Gaggan gegen Guide Michelin
Ginge es nach dem exzentrischen Küchengott Gaggan Anand, bräuchte Indien keinen eigenen Guide Michelin. Eine Aufnahme bedeute ein enormes Investment, vor allem von Seiten der Tourismus-Verbände, das man mit einem alternativen Guide umgehen könne, so Anand.
Der gebürtige Inder Gaggan Anand hatte im letzten Jahr für Furore gesorgt, als er seinen Chefkochposten am Tag vor der Verleihung der World’s-50-Best-Restaurants-Awards in Singapur kündigte. Der Ausnahmekoch, Entertainer und Multigastronom zerwarf sich mit anderen Aktionären seines von ihm an die Spitze der Asia’s 50 Best Restaurants geführten Tempels – und eröffnete daraufhin ein eigenes Lokal in Bangkok. Nichtsdestotrotz liegt ihm die kulinarische Zukunft seines Heimatlandes Indien am Herzen, wofür er sich mit seinem neuesten Projekt starkmacht: Culinary Culture.
Die indische Antwort auf den Guide Michelin
Zu dritt haben sie ein Netzwerk aufgebaut, das bewertet, aber vor allem den Austausch und das Wachstum der indischen Spitzengastronomie fördern soll. Gründer Sameer Sain hat sich dafür nicht nur Gaggan Anand als Mentor ins Boot geholt, sondern auch Vir Sanghavi, einen indischen Foodjournalisten und Host von TV-Shows. Brisant: Auch sie vergeben Sterne – zwar nicht die vom Guide Michelin, aber trotzdem von hoher Relevanz. Sowohl die Verfahrensweise als auch die Bedeutung der Sterne innerhalb der Bewertung sind denen des Michelins sehr ähnlich.
“Wir brauchen den Guide Michelin nicht in Indien. Die Leute müssen verstehen, dass der Guide eine Million Dollar für die Berücksichtigung der Städte oder Länder bei den Bewertungen verlangt.“
Vir Sanghavi über die Problematik der Länderberücksichtigung des Guide Michelins
Als Kriterien des Guide Michelin gelten die Qualität der Produkte, die persönliche Note, die fachgerechte Zubereitung und der Geschmack, das Preis-Leistungs-Verhältnis und die immer gleichbleibende Qualität über die Dauer und über die gesamte Karte hinweg. Wann, ob und warum der Guide bestimmte Länder und Städte berücksichtigt, ist laut Gaggan noch immer ein wohlgehütetes Geheimnis. Zumindest fast, denn die Inspektoren reisen nur an, wenn sich der Aufwand lohnt. Doch was genau heißt denn „sich lohnen“? Und was bedeuten die „grünen Sterne“, die der Guide 2020 zum ersten Mal vergeben hat?
Michelin schon länger in der Kritik
Der Aspekt der damit ausgezeichneten Nachhaltigkeitskonzepte ist selbst für die ausgezeichneten Spitzengastronomen noch so schwammig formuliert, dass Billy Wagner, Inhaber des Berliner Nobelhart&Schmutzig fragt:
„Seid ihr sicher, dass ich nicht einfach nur ein Großkotz bin? Habt ihr das alles nachgeprüft? Seid ihr sicher, dass ihr uns nicht lediglich für nettes, grünes Marketing auszeichnet?“
Billy Wagner über seine Auszeichnung mit dem grünen Michelin-Stern
Damit ist er nicht der erste, der deutliche Kritik übt. Die Aberkennung des – bis zuvor seit 1965 unangetasteten – dritten Sterns für Paul Bocuses legendäre Auberge du Pont de Collonges „bestätigt meine Beschwerden bezüglich der Glaubwürdigkeit und der Objektivität des Guide Michelin“, so Sternekoch Veyrat. Die Ikone der französischen Küche hatte gegen den Guide geklagt und die Offenlegung der Testprotokolle gefordert. Er verlor. „Die Fakten sind mittlerweile offensichtlich“, so Veyrat weiter, „der Guide Michelin stützt seine Bewertungen und seine Entscheidungen nicht auf ausschließlich professionelle Kriterien in Bezug auf Qualität und dem, was auf den Tellern landet.“
Culinary Culture als Bewertungsalternative
Mit Culinary Culture möchten Gaggan, der selbst schon zwei Sterne erkocht hat, und seine Mitstreiter die indische Gastroszene vor den undurchsichtigen Kriterien und dem damit einhergehenden finanziellen Aufwand schützen. Das Prozedere wird zwar erklärt, der Unterschied zum Guide Michelin wird aber leider nicht deutlich. Restaurants bewerben sich, es kommen Testessen und am Ende wird eine Bewertung geschrieben; der Unterschied wird nur im letzten Schritt deutlich: bei Uneinigkeit in der Bewertung wird intern noch einmal diskutiert, mit dem Ziel mehr Objektivität zu schaffen. Besonders auffällig ist jedoch, dass die Sterne-Erklärungen denen des Guide Michelins sehr ähnlich sind.
So vergibt Culinary Culture beispielsweise vier Sterne für ein Restaurant, das so gut ist, dass sich für den Besuch auch ein Umweg lohnt, während der Guide Michelin Restaurants für eine „hervorragende Küche, die einen Umweg verdient“ mit zwei Sternen auszeichnet.
Erstaunlich für einen Guide, der sich so unbedingt abheben wollte von der Machart des Michelins.