Eric Vildgaard: Tolle Teller statt Terror
Verbrecherbanden, Schiffe und Küchen funktionieren nach dem gleichen Prinzip, sagt Eric Vildgaard: „Es gibt strenge Hierarchien, eine strukturierte Aufgabenverteilung und ein gemeinsames Ziel.“ Und der 38-jährige Däne weiß, wovon er spricht. Bevor er sich seine ersten beiden Michelin-Sterne erkochen konnte, war er ein gefürchteter Schläger und Drogendealer. „Ich war schon als Kind unheimlich frustriert und gewaltbereit. Ich war ein aggressives Arschloch und bin dem Tod nicht nur einmal gegenübergestanden.“
Verbrecherbanden, Schiffe und Küchen funktionieren nach dem gleichen Prinzip, sagt Eric Vildgaard: „Es gibt strenge Hierarchien, eine strukturierte Aufgabenverteilung und ein gemeinsames Ziel.“ Und der 38-jährige Däne weiß, wovon er spricht. Bevor er sich seine ersten beiden Michelin-Sterne erkochen konnte, war er ein gefürchteter Schläger und Drogendealer. „Ich war schon als Kind unheimlich frustriert und gewaltbereit. Ich war ein aggressives Arschloch und bin dem Tod nicht nur einmal gegenübergestanden.“
Unberechenbar aggressiv
Wenn man dem 1,87 Meter großen Ex-Gangster – wie etwa Anfang Juni bei der Rolling Pin.Convention in Graz – zum ersten Mal gegenübersteht, fühlt man sich klein. „Seine Erscheinung ist eine Mischung aus nordischem Bär und einem Wikinger, der sich im 8. Jahrhundert durch England brandschatzt“, liest man im Internet über den massiv tätowierten Küchenchef. Umso erstaunlicher ist seine sanfte Stimme – und auch die Geduld, mit der seine mächtigen Hände die Pinzette führen und präzise Blütenblatt neben Blütenblatt drapieren: „In der Küche habe ich meine Ruhe, meine Balance gefunden.“
Die Rolling Pin.Convention-Masterclass von Eric Vildgaard:
Mit 13 Jahren war Eric in einer Besserungsanstalt für minderjährige Straftäter gelandet – und wurde sogar dort wegen seiner unberechenbaren Gewaltausbrüche hinausgeworfen. Doch der Teenager, der von den Eltern längst auf die Straße gesetzt worden war, fand einen Mentor, der in seinem Heim ein visionäres Rehabilitationsprogramm leitete: „Um all meinen Ärger hinter mir zu lassen und ein neues Leben beginnen zu können, hätte ich mit ein paar anderen Jungs sechs Monate durch die Karibik segeln sollen.“ Doch dann kam wieder eine dieser „dummen Situationen“ dazwischen und der Traum platzte.
Hierarchie, Struktur, ein gemeinsames Ziel – Verbrecherbanden, Schiffe und Küchen funktionieren nach dem gleichen Prinzip.
Eric Vildgaards überraschende Erkenntnis
Doch statt ins Gefängnis zu wandern, wurde Eric zur Strafe auf ein Handelsschiff gesteckt, das vor der dänischen Küste unterwegs war: „Da draußen empfand ich so etwas wie Freiheit. Aber mir war unfassbar langweilig, ich hatte ja keine Aufgabe. Ich weiß bis heute nicht, warum, aber ich habe mir ein paar Zutaten gesucht und für die Crew eine Torte gebacken. Und sie waren begeistert!“ Eric wiederum war vom Lob überwältigt: „Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Wertschätzung erfahren.“
An den prinzipiellen Problemen änderte dieser magische Moment kurzfristig jedoch wenig: „Heute weiß ich, dass ich damals unter ADHS, also einer Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung, gelitten habe. Vom vielen Kiffen habe ich außerdem Psychosen aufgerissen und die Ärzte wollten mich zusätzlich noch mit Tabletten vollstopfen. Ich erzähle meine Geschichte heute deshalb so offen, weil ich jungen Menschen zeigen möchte, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht allein sind und dass auch sie eine Zukunft haben.“
Zwischen Gang und Noma
Eine wesentliche Rolle in Eric Vildgaards hollywoodreifer Geschichte („Wenn mein Leben verfilmt wird, kommt für die Hauptrolle nur Arnold Schwarzenegger infrage“) spielt sein sechs Jahre älterer Bruder Torsten. Der war nämlich die rechte Hand von René Redzepi und brachte den unbändigen Streetfighter, der in verschiedenen Küchen vergeblich sein Glück versucht hatte, kurzerhand im Noma unter. Hier, im besten Restaurant der Welt, lernte Eric, diszipliniert und strukturiert zu arbeiten: „Ich führte drei Jahre lang zwei komplett unterschiedliche Leben. Und beide waren für mich unglaublich faszinierend: einerseits die Härte der Straße, wo ich andere Menschen möglichst unglücklich machen wollte. Und andererseits ein Ort, an dem es um das genaue Gegenteil ging. In der Küche war ich eine andere Persönlichkeit. Ich habe gesehen: Mit der gleichen Kraft und dem gleichen Willen kann ich Menschen genauso gut glücklich machen.“
Dass Gehilfen und Jungköche nicht immer mit Samthandschuhen angefasst werden, störte den sonst so gewalttätigen Rocker nicht: „In der Küche habe ich das akzeptiert. Aber hätte mich auf der Straße jemand so respektlos behandelt wie manche meiner älteren Kollegen am Herd – glaub’ mir, das wäre für ihn garantiert alles andere als gut ausgegangen …“
Tausche Rolex gegen Teller
Die endgültige Wandlung gelang, als Eric an einer seiner kurzfristigen Arbeitsstellen nach dem Noma seine heutige Ehefrau Tina kennen und lieben lernte; er brachte eine Tochter in die Beziehung ein, die Restaurantmanagerin drei weitere. Mittlerweile ist die Familie um zwei gemeinsame Kinder angewachsen – und wohl der offensichtliche Hauptgrund für Erics inneren Frieden und seine Ausgeglichenheit.
Wenn mein Leben verfilmt wird, kommt für die Hauptrolle nur Arnold Schwarzenegger infrage!
Eric Vildgaard über seine Wunschbesetzung
2017 erfüllten sich die Vildgaards dann endlich den Traum vom eigenen Restaurant. Mangels finanzierbarer Alternativen allerdings nicht wie ursprünglich gewünscht in der Feinschmecker- Hochburg Kopenhagen. Sondern stattdessen in Gentofte, neun Kilometer nördlich der dänischen Hauptstadt. Damit man eine Relation ihrer damaligen finanziellen Situation bekommt: Um sich Teller, Gläser, Besteck und die ersten Zutaten leisten zu können, mussten ein Diamantring und eine Rolex verkauft werden.
Taten, nicht Terror
An internationale Auszeichnungen verschwendete Eric Vildgaard anfangs keinen Gedanken. „Ich bin ambitioniert und suche nach Perfektion. Im Wissen, dass ich diese Perfektion nie erreichen werde. Und wenn doch, dann ist das der Moment, in dem ich das Restaurant schließe“, postulierte er für sich. Dass das Jordnær mit seinen zwei Michelin-Sternen mittlerweile zu den sieben besten Restaurants Dänemarks gehört, freut ihn natürlich: „Einerseits bedeutet mir diese Auszeichnung alles, andererseits überhaupt nichts. Denn ich koche nicht für die Sterne, sondern für meine Gäste. Und, wenn wir schon dabei sind: Wir Köche sind keine Rockstars. Machen wir uns nichts vor: Unsere Aufgabe ist es, eines der menschlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen.“
Anders als alle Anderen
Und das tut er auf seine ganz eigene Art: „Als Vater will ich bei der Erziehung alles anders machen als meine Eltern bei mir und meinem Bruder. Und als Chef will ich anders agieren als all die Köche früher, die sich nur durch herumbrüllen Respekt verschaffen konnten.“ Deshalb ist er prinzipiell der Erste, der kommt und der Letzte, der geht: „Ich arbeite jeden Tag selbst an einer Station. Ich führe meine Kollegen durch Taten, nicht durch Terror. Aber vielleicht liegt es auch an meiner Vergangenheit, die natürlich kein Geheimnis ist, dass ich nicht mehr laut werden muss. Heute bin ich ein sanfter Riese.“
Dennoch ist er ein Mann, der zu keinen Kompromissen bereit ist – vor allem dann, wenn es um die Qualität geht. Entscheidend in seiner Philosophie ist der Respekt vor den Zutaten. „Ich töte mit meinem Messer pro Tag 30 bis 35 Langusten. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich bin es dem Tier schuldig, dass es nach seinem Tod so gut wie möglich verarbeitet und so schön wie möglich präsentiert wird.“
Zwischen Genialität und Desaster liegen in der Küche nur zwei Sekunden. Aber unter Druck arbeite ich zum Glück am besten.
Eric Vildgaard über sein Streben nach Perfektion
Und was hat das mit Japan zu tun?
In seinen Rezepten kombiniert Eric Vildgaard die nordische Küche mit japanischen Highlights: „Ich koche nordisch, weil ich so ausgebildet wurde. Und japanisch, weil ich diese Küche für ihre Präzision und ihre Leidenschaft für einzelne Zutaten liebe“, sagt der ungewöhnliche Chef. Zu seinen bekanntesten Kreationen zählt der Steinbutt mit Trüffel, gehackter Languste und Yuzo Kosho, einer japanischen Chilipasta. Doch selbst dieses Gericht unterliegt einem permanenten Wandel: „Bei der Zubereitung, bei der es auf die exakte Kombination von Geschmack und Textur ankommt, liegen zwischen Genialität und Desaster nur zwei Sekunden. Ich arbeite am besten unter Druck, aber ich bin immer auf der Suche nach Verbesserungen. Und ich weiß, dass ich meine Fähigkeiten noch lange nicht ausgeschöpft habe.“
Der Zukunft blickt Eric gleichermaßen entspannt wie selbstbewusst entgegen. Dabei ist ihm und seiner Umgebung allerdings stets klar: Der Hunger nach Erfolg ist längst nicht gestillt, Neugier und Ehrgeiz brennen nach wie vor in seinem Herzen und seiner Seele. Deshalb sagt er auch selbst ganz klar und deutlich: „Natürlich will ich den dritten Michelin-Stern! Ich will meine Karriere ans absolute Limit treiben. Ich will zeigen, dass auch Menschen wie ich, ein ehemaliges Gangmitglied, ein ehemaliger Drogendealer, in der Lage sind, Großes zu schaffen!“
Hätte mich auf der Straße jemand so respektlos behandelt wie manche meiner älteren Kollegen am Herd – das wäre für ihn nicht gut ausgegangen.
Eric Vildgaard über sein Leben zwischen Gang und Küche
Was, wenn die Drogen wieder locken?
Angst vor einem Rückfall hat Eric Vildgaard übrigens nicht; zu greifbar und zu sichtbar ist für ihn immer noch die dunkle Seite seiner Geschichte. „Wenn mir einmal alles zu viel zu werden droht, schaue ich auf meine linke Hand. Dort stehen die Buchstaben H-A-T-E, also Hass, auf meinen Fingern. Ich sehe das Tattoo und weiß: In dieses Leben will ich nie wieder zurück.“
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ERIC VILDGAARD
Im Mai 2017 eröffnete der heute 38-jährige Däne – mit Ehefrau Tina als Geschäftsführerin, Restaurantmanagerin und Sommelière – im Kopenhagener Vorort Gentofte sein erstes Lokal. Neun Monate später wurde das Jordnær mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, zwei Jahre danach folgte ein zweiter. Der Name des Lokals, das im Drei-Stern-Hotel „Gentofte“ residiert, ist Programm: „Jordnær“ lässt sich aus dem dänischen am besten mit „bodenständig“ übersetzen. Aus Gründen der Work-Life-Balance gibt es die nordisch/ japanischen Spezialitäten nur von Dienstag bis Freitag; das 17-gängige Menü kostet (ohne Weinbegleitung) umgerechnet 400 Euro. Und das erklärte Ziel des sanften Riesen am Pass lautet: dritter Stern!