenschaften, die der Dekadenz am Ego kratzen.
Feber 8, 2016 | Text: Kathrin Löffel | Fotos: Shutterstock

Die Kaviar-Mafia am Kaspischen Meer

Im Rausch

Mit Kaviar ist es wie mit Drogen: Die Qualität schwankt, die Betrüger sind einfallsreich und die Endverkäufer vernebelt, der Preis sagt nichts über die Qualität aus, die Inhaltsstoffe sind unklar, man muss seinem Dealer vertrauen, die Rückverfolgbarkeit ist schwierig und grundsätzlich wollen alle, die von der Produktion bis zum Verkauf beteiligt sind, möglichst viel Geld in die eigene Tasche stecken. Wenn man allerdings eine richtig gute Charge erwischt hat, macht der Kaviarrausch genauso high wie das Zeug, das dir der dubiose Dealer mit violetter Trainingsjacke und Vokuhila 1995 im Mädchenklo vertickte…

Die Kaviar-Mafia am Kaspischen Meer

Im Rausch

Mit Kaviar ist es wie mit Drogen: Die Qualität schwankt, die Betrüger sind einfallsreich und die Endverkäufer vernebelt, der Preis sagt nichts über die Qualität aus, die Inhaltsstoffe sind unklar, man muss seinem Dealer vertrauen, die Rückverfolgbarkeit ist schwierig und grundsätzlich wollen alle, die von der Produktion bis zum Verkauf beteiligt sind, möglichst viel Geld in die eigene Tasche stecken.
Wenn man allerdings eine richtig gute Charge erwischt hat, macht der Kaviarrausch genauso high wie das Zeug, das dir der dubiose Dealer mit violetter Trainingsjacke und Vokuhila 1995 im Mädchenklo vertickte. Aber auch der wollte nicht nur dein Bestes.
Ungefähr zur gleichen Zeit schmeckte der Kaviar von wild gefangenem Stör noch wirklich gut. Womit die Aufklärung von Vermutung Nr. 1 rund um das schwarze Gold ihre Anfänge findet.

Vermutung Nr. 1

„Kaviar aus Aquakultur schmeckt nicht.“ Das ist wohl das festgefahrenste und auch beste Vorurteil, das illegalen Wildfischern passieren kann. Solange es Menschen gibt, die glauben, dass Kaviar von wild gefangenen Stören am besten schmeckt, wird der Wildfang nicht aufhören. Außer vielleicht, weil es keine Störe mehr in der freien Wildbahn gibt. Das ist nämlich auch der Grund, warum das Ganze verboten wurde.
„Warum Menschen noch Kaviar aus Wildfang bevorzugen? Weil sie glauben, dass die Bezeichnung Wild ein Qualitätsmerkmal sei“, sucht Frank Böhmer, Artenschutz-Spezialist des Bundesamtes für Naturschutz, Antworten auf die Frage der Standfestigkeit des Mythos. „Da aber die Bestände in den 90er-Jahren so dramatisch zurückgegangen sind, wurden viele der bedrohnten Störe 1998 in das Washingtoner Artenschutzübereinkommen mit aufgenommen.“
Böhmer kümmert sich im Bundesamt um die Deklarierung des Kaviars, der aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland kommt oder in diese exportiert wird. 

Kaviar aus Aquakulturen hat einen schlechteren Ruf als er verdient.
Ralf Bos über die Qualität des schwarzen Goldes

Jede Dose Kaviar muss seit 1998 mit dem CITES-Etikett gekennzeichnet sein. CITES heißt übersetzt: Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen. CITES regelt die festgelegten Exportquoten.
Importe und Exporte dürfen nur mit behördlicher Genehmigung erfolgen. Diese kontrolliert Böhmer. Bei Kaviar bedeutet das, dass die Störart, der Schlachttermin und das Produktionsland im CITES-Etikett codiert werden. Damit kann jeder Verbraucher nachvollziehen, welcher Kaviar in der Dose steckt. 
Im Washingtoner Artenschutz-übereinkommen ist auch der Beluga-Stör enthalten, dessen Rogen als eine besondere Delikatesse gilt. Der Beluga, der zu den größten zählt und bis zu einer Tonne wiegen kann, wurde sehr stark überfischt.
Das liegt besonders an seiner Größe: Man kann davon ausgehen, dass rund zehn Prozent des Gewichts an Kaviar im Fisch auf Feinschmecker wartet. Bei eine Tonne Gewicht sind das dann sage und schreibe 100 Kilogramm (!) Fischeier. Allerdings ist es schon ein besonderer Coup gewesen, einen Fisch in der Größe zu fangen. Die meisten weiblichen Fische, die bereits Rogen tragen, sind zwischen 200 und 500 Kilogramm schwer. Immer noch beeindruckend.
Dass die Störe unter Artenschutz gestellt wurden, liegt auch an der späten Geschlechtsreife. Beluga-Störe sind erst mit rund 20 Jahren fähig, Kaviar zu bilden. Das heißt, die Familienplanung ist sehr langwierig. Außerdem werden die Fische für die Kaviarentnahme geschlachtet. Nachdem die Beluga-Störe also besonders gerne gefischt wurden, weil sie Tausende Euro in ihrem Bauch tragen und die Schwierigkeit des Nachwuchses dazukam, sanken die Wildbestände in den 90er-Jahren rapide.
„Es wird geschätzt, dass die Bestände im Kaspischen Meer, wo die Tiere ihren Lebensraum finden, um über 90 Prozent zurückgegangen sind“, erklärt Jutta Jahrl, Artenschutzexpertin des WWF, die dramatischen Umstände. Zurück zu Vermutung Nr. 1: „Kaviar aus Aquakultur schmeckt nicht.“ Seit 1998 hat sich viel getan. Die ersten Bauern hatten ganz einfach keine Ahnung, wie die perfekte Aufzucht aussehen soll. „Heute haben die Aquakulturbauern über 15 Jahre Erfahrung und schon eine bis zwei Generationen Störe herangezogen“, erklärt Delikatessenhändler Ralf Bos. „Die Preise sind so gut wie vor 25 Jahren und der Geschmack so genial wie seit 20 Jahren nicht mehr.“
Er spricht von Kaviar aus Aquakultur und kann aufgrund seiner Erfahrungen sagen: „Wenn die Tiere Müll fressen, ist damit der Kaviar auch Müll“ – und bezieht er sich auf Tiere aus dem Kaspischen Meer. In den 90er-Jahren nahmen es die anliegenden Staaten wie Russland, Turkmenistan, Iran und Co. nicht so ganz genau mit dem Naturschutz und kippten ihren Müll ins Meer. Außerdem kamen mit Erdölbohrungen im Meer die Verschmutzung und Gefahr für die Störpopulation hinzu.

Vermutung Nr. 2

„Die Wildfischer fangen aus Geldgier.“ Sicherlich mag das auf den einen oder anderen zutreffen. Grundsätzlich tun es die meisten Fischer um das Kaspische Meer herum nicht aus dem Grund, Millionen scheffeln zu wollen. Viele Dörfer haben jahrzehntelang ihre Einnahmequelle im Kaviar gesehen.
Als die Fangzahlen zurückgingen und das Fangverbot eintrat, fehlte ihnen die Lebensgrundlage. Sie fangen nur, um ihre Existenz zu sichern, und sind das schwächste Glied in der Wildkaviar-Verkaufskette. Diese ist leider sehr undurchsichtig.
In den meisten Fällen hängen Tanten, Onkel, Cousinen, Opas und Stiefmütter mit in der langen Kette, um das Risiko auf mehrere Köpfe zu verteilen. Außerdem gibt es immer wieder Berichte, dass auch die Kontrollorgane mit am wild gefangenen Kaviar verdienen. 

Vermutung Nr. 3

„Der Kaviar von Beluga-Stören ist der beste.“ Wie das mit Geschmäcken so ist: Darüber lässt sich streiten.
Beluga-Kaviar ist sehr groß – entsprechend den Muttertieren. „Kaviar muss ein ausgewogenes Verhältnis von Schale zu Inhalt aufweisen. Da ist der Beluga-Kaviar fast schon ein bisschen zu groß“, erklärt Bos. „Deshalb finde ich Hybrid-Störarten sehr interessant. Beispielsweise schmeckt der kleine Sterlet-Kaviar der Art Sevruga sehr würzig. Der Beluga-Kaviar ist neutraler, aber größer.“
Durch die Zucht entsteht ein Kaviar mit dem perfekten Durchmesser von zwei bis drei Millimetern und der perfekten Würze. Allerdings kommt es immer darauf an, was man mit dem Kaviar vorhat. Bos: „Soll er pur gegessen werden, ist ein neutralerer ansprechender. Soll er in einem Rezept verarbeitet werden, muss er würzig sein, um gegenüber den anderen Komponenten zu bestehen.“
Die Zuchtformen entstehen in Aquakulturen und werden durch Selektion zur Perfektion getrieben. Noch ein Punkt für die Anbauform gegenüber Wildkaviar.
Ein Kavier-Krimi

Vermutung Nr. 4

Die Russen sind die einzig wahren Kaviarproduzenten.“ Nein. Wie schon erwähnt, leben im Kaspischen Meer viele Störe. Russland liegt an ebendiesem. Es ist aber nicht das einzige Land, das sich am Kaviar bereichert hat.
Am Kaspischen Meer haben sich besonders die Iraner als ausgezeichnete Kaviarproduzenten hervorgetan. „Wir verkaufen Kaviar, der von einem iranischen Kaviarmeister nach persischer Tradition in einer modernen Störzuchtanlage in China produziert wird. Die Farm verfügt über einen bis zu 45 Meter tiefen See. Bei den Iranern kann man sich auf sehr gute Qualität verlassen“, erläutert der Feinkosthändler Bos die Situation.
Aber auch in deutschen Aquakulturen wachsen die Erfahrung und die Qualität. Natürlich gibt es auch immer noch Züchter, die keine gute Ware herstellen. Außerdem gibt es viele andere Regionen, die ebenfalls wilde Störe aufweisen. In Bulgarien und Rumänien gibt es noch wild lebende Beluga-Störe in der Donau oder im Schwarzen Meer. Aber auch diese unterliegen dem strengen Fangverbot. 

Willst du dich nicht strafbar machen, kauf nur mit CITES-Code. Ganz einfach.
Jutta Jahrl über die Gefahren beim Kaviar-Kauf

In Rumänien wurden 1940 noch 1144 Tonnen verschiedener Störarten gefangen, 1995 waren es nur noch acht Tonnen. Verständlich also, das Fangverbot. Trotzdem werden immer wieder wild gefangenes Stör-fleisch und -kaviar konfisziert.
Ausgestattet mit Sonarmessgeräten suchen Fischer die Tiere in der Donau. „Man vermutet, dass die Dunkelziffern für Wildfang sehr hoch sind. Festlegen kann man sich aber nicht“, sagt WWF-Kaviar-Expertin Jutta Jahrl. „In einer Studie gibt es sogar Hinweise darauf, dass die Kontrollen in Rumänien und Bulgarien nicht ausreichen. Schockierenderweise wurde kein einziger Fall von 2000 bis 2009 in den beiden Ländern dokumentiert, obwohl in anderen EU-Ländern 14 Fälle im Zusammenhang mit Fisch und Kaviar aus Bulgarien und Rumänien in Verbindung stehen.“
Da liegt die Vermutung nahe, dass nicht nur die Fischer profitieren, sondern auch der Staat inkludiert ist. Jahrl machte sich 2011 und 2012 auf die Spur der fünften Vermutung, deren Aufklärung die Glaubwürdigkeit der Etiketten infrage stellt.

Vermutung Nr. 5

„Wo Kaviar draufsteht, ist auch Kaviar drin.“ Jahrl ist genau diesem Mythos auf die Schliche gekommen. Es wurden 27 Kaviardosen gekauft und analysiert.
Die Forscher des WWF Austria und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung untersuchten die Inhalte im Labor. Eigentlich müssen alle Kaviargläser und -dosen durch den CITES-Code gekennzeichnet sein. 

Lass dir nix an der Tür aufschwatzen. Nur Händler, die ihre Ware nicht loswerden, putzen Klinken. 
Ralf Bos über vermeintliche Sonderangebote

In sieben Fällen wurde der Kaviar jedoch illegal ohne Etikett von Straßenverkäufern oder in Geschäften verkauft. Unter den etikettierten Dosen stimmten nur zehn Proben mit der angegebenen Störart überein.
Vier Proben enthielten Kaviar von einer anderen oder mehreren, nicht auf dem Etikett genannten Störarten. Bei einer wurde sogar eine billigere Störart als eine teurere verkauft. Da kommt ein Delikatessenfreund schon mal ins Grübeln. Noch unfassbarer ist aber, dass sechs Proben gefälscht waren. Drei der Fälschungen enthielten überhaupt keine tierische DNA und wurden wohl gänzlich künstlich erzeugt. Vermutlich aus Algen.
Eine Probe stammte vom Seehasen, dessen Eier allgemein als Kaviarersatz verkauft werden. Die anderen beiden Fälschungen sind höchstwahrscheinlich aus Störfleisch hergestellt worden.
Ganz schön schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass 100 Gramm schon einmal für über 600 Euro verkauft werden. Delikatessenhändler Bos fügt hinzu: „Zwar gibt es eine Vorgabe, was im Code enthalten sein muss, aber diese Zertifikate und Dokumente können auch gefälscht werden. Da gibt es schon einmal einen Code für ein Kilogramm Kaviar und verkauft wird das Zehnfache unter dem gleichen Code.“
Jahrl bestätigt, dass die Fälschung möglich ist, aber grundsätzlich könne man sich schon darauf verlassen: „Wenn man Kaviar ganz ohne Etikett kauft, ist die Gefahr groß, dass illegal gefangene oder gefälschte Ware drin ist.“ 

Vermutung Nr. 6

„Ein hoher Preis ist ein Zeichen für gute Qualität.“ Nur wer kostet, kennt die Qualität.
Grundsätzlich läuft es mit Luxusartikeln so ab: Alles, was rar und gut ist, bekommt irgendwann einen Boom und wird teuer verkauft. Bei Kaviar aus Aquakulturen werden die Kosten der Herstellung auf das Produkt umgerechnet. Die Produktion kann schon einmal 15 Jahre dauern, da die Tiere sehr lange brauchen, um geschlechtsreif zu werden. Der hohe Preis wird also verständlich.
Trotzdem gibt es Unterschiede, die teilweise mit dem Produktionsort und der Störart zusammenhängen. Bos fügt hinzu: „Verkäufern, die von Tür zu Tür rennen, sollte man nicht glauben. Außerdem muss man Ware testen. Da viele junge Küchenchefs einfach nie oder selten Kaviar genutzt haben, da die Qualität in den letzten 20 Jahren so schlecht war, wissen viele nicht, was gute und schlechte Ware ist.“ 
Wer sich also auf gute Ware verlassen will, muss probieren. Eben ganz genauso wie damals auf dem Schulklo.

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