Grenzen auf und den Finger zeigen

So werden Köche reich und glücklich
November 13, 2015

Koch, illustriert
Fotos: Shutterstock, Gerald Rihar | HELGE KIRCHBERGER Photography Quellen: Nestlé Studie 2012 „Das is(s)t Qualität, STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus
Umweltbedingungen 3. Quartal 2011, im Auftrag des BMLFUW/25.04.2013, Statista 2014

Neulich im Spitzenrestaurant: Schokoladensoufflé, 29 Euro. Herkunft der Schokolade: Weltmarkt. So wie weit über 90 Prozent der gehandelten Schokolade. Geerntet von Kindersklaven. Rehfilet, 63 Euro, gebraten in mit viel Chemie raffiniertem Pflanzenöl. Herkunft des Palmöls: Indonesien, nur zwei Euro der Liter, angebaut auf abgeholzten Regenwaldflächen. Wegen der Raffination mit 3-MCPD-Estern belastet. Ochsenfilet, 76 Euro, Ochse aus konventioneller Aufzucht. Herkunft des Futters: Südamerika, Gen-Getreide angebaut in gigantischen Monokulturen. Auch hier: Regenwald abgeholzt und eingeborene Stämme vertrieben. Lecker Brot dazu. Herkunft des Mehls: Deutschland. Acker und Getreide wurden mit dem Totalherbizid Glyphosat gespritzt. Macht auf dem Feld alles kaputt, inklusive der Bienen. Auch den Menschen, weil Reste davon noch im Mehl enthalten sind. Ihnen vergeht gerade der Appetit? Weil hier Genuss auf Elend basiert? Jetzt schon? Dabei haben wir noch gar nicht über die Gänsestopfleber, den Thunfisch – der Gute kostet mittlerweile 70.000 Euro pro Prachtexamplar – oder die saftigen, leider antibiotikaverseuchten Sot-l’y-laisse, war aber Freilandhaltung, gesprochen. Geschmorte Schweinebacken von Schweinen aus … Ach, sparen wir uns das.

Die genannten Beispiele sind extrem, aber realen Speisekarten entnommen. Die Mutmaßungen über Zutaten und Produktion können als höchstwahrscheinlich richtig angenommen werden. Dass wir in einem System aus Profitgier und Ausbeutung minderwertige Lebensmittel produzieren, ist eine Binsenweisheit. Ebenso, dass dieses System von…

Koch, illustriert
Fotos: Shutterstock, Gerald Rihar | HELGE KIRCHBERGER Photography Quellen: Nestlé Studie 2012 „Das is(s)t Qualität, STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus
Umweltbedingungen 3. Quartal 2011, im Auftrag des BMLFUW/25.04.2013, Statista 2014

Neulich im Spitzenrestaurant: Schokoladensoufflé, 29 Euro. Herkunft der Schokolade: Weltmarkt. So wie weit über 90 Prozent der gehandelten Schokolade. Geerntet von Kindersklaven. Rehfilet, 63 Euro, gebraten in mit viel Chemie raffiniertem Pflanzenöl. Herkunft des Palmöls: Indonesien, nur zwei Euro der Liter, angebaut auf abgeholzten Regenwaldflächen. Wegen der Raffination mit 3-MCPD-Estern belastet. Ochsenfilet, 76 Euro, Ochse aus konventioneller Aufzucht. Herkunft des Futters: Südamerika, Gen-Getreide angebaut in gigantischen Monokulturen. Auch hier: Regenwald abgeholzt und eingeborene Stämme vertrieben. Lecker Brot dazu. Herkunft des Mehls: Deutschland. Acker und Getreide wurden mit dem Totalherbizid Glyphosat gespritzt. Macht auf dem Feld alles kaputt, inklusive der Bienen. Auch den Menschen, weil Reste davon noch im Mehl enthalten sind. Ihnen vergeht gerade der Appetit? Weil hier Genuss auf Elend basiert? Jetzt schon? Dabei haben wir noch gar nicht über die Gänsestopfleber, den Thunfisch – der Gute kostet mittlerweile 70.000 Euro pro Prachtexamplar – oder die saftigen, leider antibiotikaverseuchten Sot-l’y-laisse, war aber Freilandhaltung, gesprochen. Geschmorte Schweinebacken von Schweinen aus … Ach, sparen wir uns das.

Die genannten Beispiele sind extrem, aber realen Speisekarten entnommen. Die Mutmaßungen über Zutaten und Produktion können als höchstwahrscheinlich richtig angenommen werden. Dass wir in einem System aus Profitgier und Ausbeutung minderwertige Lebensmittel produzieren, ist eine Binsenweisheit. Ebenso, dass dieses System von vielen Politikern gedeckt, von Lobbyisten gefördert, durch schöne Werbebilder vertuscht wird. Wen interessiert schon der verunsicherte Bürger, der das Zeug, teilweise ohne es zu wissen, durch seinen Organismus jagt? Verbraucherverbände und Umweltschützer laufen seit Jahren Sturm dagegen.

Die Alternative: Volle Kanne dagegenhalten. Den Schrott raus und vernünftige Lebensmittel verwenden.

Und was tun Deutschlands Köche? Nur viel zu wenige handeln und engagieren sich für einen Wandel. Die meisten stützen das kranke System, leider. Aus unterschiedlichsten Gründen. Einige, weil sie einfach gedankenlos sind. Andere wenigsten mit schlechtem Gewissen. Dritte wiederum würden zwar gerne etwas ändern, wissen aber nicht, wie. Also, was ist zu tun? Sein Heil in der regionalen Küche suchen? Ist ein ehrenwerter Versuch. Bringt aber leider nichts, wie wir in dieser Zeitschrift vor einigen Ausgaben schon erläutert haben. Mitmachen und seine neue Angeberkarre durch Werbeverträge für glutamathaltige Tütensuppen finanzieren? Reizvoll, wenn da nur nicht das Problem mit dem Spiegel am Morgen wäre.

Wie wäre es mit der Alternative: volle Kanne dagegenhalten. Den Schrott raus aus der Küche und vernünftige Lebensmittel verwenden. Es ist höchste Zeit, dass sich Köche viel aktiver einsetzen und die Stimme erheben. Den Nutzen davon werden alle haben. Die Köche selbst, weil sie ihre wirtschaftlichen Erfolgschancen dramatisch erhöhen. Die Menschen im Land, weil nur Köche ihnen aufzeigen können, wie man sich gesund ernährt, ohne dabei auf Genuss zu verzichten. Die Umwelt und damit wir alle, weil ohne Engagement unserer Zivilgesellschaft wertvolle Lebensmittel unwiederbringlich verloren gehen. Das war jetzt viel auf einmal? O. k., dann schauen wir uns die Sache einmal ganz in Ruhe an.

Jeder bekommt die Gäste, die er verdient
„Nachhaltig und verantwortungsvoll hergestellte Produkte kosten mehr Geld … Da hat noch kein Gast nachgefragt … Bekomm ich nicht wieder raus … Würde ich ja gerne, kann ich mir aber nicht leisten …“ Klassische Argumente, wenn man mit Gastronomen über hochwertige Lebensmittel in der Küche redet. Alle mehr oder weniger schwach. Klar kosten die Produkte mehr Geld. Müssen sie auch, weil die Herstellung aufwendiger ist und nicht auf Kosten Dritter wie Umwelt oder Arbeiter geht. So weit, so richtig. Doch die Frage, wie und vor allem wie viel mehr kann ich verlangen, wenn ich welches Element im Marketingmix verändere, ist keine Schlussrechung. Geht leider nicht. Man kann nicht sagen: Ich koche jetzt mal alles in Bio, das kostet mich 20 Prozent mehr beim Wareneinsatz. Dafür kann ich 30 Prozent mehr bei meinen Gästen verlangen. So was wäre der feuchte Traum eines jeden Marketingdirektors. Dafür gibt es einfach zu viele andere Faktoren, die auch eine Rolle spielen. Kosten sind aber irrelevant, solange man sie durch Erlöse reinbekommt. Wobei wir bei den Gästen wären. Die sind keine homogene Masse. Leicht vereinfacht haben wir im deutschsprachigen Kulturkreis zwei gegensätzliche Essenstypen mit fließendem Übergang zur Mitte.

Die erste Gruppe macht etwa ein Drittel der Bevölkerung aus und interessiert sich nicht dafür, was sie in sich hineinstopft. Dieses Drittel nimmt freiwillig an dem Experiment „Was kann der Mensch alles essen, ohne zu verenden“ teil. Das ist einiges, keine Frage. Sehr preissensibel, diese Gäste. Wer hier überleben will, muss mit Minimargen auskommen und kann sein Glück nur in großen Absatzmengen suchen. Am besten gleich eine Menge Buden, die als „Restaurants“ deklariert werden, aufmachen, um Kosten zu optimieren. Personal: Minijobber, die Fertiggerichte in Mikrowellen aufwärmen. Für Köche eine Albtraumzielgruppe. Also, lieber nicht versuchen, es diesen Leuten recht zu machen.

Kosten sind irrelevant, solange man sie durch Erlöse reinbekommt.

Wesentlich attraktiver ist das zweite große Gästesegment. Menschen, die auf hohe Qualität von Lebensmitteln Wert legen. Größe des Marktsegments: satte 26 Prozent der Bevölkerung mit stark steigender Tendenz. Diese Leute legen großen Wert auf ihre Gesundheit und kennen sich (sehr) gut bei Lebensmitteln aus. Was sie weiter auszeichnet: höhere Bildung und gehobenes Einkommen. Neben „Normalessern“ tummeln sich in diesem attraktiven Segment auch deutschlandweit satte sechs Millionen Vegetarier, eine gute halbe Millionen Veganer. Also die, die noch vor ein paar Jahren die Randgruppe „weltfremde Spinner“ waren. Ebenfalls in Kompaniestärke vertreten sind sogenannte „Flexitarier“. Menschen, die zwar Fleisch essen, das muss allerdings Top-Qualität haben und aus vertrauenswürdiger Herkunft stammen. Sie alle wollen sich nicht nur gesund und verantwortungsvoll ernähren. Sie wollen auch genießen. Sie haben zwar hohe Ansprüche, sind aber auch bereit, einen fairen Preis zu bezahlen. Kurz: ein Traum für jeden Koch. Es kommt aber noch besser. Obwohl die Wünsche dieser Zielgruppe mit ziemlich jedem Kochstil vereinbar sind, gibt es ein viel zu geringes gastronomisches Angebot. Wer sich hier klar positioniert, hat allerbeste Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg. Wareneinsatz hin, Wareneinsatz her.

Übrigens: Die Zusatzkosten für nachhaltig erzeugte Produkte werden gemeinhin völlig überschätzt. Ebenso das Problem, diese Ware zuverlässig zu beziehen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle detailliert auf Kosten-/Erlösstrukturen in Restaurants einzugehen und darauf, wo überall echte Potenziale ungenutzt bleiben. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass allerspätesten ab dem mittleren Preisniveau solche Kosten für so gut wie jedes Restaurant refinanzierbar sind. Ein gutes Mahl bereitet Freude, Wohlbefinden, Genuss, geschmackliche Überraschung. Kurz: Es löst Emotionen aus. Darüber hinaus soll es auch seinen urspünglichen Sinn erfüllen: den Menschen ernähren, ihm im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebens-Mittel sein. Köche sind Handwerker und Künstler. Die Kunst ist ihre Kreativität. Das Handwerkszeug ihre Kochtechniken und ihre Produkte. Ohne gute Produkte wird der beste Koch der Welt versagen. Genau hier haben wir ein echtes Problem.

Die geplatzten EU-Saatgutverordnung hat zwar einiges vom Tisch gefegt, aber die EU will ein Freihandelsabkommen mit den USA, dem Mutterland der Genpflanzen. Aber will die Industrie, dass Genpflanzen als solche gekennzeichnet werden? Selbstverständlich nicht. Dann würde sie ja keiner kaufen. 98 Prozent aller Schweinezuchtrassen stammen aus nur noch drei verschiedenen Rassen. Normierte Hochleistungsschweine. Wer schmackhafte, ausgereifte, alte Apfelsorten haben will, braucht gute Kontakte. Im Handel gibt es nur noch fünf bis sechs unterschiedliche Sorten. Schön, aber geschmacklos und dazu noch unreif geerntet, weil sie sonst nicht lagerfähig sind. Und wer vollends am System verzweifeln will, blättert mal in einigen Lebensmittelkennzeichnungsverordnungen (was für ein Wort). Hier wird geregelt, wie weit man beim Lebensmittel tricksen darf. Inklusive Vorschriften zu Hilfsstoffen aus dem Labor und, jetzt kommt’s, was man alles nicht deklarieren muss. Das ist nichts weniger als ein Frontalangriff auf den Berufsstand von Köchen. Und hier ist noch nicht einmal die Rede davon, dass wir systematisch und industriell einige Nahrungsmittel wie Fisch einfach ausrotten. Vor gar nicht so langer Zeit wurden noch Heilbutte mit 200 Kilogramm Gewicht und drei Meter Größe verkauft. Fragen Sie doch heute mal bei Ihrem Fischhändler.

Das ist die richtige Zielgruppe
In den letzten Jahren legten die Verbraucher bei Lebensmitteln immer höhere und differenziertere Maßstäbe an. Der Fokus richtet sich dabei immer mehr auf Qualität und verdrängt damit günstige Preise als dominantes Kriterium. Mittlerweile zählt jeder vierte Verbraucher zu den sogenannten „Quality Eatern“. Deren Auffassung, was Qualität bezeichnet, schlüsselt sich dabei in folgende Kriterien auf: Geschmack, hohe Sicherheit, Gesundheitsaspekt und Nachhaltigkeit. Zudem sind die „Quality Eater“ in der Regel überdurchschnittlich gebildet und verfügen über ein höheres Haushaltseinkommen.

Bekommt endlich den Hintern hoch!
Wer Düngemittel verkauft, will keine Pflanzen, die ohne Düngemittel gedeihen. Saatgutanbieter wollen lizensierbare Sorten, die sich nicht selbst vermehren. Pharmaunternehmen verdienen Geld an Antibiotika im Hühnerfutter. Und internationale Pflanzenschutzgiganten können beim besten Willen keine Anbaumethoden gebrauchen, die ohne Pestizide auskommen. Falls dabei Bienenvölker massenhaft zugrunde gehen, ist das ein bedauernswerter Kollateralschaden. Die industrielle Landwirtschaft ist ein milliardenschwerer Markt. Und deren Profiteure unternehmen viel, ihn abzusichern. Da werden PR-Agenturen engagiert, Werbekampagnen gefahren, Lobbygruppen gegründet, Wissenschaftler bezahlt, gezielte Forschungsaufträge vergeben und, und, und. Milliarden werden ausgegeben. Ängste geschürt, Risiken vertuscht, Aufklärung verhindert, Gegenpositionen entworfen … Das ist hoch professionell.

Köche: Für Verbraucher sind sie ein unverzichtbarer Ratgeber. Und im Engagement gegen die industrielle Landwirtschaft eine wichtige öffentliche Stimme.

Glücklicherweise regt sich Widerstand. Mehr und mehr gallische Dörfer entstehen. Interessengruppen wie Foodwatch, slowfood, greenpeace oder Saatgutinitiativen. Jeder neue Lebensmittelskandal bringt mehr Menschen dazu, über Ernährung nachzudenken und ihr Verhalten zu ändern. Gleichzeitig verunsichern die Skandale. Menschen fragen sich, was sie überhaupt noch essen können. Es soll ja nicht nur gesund sein, sondern auch schmecken. Genau hier liegt die gesellschaftliche Aufgabe von Köchen. Sie sind die Einzigen, die Genuss und gesunde Ernährung zusammenbringen können. Und das macht reich und glücklich. In ihren Restaurants und mit ihren öffentlichen Auftritten erreichen Köche Herz und Verstand vieler Menschen. Für Verbraucher sind sie damit ein unverzichtbarer Ratgeber. Und im Engagment gegen die industrielle Landwirtschaft eine wichtige öffentliche Stimme. Beides ist von enormem Wert. Wir brauchen dringend mehr Köche, die sich dieser Verantwortung bewusst sind. Es wäre zum gesellschaftlichen, ökologischen und auch zu Ihrem eigenen Nutzen.

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