Beschwerde – na und?
Fotos: Shutterstock, beigestellt
War alles in Ordnung?“ Das „Ja“ auf diese lieblose Routinefrage ist für den Gast obligatorisch – selbst, wenn er nicht ganz zufrieden war. Mangels ehrlichen Feedbacks suhlt sich so mancher Gastronom in Selbstsicherheit und lebt weiter nach dem Motto: „Ich brauche keine Kritik – ich weiß, was meine Gäste wollen.“ Sprechen Gäste Probleme doch mal offen an, wird dies als nörgelnde Schmarotzerei empfunden. Unternehmensberaterin Anne Schüller quittiert diese Einstellung mit einem schlichten „Bullshit“. Solche Traumtänzer fallen nämlich aus allen Wolken, wenn sie Monate später eine bitterböse, in Kopie an den Gault Millau weitergeleitete E-Mail erhalten, in der Küche und/oder Service des Hauses fein säuberlich filetiert werden. Doch selbst wenn die Kritik weit unter die Gürtellinie geht, gilt es, Ruhe und Professionalität zu bewahren. Auf verbale Entgleisungen von Hobbykritikern in Mails oder Blogs mit voller Wucht zurückzuschlagen und gar Hausverbot zu verhängen, wie es kürzlich Juan Amador gehandhabt hat, ist kaum der richtige Ansatz. Denn durch einen frustrierten Gast, sogar, wenn der sich nicht medienwirksam…
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War alles in Ordnung?“ Das „Ja“ auf diese lieblose Routinefrage ist für den Gast obligatorisch – selbst, wenn er nicht ganz zufrieden war. Mangels ehrlichen Feedbacks suhlt sich so mancher Gastronom in Selbstsicherheit und lebt weiter nach dem Motto: „Ich brauche keine Kritik – ich weiß, was meine Gäste wollen.“ Sprechen Gäste Probleme doch mal offen an, wird dies als nörgelnde Schmarotzerei empfunden. Unternehmensberaterin Anne Schüller quittiert diese Einstellung mit einem schlichten „Bullshit“. Solche Traumtänzer fallen nämlich aus allen Wolken, wenn sie Monate später eine bitterböse, in Kopie an den Gault Millau weitergeleitete E-Mail erhalten, in der Küche und/oder Service des Hauses fein säuberlich filetiert werden. Doch selbst wenn die Kritik weit unter die Gürtellinie geht, gilt es, Ruhe und Professionalität zu bewahren. Auf verbale Entgleisungen von Hobbykritikern in Mails oder Blogs mit voller Wucht zurückzuschlagen und gar Hausverbot zu verhängen, wie es kürzlich Juan Amador gehandhabt hat, ist kaum der richtige Ansatz. Denn durch einen frustrierten Gast, sogar, wenn der sich nicht medienwirksam …
… beschwert, verliert man „dank“ des Schneeballeffekts im Schnitt 220 weitere potenzielle Gäste. Hier die Expertentipps, wie man Gästereklamationen vorbeugen bzw. sie im Stillen lösen kann.
1 Trockentraining. Laut Schüller „fällt uns in der Stresssituation einer Reklamation das Intelligente ad hoc nicht ein“. Ein angemessenes, blitzschnell abrufbares Verhalten für jede Krisensituation kann jedoch trainiert werden. Das Schulungsprogramm für den korrekten Umgang mit Gästen kann dabei vom klassischen Telefontraining bis hin zu Rollenspielen unter der Leitung eines Theaterregisseurs reichen.
2 Kompetenzen klären. Nichts ist nervender für den Gast, als seine Beschwerde langsam die Hierarchie hinaufwandern zu sehen. Das Problem wird mit großer Verzögerung gelöst oder geht ganz unter. Daher sollten im Vorfeld die Kompetenzbereiche klar abgesteckt werden. Ein Kellner sollte auch ohne Rücksprache mit Küchenchef und Restaurantleiter wissen, wann es angebracht ist, dem Gast das Essen zu ersetzen. Dazu braucht es in der Regel ein eingespieltes Team. Selbstständiges Handeln sollte aber nicht in einer Auflösung der Hierarchiestrukturen ausarten, warnt Ansgar Fischer von der Schwarzwaldstube im Traube-Tonbach: „Manche Schwierigkeiten lassen sich nicht mit dem Kellner am Tisch klären. Das muss dann auf höherer Ebene geschehen.“ Um peinliche Situationen vor dem Gast zu vermeiden, sollte es schriftliche Vorgaben, eine Art „Betriebsanleitung“ für das Personal geben.
3 Kontakt halten. Im „Echtbetrieb“ darf der direkte Kontakt zum Gast nie abreißen. „Für ein gutes Ausgangsklima ist gesorgt, wenn das Personal über die Vorlieben von bekannten Gästen informiert wird“, weiß Udo Kaubek, Geschäftsführer vom Meinl am Graben in Wien. Beim Essen selbst empfiehlt Schüller, sich bereits im ersten Drittel jedes Ganges und nicht erst beim Abservieren nach der Zufriedenheit des Gastes zu erkundigen: „Mit W-Fragen – Wie schmeckt Ihnen die Komposition? – entlockt man mehr Feedback als mit Suggestivfragen.“ Je regelmäßiger die Kommunikation stattfindet, desto früher kann man Skepsis erkennen. „Wir sind personell so aufgestellt, dass theoretisch ein Mitarbeiter dem Gast während eines vierstündigen Restaurantaufenthalts die Hälfte der Zeit ununterbrochen zur Verfügung steht“, sagt Ansgar Fischer. Das wäre freilich zu viel des Guten, soll doch die Privatsphäre beim Gaumengenuss nicht durch ständiges Zwischenfragen gestört werden.
4 Krisenmanagement. Reklamiert ein Gast, muss ihm immer Gehör verschafft werden. Zwar nimmt laut Dietmar Maier vom Hubertus in Filzmoos die Zahl jener, die sich einfach nur Gutscheine erschnorren wollen, stetig zu. Allerdings sieht Schüller den Anteil der strategischen Nörgler bei maximal 1 bis 2 %: „Dieser Prozentsatz ist zu vernachlässigen. Grundsätzlich gilt, dass die Beschwerde des Gastes immer gerechtfertigt ist.“ Auf kleinere Beanstandungen sollte der Kellner selbst reagieren, bei Härtefällen greift der Restaurantleiter ein. Dabei genügt meistens ein klärendes Gespräch mit allen Beteiligten in ruhiger Atmosphäre. Wichtig ist, den Gast ausreden zu lassen und ihn nicht zu verdächtigen. Fischer predigt als oberstes Gebot, „stets reserviert zu bleiben, damit man dem Beschwerdeführer nicht ins offene Messer läuft“. Verständnis und eine aufrichtige Entschuldigung machen eine materielle Entschädigung oft überflüssig. Der Gast will sich in erster Linie seinen Frust von der Seele reden und seine Kritik beherzigt wissen. Dann sollte man ihn selbst über eine adäquate Wiedergutmachung entscheiden lassen. Nur ein schamloses Prozent lässt sich seine Unannehmlichkeiten materiell abgelten, der Rest ist peinlich berührt, sobald man sich großzügig zeigt. „Von einem Glas Champagner bis zur Nichtverrechnung des Ganges ist alles drin“, verweist Kaubek auf die Möglichkeiten einer Entschädigung. Handelt es sich klar um einen Schnorrer, kann man die Wiedergutmachung als Sonderausnahme darstellen und ihm so auf subtile Weise ein schlechtes Gewissen machen.
5 Feedback einfordern. Falls es während des Essens kaum Rückmeldungen vom Gast gibt, sollte zumindest danach noch einmal nachgehakt werden. So dreht etwa der Küchenchef nach Beendigung des Service persönlich eine Runde durch das Restaurant und erkundigt sich nach der Zufriedenheit der Gäste. Zusätzlich kann man im Zuge eines ungezwungenen Smalltalks bei der Verabschiedung mögliche Kritikpunkte in Erfahrung bringen.
6 Fehleranalyse. Jedes Problem, selbst wenn es bereits auf unterer Ebene geklärt wurde, muss dem Restaurantleiter gemeldet werden. Der führt für gewöhnlich ein Vieraugengespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter und versucht gleichzeitig, aus dem aufgetretenen Fehler die Lehren für die Abläufe im Team zu ziehen. Die Marketingexpertin hält es für hilfreich, Gästereklamationen im Sinn eines „erweiterten Kaizen“ in den hausinternen Prozess zur Serviceoptimierung einzubinden: „Die ehrlichen 98 % der Kritiker sind als kostenlose Qualitätsprüfer anzusehen, die dazu beitragen können, die Abläufe im Unternehmen zu verbessern.“
7 Umdenken. Schüller appelliert, Beanstandungen nie leichtfertig abzutun: „Hier muss es einen Umdenkprozess geben. Einen reklamierenden Gast, dessen Kritik man ernst nimmt, kann man nachhaltiger binden als einen, der nichts zu beanstanden hat.“ Auch außerhalb des Restaurantbetriebs besteht Nachholbedarf: 80 % aller potenziellen Gäste informieren sich vor ihrer Reservierung über das Restaurant auf Bewertungsportalen im Internet, doch nur 30 % der Gastronomen interessieren sich für ihr Abschneiden im Netz.
>> Der Tipp des Top-Maître: Kill them with kindness
Jimmy Ledemazel, der Maître im Aqua des Ritz Carlton Wolfsburg, über seine Vorstellungen vom perfekten Service.
ROLLING PIN: Wie holen Sie sich Feedback von Ihren Gästen?
Jimmy Ledemazel: Für gewöhnlich fragen wir nach dem Essen, ob der Gast zufrieden war. Dies übernimmt nicht nur unser Serviceteam, sondern auch unser Küchenchef Sven Elverfeld persönlich. Speziell wird nachgefragt, wenn der Gast etwas auf dem Teller übrig lässt. Hier werden offene Fragen gestellt, die er nicht einfach mit einem „Ja“ oder „Nein“ beantworten kann. Auf diese Weise wollen wir ihm helfen, seine ehrliche Meinung zu sagen.
RP: Wie nehmen Sie Kritik von Nörglern, aber auch von ehrlichen Kritikern auf?
Jimmy Ledemazel: Das Restaurant Aqua hat weniger Nörgler, aber den einen oder anderen ehrlichen Kritiker. Einige Kritiken sind eher objektiv, andere wiederum sehr subjektiv. Insgesamt sind wir offen und dankbar für positive wie negative Anmerkungen, da sie immer zur Verbesserung des Gesamterlebnisses beitragen.
RP: Was tun Sie, wenn Sie merken, dass sich jemand nur ein Gratisessen schnorren will?
Jimmy Ledemazel: Generell wird der Gast, egal ob Nörgler oder nicht, sehr ernst genommen. Wenn jemand ohne ersichtlichen Grund rummeckert, wird ihm entweder eine Alternative angeboten oder wir fragen, ob wir ihm das Gericht neu anrichten lassen können. Eventuell wird er zum Schluss auf einen Kaffee oder einen Digestif auf Kosten des Hauses eingeladen. Im Allgemeinen lautet unser Credo: „Kill them with kindness.“
RP: Wie verbessern Sie Ihren Service?
Jimmy Ledemazel: Es gibt täglich eine kurze Absprache im Team vor dem Service. Nach Beendigung des Service wird normalerweise mit allen Mitarbeitern darüber beraten, welche Verbesserungen in den Abläufen zu machen sind. Außerdem findet ein monatliches Abteilungsmeeting statt, um die Effizienz ständig zu steigern. Wir versuchen auch immer, die Kritik unserer Gäste in diesem Prozess zu berücksichtigen. War der Gast allerdings mit dem Konzept des Restaurants bzw. der Ausrichtung der Küche im Allgemeinen nicht einverstanden, können wir das so nicht integrieren.
RP: Erkundigen Sie sich auf Bewertungsportalen im Internet, welchen Ruf das Aqua genießt?
Jimmy Ledemazel: Ich weiß dass einige Websites, wie z. B. die-besten-koeche.de die Möglichkeit bieten, Kritik abzugeben. Diese werden regelmäßig von den Mitarbeitern unseres Hauses privat besucht und gelesen. Und dann wird auch immer wieder im Team darüber gesprochen.
RP: Was war die kurioseste Beschwerde, die Sie in letzter Zeit hatten?
Jimmy Ledemazel: Vor Kurzem merkte eine Dame nach ihrem Zwischengang (Pot au feu von Kartoffeln und Spinat mit Alba Trüffeln) an, dass wir zu viel Muskat auf ihren Teller gerieben hätten. Es war jedoch kein Muskat, sondern die weiße Alba-Trüffel. Wir haben ihr diese Situation erklärt.
Kontakt
Aqua, The Ritz Carlton
Stadtbrücke | 38440 Wolfsburg
Tel.: +49 (0) 53 61/60 70 91
Fax: +49 (0) 53 61/60 61 58 www.ritzcarlton.com/hotels/wolfsburg