Reines Herzblut
Fotos: Wolfgang Hummer
Das SED Zentralkomitee hätte der Weiterverwendung seines Inventars nicht zugestimmt. Hat aber nichts mehr zu sagen und deswegen hängen dessen Oberschränke nun in der ersten Dönerbude von Berlin-Mitte. Die ist allerdings nun ein französisches Gourmetrestaurant mit einem ausgestopften Hahn über dem ehemaligen Tresen und einem schrägen Vogel dahinter. Sein Name: Andreas Saul. Der Hahn hat keinen. Ziegenbart, Tattoos, Piercings in Personalunion mit einem Faible für Gänseleber, Nouvelle Cuisine und filigrane Anrichtetechnik. Ein respektabler Vertreter der gehobenen Küche in Military-Baggy-Hosen und schwarzem T-Shirt. Das kneift sich? Stimmt. Ist aber egal, weil es Andreas und seine Jungs Robert und Dominik sowieso nicht interessiert, was die anderen über sie denken. Das Küchenteam aus der Berliner Torstraße 167 probt nicht die Anarchie, sondern lebt sie. Und erntet dafür Applaus…
Fotos: Wolfgang Hummer
Das SED Zentralkomitee hätte der Weiterverwendung seines Inventars nicht zugestimmt. Hat aber nichts mehr zu sagen und deswegen hängen dessen Oberschränke nun in der ersten Dönerbude von Berlin-Mitte. Die ist allerdings nun ein französisches Gourmetrestaurant mit einem ausgestopften Hahn über dem ehemaligen Tresen und einem schrägen Vogel dahinter. Sein Name: Andreas Saul. Der Hahn hat keinen. Ziegenbart, Tattoos, Piercings in Personalunion mit einem Faible für Gänseleber, Nouvelle Cuisine und filigrane Anrichtetechnik. Ein respektabler Vertreter der gehobenen Küche in Military-Baggy-Hosen und schwarzem T-Shirt. Das kneift sich? Stimmt. Ist aber egal, weil es Andreas und seine Jungs Robert und Dominik sowieso nicht interessiert, was die anderen über sie denken. Das Küchenteam aus der Berliner Torstraße 167 probt nicht die Anarchie, sondern lebt sie. Und erntet dafür Applaus, Anerkennung und dreht deswegen seine Tische zweimal am Abend.
Der Independance-Status des winzigen Restaurants mit gerade mal vier Gaskochstellen und einem Backofen steht außer Frage. Wie lange noch, wird sich zeigen, denn Saul steigt ohne Pacojet, Holdomat, Thermomix und Convectomat langsam, aber sicher zum neuen Liebling der Berliner Szene auf. Hipster, Politiker, Schauspieler und Leute, die einfach Bock auf richtig gute französische Küche mit einem Touch Berliner Unangepasstheit haben, scharen sich um die gerade mal 19 Sitzplätze des Bandol sur Mer.
Vor ihnen liefern dann Andreas und entweder Robert oder Dominik – mehr als zwei ausgewachsene Männer haben hinter der Original-Kebab-Glasvitrine nicht Platz – eine drei- bis vierstündige Küchenshow ab. „Bei uns arbeitet jeder auf jedem Posten. Angefangen beim Brotbacken in der Früh über Saucenansetzen oder das Fleisch à la minute anbraten bis hin zum Rupfen der Tauben.“ Ja, auch das fachgerechte Zerteilen beherrschen die Köche aus dem Bandol – müssen sie beherrschen.
„Wir sind alle Profis, allerdings wollen das einige nicht glauben. Und wir lieben diesen Überraschungseffekt.“ Nicht nur den optischen, sondern auch den geschmacklichen: Das Gericht des Hauses ist die Foie gras, je nach Saison mit einer anderen Fruchtkomponente versehen. Anstatt normales Salz oder ein anderes Chi-Chi-Gewürzchen aus dem Himalaya für die Gänseleber zu verwenden, macht Andreas die Würze mit Poulardencrunch klar, also der Haut des Huhns krisp angebraten, zerstoßen und dann über die rechteckig geschnittene Foie gras gestreut. „Jeder Lieferant in Deutschland hat mir den Vogel gezeigt, als ich nach Hühnerhaut gefragt habe. Ein Anruf in Frankreich und ich wurde nur gefragt, wie viel Stück. Das ist der Unterschied zwischen uns und Frankreich.“ Vielleicht auch, dass die Franzosen ihr Geld für Essen ausgeben und die Deutschen für Autos – eine Tatsache, die Andreas immer wieder auffällt, wenn er auf Produktsuche in der Bretagne, an der Côte d‘Azur oder in der Provence ist.
So hat er eine kleine alte Dame aufgetan, die ihren Tauben selbst den Kopf umdreht und dann direkt zu Andreas ins Bandol verschickt – mitsamt Innereien und Federn. Oder diese Wahnsinns Quitten, die er auf einem kleinen Bauernmarkt in der Normandie gefunden hat. Auch das Geschirr kommt aus dem Nachbarland. „Wir sind eben ein französisches Restaurant, warum sollten meine Produkte dann nicht von dort kommen? Schließlich kann ich ja auch keinen Rochenflügel mit Zitronenrisotto anbieten.
Dann wäre ich ja ein Italiener – aber deswegen kommen die Leute nicht zu uns. Die wollen satt was aus Frankreich und das bekommen sie.“ Aber auch regionale Produkte sind mit auf der Karte, die von seinem eigenen Jäger und Fischer aus der Schorfheide kommen. Die Art seiner Küche nennt Andreas Gegenwarts-Freestyleküche. „Jeder von uns steuert seine Ideen bei und ist kreativ.
Aber ohne die totale Hierarchienummer abzuziehen, habe im Endeffekt ich die Mütze.“ Eher das Basecap, aber da wären wir wieder bei den Oberflächlichkeiten. Tief drin ist Andreas nämlich in der klassischen Sterneküche verwurzelt, war jahrelang bei Marco Müller in der Rutz Bar Sous Chef, bevor er im Bandol ankerte und dort den Küchen- und Kochstil nach eineinhalb Jahren nach seinen Vorstellungen umstrukturierte. „Ich habe in meinem Denken versucht, die Küche der Rutz Bar ein wenig wegzuschieben und meinen eigenen Stil zu entwickeln. Mein Fokus liegt nun auf der modernen, frischen Küche, die die Klassiker dekonstruiert und sie in einer neuen Denkweise zusammensetzt. Oder eben so, wie ich es für gut befinde.“
Parallelwelten
Dass so ein Restaurant in der Torstraße anzutreffen ist, wundert nicht, denn hier ist Berlin noch rau, anpassungsscheu und einigermaßen echt. Dass der Online-Bericht des Guide Michelin Folgendes über das Bandol schreibt, führt daher ab und an zu einiger Verwirrung: „Ein behagliches kleines Restaurant mit freundlich-ungezwungenem Service. Aus der offenen Küche kommen international-französische Speisen.“ Wie gesagt, die offene Küche ist der ehemalige Döner-Grillstand – ein Umstand, der Kultfaktor hat – und aufgemascherlte Touristen sind in dieser Ecke der Hauptstadt noch selten. Treffen diese beiden Welten dann auf den 30 Quadratmetern des Bandol aufeinander, setzt bei einigen der Fluchtreflex ein. „Da stehen zwei solche Typen in der Küche, von denen geglaubt wird, dass sie aus einem Jamie-Oliver-Knast-Projekt entsprungen sind. Und die haben eben Angst, sich von uns bekochen zu lassen. Aber nur weil man einen Bart und Tattoos hat, ist man deswegen kein schlechter Koch. Zum Glück legen sich diese Vorurteile dann beim ersten Gang.“
Und zum Schluss kräht kein Hahn mehr über die Punkaufmachung der Jungs. Denn der Hahn überm Tresen kann nicht mehr und den Gästen ist es wurscht. Die wünschen sich eher, dass die Zeit stehen bleibt – und glücklicherweise ist die einzige Uhr im Bandol bei halb zehn stehen geblieben. Also immer noch reichlich Zeit für den nächsten Gang.