Zuckerschock
Fotos: Milo-Profi/ Arthur Los, Pierre Lingelser, Erik Chmil/chmil.fotografie, The Chocolate Line/Dominique Persoone, EriK Chmil/chmil.fotografie
Sie sind die Pastry-Picassos der Gegenwart, die Schoko-Götter, die nicht nur Frauenherzen beim bloßen Anblick ihrer Kreationen schmelzen lassen. Allen voran Pierre Hermé, der nach Gaston Lenôtre als zweiter großer Erneuerer der französischen Pâtisserie gilt. Sein Pralinen-Headquarter in der Rue Bonaparte in Paris verlässt ausnahmslos niemand, ohne zumindest der Verführungskraft einer seiner weltberühmten Makronen oder Eclairs zu erliegen. Denn diese in Perfektion mit glänzender Schokolade überzogenen Schätze zeigen auch dem größten Dessertverächter, in welche süßen Sphären des Genusses man mit wahrhafter Dessertkunst entschwebt.
Hinter Pierre Hermé reihen sich Namen wie Jean-Pierre Wybauw, Koryphäe auf dem Gebiet Schokolade und Pralinen sowie anerkannter Fachbuchautor, oder Jean-Michel Perruchon, Leiter der École Gastronomique Bellout Conseil Paris, einer der besten Pâtisserie-Schulen der Welt. Gemeinsam bilden sie die Speerspitze der französischen Pâtisserie-Kunst und setzen seit Jahrzehnten Maßstäbe. Lässt man den Blick weiter nach Spanien schweifen, begeistern Kreationen wie Schmetterlings-Krokant aus Roter Bete, rastend auf einem Merengue aus Lakritze, Zitronenverbene-Gelatine und einem Sorbet vom roten Pfirsich von Dessert-Virtuose Albert Adrià oder ein Postre Láctico aus Schafmilchespuma mit Schafmilch-Karamell und Guave von Pâtissier Jordi Roca aus dem 3-Sterne-Restaurant Celler de Can Roca in Girona.
Und in Deutschland oder Österreich? Da rinnt der Zuckerguss…
Fotos: Milo-Profi/ Arthur Los, Pierre Lingelser, Erik Chmil/chmil.fotografie, The Chocolate Line/Dominique Persoone, EriK Chmil/chmil.fotografie
Sie sind die Pastry-Picassos der Gegenwart, die Schoko-Götter, die nicht nur Frauenherzen beim bloßen Anblick ihrer Kreationen schmelzen lassen. Allen voran Pierre Hermé, der nach Gaston Lenôtre als zweiter großer Erneuerer der französischen Pâtisserie gilt. Sein Pralinen-Headquarter in der Rue Bonaparte in Paris verlässt ausnahmslos niemand, ohne zumindest der Verführungskraft einer seiner weltberühmten Makronen oder Eclairs zu erliegen. Denn diese in Perfektion mit glänzender Schokolade überzogenen Schätze zeigen auch dem größten Dessertverächter, in welche süßen Sphären des Genusses man mit wahrhafter Dessertkunst entschwebt.
Hinter Pierre Hermé reihen sich Namen wie Jean-Pierre Wybauw, Koryphäe auf dem Gebiet Schokolade und Pralinen sowie anerkannter Fachbuchautor, oder Jean-Michel Perruchon, Leiter der École Gastronomique Bellout Conseil Paris, einer der besten Pâtisserie-Schulen der Welt. Gemeinsam bilden sie die Speerspitze der französischen Pâtisserie-Kunst und setzen seit Jahrzehnten Maßstäbe. Lässt man den Blick weiter nach Spanien schweifen, begeistern Kreationen wie Schmetterlings-Krokant aus Roter Bete, rastend auf einem Merengue aus Lakritze, Zitronenverbene-Gelatine und einem Sorbet vom roten Pfirsich von Dessert-Virtuose Albert Adrià oder ein Postre Láctico aus Schafmilchespuma mit Schafmilch-Karamell und Guave von Pâtissier Jordi Roca aus dem 3-Sterne-Restaurant Celler de Can Roca in Girona.
Und in Deutschland oder Österreich? Da rinnt der Zuckerguss bedeutend langsamer. Chef-Pâtissiers hocken auf ihren Rezepten aus Angst, jemand könnte sie besser als man selbst umsetzen und der Schokokuchen mit flüssigem Kern feiert inzwischen bald sein zehnjähriges Jubiläum auf diversen Speisekarten. Gut, keine Frage, aber neu?
Claus-Peter Lumpp ist 3-Sterne-Koch im Restaurant Bareiss in Baiersbronn-Mitteltal und versteht den teilweise geringen Stellenwert des süßen Postenkochs im Betrieb nicht: „Der Pâtissier ist extrem wichtig im Betrieb. Der letzte Eindruck im Restaurant ist entscheidend. Und dafür ist der Pâtissier alleine verantwortlich.“ Daher hat der 3-Sterne-Koch beschlossen, sein vor wenigen Wochen erschienenes Kochbuch gemeinsam mit seinem langjährigen Chef-Pâtissier Stefan Leitner zu realisieren, und hat ihm dabei gleich ein komplett eigenes Buch zugestanden. Lumpp: „Es war immer Stefans Wunsch, ein Buch zu machen. Rausgekommen ist etwas Außergewöhnliches, das dabei vollkommen uninszeniert ist.“
Von der Roten Bete zum Abschluss
Claus-Peter Lumpp hat dabei, ähnlich wie bereits andere Top-Köche, das Potenzial seines Pâtissiers erkannt und gefördert. Die süßen Künstler revanchieren sich dafür mit Kombinationen aus Topinambur und Mango oder Roter Bete mit Passionsfrucht, die die Gaumen der Gäste tanzen lassen. Chef-Pâtissier Leitner: „Aktueller Trend ist die Verwendung von Gemüse in der Haute-Pâtisserie. Ebenso wie Kräuter und Kressen. Diese Richtung kommt aus der nordischen Küche. Trends macht man zu einem gewissen Grad schon mit, mir ist es aber noch wichtiger, dass der Gast immer etwas findet, das ihm außergewöhnlich gut gefällt.“ Die Ansätze der Pâtissiers um ihre Gäste zu begeistern, reichen dabei von der Verwendung ausgefallener Produkt-Kombinationen bis hin zu neuartigen Verarbeitungstechniken.
Stefan Leitners Ansatz besteht darin, ein À-la-carte-Dessert gleich in fünf verschiedenen Versionen zu präsentieren, um zu zeigen, was beispielsweise eine einfache Himbeere so alles draufhat. Denn diese wird in den Mittelpunkt des Desserts gestellt und jeweils entweder klassisch mit Vanille und Kokos oder ausgefallen mit Paprikasabayon kombiniert. Dominique Persoone, Chocolatier und Betreiber der Chocolate-Line-Boutiquen in Antwerpen und Brügge, kreiert dafür lieber Tequila-Pralinen oder Schoko-Sniff-Maschinen, die Geschmacksknospen und Lachmuskeln gleichermaßen bedienen. Das Credo für seine immer wieder überraschenden süßen Spielereien: „Du musst immer bereit sein, mit den Dingen zu experimentieren und quasi ‚outside the box‘ denken.“ Sein neuester Clou: fliegendes Schokoladen-Mousse. „Wie Mousse fliegen kann? Das ist ganz einfach. Das musst du nur mit ein bisschen Heliumgas betanken.“
Genialität so simpel
Generell, so sind sich führende Pâtissiers aber einig, geht es in der süßen Kunst immer mehr um die Definition und Herausarbeitung des puren, unverfälschten und dabei intensiven Geschmacks. Immer weniger Zucker und Eiweiß statt Sahne, um auch nach einem großen Gourmet-Menü noch Leichtfüßigkeit und Raffinesse zu zeigen. Massives Reduzieren des Eigelb-Anteils, denn dieser nimmt unglaublich viel Geschmack der übrigen Komponenten auf, und In-Szene-setzen von zwei bis drei Komponenten. Nicht mehr finden sich immer häufiger auf den Tellern der Pâtisserie-Meister. Diese dafür in jeglichem Aggregat- und Temperaturzustand bei unfassbarer Anrichteweise wie als perfekte Nachahmung einer Waldlandschaft oder in Form eines fliegenden Mousseballons.
Dass dabei, bei aller Authentizität, Mittel der klassischen Molekularküche wie Xantana, Iota, Eisstabilisierer und Co. nicht unpraktisch sind, ist unbestritten. Die Frage der Einsatzhäufigkeit und des Einsatzgebietes dabei umso umstrittener. Denn aufgrund dieser Pulverchen die traditionellen Zutaten der Pâtisserie vollkommen ungenutzt zu lassen, ist auch nicht zielführend. „Bei aller Kreativität und verrückten Ideen. Das Handwerk, die Basis muss davor immer perfekt beherrscht werden“, ist sich auch Persoone sicher. Und dennoch, wird das Handwerk beherrscht, bietet flüssiger Sauerstoff beispielsweise perfekte Möglichkeiten, um vollkommen gleichmäßige, optisch beeindruckende Dessert-Kugeln zu schaffen. Und die Konsistenz der Pannacotta wird mit Iota unvergleichbar leicht und dabei stabil. „Nur muss man natürlich wissen, wie man damit umgeht“, rät auch Chef-Pâtissier Stefan Leitner.
Schlussendlich die süße Verführung
Dass die Top-Pâtissiers Österreichs und Deutschlands nicht das geringste Problem mit dem adäquaten Einsatz molekularer Trickmittelchen haben und dabei Handwerkskunst auf höchstem Niveau zelebrieren, verrät ein einziger Blick auf die Menükarte. So kommt man bei Pierre Lingelser, Chef-Pâtissier des 3-Sterne-Restaurants Schwarzwaldstube in Baiersbronn, in den Genuss von Zuckerkugel Kir Imperial: gefüllt mit Champagner-Waldmeisterschnee und Walderdbeersorbet.
Bei Pâtissier des Jahres der LEADERS OF THE YEAR 2011, Thomas Köpl aus dem Restaurant Amarantis in Wien, gibt es Baba au Rhum mit Mohn, Fenchel und Orangen. Und die Sternefresser schreiben in ihrem Blog begeistert über ein Dessert von Chef-Pâtissier des 3-Sterne-Restaurants Vendôme, Andreas Vorbusch: „Das Soufflé von Zartbitterschokolade mit Rote-Bete-Salat und Aquaviteiscreme präsentiert sich pointiert. Wieder ist jede Komponente durchdacht und fügt sich mit ihren Begleitern in ein rundes Gesamtbild. Das gelingt auch hier so perfekt, dass es uns leicht fällt, den Kopf einfach auszuschalten und uns, nun ja, hinzugeben: dem süffigen Soufflé, dem kühlend-kraftvollen Aquavit und der süßlich-erdigen Rübe. Was bleibt, ist Freude.“
Und das ist doch eigentlich Sinn und Zweck der Sache anstatt des noch lange in Erinnerung bleibenden Zuckerschocks, oder etwa nicht?
Ein mal eins macht fünf
Die 5er-serie als Dessert-Konzept
Bei Stefan Leitner, Chef-Pâtissier des 3-sterne-Restaurants Bareiss, besteht ein à-la-carte-Dessert aus fünf Teilen. Die Hauptkomponente der Kreationen, in diesem fall die Himbeere, wird jedes mal auf gänzlich andere weise interpretiert und dargestellt.
Knusprige Offenbarung
Knusperboden und hauchdünner Biskuit
unter geistvoller Himbeercreme und zart
schmelzender Nugatganache mit
Pistazienkorallen
Gemüse-Geniestreich
Marinierte Himbeeren und Vanille-
mascarpone mit Paprikasabayon und der
milden Schärfe von Cayennepfeffer
sowie Piment d’espelette
Exotische Frische
Himbeer-Espuma auf
Zitronengrasfond und Baiserstick mit
Zitronenmelisse
Blumiger Klassiker
Vanilleparfait mit gemoussten Himbeeren,
knusprigem Kokoscrumble, kandierten
Rosenblättern und Rosensauce
Vollmundige Reduktion
Mandelcrème mit marinierten Himbeeren,
Himbeerbaiserblättern, kandierter
Zitronenschale und Holunderblüten
„Kopfsalat mit Kondensmilch“
Das Entscheidende ist, pure Geschmäcke so intensiv wie möglich herauszuarbeiten.
Süßes Köpfchen
Andreas Vorbusch hat ein echtes Händchen für innovative Dessertküche. aber auch ein Köpfchen dafür. Denn das ist laut dem Experten der wichtigste Trend der modernen Pâtisserie: Sich gedanken darüber zu machen, was man wie verarbeitet. Wie und was der gebürtige Hamburger damit genau meint, hat er ROLLING PIN wissen lassen.
Andreas Vorbusch
Der 34-jährige wurde 2007 zum Pâtissier des jahres gewählt und ist Joachim wisslers süssester Freund. Denn er ist der Chef-Pâtissier im 3-Sterne-Restaurant Vendôme.
www.schlossbensberg.com
Sie sagen, der eigentliche Trend in der Pâtisserie sind nicht etwa Geräte oder neue Materialien, sondern der eigene Verstand. Wie meinen Sie das genau?
Andreas Vorbusch: Für perfekte Pâtisserie braucht man nicht jeden technischen Schnick-Schnack oder die ausgefallensten Produkte. Für mich geht es darum, sich Gedanken zu machen, wie man aus dem Vorhandenen das Beste herausholt und auch einmal einen Schritt zurück statt nach vor denkt. So bin ich zum Beispiel auf mein Dessert „Gegrilltes Eis“ gekommen. Es ist die Ableitung eines spanischen Desserts namens Cuajada del Baztán, bei dem heiße Steine vom Lagerfeuer in die Milch gelegt werden, der Milchzucker dadurch karamellisiert und auch tolle Röstaromen enstehen.
Aber könnten Sie tatsächlich auf moderne Geräte wie Pacojet und Co. verzichten?
Vorbusch: Pacojet, Thermomix und Schockfroster sind natürlich sehr wichtig in der Top-Pâtisserie und ich verwende sie auch gerne. Trotzdem finde ich es gefährlich, sich in eine zu große Abhängigkeit von technischen Geräten zu begeben. Einen Plan B sollte man immer parat haben. Und den hat man, wenn man die Grundlagen der Pâtisserie perfekt beherrscht.
Wobei die besagte Basis meist aus Rezepten besteht, die Zutaten enthalten, welche sich heute mit besserem Ergebnis durch Xantana und Co. perfekt ersetzen lassen, oder?
Vorbusch: Und genau da sehe ich das Problem. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Jungköche heutzutage keinen Grießflammeri mehr ohne Gelatine kochen können. Teilweise wird nur noch Schicki-micki gekocht mit Pülverchen und Mittelchen. Viele machen sich aber keine Gedanken darüber, wie sinnvoll das tatsächlich ist. Manchmal ist weniger mehr.
Was würden Sie diesen Köchen empfehlen?
Vorbusch: Teilweise können die Jungköche da auch nichts dafür. In der Pâtisserie herrscht ein irrsinniger Wettkampf. 80 Prozent der Chef-Pâtissiers geben ihre Rezepte nicht einmal an ihre Mitarbeiter weiter. Das ist der größte Fehler, den man machen kann, denn wie sollen die jungen Leute dann an Wissen kommen, frage ich Sie. In Frankreich ist der Austausch untereinander gang und gäbe und daher ist die Pâtisserie in Frankreich auch viel weiter entwickelt als die deutsche. Ich sage immer, wer bei mir zwei Jahre als Commis arbeitet, hat auch vollen Anspruch auf meine Rezepte. Schließlich habe ich auch volles Anrecht auf
seine Arbeit.
Sie sagen also, Reflexion und Austausch untereinander bringen die Pâtisserie mehr voran als Geräte und Produkte?
Vorbusch: Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben, nämlich mein Dessert aus Kopfsalat und Kondensmilch. Darauf bin ich in einem Gespräch mit meinem Chef gekommen. In der Küche werden die Stiele weggeworfen. Sie sind frisch und knackig und das passt immer in die Pâtisserie. Und dann habe ich mich daran erinnert, dass meine Mutter uns immer Kopfsalat mit Kondensmilchdressing gegeben hat. Die Dessertversion im Restaurant Vendôme ist ein Kopfsalat-Apfelsud mit in Nussöl marinierten Kopfsalatstielen und Kondensmilcheis. Dabei bin ich gänzlich ohne neuartige Techniken ausgekommen.
Und wenn Sie dennoch Trends in puncto Endprodukt aufzählen müssten?
Vorbusch: Weniger Zucker, leichtere Desserts und maximale Reduktion.