Philipp Vogel: Der Vogel mit der Ente
Hinter Herd stehen ist für mich mittlerweile Entspannung“, sagt Philipp Vogel. Das mag aus dem Mund eines Spitzenkochs zunächst ungewohnt klingen. Nur: Philipp Vogel ist eben nicht nur Koch. Sondern so ganz nebenbei auch noch Hoteldirektor. Und zwar vom Orania Boutique Hotel in Berlin, einer der geschichtsträchtigsten und zugleich polarisierendsten Institutionen deutschlandweit.
Hinter Herd stehen ist für mich mittlerweile Entspannung“, sagt Philipp Vogel. Das mag aus dem Mund eines Spitzenkochs zunächst ungewohnt klingen. Nur: Philipp Vogel ist eben nicht nur Koch. Sondern so ganz nebenbei auch noch Hoteldirektor. Und zwar vom Orania Boutique Hotel in Berlin, einer der geschichtsträchtigsten und zugleich polarisierendsten Institutionen deutschlandweit.
Geschichtsträchtig, weil im denkmalgeschützten Prachtgebäude seit 1912 gegessen, getrunken, getanzt und gesungen wird. Polarisierend deswegen, weil in einem Bezirk wie Kreuzberg bekanntlich alles für Stirnrunzeln sorgt, was ohne Antifa-Attitüde auskommen will. Umso mehr noch, wenn es sich um ein Designer-Hotel mit eigenem Steinway-Flügel handelt, der gleich viel kostet wie eine kleine Eigentumswohnung auf der Straßenseite vis-à-vis. Sprich: Kreuzberg und seine Bewohner wollten nichts von diesem Etepetete-Hoteldingsbums wissen. So ein Luxusschuppen mache das Wohnen hier, wo die Mieten ohnehin explodieren, nur noch teurer.
Ich wollte keinen zweiten Stern. Ich wollte auch nicht mehr für 30 Leute pro Abend kochen. Sondern am liebsten für 3000.
Nach seinem ersten Stern im Wiener Palais Hansen stand für Philipp Vogel fest: Auf zu neuen Abenteuern!
Also schlugen nach der Eröffnung 2017 in regelmäßigen Abständen wütende Bewohner mit Pflasterscheinen die Fenster ein oder beschmierten die frisch sanierte Fassade. „Und überhaupt“, so Vogel, „wurde ordentlich Stimmung gegen das Projekt gemacht“. Glaubt man dem sympathischen Orania-Chef, verbringen heute viele der ehemaligen Pflastersteinwerfer ihre Abende in seinem Restaurant. Fest steht jedenfalls: In den fünf Jahren seit seiner Eröffnung hat sich das Orania zu einem absoluten Foodie-Hotspot Berlins gemausert.
Einerseits pilgern Menschen aus ganz Deutschland her, um in den Genuss von Vogels chinesisch inspirierter Kreuzberg-Ente zu kommen. Andererseits ist das Orania heute genauso Teil der Kreuzberger Kiez-Kultur und hat sich mit seinen Bewohnern versöhnt. Wie hat der gebürtige Kölner das geschafft? Und warum hat sich der Ex-Sternekoch so etwas überhaupt angetan, wo er doch auf sicherem Posten einem zweiten Michelin-Stern nachjagen hätte können?
Ein Stern reicht
Die Wurzeln von Philipp Vogels Kochkünsten liegen – und das kommt jetzt ein bisschen überraschend – in der Scheidung seiner Eltern. „Meine Mutter hatte viel zu tun und gab mich deswegen tagsüber zu einer Tagesmutter“, erzählt er. Der kulinarische Twist an der Sache: Klein-Philipps Tagesmutter war Italienerin und hatte sechs eigene Kinder. „Mit Italienern groß zu werden ist wunderschön, weil sie eins wirklich können – genießen. Bis heute sage ich: Die besten Gerichte, die ich je in meinem Leben hatte, kamen nicht von meiner Mutter, sondern von meiner Pflegemutter.“
Dass Vogel schon bald Koch werden wollte, verwundert somit nicht weiter. Also erst einmal Lehre im Kölner Börsenrestaurant unter Erhard Schäfer, infolge führt ihn sein hemdsärmeliger Ehrgeiz unter anderem nach London, wo er 2008 für Hotelierslegende Thomas Althoff das St. James’ Hotel and Club eröffnete. „Ich war keine 25 Jahre alt und hatte zum ersten Mal große Verantwortung als Küchendirektor. Nach dieser Eröffnung schwor ich mir: Nie wieder eine Hoteleröffnung. Ich war einfach zu fertig.“ Ein Vorsatz, den Philipp Vogel zum Glück bald über Bord werfen sollte. Davor erfüllte er sich allerdings einen Traum. Er wollte endlich einmal in China arbeiten.
Heute wissen wir: Die Verfolgung seiner China-Vision legte den Grundstein für seinen heutigen Erfolg im Orania. Als Executive Chef im Kee Club in Shanghai tauchte Vogel einst in die chinesische Küche ein – und bekam ein untrügliches Gespür dafür, wie eine Ente in pekingscher Manier zu schmecken hat. Dass er Jahre später in Berlin mit seiner ganz eigenen Version dieses chinesischen Weltrezepts für Furore sorgen würde, daran dachte Vogel damals freilich nicht. Stattdessen verschlug es ihn zunächst nach Wien. Im Palais Hansen des Hotel Kempinski zeigte der Weltenbummler als Executive Chef, was er über all die Jahre an Wissen und Know-how aufgesogen hatte.
„Viele meiner Freunde aus der Sternegastronomie hatten schon ihren Stern, vor allem die früheren Mitarbeiter von Dieter Müller. Jetzt wollte auch ich meinen ersten Stern holen.“ Nach acht Monaten wurde Vogels Kochkunst tatsächlich mit einem Macaron ausgezeichnet. „Das war für mich die totale Befreiung.“ Und doch: Kaum hatte er sein Ziel erreicht, merkte der Jungstar, dass es ihn eigentlich in eine andere Richtung treibt. „Ich wollte keinen zweiten Stern. Und ich wollte auch nicht mehr für 30 Gäste kochen. Sondern ich wollte Gerichte kreieren, die wirklich Spaß machen. Am liebsten für 3000 Gäste.“
Ente sei Dank
Kein Wunder also, dass der Abenteuerlustige sofort „Ja“ sagte, als er gefragt wurde, ob er im Orania in Berlin das Zepter schwingen möchte. Dietmar Müller-Elmau, der Betreiber des Hotels, dem auch das bekannte Schloss Elmau in Bayern gehört, gab damals lediglich das übergeordnete Konzept vor: Es sollte ein Hotel mit kulturellem Touch werden. Vogel setzte diesen Anspruch mit Bravour um, holte beispielsweise mehrmals wöchentlich heimische Bands und Musiker auf die Bühne mitten im Restaurant. „So etwas stärkt die Kiez-Kultur“, so sein Credo. Was die Kulinarik betrifft, stand für Vogel von Anfang an fest: In dieser Bude braucht es dieses eine Gericht, das die Leute in Scharen anlockt. Und nachdem die Weihnachtsente, die im Dezember 2017 aufgetischt wurde, auch noch mitten im Sommer 2018 der Renner war, wusste
Vogel: Das ist es.
Heute macht die Kreuzberg-Duck rund 90 Prozent seines Restaurantumsatzes aus. Die Brust, ohne Haut rosa angebraten, wird mit eingelegten Pak Choi serviert und punktet mit süß-säuerlichen Geschmacksnoten. Der dazu gereichte Fried Rice mit Keulenfleisch hat sogar schon Chinas Botschafter in Staunen versetzt. Doch der Umsatzbringer hat auch einen weiteren Vorteil: Der Küchenchef kann sich kulinarisch voll und ganz auf sein Team verlassen und, anstatt jeden Tag eine neue Menükarte zu schreiben, fokussiert seinem zweiten Job nachgehen: Hoteldirektor.
Mit seiner Ente à la Kreuzberg hat der kochende Hotelier allerdings noch Größeres vor. Kein Wunder, trudeln seit rund zwei Jahren immer mehr Pop-up-Anfragen für Duck-Sessions ein. „Es wäre schön, sie im Laufe der nächsten Jahre international zu etablieren“, so Vogel über seinen Vogel. Dabei denkt er an Städte wie New York oder Dubai. Das Orania wird also ganz ohne Pflastersteinwerfer von sich reden machen. Eine Behauptung, die ganz gewiss eines nicht ist – eine Zeitungsente.
_____________
PHILIPP VOGEL
Geboren 1981 in Köln, wuchs Philipp Vogel bei einer italienischen Tagesmutter auf, die ihn für gutes Essen begeisterte. Nach der Lehre im Kölner Börsenrestaurant verschlug es ihn in prestigeträchtige Küchen wie das Louis C. Jacob oder das Restaurant Dieter Müller. Stationen in England, Schottland und Shanghai folgten. 2013 holte er im Wiener Palais Hansen einen Michelin-Stern und wurde 2014 von Rolling Pin zum Aufsteiger des Jahres gekürt. Seit 2017 ist er Hoteldirektor und Küchenchef im Hotel Orania in Berlin.