Stimmt so? Warum ein Trinkgeldgesetz die Gastronomie revolutionieren könnte
Unterschätztes Potenzial
Es ist kein Geheimnis: Der Gastronomie fehlen die Arbeitskräfte. Egal, ob in der Küche oder im Service. Die „familienunfreundlichen“ Arbeitszeiten – wie es oft heißt – sind das eine. Die oft unterdurchschnittliche Bezahlung das andere. Doch wer in Sachen Gastronomie über Bezahlung spricht, sollte gleichzeitig auch über unser aller Lieblingsthema sprechen – das Trinkgeld. Sollte. Denn das Potenzial von Trinkgeld wird in unseren Breiten – im Gegensatz zu den USA – schlicht und ergreifend unterschätzt. Welche Modelle gibt es? Und wie kann Trinkgeld dazu beitragen, nicht nur die Branche attraktiver zu machen, sondern auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
In Europa kommt es immer noch vor, dass Gäste kein Trinkgeld geben – obwohl sie mit dem Service zufrieden waren.
Zunächst einmal: Trinkgeldregelungen sind überall anders. Das liegt nicht selten an unterschiedlichen Arbeitsgesetzen und betriebswirtschaftlichen Regelungen, die bekanntlich an Absurdität oft nicht zu überbieten sind. Das gilt vor allem für Europa. Besonders erfrischend und lehrreich ist daher der Blick in die USA. Dort fangen die grundlegenden Unterschiede bereits beim Kellnerberuf an sich an. Denn genauso wie in Australien unterliegt die Ausübung dieses Berufes dort keiner Ausbildung, sondern wird von Menschen mit einem ganz anderen Background ausgeübt: Studierenden, Schriftstellern, Sängern oder anderweitig Selbstständigen.
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Höhere Motivation durch weniger Grundlohn?
Aldo Sohm, der aus Tirol ausgewanderte Star-Sommelier aus dem Big Apple, kennt die Unterschiede zwischen Österreich und den USA wie seine eigene Westentasche. „Hier in New York bekommt ein Kellner 15 Dollar Stundensatz – davon kann man unmöglich leben“, so der versierte Gastronom. Stundensatz – das bedeutet, es gibt schon einmal keinen fixen Monatslohn, sondern es wird das bezahlt, was der Kellner an Stunden im Service gearbeitet hat. Dementsprechend hoch ist dadurch die Motivation, mithilfe von Trinkgeld den Lohn aufzustocken. Wobei das Wort Aufstocken fehl am Platz ist.
Wenn du in Amerika allein schon fünf bis zehn Prozent Trinkgeld gibst, dann ist das eine indirekte Reklamation. Dann sagst du damit, dass mit dem Service etwas nicht in Ordnung war.
Aldo Sohm über die Unterschiede in Sachen Trinkgeld zwischen den USA und Europa
Unterschätztes Potenzial
Es ist kein Geheimnis: Der Gastronomie fehlen die Arbeitskräfte. Egal, ob in der Küche oder im Service. Die „familienunfreundlichen“ Arbeitszeiten – wie es oft heißt – sind das eine. Die oft unterdurchschnittliche Bezahlung das andere. Doch wer in Sachen Gastronomie über Bezahlung spricht, sollte gleichzeitig auch über unser aller Lieblingsthema sprechen – das Trinkgeld. Sollte. Denn das Potenzial von Trinkgeld wird in unseren Breiten – im Gegensatz zu den USA – schlicht und ergreifend unterschätzt. Welche Modelle gibt es? Und wie kann Trinkgeld dazu beitragen, nicht nur die Branche attraktiver zu machen, sondern auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
In Europa kommt es immer noch vor, dass Gäste kein Trinkgeld geben – obwohl sie mit dem Service zufrieden waren.
Zunächst einmal: Trinkgeldregelungen sind überall anders. Das liegt nicht selten an unterschiedlichen Arbeitsgesetzen und betriebswirtschaftlichen Regelungen, die bekanntlich an Absurdität oft nicht zu überbieten sind. Das gilt vor allem für Europa. Besonders erfrischend und lehrreich ist daher der Blick in die USA. Dort fangen die grundlegenden Unterschiede bereits beim Kellnerberuf an sich an. Denn genauso wie in Australien unterliegt die Ausübung dieses Berufes dort keiner Ausbildung, sondern wird von Menschen mit einem ganz anderen Background ausgeübt: Studierenden, Schriftstellern, Sängern oder anderweitig Selbstständigen.
Für einen Kellner hier in New York ist Trinkgeld kein Nice-to-have, sondern essenziell.
Aldo Sohm über die Bedeutung von Trinkgeld in den USA
Höhere Motivation durch weniger Grundlohn?
Aldo Sohm, der aus Tirol ausgewanderte Star-Sommelier aus dem Big Apple, kennt die Unterschiede zwischen Österreich und den USA wie seine eigene Westentasche. „Hier in New York bekommt ein Kellner 15 Dollar Stundensatz – davon kann man unmöglich leben“, so der versierte Gastronom. Stundensatz – das bedeutet, es gibt schon einmal keinen fixen Monatslohn, sondern es wird das bezahlt, was der Kellner an Stunden im Service gearbeitet hat. Dementsprechend hoch ist dadurch die Motivation, mithilfe von Trinkgeld den Lohn aufzustocken. Wobei das Wort Aufstocken fehl am Platz ist.
Wenn du in Amerika allein schon fünf bis zehn Prozent Trinkgeld gibst, dann ist das eine indirekte Reklamation. Dann sagst du damit, dass mit dem Service etwas nicht in Ordnung war.
Aldo Sohm über die Unterschiede in Sachen Trinkgeld zwischen den USA und Europa
„Für einen Kellner hier in New York ist Trinkgeld kein Nice-to-have, sondern essenziell. Damit verdient er erst das Geld.“ Ein explizites Trinkgeldgesetz, das straf- oder zivilrechtliche Relevanz für den Gast hat, gibt es in den USA zwar nicht. Ich darf also als Gast in einem New Yorker Restaurant auch weniger als 15 Prozent oder gar kein Trinkgeld geben. Doch Aldo Sohm, der im New Yorker Dreisterner Le Bernardin als Wine Director fungiert, stellt klar: „Wenn du in Amerika allein schon fünf bis zehn Prozent Trinkgeld gibst, dann ist das eine indirekte Reklamation. Dann sagst du damit, dass mit dem Service etwas nicht in Ordnung war.“
Ein Gesetz zwischen den Zeilen
Besonders aufschlussreich wird der Vergleich zwischen den USA und Europa in Sachen Mindestlohn. Denn obwohl das Trinkgeld-Geben in den USA für den Gast juristisch nicht verpflichtend ist, wird im Arbeitsrecht explizit damit gerechnet. Das heißt, dass es in Amerika neben dem gesetzlichen Mindeststundenlohn – 7,25 Dollar, in einigen Bundesstaaten wie New York liegt er immerhin bei 15 Dollar – noch einen sogenannten „tipped wage“ gibt.
Obwohl das Trinkgeld-Geben in den USA für den Gast juristisch nicht verpflichtend ist, wird im Arbeitsrecht explizit damit gerechnet.
In den USA ist das Trinkgeld de facto im Arbeitsrecht verankert
Dabei handelt es sich um einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststundenlohn für jene Berufe, deren Ausübung zum Großteil mit Trinkgeld entschädigt wird. Dieser „tipped wage“ ist also niedriger, weil davon ausgegangen wird, dass durch das Erhalten von Trinkgeld der Beschäftigte auf ebendiesen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn kommt. Beispiel: Der allgemeine Mindestlohn in Kentucky liegt bei 7,25 Dollar die Stunde. Der „tipped wage“ hingegen bei lediglich 2,75 Dollar.
Das bedeutet: In Kentucky erhalte ich als Kellner pro Stunde 2,75 Dollar, weil davon ausgegangen wird, dass ich durch das Trinkgeld auf den allgemeinen Mindestlohn von 7,25 Dollar pro Stunde komme. Im Unterschied zum europäischen Kellner geht es dem amerikanischen Kellner also ums nackte Überleben. Er ist auf sich und die hohe Qualität seines Service angewiesen. Jede Bewegung, jede Floskel, jeder Gesichtsausdruck muss sitzen – und kann im Land der unbeschränkten Möglichkeiten auch reich belohnt werden. Nur: Was passiert dann mit dem Trinkgeld?
Es geht um Cash, um Kohle, um Moneten.
Beim Thema Trinkgeld hört der Spaß auf
Kampf gegen Windmühlen
Jetzt geht’s ans Eingemachte. Es geht um Cash, um Kohle, um Moneten – um jenes Geld also, das mir der Gast für meinen Service extra gegeben hat. „Als Regel“, so Aldo Sohm, „sagt man in den USA: das Doppelte von der Mehrwertsteuer. Die beträgt in den USA 8,8 Prozent, also knapp 17 Prozent. Aber 20 Prozent ist schon Normalität.“ Der New Yorker Gast eines Sternerestaurants, der um 250 Euro diniert und dabei seine neue Flamme ausführt, bezahlt 500 Dollar fürs Essen – plus die 20 Prozent, also 100 Dollar, die jetzt mir als Kellner gehören. Nur mir? Nicht unbedingt.
Trinkgeld wird in den USA ganz anders gehandhabt als in Europa.
Was heißt „Tipping included“?
„Mittlerweile gibt es ja diese Bewegung in Amerika“, sagt Aldo Sohm, „die das sogenannte tipping included macht.“ Das bedeutet: Im offiziellen Endpreis ist das Trinkgeld in Höhe von 20 Prozent bereits enthalten, der Gast hat also kein Extra-Trinkgeld zu entrichten. Das gesamte Trinkgeld einer Woche kommt dann in einen Pool, von dem aus alles nicht nur zwischen dem Service-, sondern auch dem Küchenpersonal aufgeteilt wird. „Das Problem an der Sache: Du bist wesentlich teurer als deine Konkurrenten“, sagt Aldo Sohm, der auch seine eigene Aldo-Sohm-Wine-Bar in New York führt. „Und nicht nur das: Du hast bei den Servicemitarbeitern eine wesentlich höhere Fluktuation, weil die meisten Betriebe das nicht so handhaben – und der Kellner damit sofort zur Konkurrenz geht, wo er sein Trinkgeld nur mit den anderen vom Service oder bestenfalls mit gar niemandem teilen muss.“
Das Problem an der Sache: Du bist wesentlich teurer als deine Konkurrenten.
Aldo Sohm macht aus seiner Abneigung gegenüber dem US-amerikanischen Trinkgeldtrend keinen Hehl
Sohm macht aus seiner Skepsis gegenüber dieser Methode keinen Hehl: „Du fängst damit an, gegen Windmühlen zu kämpfen, weil es natürlich nur einen Gewinner gibt: den Staat. Ich verlange einen höheren Preis – das heißt, ich zahle mehr Steuern.“ Aus Sicht des gastronomischen Unternehmers durchaus nachvollziehbar. Aber ließe sich nicht sagen, dass durch das „tipping included“ das durchschnittliche Lohnniveau aller Mitarbeiter eines Restaurants gesteigert würde? Ja. Nur: warum nicht gleich die weiße Brigade besser bezahlen – beispielsweise um 20 Prozent in den USA, bei uns um mindestens 15 Prozent – und für die Kellner das Trinkgeld einfach Trinkgeld sein lassen? Weder müssten dadurch so massive Preiserhöhungen stattfinden wie beim „tipping included“ noch würden Service-Mitarbeiter die Flucht ergreifen.
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Weniger Mehrwertsteuer – eine Lösung?
Aus europäischer Sicht sind die USA für ihre Trinkgeldkultur zu beneiden. Sofern man als Kellner nicht alles falsch macht, kann man von mindestens 15 Prozent Trinkgeld ausgehen – das können im Bereich der Spitzengastronomie hohe Beträge sein. In Europa sieht die Sache anders aus. Von fixen Trinkgeldbeträgen, die wie in den USA rechtlich verankert sind, kann keine Rede sein. Immer wieder geben Leute – ob nun „aus Prinzip“ oder aus Unachtsamkeit – wenig bis gar kein Trinkgeld.
Das bremst nicht nur die Motivation der Mitarbeiter, sondern ist Teil der Unattraktivität der Branche. Deswegen plädiert der deutsche Erfolgsgastronom Karlheinz Hauser nicht nur für die Senkung der Mehrwertsteuer in Deutschland von 19 auf sieben Prozent, sondern für ein Trinkgeldgesetz: „Es kann ja nicht sein, dass hier immer noch Leute vom Tisch gehen und kein Trinkgeld geben“, sagt Hauser. Er fordert: „Die Politik muss etwas tun!“ Zwar sind es in den USA weniger politische Maßnahmen, die greifen, als vielmehr das kulturelle Selbstverständnis gegenüber dem Trinkgeld.
Es kann ja nicht sein, dass hier immer noch Leute vom Tisch gehen und kein Trinkgeld geben.
Karlheinz Hauser über die europäische Geizkultur in Sachen Trinkgeld
Doch vergessen wir eines nicht: Auch dieses Selbstverständnis hat seine Wurzeln letzten Endes in der Politik. Denn schließlich ist sie es, die bestimmt, was letztlich im Arbeitsgesetz steht.
Wenn wir also unsere heimische Geizkultur in Sachen Trinkgeld nicht ändern, ist wohl oder übel die Politik gefragt. Und damit die Kellner auch etwas von diesem Gesetz haben, gehört das Küchenpersonal ordentlich bezahlt. Aber das versteht sich jetzt hoffentlich von selbst.