Legenden: Jules Gouffé
Er ist ein Mann, der im selben Atemzug mit Küchengrößen wie Auguste Escoffier und Marie-Antoine Carême genannt werden sollte: Jules Gouffé. Der 1807 geborene Franzose steht zu Unrecht im Schatten seiner Zeitgenossen, denn er gehört ganz klar zu den Wegbereitern der französischen Küche und hat mit einem seiner Kochbücher ein kulinarisches Juwel und Standardwerk geschaffen.
Früh übt sich
Schon als Kind hat Gouffé von einer Karriere als Koch geträumt. Aufgewachsen in einer Gastronomenfamilie bei Paris hat er im väterlichen Betrieb eine Lehre zum Pâtissier absolviert. Im zarten Alter von 17 Jahren hat ihn niemand Geringeres als Marie-Antoine Carême, beeindruckt von seiner außergewöhnlichen Handfertigkeit, unter seine Fittiche genommen und ihn in die Welt der gehobenen Küche eingeführt.
Im Jahr 1840 eröffnete er sein eigenes Lokal in der Rue du Faubourg Saint-Honoré – ob es ein Restaurant oder doch eine Pâtisserie war, darüber sind sich Historiker uneinig. Fakt ist aber, dass es zu einem der angesehensten Lokale im damaligen Paris wurde.
Seine Kochkunst fand so viele Bewunderer und zahlungskräftige Kunden, dass er es sich nach 15 Jahren als Restaurantbesitzer leisten konnte, sein Lokal zu schließen und sich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Haute Cuisine zu widmen. Von da an arbeitete er an seinen insgesamt vier Kochbüchern.
Später entschied er sich doch noch einmal für das Kochen: 1867 übernahm er die Küche im legendären Pariser Jockey Club, einem Gentlemen’s Club, auf Drängen mehrerer Mitglieder. Sie waren davon überzeugt, dass Gouffés Kochkunst der Welt nicht vorenthalten werden dürfe. Die Stelle in der Rue Rabelais nahm er aus purem Vergnügen an – finanziell ausgesorgt hatte er ja schon lange.
Küchenbibel
1867 erschien das wohl bekannteste Buch von Jules Gouffé: „Le livre de cuisine“, zu Deutsch „Die feine Küche“. In diesem Kochbuch wurde erstmals eine klare Trennung zwischen häuslicher Küche und höherer Kochkunst vollzogen – der Haute Cuisine widmete er rund zwei Drittel, der bürgerlichen Küche rund ein Drittel des über 900 Seiten starken Werks.
Diese Teilung sorgte für Kontroversen: Was von den einen als Aufwertung der Hausfrauenküche interpretiert wurde, war für die anderen eine bewusste Abgrenzung der gehobenen Kochkunst von „Gebrauchskocherei“.
Das Buch war für seine Zeit außergewöhnlich: Gouffé gab detaillierte Listen über Zutaten sowie genaue Zubereitungsschritte und Garzeiten an, was für Kochbücher des 19. Jahrhunderts nicht die Regel war. Auch Anweisungen und Erläuterungen zum Falten von Servietten oder korrekten Eindecken von Tischen sind neben rund 2500 nummerierten Rezepten in dem reich illustrierten Werk zu finden, das 1872 erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.
Besonders war auch das Kapitel über chemisch-physikalische Vorgänge beim Kochen: Darin ist zum Beispiel beschrieben, wie Wasser zum Kochen gebracht wird und welche Sinneswahrnehmungen dabei auftreten – zum Beispiel dass bei 45 Grad Celsius leichte Dämpfe aufsteigen, ab 80 Grad ein trommelndes Geräusch deutlich wahrnehmbar ist und bei 100 Grad das Wasser „lebhaft aufwallt“.
Die zahlreichen Illustrationen im Buch bestätigen Gouffés Ruf als „Apostel des dekorativen Kochens“: Jedes Gericht ist mit unzähligen Verzierungen aus verschiedenem Gemüse, Obst oder anderen Lebensmitteln versehen – seine Küchenphilosophie kann als das genaue Gegenteil der späteren Nouvelle Cuisine bezeichnet werden.
2010 wurde das renommierte Kochbuch als Faksimile nachgedruckt und vom Gerstenberg- Verlag neu herausgegeben. „Der Gouffé“ ist heute, ganze 150 Jahre später, noch genauso wie damals im Buchhandel erhältlich.
Jules Gouffé starb 1877 im Alter von 70 Jahren in Paris – aber auch viele Jahre nach seinem Tod ist sein Beitrag zur französischen Kochkunst ein wesentlicher.