Next Generation: Matthias Bernwieser
Wir schreiben das Jahr 2014. Die Küche des Süllberg hat sich erneut in die Bühne für den toughsten Wettbewerb der Branche verwandelt. Gegen 2271 Bewerber hat er sich durchgesetzt, nun tritt er gegen seine letzten zwei Kontrahenten an. Matthias Bernwieser hat sein Menü mehrmals Probe gekocht, die Mise en place verläuft trotz immensem Zeitdruck auf engstem Raum wie geplant. Die Kameras sind auf ihn gerichtet, die Starjury erwartet gespannt sein Menü, Stress pur. Er gilt als heimlicher Favorit, wähnt sich siegessicher. Und scheitert.
„Ich habe im Dessert einen Käse gemacht, den ich in Norwegen und Österreich öfters Probegekocht habe, ohne Probleme. Nur in Deutschland hat das nicht funktioniert, weil der Milch wohl gewisse Bakterien fehlen. Dass der Käse nicht funktioniert hat, war ein fataler Fehler im Dessert“, erinnert er sich, wie er nur knapp am Sieg vorbeischrammte.
Challenge accepted!
Wo für viele die Geschichte enden würde, fängt seine Erfolgsstory überhaupt erst an: „Als ich damals verloren habe, war ich komplett down, weil ich das überhaupt nicht erwartet hatte. Nachdem ich drei Tage im Bett verbracht hatte, haben mich meine Freunde und meine Freundin überredet, noch einmal teilzunehmen. Und das war das Beste, was ich machen konnte“, bestätigt er. Er tritt im nächsten Jahr erneut an. Und gewinnt. „Das war das Zuckerl. Aber das erste Mal hat mir auf jeden Fall persönlich mehr gebracht“, erklärt der JUNGE WILDE 2015 rückblickend. „Man kann nicht nur viel positives Feedback bekommen, man muss auch mal was Negatives mitbekommen, damit man dann noch mehr nachdenkt, mehr probiert, versucht, es noch besser zu machen.“
Und er macht es noch besser: Es folgen – als Gewinn bei den JUNGEN WILDEN – eine Stage bei Lateinamerikas Kochgenie Alex Atala in Brasilien, Pop-ups und Events, Reisen um den Globus. Er wird sogar eingeladen, mit Massimo Bottura zu kochen. Der Auftakt zu einer sensationellen Karriere. Seit 2012 ist das Ausnahmetalent wieder in Norwegen angekommen: „Ich brauche ein Restaurant, um mich zu verwirklichen, und nicht Kochevents. Das macht Spaß, aber ich möchte wieder in der Küche stehen.“ Die perfekten Rahmenbedingungen dafür hat er jetzt in der Brasserie Ouest in der norwegischen Hauptstadt gefunden.
Klein, aber Oslo
Neben einer Vielzahl an Vorteilen hält ihn vor allem eine Motivation dort: die Liebe zur Freundin, die aus Norwegen stammt. „Und sie hat mir meinen Reisepass weggenommen“, ergänzt er schmunzelnd.
Nach einiger Zeit im Sternerestaurant Ylajali eröffnet er im Herbst 2017 als Küchenchef ein neues Restaurant. Gekocht wird keine Nordic Cuisine, dafür setzt die Brasserie Ouest auf moderne Interpretationen der französischen Küche. Der Name geht auf die Lage im wohlhabenden Westen der Hauptstadt zurück, wo sich die Brasserie innerhalb kürzester Zeit schon als Nachbarschaftsrestaurant der gut betuchten Gäste etabliert hat. Ein echter Glücksgriff, denn durch den großen Erfolg der Nordic Cuisine ist es schwierig, kreative, „exotische“ Zutaten für aufgeschlossene Konzepte zu finden. Angesichts von Produktabstinenz und allgegenwärtigem Purismus ist die Kundschaft ausgehungert und stürzt sich mit Begeisterung darauf.
Die zahlungswillige Klientel versteht das Konzept allerdings nicht immer. So wird öfters nach einer französischen Zwiebelsuppe verlangt, obwohl sie gar nicht auf dem Menü steht. Das frustriert: „Wir arbeiten gerade 14 Stunden am Tag und würden gerne für Leute kochen, die das verstehen. Für Köche oder für Leute, die wissen, wie man sich zu benehmen hat in einem Restaurant.“ Froschschenkel, Austern und Trüffel werden dafür überraschend gut angenommen.
„Oslo ist sehr klein. Wenn man da etwas Gutes macht, ist man gleich im Gespräch“, erklärt Bernwieser. Und die Resonanz ist positiv – zu positiv für den Österreicher. Topbewertungen in der Presse trotz des unfertigen Baus – die Backstube ist noch in Arbeit –, Personalmangels nur einen Monat nach der Eröffnung steht er mit Skepsis gegenüber: „Natürlich kochen wir gut, aber wir fühlen uns nicht wirklich, als wären wir schon da, wo wir hinwollen.“
Ouest Side Story
„Wir“, das sind aktuell vier talentierte Köche. „Meine Kollegen könnten allesamt auch selbst Küchenchefs sein, haben sich aber entschlossen, mir zu helfen, und dafür bin ich sehr dankbar“, gesteht der Allrounder.
Bernwiesers Wertschätzung zeigt sich in der Möglichkeit, sich einzubringen: „Feedback ist sehr wichtig. Wenn ich an die Wettbewerbe denke, habe ich nicht oft Probe gekocht, aber das habe ich dann dem Team und Freunden vorgestellt. Es ist der Input der anderen, der dafür sorgt, dass man neue Gedankengänge bekommt. Das vollendet erst das Gericht. Für mich macht das das Moderne aus: Wenn man etwas am Teller schafft, muss man nachdenken“, erklärt er. „Deswegen ist das Team in der Küche auch so wichtig. Wenn ich ein Gericht mache, brauche ich immer meine Leute um mich, die das kosten können, die ihren Senf dazugeben, und ich selbst überlege mir dann, was ich annehme und was nicht. Aber ohne sie würde es gar nicht gehen.“
Der Rückhalt des Teams ist gerade angesichts der zahlreichen Herausforderungen Gold wert. Die Brasserie verkauft zwar zu 70 Prozent Fleischgerichte, muss die Ware aber, sofern sie aus dem Ausland importiert wird, tiefgefroren in Kauf nehmen. Rind ist in Norwegen gerade der Hit und so gibt es beim Verkaufs-Burner Entrecôte immer wieder Engpässe. Auch was Gemüse betrifft, ist Bernwieser aus seiner Zeit im Steirereck verwöhnt: Erst seit fünf Jahren sind Karotten in Oslo gut erhältlich, Puntarelle sind ein Fremdwort. Flexibilität und Offenheit gegenüber der neuen Esskultur sind daher Grundvoraussetzung für das Team.
Undercover-Feldforschung
Im Vergleich zum Sternerestaurant Ylajali muss der Österreicher noch einiges dazulernen: Das À-la-carte-Restaurant benötigt andere Ressourcen, auch die Einstellung der Gäste überrascht. In der Brasserie kommen sie oft spät, die Hits auf der Karte ändern sich permanent. Der Senkrechtstarter sieht die Zukunft nüchtern: „Ich möchte nur verstehen, wie diese Art von Restaurant funktioniert. Wenn ich mich selbstständig machen würde, dann müsste es etwas Größeres sein, damit es auch Sinn macht, das Geld einzuspielen. Das Ylajali war eher ein Gimmick, wir haben kein Geld damit gemacht. Es war ein Kinderspiel, weil wir genau wussten, was die Leute essen, und somit alles gut kalkulieren konnten.“
Wenn man etwas Gutes macht, ist man gleich im Gespräch.
Matthias Bernwieser über die Vorteile des Standorts Oslo
Daher ist die Brasserie Ouest nicht nur Bernwiesers Spielwiese, sondern auch gleichzeitig Experimentierfeld für die Zukunft. Dass das Küchenteam überwiegend aus Österreich stammt, ist auch im Menü deutlich. Das äußert sich zunächst einmal am Brot, Salzstangerl und Kärntner Brot, das frisch in der Küche zubereitet wird. Ist die Brasserie Ouest also nur als Übergangsphase gedacht? „Mein Plan ist es, mir das anzuschauen und dann zu überlegen, wie es weitergeht. Ich werde jetzt auch älter und würde gerne etwas Eigenes machen, weil ich da dann wirklich zu hundert Prozent machen kann, was ich will. Was das sein wird, keine Ahnung. Ich würde gerne Österreich einbeziehen. Vielleicht wird also etwas Österreichisches in Norwegen entstehen.“
Ganz kann der JUNGE WILDE den Wettbewerb übrigens nicht lassen: Mit dem ehemaligen Sternekoch Bjørn Svensson wird täglich diskutiert, welche Nation das bessere Schnitzel zubereite, ob traditionell österreichisch oder in der schwedischen Variante mit Kapern und Anchovis. Man kann Svensson nur viel Glück für das anstehende kulinarische Kräftemessen mit dem ehrgeizigen Kücheneroberer wünschen.