DR. BADASS: DIE WEINKARTE IN 10 SCHRITTEN AUFZUMOTZEN (2/3)
All jene, die auch nur ansatzweise die gleichen Nerds sind wie ich, greifen bei einem Dinner als Erstes natürlich sofort zur Weinkarte. Und immer öfter frage ich mich: Was geht nur in den Köpfen der Sommeliers vor? Gibt es eine Ideologie dahinter, warum wurde sie überhaupt so geschrieben und präsentiert und am wichtigsten: Welche Schätze findet man darin? Hat es eine Richtung, einen Flow, ja eine Persönlichkeit? Oder ist es nur eine planlose Schmiererei von einer Person, die hier Getränke anführt, die sie so zu Hause auch gerne konsumiert? Hier kannst du in Ruhe die zweiten fünf der zehn Punkte abhaken und herausfinden, ob deine eigene Weinkarte Badass-Status aufweist …
Fotos: Mike Krueger
All jene, die auch nur ansatzweise die gleichen Nerds sind wie ich, greifen bei einem Dinner als Erstes natürlich sofort zur Weinkarte. Und immer öfter frage ich mich: Was geht nur in den Köpfen der Sommeliers vor? Gibt es eine Ideologie dahinter, warum wurde sie überhaupt so geschrieben und präsentiert und am wichtigsten: Welche Schätze findet man darin? Hat es eine Richtung, einen Flow, ja eine Persönlichkeit? Oder ist es nur eine planlose Schmiererei von einer Person, die hier Getränke anführt, die sie so zu Hause auch gerne konsumiert? Hier kannst du in Ruhe die zweiten fünf der zehn Punkte abhaken und herausfinden, ob deine eigene Weinkarte Badass-Status aufweist …
6. Lagerung, Lagerung, Lagerung
Einen Weinkeller zu bestücken und zu warten, ist grausames Tagesgeschäft. Und, verständlicherweise, auch nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung deiner Mitarbeiter. Was dem ganzen Horror noch die Krone aufsetzt, ist die Schwierigkeit, die schweißtreibende Arbeit hinter den Kulissen auf eine kreative, intelligente wie organisierte Art zu präsentieren. Entscheide dich, ob du den Keller nach Geografie, Rebsorte, Stilistik oder Produzent verwaltest, und bleib verdammt noch mal dabei! Überleg dir auch, ob das Menü eures Küchenchefs es erlaubt, die Gäste auch in puncto Wein auf eine kleine Märchenreise mitzunehmen, oder ob Gourmets, die gerade ein 15-gängiges Degustationsmenü genießen, höchstwahrscheinlich dann doch keinen Bock mehr auf eine komplette Dissertation über 1855-Klassifizierungen haben!
7. Sprich mit dem Koch
Dein Keller ist also auf Vordermann gebracht, die Weinliste hübsch formatiert und deine Mitarbeiter sind top gebrieft. Doch bevor du dir deinen Arm vor lauter Egoschulterklopfen brichst, stelle dir noch folgende Frage: Warum spazieren die Gäste überhaupt durch deine Tür? Wegen der Küche. Also schraub das Ego ein paar Zentimeter runter und setze deine ganze Kraft daran, die Küche bestmöglich zu unterstützen! Unterstützt deine Auswahl die unterschiedlichen Aromen? Mutig, würzig, elegant oder komplett anders. Hast du dich mit dem Chef de cuisine kurzgeschlossen, um herauszufinden, welche Weine funktionieren werden und welche nicht? Ich hatte einen Bekannten, der ein schickes Steakhouse in Chicago eröffnete, wo er umgehend 20 verschiedene Chenin blancs auf die Karte setzte. In einem Steakhouse. In Amerika! Einfach weil er es liebte. Sie haben sich nie verkauft!
8. Bis das Glas voll ist
Nicht jeder zählt die vernichteten Flaschen des Vorabends so genau wie wir Sommeliers. Viele Gäste müssen am nächsten Tag früh raus und können sich keinen Hangover in der Größenordnung von Marco Pierre Whites Ego erlauben. Sie wollen, und vor allem verdienen, etwas Qualitätsvolles! Das ist also genau deine Chance, um ein tolles Sortiment an offenen Weinen zusammenzustellen! Es muss nicht unbedingt riesig sein, dafür aber gut durchdacht. Ein Mix aus leistbaren Varianten für Anfänger und ein paar Raritäten für die Kenner. Gäste, die Weinbegleitungen bestellen, suchen ohnedies meist die etwas luxuriöseren Varianten, und mit Technologien wie dem Coravin-System gibt es immer weniger schlechte Ausreden, um nicht auch ein paar dieser oft selten verkauften Raritäten zu öffnen!
9. Von Flagey-Echézeaux zum bärtigen Flanellhemdträger
Solltest du diese Zeilen gerade lesen, bist du höchstwahrscheinlich nicht aus Brooklyn, Kopenhagen oder Melbourne. Also schmeiß deine supercoole Attitüde über Bord und besorg dir eine neue Frisur! Du warst bestimmt nicht der Erste, der The Strokes gehört hat, und mit Sicherheit nicht der Erste, der einen in der Amphore gereiften Adelaide-Hills-Riesling entdeckt hat. Alles, was also übrig bleibt, ist die Frage, ob ein Wein nun wirklich gut oder schlecht ist. Laufe also nicht wie ein Wahnsinniger durch die Gegend und versuche andauernd, den aktuellsten Scheiß zu entdecken, nur weil du der erste Streber sein willst, der ihn auf der Karte hat. Sei vielmehr kritisch! Halten diese Tropfen mit den anderen klassischen Weinen mit, wenn es um Kategorien wie Komplexität, Sortenreinheit, Jahrgangsverfügbarkeit, Struktur, Harmonie und Balance geht? Mich persönlich beeindruckt es keinen Cent, wenn ich eine Blindverkostung von irgendeinem abscheulichen Gesöff vorgesetzt bekomme, das man vor lauter Brettanomyces, Oxidation und grundlegender Ranzigkeit kaum besser erkennt als die Überreste eines Passagiers der Hindenburg.
10. Balance ist alles
Wie schon erwähnt, ist eine gesunde Portion Experimentierfreude wichtig, hat aber auch ihre Grenzen. Jedes Äffchen kann die „Wine Spectators Top 100 List“ kopieren und zu seiner eigenen machen. Um jedoch die weniger bekannten Preziosen der Weinwelt zu erforschen, braucht es vielmehr einen Pionier wie Schatzjäger. Nicht alle Gäste suchen die „Tempel des Todes“-Erfahrung, wenn sie eine Weinkarte öffnen. Es ist also wichtig, all die klassischen Weintrinker nicht zu verschrecken. Ich meine damit, dass man nicht gleich loslaufen muss, um sich mit einer Handvoll Sassicaia einzudecken, die dann die „Markentrinker“ befriedigen. Nein, man kann durchaus seine Integrität bewahren, indem man interessante, vorwärtsdenkende Produzenten entdeckt, die auch Old-School-Sammlern zusagen.