Trinkgeld: Meistens zu wenig, niemals zu viel
Unglaublich! 326 Euro auf der Rechnung, aber 64 Euro Trinkgeld! 20 Prozent! Ein guter Batzen zusätzliches Geld für dreieinhalb Stunden Arbeit – fast ein Weihnachtsfest für den Herrn Franz, der so etwas in den sechs Jahren als Kellner im Frankfurter Nobelrestaurant erst zum zweiten Mal erlebt hat. Beide Male in den letzten drei Wochen. Es hat sich also ausgezahlt, darüber nachzudenken, wie er sein Einkommen erhöhen kann. Die Gehaltsverhandlungen mit dem Chef zeigten nämlich ein mehr als bescheidenes Ergebnis (genau genommen gar keines!), also blieb nur mehr eines: Sich bei den Gästen mehr Geld holen – Trinkgeld. Wo sie es doch ohnehin mit den üblichen zehn Prozent längst nicht mehr so genau nehmen. In Wahrheit ist es ja meistens zu wenig, selten genug und niemals zu viel.
Persönlichkeit zeigen
Aber jetzt geht sich bei Herrn Franz mit dem eingenommenen Trinkgeld weitaus mehr als ein paar Chill-out-Drinks am Ende eines langen Arbeitstages aus. Er legt schon los, wenn die Gäste zum Tisch kommen: Im sauber gebügelten Hemd – für alle (Un-)Fälle hängt noch ein frisches Ersatzexemplar im Personalraum –, gepflegt rasiert und frisiert, begrüßt der Ober seine Gäste und stellt sich mit einem freundlichen Blick in die Augen jedes einzelnen Gastes lächelnd vor. Das schafft persönliche Bindung und Vertrauen, während er mit einer einladenden Geste darum bittet, Platz zu nehmen. Da macht er auch bei Kindern keine Ausnahme mehr. Er behandelt sie wie die Erwachsenen.
Er fragt sie selbst nach ihren Wünschen, obwohl meist die Eltern antworten. Aber als Betreuer eines Tisches soll man doch ein Herz für Kinder haben – oder zumindest zeigen. Bei der Kompetenz ist das schon etwas anderes: Die kann man nicht vorgeben, die muss man sich zulegen. Und dann erkennen lassen. Dafür hat er sich so weit vorinformiert, dass er zu vielen regionalen Produkten die eine oder andere kurze Geschichte zu erzählen und hin und wieder einen Geheimtipp zu geben weiß. Da geht es um seinen Besuch im Weinkeller des Winzers im Nachbarort, die Auszeichnungen für die Destillate einer kleinen Brennerei, die faszinierende Abfüllanlage des Mineralwasser-Lieferanten und sogar ums Whisky- und Zigarrenseminar, das er kürzlich besucht hat. Die Gäste hören gerne zu, wissen seine Kompetenz zu schätzen – und noch mehr, dass er bereit ist, seine Geheimnisse gerade mit ihnen zu teilen. Ganz nebenbei erwähnt er auch noch, welchen Aperitif man unbedingt einmal probieren sollte und holt ihn gleich, denn „wir haben nicht mehr sehr viel davon da“.
Freundlich, aber nicht anbiedernd
Die Empfehlungen bei der Auswahl des Menüs gehen dann schon leichter. Wenn der Ober dabei auch noch nickt, dann werden diese noch öfter angenommen. Studien zufolge bekommt Personal, dass sich während der Aufnahme der Bestellungen hinsetzt oder -hockt und damit auf Augenhöhe mit den Gästen geht, noch mehr Trinkgeld. Allerdings geht das vielleicht in einer Kneipe, in einem nobleren Lokal ist das eher deplatziert. Da gilt es, freundlich rüberzu kommen, aber nicht anbiedernd; entgegenkommend, aber nicht devot; mühelos umsichtig, aber nicht bemüht; flink, aber nicht hektisch; beschäftigt, aber dennoch aufmerksam – und darauf achtend, dass die Wartezeiten nicht ausufern. Dauert es in der Küche noch, kommt Herr Franz zur Überbrückung lieber noch ein-, zweimal an den Tisch, um Gläser nachzufüllen, nach weiteren Wünschen zu fragen oder eben eine Insidergeschichten zu erzählen. Freilich keine von den Mühen des Alltags – von denen haben die Gäste selbst genug.
Einen anderen erforschten Trick kann man aber durchaus in besseren Restaurants anwenden – allerdings sollte man Fingerspitzengefühl beweisen. Erhebungen zufolge steigert eine Berührung der Hand des Gastes beim Kassieren das Trinkgeld um 37 Prozent, die Hand kurz und freundlich auf dessen Schulter um 18 Prozent. Das ist nicht bei allen Gästen passend, aber da verlässt man sich am besten auf sein Gefühl.
Blumen auf den Tisch
Das überhaupt viel ausmacht, erst recht bei den Details: Kommt die Dame mit Blumen in der Hand, nimmt Herr Franz sie ihr freundlich ab, bringt sie aber gleich wieder in einer Vase, die er auf den Tisch stellt. Und wenn die Gesellschaft aufsteht, um den Heimweg anzutreten, nimmt er die Blumen und überreicht sie der Dame erst, nachdem er die Stiele in eine dicke Serviette gewickelt hat, damit die Beschenkte selbst nicht nass wird.
Ein Hund bekommt automatisch eine Schale Wasser serviert und dazu ein „Le-ckerli“ – auf einer Serviette als „Tischtuch“. Ein Herz für Tiere zeigen – und für die Gäs-te überhaupt. Das zahlt sich aus.
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Sein Trinkgeld muss man sich schon verdienen – hier noch ein paar Anregungen, wie man es erreichen kann, dass es höher ausfällt als sonst:
Stammgäste: Es gibt sie überall, jene Gäste, die immer wieder kommen. Auch wenn sie ohnehin schon zufrieden sind – es geht immer noch mehr. Persönliche Ansprache, Wissen um die Vorlieben und spezielle Gewohnheiten … Wer die speziellen Wünsche der Stammgäste schon erfüllt, bevor sie artikuliert werden, der hat das Zeug zum Trinkgeldmeister.
Weinliebhaber: Auch wenn Weinkenner meist rechthaberisch sind und in Diskussionen selten zurückstecken – beweisen Sie Mut: Sagen Sie, wenn Sie einen Wein empfehlen, ruhig Ihre Meinung, aber zeigen Sie sich großzügig, wenn es darum geht, die Meinung des Königs, also des Kunden, gelten zu lassen.
Nähkästchen: Selten, aber doch passiert’s – und wer da gerüstet ist, hat gewonnen: Ein Knopf reißt ab, die Hose eines Gastes rutscht … mit einer Sicherheitsnadel können Sie den Abend noch retten.