Keine kalben Sachen
Männliche Kälber, die in Österreich geboren werden, landen in der Regel in Bergheim. Hier, nur wenige Autominuten von der idyllischen Mozartstadt Salzburg entfernt, befindet sich die landesweit wohl berüchtigste Kälbersammelstelle. Von der Muttermilch noch längst nicht entwöhnt, wissen die zwei bis drei Wochen alten Kuhbabys nicht, wie ihnen geschieht. Viele leiden bereits jetzt Hunger. Das Schlimmste steht ihnen aber noch bevor: eine 21-stündige Fahrt nach Spanien in einem Lkw-Container. Dicht an dicht. Kaum Futter. Wenig Flüssigkeit. Und das, obwohl sie in diesem Alter bis zu zwölf Mal täglich an der Mutter saugen müssten.
Männliche Kälber, die in Österreich geboren werden, landen in der Regel in Bergheim. Hier, nur wenige Autominuten von der idyllischen Mozartstadt Salzburg entfernt, befindet sich die landesweit wohl berüchtigste Kälbersammelstelle. Von der Muttermilch noch längst nicht entwöhnt, wissen die zwei bis drei Wochen alten Kuhbabys nicht, wie ihnen geschieht. Viele leiden bereits jetzt Hunger. Das Schlimmste steht ihnen aber noch bevor: eine 21-stündige Fahrt nach Spanien in einem Lkw-Container. Dicht an dicht. Kaum Futter. Wenig Flüssigkeit. Und das, obwohl sie in diesem Alter bis zu zwölf Mal täglich an der Mutter saugen müssten.
Kein Wunder also, dass viele nach der Ankunft in Spanien krank werden. Weil sie, wie es in der Fachsprache heißt, mitten in der „immunologischen Lücke“ stecken. Heißt: Sie sind zu jung, um ausreichend Antikörper gegen Krankheiten aufgebaut zu haben. Nachdem sie einige Monate in einem industriellen Mastbetrieb gehalten wurden, geht es dann auf Schiffscontainer über das Mittelmeer gen Osten. In den Libanon, die Türkei, nach Algerien. Über die dortigen Schlachtbedingungen empören sich diverse Tierschutzorganisationen seit Jahren. Zurecht, wenn man bedenkt, dass Aufschlitzen der Kehle bei lebendigem Leibe noch zu den harmlosesten Tötungsmethoden gehört.
Es muss nicht immer der Rücken oder das Kaiserteil sein!
Cuts wie Frikandeau eignen sich fürs Schnitzel genauso – und sind noch dazu um ein Drittel günstiger
Warum das alles so läuft? Weil männliche Kälber auf dem Markt nichts wert sind. Vielen Milchbauern gelten sie als lästiges Nebenprodukt, das die Muttermilchkuh für die Produktion des weißen Goldes abwirft. Weder gibt ein männliches Kalb irgendwann einmal Milch, noch gilt es in der durch und durch spezialisierten Landwirtschaft als effizient, es zur Fleischgewinnung zu mästen. Dafür gibt es eigene Fleischrassen, mit denen man auch etwas verdienen kann. „Bevor sich der Milchbauer das antut, gibt er das Kalb lieber weg“, sagt einer, der es wissen muss: Hannes Hönegger. Er ist Bio-Bergbauer und Metzger in Personalunion. Sein Bio-Bauernhof im salzburgerischen Lessach beherbergt auf 1260 Höhenmetern nicht nur Österreichs höchstgelegenen Bioschlachthof, hier tummeln sich in idyllischer Alpenatmosphäre auch Kälber, die ansonsten längst in Spanien oder weiß der Teufel wo wären – hätte sie Hönegger nicht von Milchviehbauern gekauft.
Sein Anspruch: Österreichisches Kalbfleisch in nie gekannter Qualität auf die österreichischen Teller zu bringen. Und damit dem System, das männlichen Milchkälbern jeglichen Wert abspricht, endlich ein Ende zu setzen. Wie erfolgreich der Lungauer damit ist, zeigen die Fakten: Österreichs Who’s Who der Spitzengastronomie schwört geradezu auf sein Kalbfleisch. Andreas Döllerer, Martin Klein, Hubert Wallner, Konstantin Filippou – alle setzen sie mit ihren prämierten Haubengerichten neuerdings auf Höneggers begehrte Kalb-Cuts. Aber wie hat Hannes Hönegger das geschafft? Was macht sein Fleisch so besonders? Und was hat das mit bis dato ziemlich unbekannten Cuts wie Araignée zu tun?
Das ganze Tier als Edelteil
Neben der stressfreien Schlachtung mit gezieltem Bolzenschuss unterscheidet sich Höneggers Edelfleisch auch in Sachen Reifung. Während die Industrie ab neun Tagen von Dry Age spricht, reift das Fleisch im Hause Hönegger ganze sechs Wochen. Davon ausgenommen sind natürlich die Innereien. Doch auch die werden, ganz in Zero-Waste-Manier, nicht weggeworfen, sondern landen bei Spitzenkoch Andreas Döllerer in Golling. „Höneggers Kalbfleischqualität ist unvergleichbar“, schwärmt der Meister der Cuisine Alpine, „außerdem wissen wir ganz genau, wie es geschlachtet wurde und wo es herkommt“.
Dank Hönegger spricht sich auch langsam, aber sicher, herum, dass Kalb mehr kann als nur Schnitzel. Neben noch unbekannten Cuts von aromengewaltigen Kurzbratstücken wie dem Flank Steak, Skirt Steak oder Airaignée nimmt Hönegger den Nose-to-Tail-Trend ernster als viele andere. Und hat es glatt geschafft, einen Kalbsburger aus Ganzkörper-Kalbsfaschiertem im Großhandel zu positionieren, der inmitten des Patty-Einheitsbreis ordentlich Flagge zeigt. Im Sommer steigt außerdem mit jedem Jahr die Nachfrage an Tomahawks, die von der Grillcommunity gerade neu entdeckt werden.
Nur noch heimisches Kalbfleisch?
Doch auch gegen das klassische Schnitzel hat der Metzger-Bauer freilich nichts einzuwenden. Betont aber: „Hätte die breite Masse an Köchen mehr Knowhow, dann würde sie nicht Kalbsrücken oder das Kaiserteil fürs Schnitzel nehmen, sondern könnte ein Frikandeau zerlegen. Damit kann man ein mindestens genauso geiles Schnitzel machen. Außerdem ist das im Einkauf um ein Drittel günstiger!“
Auf die delikate Frage, wie realistisch es denn sei, dass Österreich und Deutschland in absehbarer Zukunft von heimischem Kalbfleisch versorgt werden könnten, antwortet der Kalbflüsterer ganz klar: „Sehr realistisch sogar, dazu bedarf es nicht viel, nur ein bisschen Know-how und Erziehung.“ Dann fügt er hinzu: „Wir sind auf einem guten Weg. Einem sehr guten Weg sogar.“
DAS GOLDENE KALB, Ein Plädoyer für Tierwohl und nachhaltige Landwirtschaft,
Hannes Hönegger
Brandstätter Verlag, Wien.
Erscheint im April 2022