Jagd auf falsche Flaschen
Eine kleine Kostprobe an Dramatik gefällig? Zwischen Dezember 2020 und Juni 2021 wurden allein in Europa 1,7 Millionen Liter gefälschter Alkohol – Weine und Spirituosen – sichergestellt. Bei dieser von Interpol und Europol „Opson X“ genannten Operation wurden somit fast 15.500 Tonnen illegale Produkte mit einem geschätzten Straßenwert von fast 60 Millionen Euro aufgegriffen. Daraus resultierten mehr als 1.000 Strafverfahren.
Eine kleine Kostprobe an Dramatik gefällig? Zwischen Dezember 2020 und Juni 2021 wurden allein in Europa 1,7 Millionen Liter gefälschter Alkohol – Weine und Spirituosen – sichergestellt. Bei dieser von Interpol und Europol „Opson X“ genannten Operation wurden somit fast 15.500 Tonnen illegale Produkte mit einem geschätzten Straßenwert von fast 60 Millionen Euro aufgegriffen. Daraus resultierten mehr als 1.000 Strafverfahren.
Man kann also getrost festhalten: Seit der Verurteilung von Rudy Kurniawan, dem wohl berühmtesten Weinfälscher der jüngeren Vergangenheit, hat sich zwar sicher viel verändert, es sind aber garantiert nicht weniger Fälscher unterwegs.
Dennoch lohnt sich ein kurzer Blick in die Vergangenheit des Fälschertums, wenn man in Zukunft besser aufgestellt sein möchte. In der Tat existieren Weinfälschungen schon, seitdem es Weinbau gibt. Homer etwa schrieb im 8. Jahrhundert v. Chr. neben der Schwefelung bereits über das Versetzen des Weins mit Gewürzen und parfümierenden Stoffen. Wirklich relevant wurden derartige Manipulationen aber freilich erst, als Weinbau in unserer Gesellschaft einen gewissen Status erlangte. Als besonderes Beispiel gilt hier das sogenannte Brunellogate.
Kein Wein ist vor Fälschungen sicher. Der Miraval von Angelina Jolie und Brad Pitt, der nur 20 Euro kostet, wurde auch gefälscht.
Maureen Downey, Sherlock Holmes der Weinwelt
Als in den 1960er-Jahren die italienischen Weinexporte anzogen, stieg dementsprechend die Nachfrage nach Chianti und Amarone. Wie der „Spiegel“ bald berichtete, fanden deutsche Labore in den 60er-Jahren bei untersuchten Proben von italienischen Weinen Spuren von Rinderblut. Dazu kamen Abfälle von Kalbshäuten, Eisen-Zyankali und Gips. Manche Weinfälscher griffen gar auf den Sud von verdorbenen Bananen oder Feigen zurück, um die Weine künstlich süßer zu machen. In der Folge wurden über 200 Fälscher von der italienischen Justiz überführt – und strenge Kontrollen eingeführt.
Der Meister der Falschweine
Im Gegensatz zu diesen Massenfälschungen betrieb der berühmte und eingangs schon erwähnte Rudy Kurniawan – wegen seiner Affinität zur Domaine de la Romanée-Conti auch „Dr. Conti“ genannt – eine ganz andere Fälscherkultur: Er nahm sich ausschließlich berühmter Weine an. Im Jahr 2006 erreichte er mit seiner Methode einen zweifelhaften Höhepunkt als Weinhändler: Bei zwei Auktionen verkaufte er erst Acker Merrall & Condit Weine im Wert von 34 Millionen Dollar. Bei der zweiten Versteigerung brachten ihm seine Falschflaschen 24,7 Millionen Dollar ein.
Sherlock Holmes der Weinwelt
Ganz egal, welcher dieser beiden Wege aber beschritten wird, es ist verdammt viel Geld zu machen. Das weiß keine besser als die US-Amerikanerin Maureen Downey. Sie hat einst gemeinsam mit dem FBI Rudy Kurniawan zu Fall gebracht und gilt seither als „Sherlock Holmes of Wine“. Sie sagt: „Kein Wein ist vor der Fälschung sicher. Der Miraval Côtes de Provence Rosé von Angelina Jolie und Brad Pitt beispielsweise, den man für zwanzig Dollar kaufen kann, wurde in Asien und Europa gefälscht.“
Es ist die Gier, die Fälschern den Weg ebnet.
Gerhard Retter sieht die Sache differenziert
Ihr europäischer Fachkollege Gerhard Retter hat zwar wenig Interesse, Fälscher dingfest zu machen, dafür aber liegt ihm viel daran, das Übel an der Wurzel zu packen. Er sagt: „Wir müssen verstehen, dass es immer unsere Gier als Weinkenner oder Weintrinker ist, die Fälscher überhaupt auf den Plan ruft.“ Sprich: Fälschungen können nur verkauft werden, weil die Käuferseite dem jeweiligen Tropfen einen besonderen Wert beimisst. Eine Sache, die Retter gerne grundsätzlich in Frage stellt: „Der Umstand, dass Weine als Wertanlage verstanden werden, bildet das Fundament für jede Art des Missbrauchs.“
Die Sache führt sich allein dadurch ad absurdum, dass in der Fachwelt längst klar ist, dass von berühmten großen Weinen – wie etwa 1945er Mouton Rothschild – weit mehr Flaschen in Sammlerkellern ruhen, als jemals hätten produziert werden können.
Hinzu kommt, so der Fachmann, dass diese besonderen Flaschen so gut wie nie geöffnet, sondern bloß gelagert werden. Das heißt im Umkehrschluss: Es weiß niemand so ganz genau, wie etwa ein 1870er Chateau Lafite Rothschild schmeckt. Gerhard Retter: „Das ist der älteste Wein, den ich je kosten durfte. Aber das ist schon wieder so lange her, dass ich heute auch keinen Vergleich mehr anstellen könnte.“
„Echtheit ist nicht am Geschmack erkennbar.“
Heißt: Selbst eine Fälschung kann schmecken, und ein Original grausig sein – gerade in diesem Altersspektrum. Zumal meist die Ehrfurcht vor dem Alter der Flasche mehr zum Tragen käme als die wahre Qualität des Weins. Das wiederum verleitet Maureen Downey gar zur provokanten Feststellung: „Kein Mensch auf der ganzen Welt kann am Geschmack erkennen, ob ein Wein echt ist, das gilt vor allem für alte Weine. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Er schützt damit die Fälscher.“ Denn selbst zwei scheinbar identische Weine, die 50 Jahre den Keller des Winzers nicht verlassen haben, würden womöglich völlig unterschiedlich schmecken. Nachsatz: „Wäre es möglich, echten Wein am Geschmack zu erkennen, hätte Rudy Kurniawan nicht ein Jahrzehnt lang gefälschten Wein verkaufen können.“
Ähnlich wie bei Kunstwerken muss bei einer besonderen Flasche deren Herkunft exakt dokumentiert sein!
Gerhard Retter weiß, worauf zu achten ist
Wie erkennt man falsche Weine?
Gefälschte Weine von originalen Flaschen zu unterscheiden, ist in der Tat alles andere als einfach. Die Wein-Detektivin selbst sagt: „Es ist immer wieder frustrierend zu sehen, wie viele Weinhändler glauben, die Echtheit von Weinen beurteilen zu können, nur weil sie seit 30 oder 40 Jahren im Geschäft sind.“
Das Erkennen von Echtheit habe wenig mit Weinexpertise zu tun. Vielmehr würden sich Kenntnisse von Kunst-Detektiven als viel hilfreicher erweisen. Ins gleiche Horn stößt Gerhard Retter: „Ähnlich wie bei Kunstwerken muss bei einer besonderen Flasche deren Herkunft exakt dokumentiert sein. Sonst ist die Echtheit dieses Weins jedenfalls einmal in Frage zu stellen.“
Außerdem gäbe es seiner Meinung nach zumindest einige Indikatoren, die man auch mit freiem Auge überprüfen kann: Wie sieht das Etikett aus? Können das verwendete Papier und der angewandte Druck mit dem Jahrgang zusammenpassen? Sind Korken und Etikett kongruent? Und, vor allem: Wie sieht es mit dem Füllstand aus? Dieser kann vor allem über die Lagerung des Weins Auskunft geben. Schließlich geht es bei der Wertbemessung eines Tropfens nicht ausschließlich um dessen Echtheit – sondern auch darum, ob die Flasche konstant fachgerecht gelagert wurde.
Moderne Technologie gegen Fälscher
Einen völlig neuen Twist bekommt dieses Thema allerdings in der heute hochtechnologisierten Welt. Während freilich ein alter Petrus ganz ohne Hightech-Sensoren auskommen muss, können heute abgefüllte Flaschen schon mit eigenen Sendern versehen werden.
So weiß man von Weingütern, die mit Korken und Verschlüssen arbeiten, die dem Winzer oder Händler ein Signal geben, wenn die Flasche geöffnet wird. Damit lässt sich einerseits stets dokumentieren, wie viele Flaschen der jeweils limitierten Charge noch unverschlossen sind und andererseits wird so verhindert, dass die Flasche mit einem anderen Wein neu befüllt werden kann.
Der deutsche Hauptimporteur von Romano Conti etwa geht sogar so weit, dass man eine geöffnete Flasche mit einer Tageszeitung in der Hand fotografieren und sie anschließend zerstören muss. Wer sich nicht an diese – und manch andere Sicherheitsbedingungen – hält, muss damit rechnen, als Käufer lebenslang gesperrt zu werden.
„Grundsätzlich“, sagt Retter, „muss man als Weinkäufer den logischen Hausverstand einschalten und bei der kleinsten Ungereimtheit hellhörig werden.“ Bestes Beispiel seien seiner Meinung nach sogenannte Schnäppchen. Dazu sagt Maureen Downey: „Wenn Ihnen ein angebliches Schnäppchen statt für 5000 Dollar für 3000 Dollar verkauft wird, haben Sie nicht 2000 Dollar gespart, sondern 3000 Dollar für einen Zehn-Dollar-Wein bezahlt.“ Kein guter Deal also.
Künstliche Intelligenz und viel Chemie
Dennoch machen es aktuelle Entwicklungen Fälschern immer schwerer, einfach durchzukommen. So ist etwa die KI-Zunge „HyperTaste“ von IBM in der Lage, Weinfälschungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren. Und ein an der Wiener Universität entwickeltes, datenbankbasiertes Analyseverfahren entlarvt falsche Tropfen ebenfalls hocheffizient. Einziges Problem bei beiden Verfahren: Man braucht eine Probe des Weins, muss die Flasche also jedenfalls öffnen. Damit ist klar: Nur der Markt von Massenfälschungen kann damit ernsthaft bekämpft werden. Dieser ist aber – da ist sich Gerhard Retter sicher – weit größer als der für gierige Sammler. „Der breite Weinmarkt ist viel leichter zu manipulieren als die Welt der Experten.“
Grundsätzlich aber sind sich Retter und Downey in einer Sache einig: Im Wein liegt vieles, aber eines sicher nicht – die Wahrheit.
Wie man falsche Weine erkennen kann
Erstens: Dem jeweiligen Händler unbedingt spezifische Fragen zur Herkunft des jeweiligen Weines stellen. Kann er die nur schlecht beantworten, zu Punkt zwei übergehen:
Stellen Sie sich seelisch schon vorab darauf ein, einfach zu gehen, wenn nicht wirklich alles passt.
Drittens: Seltene und teure Weine nur bei einem Händler des Vertrauens kaufen.
Viertens: Wenn ein angebliches Schnäppchen statt für 5000 Dollar für 3000 Dollar verkauft wird, haben Sie nicht 2000 Dollar gespart, sondern 3000 Dollar für einen Zehn-Dollar-Wein bezahlt.