Hanni Rützlers Foodreport 2019: Wie entstehen Foodtrends?
Jahresanfänge warten verlässlich mit einem vermeintlichen Foodtrend nach dem anderen auf. Von Käsetee über THC-Food wird regelmäßig von irgendwem irgendwo irgendwas als die neue kulinarische Heilsbotschaft angepriesen – um nach kurzer Zeit wieder in der ewigen Versenkung zu verschwinden. Foodtrends können also gehörig nerven.
Dabei gehören sie zu den interessantesten und aufschlussreichsten Phänomenen, die nicht nur, aber auch in der Branche der Gastronomie analysiert werden können. Nur: Man muss es eben richtig machen. Das heißt: weg vom boulevardesken Blick in die Glaskugel, hin zum ernsten Hinter- und Befragen, wie und warum sich Ernährungsgewohnheiten von Menschen in welche Richtung verändern.
Der Zufall will es, dass ausgerechnet der deutschsprachige Raum über eine Koryphäe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von Foodtrends verfügt: Hanni Rützler. Die Foodtrenforscherin ist zweifelsohne eine der angesehensten ihres Faches. Als Gründerin des futurefoodstudio in Wien ist sie auch Autorin des jährlich erscheinenden Foodreports, der vom Zukunftsinstitut herausgegeben wird. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Rützler nicht zuletzt durch ihre öffentliche Verkostung eines aus Stammzellen geklonten Burgers – als erster Mensch überhaupt, versteht sich.
Doch wir preschen bei diesem zukunftsträchtigen Thema bezeichnenderweise etwas überschnell vor. Denn um zu verstehen, wie Foodtrends entstehen, muss zuallererst einmal die Frage beantwortet werden, was ein Foodtrend genau ist.
Jahresanfänge warten verlässlich mit einem vermeintlichen Foodtrend nach dem anderen auf. Von Käsetee über THC-Food wird regelmäßig von irgendwem irgendwo irgendwas als die neue kulinarische Heilsbotschaft angepriesen – um nach kurzer Zeit wieder in der ewigen Versenkung zu verschwinden. Foodtrends können also gehörig nerven. Dabei gehören sie zu den interessantesten und aufschlussreichsten Phänomenen, die nicht nur, aber auch in der Branche der Gastronomie analysiert werden können. Nur: Man muss es eben richtig machen. Das heißt: weg vom boulevardesken Blick in die Glaskugel, hin zum ernsten Hinter- und Befragen, wie und warum sich Ernährungsgewohnheiten von Menschen in welche Richtung verändern.
Eine der besten ihres Faches
Der Zufall will es, dass ausgerechnet der deutschsprachige Raum über eine Koryphäe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von Foodtrends verfügt: Hanni Rützler. Die Foodtrenforscherin ist zweifelsohne eine der angesehensten ihres Faches. Als Gründerin des futurefoodstudio in Wien ist sie auch Autorin des jährlich erscheinenden Foodreports, der vom Zukunftsinstitut herausgegeben wird.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Rützler nicht zuletzt durch ihre öffentliche Verkostung eines aus Stammzellen geklonten Burgers – als erster Mensch überhaupt, versteht sich. Doch wir preschen bei diesem zukunftsträchtigen Thema bezeichnenderweise etwas überschnell vor. Denn um zu verstehen, wie Foodtrends entstehen, muss zuallererst einmal die Frage beantwortet werden, was ein Foodtrend genau ist.
Ein Trend ist mehr als eine gehypte Zutat oder ein Produkt, das in den sozialen Netzwerken eine Saison lang die Frühstücksfotos dominiert.
Produkttrends interessieren mich nicht.
Hanni Rützler über ihr Verständnis von Foodtrends
Du bist, was du isst
„Produkttrends interessieren mich nicht“, sagt Hanni Rützler, „die wechseln ja zum Teil saisonal, manchmal sogar noch schneller. Mich interessiert mehr der Wandel der Konsumtrends, und Foodtrends sind für mich eben dann spannende Entwicklungen, wenn sie Antworten auf aktuelle Probleme, Sehnsüchte und Wünsche beinhalten. Es muss wirklich von der Substanz her ein Wandel sichtbar werden, und zwar ein lösungsorientierter Wandel.“ Dabei ist es nicht selten so, dass ein Trend zuallererst von einer kleinen Gruppe ausgeht – ob nun von kulinarisch engagierten Eliten oder wirtschaftlich interessierten Unternehmern, die Foodtrends als Marktlückenfüller mehrheitsfähig zu machen versuchen.
Essen ist das neue Pop.
Aus Hanni Rützlers Food-Report 2016
Doch ein Trend ist mehr als eine gehypte Zutat oder ein Produkt, das in den sozialen Netzwerken eine Saison lang die Frühstücksfotos dominiert. Ein Foodtrend, so könnte man sagen, spiegelt weit mehr wider, als nur das, was Menschen vermehrt essen oder in Zukunft zu essen gedenken. Er ist nicht zuletzt auch Ausdruck von gesellschaftlichen Entwicklungen, die einen erheblichen Einfluss auf etwas zutiefst Persönliches, Privates, ja geradezu Intimes haben – nämlich das tägliche Essen. Aber ist Nahrung wirklich so persönlich, privat und intim? Heute lautet die Antwort eindeutig: Nein.
Denn Teil des wissenschaftlichen Verständnisses ernst zu nehmender Food- trend-Analysen ist der Grundsatz, dass Essen viel mehr ist als die intime Lebensmittelzuführung. Was wir essen, ist längst Ausdruck eines bestimmten Lebensstils geworden. Ernährung ist eine Art Reagenzglas unserer in vielen äußeren Zusammenhängen eingebetteten Persönlichkeit – kurz: „Essen ist das neue Pop.“
So steht es in Rützlers Food-Report aus dem Jahr 2016. Unser Essen ist mittlerweile ähnlich öffentlich und auf Sichtbarkeit bedacht wie unsere Kleidung. Kleider machen Leute, heißt es, und das kulinarische Pendant dieser modernen Binsenweisheit lautet nicht umsonst: Du bist, was du isst. Was auf den ersten Blick höchst vergnüglich, unterhaltsam und unverfänglich klingt, ist in Wahrheit die einzig messbare Basis dafür, kulinarische Systemwandel entdecken, nachvollziehen und letztlich auch voraussagen zu können.
15 minutes of fame reichen nicht
„Ich glaube, dass wir definitiv im Lebensmittelüberfluss gelandet sind, und dass seit den Millennials neue Generationen nachkommen, die lernen, anders mit dem Lebensmittelüberfluss umzugehen. Sie stellen viele Entwicklungen generell infrage – da geht’s auch um Ökologie, um Genuss, Geschmack und um gesundheitliche Aspekte, aber zunehmend vor allem um das große Thema der Nachhaltigkeit.“ Wie Foodtrends wissenschaftlich destilliert werden, wird mit diesem Statement Rützlers etwas greifbarer. Denn es geht hier nicht um einzelne Kräuter, Kerne, Gemüsearten oder Fruchtsorten, die ein paar Monate lang der Verkaufsknaller waren und nach ihren 15 minutes of fame aus den Supermarktregalen und von Konsumentengaumen verschwinden.
Es geht zuallererst um gesellschaftliche, in diesem Zusammenhang also übergeordnete Phänomene, die ihrerseits nicht nur Sehnsüchte, sondern auch Ideen, Geschäftsmodelle, Produkte und letztlich eben Trends hervorbringen. Dass diese übergeordneten Phänomene nicht alle in einem harmonischen Gleichklang stehen und mitnichten nur diesen oder jenen Produkthype hervorbringen, versteht sich von selbst. Einige Produkte – oder eben Trendprodukte – zeigen ganz klar auf, dass sich bestimmte Phänomene immer wieder in die Quere kommen.
Askese, Ade! Schmausen, Futtern und Fressen ersetzen endlich den leidigen Verzicht auf alles. So will es der „Healthy Hedonism“-Foodtrend.
Der lange Weg zum gesunden Genuss
Die Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit gehören beide zu den tragenden Säulen der konkreten Food-trends, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Doch was gesund ist, ist nicht automatisch nachhaltig und umgekehrt. Eine Momentaufnahme des Avocadohypes verdeutlicht das ganz klar: Entstand das Fieber um das grüne Gold, das von einem kleinen Kreis von Gesundheitsfanatikern entdeckt worden war, ursprünglich aufgrund seiner beeindruckenden Nährwerte (Prinzip Gesundheit), erwachen heute so manche völlig entsetzt aus ihrem fieberhaften Gemampfe, da immer klarer wird, wie umweltzerstörerisch der Massenkonsum der tropischen Frucht ist (Prinzip Nachhaltigkeit und Stichwort Regenwald).
Doch Avocados hin oder her, eines ist besonders auffällig: Die Entstehung von Foodtrends ist alles in allem „moralisch-ethisch motivierter geworden“, stellt Rützler fest. Mit dem Unterschied, der im diesjährigen Foodtrend-Report einen prominenten Platz einnimmt: „Healthy Hedonism“. Zu Deutsch also: „Gesunde Lebensfreude“. Kennzeichnend für diesen Trend ist die Verabschiedung vieler Konsumenten vom asketischen Verzicht, der lange als Gesundheitsgarant gelobhudelt wurde. Zentral dabei ist nicht nur die Einsicht, sondern auch die praktische Umsetzung, dass Gesundheit nicht notwendigerweise auf Kosten des Genusses (oder umgekehrt) gehen muss.
In Rützlers Foodreport 2019 heißt es prägnant: „Werden Gemüse und Gemüsegerichte als ,gesund‘ beworben, werden sie deutlich weniger gerne gegessen, als wenn sie mit kulinarisch anregenden Begriffen (,köstlicher buttergerösteter Süßmais’, ‚zitrusglasierte Karotten‘) offeriert und damit Gesundheit und Genuss auch sprachlich und gedanklich kurzgeschlossen werden.“
Pflanzen als Superstars
Der Healthy-Hedonism-Trend hängt eng mit einem weiteren Foodtrend zusammen, auf den Rützler in ihrem Bericht eingeht, nämlich dem sogenannten „Plant Based Food“-Trend. Denn auch diesem sind weniger der Verzicht und die Askese zu eigen als vielmehr eine genüssliche Lösungsorientiertheit. „Da geht’s um eine sehr breite kulinarische Aufwertung von pflanzlichen Nahrungsmitteln“, so Rützler.
„Ich habe da versucht, eine Trendevolution nachzuzeichnen, wie sich Veganismus – ein Thema, das uns doch seit fünf Jahren sehr intensiv beschäftigt, das medial ganz stark gerauscht und moralisch polarisiert hat – nun in Richtung Mainstream transformiert.“ Tatsächlich ist der Begriff Plant Based Food ohne jenen des Veganismus nur schwer zu verstehen.
Vegane Versöhnlichkeit!
Denn im Unterschied zum leidigen Kampfbegrfiff „vegan“ ist nicht nur die Bezeichnung Plant Based versöhnlicher, weniger radikal und entsagend – sondern auch das, wofür es stehen soll: „Plant Based, das ist genau genommen auch ein Gericht, bei dem Gemüse und Getreideprodukte die Hauptrolle spielen und Fisch und Fleisch höchstens die kleine, willkommene Beilage darstellen“, heißt es im Foodreport. Die militante Predigt radikalen Fleischverzichts ist also passé.
Denn es geht auch nicht mehr darum, durch industrielle Pflanzenerzeugnisse nichtvegetarische Produkte oder Gerichte zu imitieren. Sondern Gemüse, Kräuter, Hülsenfrüchte und Getreide selbst zu Stars zu machen, oder wie es Rützler formuliert: „Von ‚Schmeckt wie‘ zu ‚Schmeckt!‘.“
Es geht hier also um ein immer flächendeckenderes Phänomen, für das die Spitzengastronomie wohl Türöffner war, verweist Rützler doch auf Alain Passards Arpège in Paris oder Heinz Reitbauers Steirereck in Wien, „die beide Gemüse zu den Stars auf ihren Tellern machen“.
Die neue Liebe zum Fleisch
Die kulinarische Aufwertung des Gemüses– 2018 von Rützler bereits als „kopernikanische Wende“ bezeichnet – hat einen weiteren Trend zur Folge, der unter dem Begriff „Peak Meat“ zu fassen ist. Dieses Beispiel macht die Mechanismen, wie Foodtrends entstehen, mit einer bestechenden Logik greifbar. Denn wie Rützler im Rahmen ihrer Forschungsarbeit herausgearbeitet hat, erzeugt jeder Trend einen Gegentrend, der nicht unbedingt als direkte Antireaktion auf den vorangegangenen zu verstehen sein muss, sondern durchaus vom ersten beeinflusst werden kann – und damit eine längerfristige Veränderung erfährt.
Plant Based Food geht daher Hand in Hand mit der langfristigen Entwicklung des Peak Meat. Diese besteht laut Rützler darin, „dass hier wirklich eine Sättigung eines historischen Phänomens passiert und dass, wenn es wirtschaftlich stabil bleibt, wir davon ausgehen können, dass wir nicht mehr Fleisch essen werden, sondern tendenziell und langfristig weniger.“
Was den Trend um die neue Art des Fleischkonsums betrifft, so wird auch hier klar, dass sich Trends gegenseitig beeinflussen, in einigen Fällen sogar bedingen. So wird in Zukunft aller Voraussicht nach nicht nur weniger, dafür aber qualitativ hochwertigeres Fleisch konsumiert. „Es gibt durchaus eine neue Liebe zum Fleisch“, sagt Rützler, „nicht nur durch mehr Bio im Fleischsegment. Auch das ganze Thema um diverse Rassen, Herkunft und Fütterung wird in Zukunft eine noch größere Rolle spielen.“
Die Verästelungen, die aus dieser neuen Liebe zum Fleisch erwachsen, sind auch in diesem Fall beträchtlich. Der Trend um die Transparenz, um Zerlegung, um Regionalität verdeutlicht eine neue Sehnsucht nach einem „wirklichen Storytelling“, so Rützler – „in dem Sinn, dass man auch wirklich eine neue Story entwickelt“.
„Peak Meat“ heißt, dass wir von jetzt an zwar weniger Fleisch essen werden, dafür aber besseres und qualitativ hochwertigeres.
Große Widerstände zu erwarten
Inwiefern dieses Bedürfnis nach einer Geschichte hinter dem reduzierten Fleischkonsum mit dem Zukunftsthema des In-vitro-Fleisches einhergeht, ist eine jener Fragen, auf die es natürlich noch keine definitive Antwort gibt. „Das Thema ist so groß“, sagt Rützler, „dass es vielleicht noch ein paar Mal große Widerstände hinnehmen muss. Wir haben ja auch technologisch noch einige Hürden zu nehmen, aber der Wille ist so groß, es sehen so viele auch sein Wirtschaftspotenzial, dass man es einfach nicht ausblenden kann.“
Rützler stützt sich dabei nicht nur auf die hohen Summen, die in Form von Milliarden von Dollar in das In-vitro-Business in den USA, aber auch in Israel und China gepumpt werden, sondern auf die bereits erwähnten übergeordneten Phänomene der Nachhaltigkeit, des Zukunftsthemas der Welternährung und der Ressourcenknappheit.
Anhand dieser Beispiele zeigt sich, mit welch tiefschürfender Genauigkeit Foodtrends erforscht werden müssen. Sie verdeutlichen aber auch, dass wer wie Hanni Rützler tief genug gräbt und die übergeordneten Phänomene erkennt, langfristig verlässliche Food-trends daraus destillieren kann.
Foodtrends sind mehr als reißerische Weissagungen irgendwelcher exotischer Produkte. Sie mögen von kleinen, elitären Kreisen in die Welt gesetzt werden, dann einen Siegeszug antreten oder sang- und klanglos wieder verschwinden. Fest steht: Die Entstehung von Foodtrends ist weit mehr als nur eine Laune des Geschmacks.