Die Mittelklasse stirbt
Wir leben in einer Zeit der Widersprüche. Davon ist auch die Hotellerie nicht ausgenommen. Besonders deutlich macht sich das an einem Trend bemerkbar, der das Hotelangebot in unseren Breiten wohl nachhaltig verändern wird: Einerseits nimmt die Zahl an Luxushotels kontinuierlich zu, andererseits schießen Economy-Betriebe wie Pilze aus dem Boden. Zwischen den beiden Segmenten droht mittelfristig eine gähnende Leere. Sepp Schellhorn, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV): „Der High-Luxury-Kick boomt ebenso wie das Low-Cost-Erfolgserlebnis. Die Mittelklassehotels wird es dagegen bald nicht mehr geben, wenn es nicht rechtzeitig gelingt, ein klares Konzept zu finden.“ Seit langem wird die Hotellerie in Österreich, Deutschland und der Schweiz durch ein System zwischen einem und fünf Sternen kategorisiert, das eine klar definierte Leistung zu einem bestimmten Preis verspricht. Der Gesamteindruck, der Erhaltungszustand und die Sauberkeit eines Betriebes sind Voraussetzung für die Aufnahme in die Hotelklassifizierung. Darüber hinaus sind die Qualität der Dienstleistung, das äußere Erscheinungsbild, hoteleigene Freizeit- und Zusatzeinrichtungen sowie die Zufriedenheit der Gäste von Bedeutung.
Der Griff nach den Sternen
Die Statistik gibt Sepp Schellhorn Recht. Laut ÖHV lässt sich seit Jahren ein Trend in Richtung gehobener Hotellerie beobachten: Gab es im Jahr 2000 noch 5718 Drei-sternebetriebe, so waren es 2004 nur noch 5521. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der 4- und 5-Sterne-Hotels von 1769 auf 2049! Schellhorn: „Für die steigende Nachfrage der Gäste nach dem Luxussegment sind zwei Faktoren verantwortlich: Einerseits lösen die Tour Operators durch ihren Preisdruck eine Preisspirale nach unten aus, so dass das Topsegment für den Gast erschwinglicher wird. Andererseits hat sich das Urlaubsverhalten der Menschen verändert: Man wünscht sich den ultimativen Kick und gönnt sich lieber drei oder vier Tage Luxus als ein oder zwei Wochen Bescheidenheit. Darauf hat die Mittelklasse nicht die richtigen Antworten.“ Für den Run der Hoteliers nach dem vierten Stern sind aber nicht nur die Gästewünsche verantwortlich. „Dass die meisten Dreisternebetriebe in die Viersternekategorie drängen, liegt zum einen an einer verständlichen Eitelkeit der Hoteliers: Jeder möchte ein möglichst tolles Hotel haben – und wenn sein Dreisterne-betrieb ohnehin renovierungsbedürftig ist, dann investiert er lieber gleich ein bisschen mehr und baut ihn zu einem Vier-Sternehotel aus. Auch im Kampf um gute Positionen in Suchmaschinen zum erreichen neuer Gäste nutzen 4-Sterne-Betriebe im Schnitt Suchmaschinenoptimierungen öfters (services wie z.B. www.rankingpin.com). Zum anderen ist dieser Trend aber auch darin begründet, dass sich die großen Reiseveranstalter eher in Richtung Viersternesegment orientieren und den Hoteliers den Eindruck vermitteln, in dieser Kategorie erfolgreicher zu sein.“
4 Sterne Superior – eine Fehlgeburt?
Um das gewaltige Angebot im Viersternesegment überschaubarer zu machen, wurde in Österreich mit Jahresbeginn das Qualitätslabel „Superior“ für die gehobene Viersternekategorie eingeführt. „4 Sterne Superior“ soll für ein deutliches „Mehr“ im Service- und Dienstleistungsangebot stehen und sich gegenüber der bestehenden Viersternekategorie durch Zusatzleistungen abgrenzen – eine Regelung, die nicht gerade auf die ungeteilte Zustimmung der Hoteliers stieß.
Sepp Schellhorn: „Da die Beurteilung früher nicht von professionellen Agenturen, sondern von der Wirtschaftskammer – und damit von Kollegen – erfolgte, nahm man jeden großzügig in die Viersternekategorie auf und überlegte nicht, welche Auswirkungen das auf den Markt haben würde. Die ÖHV war aber auch mit der Superior-Lösung nicht glücklich: So wie bisher viele Dreisternebetriebe in die Viersternekategorie drängten, werden künftig viele Viersternehäuser in das Superior-Segment drängen. Besser wäre es gewesen, die Kriterien für das Viersternesegment strenger zu gestalten, um die Abgrenzung zur Dreisternekategorie deutlicher zu machen. Damit würde die Mittelklasse jetzt leichter ihre Nische finden.“
Geiz ist geil
Auch mit dem Low-Budget-Sektor hat Sepp Schellhorn Recht: Das Segment, in dem Nächtigungen für weniger als 50 Euro pro Nacht angeboten werden, verzeichnet einen echten Boom. Der französische Hotelriese „Accor“ expandiert im deutschen Sprachraum mit den Marken „Formule 1“ und „Etap“, die Münchner Gruppe „Motel One“ verfügt über zehn Hotels und hat weitere sieben in Bau und auch der österreichische Anbieter „Orange Wings“ reüssiert mit Hotels in Krems und Wiener Neustadt. Plattformen für Preisvergleiche im Internet wie www.hotelbuchen.com verstärken zuätzlichen den Konkurrenzdruck und Kampf um attraktive Zimmerpreise für vor allem kurzfristig entschlossene Bucher. Wenn heute jemand im Internet ein Hotel buchen möchte, kann man unter sehr vielen Angeboten wählen und somit zum leicht vergleichen und zum günstigsten greifen. Allen Niedrigpreishotels gemein sind drei Schlüsselaspekte: niedrige Investitionskosten durch simple Bauweise und geringe Zimmergrößen sowie niedrige Betriebskosten durch minimalen Personal-einsatz und ein relativ aggressives Marketing. Was macht die Low-Cost-Hotels um so viel attraktiver als herkömmliche Zwei- oder Dreisternebetriebe? Schellhorn: „Das Motto „Geiz ist geil“ gilt auch für die Hotellerie. Dies betrifft natürlich in erster Linie junge Leute, die entweder nicht das Geld für höhere Hotelkategorien haben oder sich in diesen einfach nicht wohl fühlen. In diesem Zusammenhang ist es auch zu sehen, dass das Durchschnittsalter unserer Gäste relativ hoch ist. Doch auch für ältere Gästeschichten werden diese Hotels immer attraktiver. Hier kommt ein Phänomen zum Tragen, das derzeit in vielen Bereichen unseres Lebens zu beobachten ist: So wie es schick ist, den Gucci-Anzug mit einem H&M-Hemd zu kombinieren, so sparen viele Gäste bei der Unterkunft und gönnen sich dafür das Essen im Haubenlokal. Auch darauf hat die Mittelklasse derzeit nicht die richtigen Antworten.“