Rach rechnet ab

Preisdumping, mangelnde Qualität und fehlende Kalkulation. Gastrophilosoph Christian Rach spricht im großen Exklusiv-Interview über die größten Fehler der Branche und darüber, warum Corona absolut nichts damit zu tun hat.
März 31, 2022 | Text: Bernhard Leitner | Fotos: Julia Losbichler

Während der Coronakrise sind der Gastronomie und Hotellerie unglaublich viele Mitarbeiter abhanden gekommen. Unzureichende Bezahlung, kräftezehrende Arbeitszeiten und unmenschlicher Stress waren die Hauptgründe, heißt es. Kann man dafür wirklich Corona die Schuld geben oder gab es diese Probleme schon davor?
Absolut richtig. Die Corona-Pandemie wie auch die so bedrohliche Kriegssituation in der Ukraine sind definitiv Katalysatoren, die diese Misere, welche vor vielen Jahren begonnen hat, immens beschleunigen und vor allem Dinge auf brutale Art und Weise sichtbar machen. So ehrlich muss man innerhalb der Branche schon sein.

Christian Rach
Blick in die Kugel: Gastrophilosoph und Restaurantretter Christian Rach sieht vor allem die desaströse Preisgestaltung vieler Gastronomen als die Wurzel allen Übels.

Während der Coronakrise sind der Gastronomie und Hotellerie unglaublich viele Mitarbeiter abhanden gekommen. Unzureichende Bezahlung, kräftezehrende Arbeitszeiten und unmenschlicher Stress waren die Hauptgründe, heißt es. Kann man dafür wirklich Corona die Schuld geben oder gab es diese Probleme schon davor?
Absolut richtig. Die Corona-Pandemie wie auch die so bedrohliche Kriegssituation in der Ukraine sind definitiv Katalysatoren, die diese Misere, welche vor vielen Jahren begonnen hat, immens beschleunigen und vor allem Dinge auf brutale Art und Weise sichtbar machen. So ehrlich muss man innerhalb der Branche schon sein.

Christian Rach
Blick in die Kugel: Gastrophilosoph und Restaurantretter Christian Rach sieht vor allem die desaströse Preisgestaltung vieler Gastronomen als die Wurzel allen Übels.

Ein ähnliches Phänomen kann man derzeit auch im Pflegebereich beobachten, wo genau wie in der Gastronomie versucht wird, das Problem mit billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland zu lösen …
Wir leben in einer globalisierten und vernetzten Welt, in der nicht nur Produkte weltweit beziehbar sind, sondern auch Arbeitskräfte. Das Fatale daran ist, dass wir sowohl bei den Produkten als auch bei den Arbeitskräften die oft mangelnden sozialen Möglichkeiten in den Herkunftsländern für uns als Standard definieren. Das heißt, wir beschäftigen auch im Pflegebereich viele großartige Menschen aus Osteuropa zu prekären Bedingungen. Genauso lassen wir auch Bauern in Afrika oder Südamerika Produkte für uns anbauen, ohne ihnen dafür angemessene Preise zu bezahlen. Dabei müssten wir stattdessen – wenn man das schon so globalisiert denkt – mit unserem Handeln das soziale Niveau und das Bildungsniveau in diesen Ländern anheben, um dort das System zu stabilisieren. Diese Missstände sind aber keineswegs bloß ein Problem der Gastronomie. Wir haben das selbe Problem in sehr vielen Dienstleistungssektoren, wie eben der Pflege. Wir sehen derzeit außerdem, dass auch Produktionszyklen – beispielsweise in der Automobilbranche, in der Bekleidungs- oder der High-Tech-Industrie – zusammenbrechen, weil wir die Produktionsstätten in entlegene Länder verlagert haben. Das nicht etwa, um höhere Qualität zu generieren, sondern um billiger – ich verwende dieses Wort an dieser Stelle bewusst – zu produzieren. Solch ein Vorgehen kann natürlich niemals die Lösung sein. Schon gar nicht, um unsere Pflege-, Gesundheits- oder Gastronomiestandards zu halten. Die ganze Sache ist in Wahrheit hoch politisch. Und darum sage ich: „Kochen muss wieder politisch werden!“

Dafür bekommst du nicht einmal mehr im Dorf eine vernünftige Bleibe, geschweige denn kannst du davon eine Familie ernähren.
Christian Rach über Löhne in der Branche

Aber speziell die Gastronomie scheint in der Politik kaum gehört zu werden und wenig Verständnis zu bekommen. Warum?
Die Mandatsträger, die sich mit diesen realen Dingen beschäftigen müssen, haben oftmals keinerlei Wissen über das Funktionieren unserer Branche. Das liegt wohl daran, dass sie teilweise von der Realität so sehr abgeschirmt sind, dass der Bezug dazu verloren geht. Ein weiteres Hauptproblem, dem wir uns dabei unbedingt stellen müssen, ist, dass bei verantwortlichen Entscheidungsträgern oft konkretes Wissen über Hintergründe und Zusammenhänge fehlt. Damit will ich sagen: Bildung ist nicht nur eine Sache, die in der Schule Relevanz hat. So wie sich Menschen in technischen Berufen, als Lehrer, als Köche – im Grunde in jeder Branche – fortbilden, müsste das auch bei Politikern der Fall sein.

Christian Rach
Wohin geht die Reise? Für Christian Rach spielen vor allem Nachhaltigkeit sowie Produkt- und Mitarbeiterqualität die größten Rollen.

Ist die Einführung der Kurzarbeit so ein Beispiel? Gut gemeint, aber am Ende an den Arbeitnehmern vorbei, weil Trinkgelder etwa nicht berücksichtigt werden?
Um diese Kurzarbeit beneiden uns dennoch viele Länder, aber sie war in diesem Fall einfach nicht der Realität entsprechend. Vor allem aber auch, weil man anhand dieses Werkzeugs gesehen hat, wie Arbeitgeber teilweise Gehälter künstlich hochgerechnet haben – das ging dann auf Kosten der Arbeitnehmer. Wenn ich mir Stellenanzeigen in der Gastronomie ansehe, muss ich Dinge lesen wie: Entlohnung laut Kollektiv, mindestens Lohngruppe 1, um 2016 Euro brutto monatlich. Das muss man sich erst einmal vorstellen. Fünf-Tage-Woche, 40 Stunden, flexible Arbeitszeiten. Mit diesem Gehalt bekommst du nicht einmal mehr im Dorf eine vernünftige Bleibe, geschweige denn kannst du davon eine Familie ernähren. Wie soll das bitteschön funktionieren? Dann steht da weiter zu lesen: „Fröhliches Team, Engagement, eigene Ideen sind gewünscht.“ Schön und gut, aber wer würde das als Arbeitsgeber nicht schreiben? Es schreibt doch keiner: „Wir sind ein beschissenes Team, bei uns sind eigene Ideen unerwünscht und wir haben eine bescheidene Arbeitsatmosphäre.“ Was sollen diese nichtssagenden Phrasen? Dazu kommt noch, dass viele Betriebe in touristischen Regionen angesiedelt sind, in denen die Lebenserhaltungskosten noch einmal höher sind, als es sonst Standard ist. Und das ist nicht Corona geschuldet. Das ist dem vorhandenen System geschuldet. Und an diesem System müssen wir dringend arbeiten.

Es scheint so, als müsste Gastronomie immer für Alle zu billigsten Preisen möglich sein.
Christian Rach

Aber um das System zu verändern, müssten wir wohl erst die Basis dafür schaffen. Stichwort: Höhere Preise …
Blicken wir kurz über den Tellerrand. Wir sehen jetzt an den Tanksäulen die Treibstoffpreise ins Unermessliche davongaloppieren. Es wird aber stillschweigend hingenommen. Vielleicht rufen wir nach der Politik und einer Steuersenkung oder machen die eine oder andere Fahrt weniger, aber grundsätzlich akzeptieren wir das einfach so. Das nehmen wir klaglos hin. Es gibt also große wirtschaftliche Bereiche, in denen Preiserhöhungen akzeptiert werden. Nicht aber in der Gastronomie, wo man für beste Produkte einen angemessenen Preis zahlen sollte. Es scheint so, als müsste Gastronomie immer für alle zu billigsten Preisen möglich sein. Wie kommen wir dazu?

Christian Rach
Er weiß, wie es geht: 1991 holte der heutige TV-Star und Quotenbringer Christian Rach mit dem Tafelhaus in Hamburg seinen ersten Stern.

Macht sich die Gastronomie mit Preisdumping im Kampf um Gäste selbst das Leben schwer?
Viele Kollegen in Ballungszentren schauen nicht auf ihr Produkt und ihre Kalkulation, sondern auf die Preisgestaltung des Mitbewerbers und versuchen den dann noch einmal um einen Euro zu unterbieten. Egal, ob sich das rechnet. Das ist absolut absurdes Denken. Man definiert nicht eine Qualität, die sich aus Produkten, deren Verarbeitung und natürlich der Qualifikation der Mitarbeiter zusammensetzt, sondern man definiert einen Preis und stopft in diesen Preis eine Angebotsleistung hinein. Das ist das Ende der Kreativität, das ist das Ende der fairen Bezahlung – sowohl für Mitarbeiter als auch für Produzenten. Wenn man es drastisch formulieren möchte, könnte man sagen, dass wir damit selbst den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

Woran liegt es, dass die Branche panische Angst davor hat, angemessene Preise zu verlangen?
Es ist der vermeintliche Druck der Verbraucher. Ein Argument, das für vieles herhalten muss. Wenn ich mir ansehe, dass du eine Woche Mallorca inklusive Flug, Hotel und Vollverpflegung um 400 Euro bekommst, sollte man sich schon fragen, wie das eigentlich gehen kann. Was erwartet der Gast davon? Der will schließlich auch noch Freundlichkeit und ein Lächeln serviert bekommen. Warum macht man da mit? Wir haben da offensichtlich eine psychologische Barriere in uns, ich kann es mir nicht anders erklären. Als würde folgender Spruch heute noch Gültigkeit haben: Wer nichts wird, wird Wirt. Dabei haben wir doch so viele erfolgreiche Gastronomen und Hoteliers, die zeigen, wie es funktieren kann. Moderner Erfolg hat immer auch etwas mit Mitarbeitern zu tun. Die Hardware, sprich die Location, die Einrichtung meines Restaurants kann ich bauen, das ist kalkulierbar. Die Software, die Seele meines Hauses, die entspringt aber immer dem Sein meiner Mitarbeiter. Das vergessen viele.

Wenn ich mir ansehe, dass du eine Woche Mallorca inklusive Flug, Hotel und Vollverpflegung um 400 Euro bekommst, sollte man sich schon fragen, wie das eigentlich gehen kann.
Christian Rach

Gehört infolge nicht auch das Thema Qualität und Kalkulation zur Software?
Ja, dazu gehört auch die Produktqualität. In anderen Branchen wird knallhart kalkuliert. Und zwar so: Erst wird ein bestimmter Gewinn festgesetzt und danach orientiert man sich bei der Kalkulation nach unten – und kommt am Ende zu einem Preis. Wenn in der Gastronomie überhaupt kalkuliert wird, ist es genau umgekehrt. Man fragt sich, was man dem Gast zumuten kann und versucht dann bei einem Menüpreis von zehn Euro noch Gewinn zu erzielen. Das funktioniert natürlich nur auf Kosten der Qualität und der Mitarbeiter. Dabei gibt es viele Beispiele, speziell in der Hotellerie, die das bereits anders machen. Und bei denen das wunderbar funktioniert. Kommen wir noch einmal auf Mallorca zurück: Was diese Insel gerade für einen Change hinlegt, das ist unglaublich. Die Leute sagen: „Wir wollen Qualität statt Masse, die unsere Heimat zerstört!“ Die Gastronomen auf Mallorca wollen, dass möglichst viele Menschen das lieben und schätzen können, was die Insel ausmacht. Aber ohne dass darunter die Heimat, also das Produkt, leidet oder gar kaputt geht.

Christian Rach
Nicht zurückschauen: Corona will Rach für die aktuellen Probleme der heimischen Gastronomie und Hotellerie nicht als Ausrede gelten lassen.

Wie passiert das konkret?
Es werden nachhaltig Hotelkonzepte geschaffen, die dann auch einen höheren Preis verlangen und dennoch funktionieren. Wir sehen das auch in Tirol, Vorarlberg oder Südtirol. Dort gibt es fantastische Konzepte und wenn du auf die Preise schaust – das kostet den Kunden richtig Geld. Doch das ist völlig in Ordnung, wird bezahlt und angenommen. Die Gäste spüren sofort, dass sie mehr dafür bekommen und ihr Urlaub nicht zum Albtraum, sondern zur Erholung wird. Dann brauche ich auch nicht fünf Mal im Jahr irgendwo hinfahren, dann reichen mir weniger Urlaube in einer ordentlichen Qualität. Und unterm Strich ist es doch das, was unsere Branche ausmacht: Den Menschen die Flucht aus dem Alltag zu ermöglichen. Wir lassen den Gast für eine zeitlang Sorgen und Probleme vergessen. Das ist die eigentliche Ware, die wir anbieten. Doch das funktioniert nur, wenn wir auch die passende Atmosphäre dafür schaffen.

www.christianrach.de

_____________

CHRISTIAN RACH
Christian Rach wurde am 6. Juni 1957 in St. Ingbert im Saarland geboren. Nach dem Abitur studierte er Philosophie und Mathematik an der Universität in Hamburg und jobbte nebenbei als Kellner. Dabei entdeckte Rach seine unbändige Leidenschaft für die Gastronomie und hängte die Uni für eine Karriere als Koch an den Nagel. 1991 holte er mit seinem Tafelhaus in Hamburg einen Stern. Dass er nicht nur kochen, sondern auch rechnen kann, zeigte er mit erfolgreichen Konzepten wie dem Kult-Steakhaus Ritchy und Rach sowie dem Restaurant Engel und dem Imbiss Luzifer. 2005 begann seine eindrucksvolle TV-Karriere mit Quotenbringern wie „Rach undercover“ oder „Rach sucht“.

_____________

DIE ROLLING PIN.CONVENTIONS
Tauche mit uns ein, in die drei einmaligen Welten der ROLLING PIN.CONVENTION in Graz und Berlin! Die CHEF.DAYS, WINE.DAYS & BAR.DAYS warten auf dich – mit Masterclasses und Tasting Areas sowie vielen Top-Speakern. Mit dabei: Christian Rach, Tim Mälzer, Heinz Reitbauer, Paul Ivic und viele mehr! Lass dich außerdem in der Expo-Area von den aktuell spannendsten Produzenten und Lieferanten inspirieren.

Sei mit dabei! Die nächste ROLLING PIN.CONVENTION wartet:
Graz: 30. bis 31. Mai 2022
Berlin: 11. bis 12. September 2022

Alle Infos sowie Early-Bird-Tickets:
rollingpinconvention.com

Werde jetzt Member.
100% kostenlos.

Als Member kannst Du alle unsere Artikel kostenlos lesen und noch vieles mehr.
Melde dich jetzt mit wenigen Klicks an.
  • Du erhältst uneingeschränkten Zugriff auf alle unsere Artikel.
  • Du kannst jede Ausgabe unseres einzigartigen Magazin als E-Paper lesen. Vollkommen kostenlos.
  • Du erhältst uneingeschränkten Zugriff auf alle unsere Videos und Masterclasses.
  • Du erhältst 50% Rabatt auf Rolling Pin.Convention Tickets.
  • Du erfährst vor allen Anderen die heißesten News aus der Gastronomie und Hotellerie.
  • Deine Rolling Pin-Membership ist vollkommen kostenlos.
Alle Vorteile
Login für bestehende Member

Top Arbeitgeber


KOSTENLOS MEMBER WERDEN
UND UNZÄHLIGE VORTEILE genießen

  • Insights aus der Gastro-Szene, ganz ohne Bullshit.
  • Personalisierte Jobvorschläge & die besten Jobs aus der ganzen Welt
  • Alle Online-Artikel lesen & Zugriff auf das Rolling Pin-Archiv
  • VIP-Einladungen zu ROLLING PIN-Events und vieles mehr…