Blick in die Sterne mit Koch, Bauer und Bestseller-Autor Franz Keller

Grand Seigneur und Enfant Terrible der deutschen Gastro­nomie: Franz Keller ist beides. Der Koch, Bauer und Bestseller-Autor hat sich zudem aktiv aus dem „Krieg der Sterne“ rausgenommen. Ein Gespräch über den Guide Michelin, dessen Licht- und Schattenseiten sowie die Branche selbst: Denn zu sagen hat der Falkenhof-Chef sehr viel Spannendes!
November 7, 2024 | Text: Philipp Elsbrock  | Fotos: Anja Jahn Photography, beigestellt

Der 21. Januar 2025 steht rot im Kalender für Genießer, Köche und Tourismus-Experten: An diesem Tag erscheint der Guide Michelin nach langer Pause erstmals wieder für ganz Österreich. Doch in die Freude über die Rückkehr des renommierten Gastroführers mischen sich auch kritische Untertöne – manche befürchten einen Verlust der kulinarischen Vielfalt Österreichs, andere bemängeln die finanziellen Zuwendungen, die der Guide aus öffentlicher Hand erhielt.

Kochlegende Franz Keller hat sich bewusst von der Sternegastronomie abgewandt, um sich der regionalen, handwerklichen Küche zu widmen. Er hat eine klare Haltung zu den begehrten Michelin-Sternen.

Im Interview spricht er über die Einführung des Guides in Österreich, die Chancen für die regionale Küche und warum er die Sterne aus einer kritischen Distanz betrachtet. 

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Franz Keller hat längst der Sterne-Gastronomie entsagt und züchtet auf seinem Falkenhof im Wispertal glückliche Rinder und Schweine. Als Mitdenker der Branche hat er aber nach wie vor viel Meinung – und viel zu sagen.

Im Januar 2025 kehrt der Guide Michelin nach Österreich zurück und erscheint wieder landesweit. Was sagt der Kenner: Fluch oder Segen?

Der 21. Januar 2025 steht rot im Kalender für Genießer, Köche und Tourismus-Experten: An diesem Tag erscheint der Guide Michelin nach langer Pause erstmals wieder für ganz Österreich. Doch in die Freude über die Rückkehr des renommierten Gastroführers mischen sich auch kritische Untertöne – manche befürchten einen Verlust der kulinarischen Vielfalt Österreichs, andere bemängeln die finanziellen Zuwendungen, die der Guide aus öffentlicher Hand erhielt.

Kochlegende Franz Keller hat sich bewusst von der Sternegastronomie abgewandt, um sich der regionalen, handwerklichen Küche zu widmen. Er hat eine klare Haltung zu den begehrten Michelin-Sternen.

Im Interview spricht er über die Einführung des Guides in Österreich, die Chancen für die regionale Küche und warum er die Sterne aus einer kritischen Distanz betrachtet. 

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Franz Keller hat längst der Sterne-Gastronomie entsagt und züchtet auf seinem Falkenhof im Wispertal glückliche Rinder und Schweine. Als Mitdenker der Branche hat er aber nach wie vor viel Meinung – und viel zu sagen.

Im Januar 2025 kehrt der Guide Michelin nach Österreich zurück und erscheint wieder landesweit. Was sagt der Kenner: Fluch oder Segen?

Dieser Schritt ist längst überfällig. Die Gastronomie braucht den Michelin, auch wenn man gespalten darüber sein mag, wie wichtig der Guide tatsächlich ist. Sicherlich gibt es andere renommierte Führer wie den Gault-Millau. Doch in Deutschland hat sich der Michelin über viele Jahre trotz aller Kontroversen als maßgeblich erwiesen. 

Schon bei der Vergabe der Sterne für Salzburg und Wien gab es immer wieder Diskussionen. Kritiker werfen dem Guide Michelin vor, einen internationalen Stil mit importierten Luxusprodukten höher zu bewerten als eine Küche, die Zutaten der Region einbindet. 

Diese Kritik war früher vielleicht berechtigt. Als ich meinen zweiten Stern bekommen sollte – der erste wurde damals von meiner Mutter erkocht – war es fast schon verpflichtend, ein französisches Menü anzubieten.

Aber das war in den 1970er-Jahren, und heute ist der Michelin keineswegs mehr der Verfechter der französischen Küche, der er einst war. Was den Einfluss der Region betrifft: Viele Kollegen kochen nur das, was in ihrem unmittelbaren Umfeld wächst. Das ist eine Philosophie, die ihre Berechtigung hat. Aber große Küche lebt nicht nur von Regionalität. Sie lebt auch von Einflüssen von außen.

Vor ein paar Jahren gab es bei der Vergabe die Kontroverse um Juan Amador, der als Deutscher drei Sterne erhielt, während Heinz Reitbauer vom Steirereck, der großen Wert auf Regionalität legt, mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde. War da was dran? 

Das war ein klassischer „Bildzeitungs-Effekt“: Indem die Kritiker die Höchstwertung an einen Deutschen ver­gaben, der gerade erst in Wien war, wollten sie wohl für Schlagzeilen sorgen. So war der Michelin früher nie.

Dennoch: Man lebt als Gastronom nicht nur von der und mit der Region, sondern auch von internationalen Gästen. Dass ein Gastronomieführer in diesem Zusammenhang auch einen internationalen, eventuell französisch geprägten Kochstil würdigt, versteht sich von selbst. Es ist die Aufgabe des Michelin, die Balance zu finden.

Glauben Sie, dass die Einführung des Guide Michelin in Österreich zu einer stärkeren Internationalisierung der Küche führen wird, oder wird sie die regionalen Traditionen eher stärken?

Österreich hat schon immer eine bessere regionale Küche gehabt als Deutschland. Der Michelin wird diese Stärke eher hervorheben als verwässern. Kein österreichischer Koch wird plötzlich anfangen, international zu kochen, nur weil es dem Michelin gefällt.

Wenn jemand es nötig hat, Trends auf Instagram zu folgen und Moden nachzukochen, dann wird er oder sie nach wie vor scheitern. Die Österreicher haben ihre eigene Identität, und der Michelin wird sich daran anpassen müssen. 

In Italien hat der Guide nie die Bedeutung erlangt, die er in Deutschland oder im Mutterland Frankreich hat. Woran liegt das?

Das liegt daran, dass die Italiener sehr konservativ sind, was ihre Küche angeht. Wenn man etwas gegen die Rezepte der Mama sagt, dann ist man gleich verpönt. Das ist ein ganz anderer Markt. In Österreich läuft das sicherlich anders, wahrscheinlich ähnlich wie in Deutschland.

Es ist die Rede davon, dass sich der Guide die Erstellung der „Roten Bibel“ für Österreich mit bis zu einer Million Euro aus öffentlichen Geldern finanzieren lässt. Das sorgte bei manchen Wettbewerbern für Schaum vor dem Mund. 

Naja, dann ist der Guide eben politisch geschickt vorgegangen. Ehrlich gesagt: Mir ist es egal, wer bezahlt, Hauptsache nicht der Gastronom.

Bislang sind in der Alpenrepublik die Hauben entscheidend – wird der Guide Michelin den Gault-Millau in Österreich marginalisieren?

Das glaube ich nicht. Der Michelin muss sich erst einmal beweisen. Der Gault-Millau hat sich in Österreich fest etabliert und ist in einer starken Position. Wenn der Michelin auf diesem Markt bestehen will, muss er liefern.

„Die Welt ändert sich ständig, und um zu überleben, muss sich auch eine Institution wie der Guide Michelin anpassen.“

Angesichts einer Vielzahl von Rezensionen im Netz, Gastro-Influencern auf Instagram und TikTok – wer braucht heute überhaupt noch Gastro-Guides? 

Die Orientierungslosigkeit ist heute eher größer geworden als früher. Viele Menschen brauchen jemanden, der ihnen die Richtung weist. Sie trauen sich nicht genug Geschmack zu, um selbst entscheiden zu können, was sie gut finden. Instagram und ähnliche Plattformen sind häufig nur Strohfeuer, aber letztlich fehlt oft die Substanz.

Am Ende suchen sowohl Gäste als auch Köche nach verlässlichen Richtlinien, und da kommt der Michelin ins Spiel. Er hat eine Tradition, die auf Beständigkeit und Qualität setzt. Ja, das ist zurückhaltend, konservativ, fast schon langweilig – wie die katholische Kirche. Zugleich ist es eine Form der Stabilität, nach der sich viele sehnen.

In Taiwan wurde erstmals ein Michelin-Stern an einen Eissalon verliehen, und in Mexiko erhielt ein winziges Taco-Restaurant ebenfalls einen Stern. Sind das reine Marketing-Stunts oder wird mit zweierlei Maß gemessen?

Ähnliches haben wir in Deutschland doch auch erlebt. Nicht unbedingt mit einem Eissalon, aber es gab Restaurants, deren Niveau nicht wirklich der Drei-Sterne-Kategorie entsprach … 

… da wollen wir jetzt gern wissen, wen Sie meinen …

Nein, ich nenne keine Namen. Aber zurück zu Ihrer Frage: Natürlich kann an einem Straßenstand in Singapur ein Essen wahnsinnig gut sein. Du hockst am Fischmarkt in einer Bude auf einer Holzkiste und isst etwas Sensationelles.

Warum soll man sowas nicht auch loben? Die Welt ändert sich ständig, und um zu überleben, muss sich auch eine Institution wie der Guide Michelin anpassen. Aber ich denke nicht, dass eine Dönerbude demnächst drei Sterne bekommt, um es mal überspitzt zu sagen.

Die Zahl der Michelin-Sterne ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, allein in Deutschland seit 2014 um 25 Prozent. Kochen wir heute wirklich so viel
besser oder gibt es eine Inflation in der Bewertung?

Ich glaube eher an Letzteres. Der Michelin muss sich heute breiter aufstellen, um zu überleben. Früher war die Zielgruppe ein elitärer kleiner Kreis, doch mit einem Angebot wie damals lockt man heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Mit 50 Einträgen lässt sich das Buch nicht drucken … 

„Der Guide Michelin ist fast schon so konservativ wie die  katholische Kirche!“

– Franz Keller sieht den Guide kritisch, erkennt aber auch dessen Vorteile

Fraglich ist auch, ob es in dem Tempo weitergeht. In Deutschland steckt die Spitzengastronomie in der Krise, Spitzenlokale wie das „Nobelhart & Schmutzig“ sind gezwungen, ihr Konzept zu verändern. Geht der jahrelange Hype um Top-Küche langsam zu Ende? 

Mein Eindruck ist eher, dass die Gastronomen der gehobenen Kategorie ihren wichtigsten Bezugspunkt verloren haben: den Gast. Du musst teilweise um Punkt 20 Uhr da sein, um dein Essen zu kriegen, es gibt nur noch Menüs und andere unverständliche Einschränkungen. Das sind alles keine zielführenden Wege aus der Not heraus.

Die Leute kommen nicht nur zum Essen. Du gehst auch zum Wirt. Du gehst zu Menschen. Gastronomie ist viel mehr als nur gut oder sehr gut zu kochen. Gastronomie hat etwas mit Gastlichkeit zu tun, das vergessen viele junge Leute.

Sie selbst haben bekanntlich nach vielen Jahren in der Haute Cuisine den Schlussstrich gezogen und sich einer einfacheren Küche gewidmet.

Ja, wobei ich sagen muss: Dank des Guides konnte ich mir einen Namen machen, und ohne den Michelin wären viele Entwicklungen in der deutschen Küche nicht möglich gewesen. Wir haben viel von der französischen Küche gelernt, doch irgendwann habe ich beschlossen, mich zurückzuziehen.

Drei Sterne habe ich nie erreicht, nicht weil ich es nicht konnte, sondern weil ich nicht den finanziellen Hintergrund hatte. Das war eine bewusste Entscheidung, zurück zu den Wurzeln zu gehen. Der „Schwarze Adler“ in Oberbergen war ganz früher die „Adlerwirtschaft“, eine bodenständige Küche, noch vor meiner Mutter geführt von meiner Großmutter Mathilde, die mich übrigens aufgezogen hat. Diese Tradition habe ich wieder aufgenommen und mich dem Sternedruck entzogen. 

Und wenn man trotz allem weiter Sternekoch bleiben will? Was raten Sie dem Nachwuchs? 

Der Druck kommt immer von innen. Da braucht es Selbstvertrauen. Man kann nicht schon im Oktober unruhig schlafen, weil im Januar der neue Guide rauskommt. Schaut auf eure Gäste und weniger auf die Kritiker.

Seid gute Gastronomen und lasst euch nicht verrückt machen von Bewertungen. Improvisiert auch mal und haltet nicht nur stur und ängstlich an eurem Konzept fest. Wenn es voll ist und jemand fragt spontan: Kann ich noch zwei Plätze haben heute Abend, dann sollte das gehen. 

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