Wie Hoteldirektorin Angélique Weinberger das Hotel Sacher Salzburg in die Zukunft führt

Vor sechs Jahren wurde Angélique Weinberger mit gerade einmal 32 Direktorin des Hotel Sacher Salzburg. Warum in den ersten zwei Jahren 80 Prozent der Mitarbeiter absprangen – und was von der Corona-Krise bleiben soll.
November 17, 2020 | Text: Lucas Palm | Fotos: Helge Kirchberger Photography

80 Prozent der Mitarbeiter gefällt das nicht

Eigentlich hätte Wien ja nur ein Zwischenstopp werden sollen. Und eigentlich, ja, eigentlich wäre es dann endlich nach Abu Dhabi gegangen. Zumindest, wenn es nach der damals 24-jährigen Angélique Weinberger gegangen wäre. Hätte man hingegen den Sacher-Geschäftsführer Matthias Winkler und Elisabeth Gürtler gefragt, wie sie die Sache sehen, hätten sie geantwortet: Wien, das ist das Sprungbrett. Und Abu Dhabi kommt nicht infrage. Salzburg heißt das Ziel. Chefetage, um genau zu sein.

Als Weinberger davon erfährt, ist sie erst einmal baff. „High risk“ nennt sie, ganz Managerin, diesen Plan im Nachhinein. Heute steht fest: Dieses Risiko war es wert. Denn die sechs Jahre, in denen sie das ehrwürdige Hotel Sacher leitet, haben es – im besten Sinne – in sich. Das liegt auch daran, dass Weinberger vom ersten Tag an aufs Ganze ging – trotz (oder wegen?) des high risk ihrer Mentoren. 80 Prozent ihrer Mitarbeiter gefällt das gar nicht. Innerhalb der ersten zwei Jahre, in denen die Hoteldirektorin den Laden schupft, sind sie weg. So beginnt sie die Erfolgsgeschichte der „Ära Weinberger“ im Hotel Sacher an der Salzach.

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Angélique Weinberger gilt als Meisterin des produktiven Hinterfragens. Im Hotel Sacher sorgte sie mit ihrem avantgardistischen Führungsstil zu Beginn für ordentlich Furore – und hat in den vergangenen sechs Jahren eine beeindruckende Bilanz vorgelegt.

80 Prozent der Mitarbeiter gefällt das nicht

Eigentlich hätte Wien ja nur ein Zwischenstopp werden sollen. Und eigentlich, ja, eigentlich wäre es dann endlich nach Abu Dhabi gegangen. Zumindest, wenn es nach der damals 24-jährigen Angélique Weinberger gegangen wäre. Hätte man hingegen den Sacher-Geschäftsführer Matthias Winkler und Elisabeth Gürtler gefragt, wie sie die Sache sehen, hätten sie geantwortet: Wien, das ist das Sprungbrett. Und Abu Dhabi kommt nicht infrage. Salzburg heißt das Ziel. Chefetage, um genau zu sein.

Als Weinberger davon erfährt, ist sie erst einmal baff. „High risk“ nennt sie, ganz Managerin, diesen Plan im Nachhinein. Heute steht fest: Dieses Risiko war es wert. Denn die sechs Jahre, in denen sie das ehrwürdige Hotel Sacher leitet, haben es – im besten Sinne – in sich. Das liegt auch daran, dass Weinberger vom ersten Tag an aufs Ganze ging – trotz (oder wegen?) des high risk ihrer Mentoren. 80 Prozent ihrer Mitarbeiter gefällt das gar nicht. Innerhalb der ersten zwei Jahre, in denen die Hoteldirektorin den Laden schupft, sind sie weg. So beginnt sie die Erfolgsgeschichte der „Ära Weinberger“ im Hotel Sacher an der Salzach. 

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Angélique Weinberger gilt als Meisterin des produktiven Hinterfragens. Im Hotel Sacher sorgte sie mit ihrem avantgardistischen Führungsstil zu Beginn für ordentlich Furore – und hat in den vergangenen sechs Jahren eine beeindruckende Bilanz vorgelegt.

Als Tochter einer Philippinerin und eines deutschen Berufssoldaten wächst die kleine Angélique dreisprachig auf. Deutsch mit dem Vater, Philippinisch mit der Mutter, die Eltern untereinander sprechen Englisch. Von Hamburg, wo sie aufwächst, geht es regelmäßig auf den südostasiatischen Inselkomplex. „Da machten wir“, erinnert sich Weinberger, „regelmäßig in den schönsten arabischen Ländern halt. Deswegen wollte ich als Kind für Singapur Airlines arbeiten. Wenn ich die Stewardessen sah, dachte ich mir immer: Die haben so schöne Uniformen, sind immer gut drauf, können reisen – und verdienen noch dazu Geld damit.“

Dann fragst du dich: ‚Bin ich überflüssig?‘

Angélique Weinberger über ihren ersten Arbeitstag nach ihrer Erkrankung 

Wer viel fliegt, steigt viel ab, und wer viel absteigt, verbringt viel Zeit in Hotels. Gut möglich, dass die Weltenbummlerin in der Hotellerie so etwas wie das Flair ihrer Kindheit sucht und wiederfindet. Nach dem Abi steht jedenfalls fest: Das von den Eltern so heiß ersehnte Medizinstudium wird’s erst einmal nicht. Stattdessen macht die geborene Kosmopolitin die Hotelfachschule und lernt in einem kleinen, aber feinen familiengeführten Hotel. Dem einzigen neben dem Sacher im Laufe ihrer Karriere. Denn danach geht’s erst einmal ins Kempinski-Imperium. „Von der Bar über Roomservice und Fine Dine bin ich eigentlich erst spät in die Logis gerutscht“, erinnert sich Weinberger an diese für sie prägende Zeit. „Zu dieser Zeit wollte ich unbedingt nach Abu Dhabi, das war seit Anfang der 2000er das Ding, wo alle hinwollten.“ Zuerst wurde der von rastloser Neugier Getriebenen jedoch nahegelegt, eine Station in der Schweiz oder in Österreich einzulegen.

Dort könne man „Family firm“ am besten, hieß es. Über einen Kempinski-Stammgast kam Weinberger nach Wien ins Sacher und begann dort als Rezeptionistin. Der Plan: Nach einem Jahr geht’s weiter ins Kempinski nach Abu Dhabi. „Im Sacher bin ich aber ziemlich schnell zur Stellvertreterin der Rezeption befördert worden.“ Damit war sie dort die erste Frau in dieser Funktion. Mit 28 wurde Weinberger Empfangschefin. Klar, das alles hatte seinen Reiz. Und doch: Die Chef-Rezeptionistin wollte weiterhin nach Abu Dhabi. Ein Jahr später teilte sie Matthias Winkler und Elisabeth Gürtler ihre Absicht mit, Wien zu verlassen. „Da sagten sie mir, sie hätten gerne, dass ich das Haus in Salzburg in zwei Jahren übernehme.“

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Das Sacher ist eines der letzten großen Luxushotels in Familienbesitz mit über 800 Mitarbeitern: Eva Gürtler, Georg Gürtler, Elisabeth Gürtler, Alexandra Winkler, Matthias Winkler (v.l.n.r.).

Mehr Verantwortung, mehr Freiheit

Es folgten Managementtrainings nicht nur in Wien, sondern auch im Vier Jahreszeiten sowie im Bayerischen Hof in München. Dabei nahmen sie die Besten der Besten unter ihre Fittiche: „Für 14 Tage war ich bei Gerd Käfer höchstpersönlich. Auch Karlheinz Hauser hat mich eng gecoacht. Außerdem wurde ich stark von Sepp Schellhorn und den Trettls unterstützt. Dieser Support aus der Gastronomie und Hotellerie war einzigartig“, erinnert sich Weinberger, die sich im selben Atemzug bewusst ist: „So eine Karriere hat auch mit Glück zu tun. Mit Netzwerk. Und damit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“ Mit 32 war Angélique Weinberger Hoteldirektorin des Hotels Sacher in Salzburg. Ein krönender Abschluss einer langen Vorbereitungszeit, einerseits. Andererseits: ein Neuanfang, bei dem sich der klischeehafte Zauber, der ihm innewohnen soll, in Grenzen hielt. „Niemand hat gesagt, dass es einfach wird.“

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Team work makes the dream work: Seit drei Jahren kann Hoteldirektorin Angélique Weinberger im Hotel Sacher Salzburg auf ein einzigartiges, perfekt koordiniertes Team bauen, das in der obersten Liga spielt.

160 Mitarbeiter übernahm sie in Salzburg. „Es begann eigentlich mit einer hohen Fluktuation, weil viele langfristige Mitarbeiter mit meinem Führungsstil nicht klargekommen sind.“ Oder anders ausgedrückt: mit dem Führungsstil einer neuen Generation, der weniger autoritär, aber auch nicht weniger fordernd ist. „Viele Mitarbeiter waren gewohnt, dass jemand Befehle gibt und sie führen sie aus. Heute ist aber ein Teamgefüge da. Damit kann man eben gemeinsam gute Entscheidungen treffen, auch wenn ich letztlich natürlich alleine und immer ganz vorne in der Verantwortung stehe. Anstatt zu befehlen, habe ich meine Mitarbeiter gefragt: ‚In welche Richtung möchtest du gehen?‘ Ich glaube, viele hatten plötzlich Angst vor dieser Mitverantwortung. Das hat Panik ausgelöst. Und das verstehe ich.“

80 Prozent der Belegschaft konnten oder wollten das in den ersten zwei Jahren so nicht machen. Mittlerweile jedoch hat Weinberger seit drei Jahren ein konstantes Team, über das sie nicht aus dem Schwärmen kommt. Und das erkannt hat: Mehr Verantwortung, das bedeutet auch mehr Freiheit. Klingt so, als wäre nach einem schwierigen Start alles bald wieder im Lot gewesen. Doch das Schicksal wollte es offenbar anders. 

Von Krisen und ihren Chancen

Angélique Weinberger surft gerade auf ihrer Sacher-Salzachischen Erfolgswelle, als ihr die Hiobsbotschaft verkündet wird: Brustkrebs. „Es gab zwei Perspektiven“, erinnert sich die Hoteldirektorin, „entweder ich kämpfe nicht und sterbe – oder ich kämpfe und jeder Tag zählt.“ Matthias Winkler eilt nach Salzburg, beraumt noch am selben Abend ein Meeting ein – und übernimmt kurzerhand, während Weinberger selbst auf unbestimmte Zeit freigestellt wird. Auch dank Winklers Optimismus und dank des Kampfgeistes ihres Teams habe sie gelernt, damit umzugehen. Sechs Monate später dann der erste Arbeitstag. „Das war das Schlimmste“, erinnert sie sich.

Das hat bei vielen Mitarbeitern Panik ausgelöst. 

Angélique Weinberger über ihren neuen Führungsstil, der weniger autoritär, aber mitnichten weniger fordernd als der ihrer Vorgänger war 

„Weil: Wenn du sechs Monate weg bist und alles ist weiterhin erfolgreich, alles funktioniert auch ohne dich, dann beginnen die Selbstzweifel. Dann fragst du dich: Bin ich überflüssig?“ Weinberger bricht vor Erschöpfung nach dem dritten Meeting ab. „Plötzlich habe ich wieder die Abläufe hinterfragt: Ist es richtig, was wir tun? Ist es wichtig? Ich bin viel mehr angeeckt als vorher.“ Man könnte auch sagen: noch mehr. „Das war auch etwas, was ich für die kommende Krise gelernt habe: sich selbst zu hinterfragen und einen Recheck zu machen. Auch mein Team hat sich enorm weiterentwickelt und emanzipiert. Es ging darum, neue Wege zu gehen.“ Und die brauchte es, wie wir wissen, ab dem 16. März 2020.

 

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Seit 2014 wurde das Hotel Sacher Salzburg bei laufendem Betrieb umgebaut, 34 Millionen Euro investiert. Im vergangenen Juni öffnete nach dem Shutdown wieder – unter anderem mit diesem neuen Schmuckstück, dem neuen Eiswagen mit Original Sacher Eis.

Der Corona-Lockdown traf die internationale Städtehotellerie bekanntlich am härtesten. Mit der stark eingeschränkten Reisefreiheit fielen sowohl in Wien als auch in Salzburg phasenweise über 70 Prozent der Gäste – und damit des Umsatzes – aus. Abgesehen von den Weltkriegsjahren in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine noch nie da gewesene Situation. „Wir haben natürlich viele Strukturen über Bord geworfen“, erklärt Weinberger.

„Wir sind alle viel hybrider geworden und arbeiten abteilungsübergreifend. Wir haben digital unheimlich viel auf den Weg gebracht. Vor ein paar Monaten haben wir nicht gewusst, was IGTV ist – da gibt es einfach so viele neue Tools, von denen ich hoffe, dass sie bleiben.“ Weinbergers Haltung ist von tiefem, überzeugten Optimismus, auch wenn die Corona­krise gerade für ihr Haus noch lange nicht ausgestanden zu sein scheint. Fest steht: Die Coronakrise ist auch für das Hotel Sacher eine Transformationszeit – dank Weinberger eine zukunfts­trächtige.

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Das Hotel Sacher und seine gesamte Geschichte auf einem Teller: Die legendäre Sacher-Torte mit Schlag.

Sofern sich heutzutage überhaupt noch etwas voraussagen lässt. Fest steht aber auch: Wie die meisten Transformationsprozesse ist auch dieser ein schmerzhafter. 140 Mitarbeiter musste das Hotel Sacher in Wien und Salzburg Mitte September kündigen. Davon 35 in Salzburg. Weinberger führte jedes dieser 35 Kündigungsgespräche persönlich. „Wir sind mit allen Gekündigten weiterhin in Kontakt. Wir haben einen Härtefonds eingerichtet und eng mit den Sozialpartnern zusammengearbeitet. Es gab eine unglaubliche Solidarität von Hoteliers und Gastronomen, die uns gesagt haben: Schickt sie uns, so und so viele können wir aufnehmen.“

Weinberger höchstpersönlich begleitete eine Mitarbeiterin aus der Küche, die von Hangar-7-Executive-Chef Martin Klein und Servicechef Matthias Berger durch den Hangar-7 geführt wurde. „Sie haben sie beraten, wie sie weitermachen könnte, ob Ausland Sinn macht, das war unglaublich. Durch die Krise sind Gastronomie und Hotellerie auf jeden Fall näher zusammengerückt.“ 

So oder so: Mit Angélique Weinberger als Kapitänin kann das Hotel Sacher Salzburg darauf vertrauen, gestärkt aus der Coronakrise hervorzugehen. Weinberger selbst zwar beteuert, momentan auf Sicht zu fahren, da Ziele und Perspektive für die kommenden Jahre nicht definierbar seien. Doch dann bricht es eben doch aus ihr heraus: „Ich möchte mit dem Hotel Sacher in Pension gehen, aber nicht als Direktorin. Weil ich glaube, dass es richtig ist, rechtzeitig das Zepter an wen anderen zu übergeben. Man muss eben immer einen Recheck machen.“ Es sind Sätze wie diese, warum Angélique Weinberger wohl noch lange die Geschicke des ehrwürdigen Hauses an der Salzach leiten wird. Ja, die Ära Weinberger, ist man versucht zu sagen, hat gerade angefangen.

www.sacher.com

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