Wie Argan-Öl aus Marokko die Kulinarik-Welt erobert
Klack. Klack. Klack. Dumpfe Laute dringen aus dem Untergeschoß in einem nicht zu definierenden Takt an unser Innenohr. Und doch folgen sie einem Muster, einer diffusen Regelmäßigkeit, die unsereins nicht zu deuten vermag. Klack. Klack. Klack. Wie der fremde Soundteppich einer eigenen Lebenswelt, der das ganze Haus flutet. So als würde jedes Klack eine eigene Geschichte erzählen wollen. So als wären wir bloß hier, um genau hinzuhören.
Klack. Klack. Klack. Dumpfe Laute dringen aus dem Untergeschoß in einem nicht zu definierenden Takt an unser Innenohr. Und doch folgen sie einem Muster, einer diffusen Regelmäßigkeit, die unsereins nicht zu deuten vermag. Klack. Klack. Klack. Wie der fremde Soundteppich einer eigenen Lebenswelt, der das ganze Haus flutet. So als würde jedes Klack eine eigene Geschichte erzählen wollen. So als wären wir bloß hier, um genau hinzuhören.
Es ist irgendwann Ende Februar. Während der Winter Europa fest im Griff hat, brennt die Sonne gnadenlos auf die rostbraune Sanderde Marokkos. Kein Regen. Nicht ein Tropfen. Und Nadia seufzt, wenn sie sagt: „Ohne Wasser werden die Mandeln viel zu klein. Dann gibt es noch weniger Öl.“ Ihr Blick schielt vorsichtig durch das Fenster nach oben; wolkenloser Himmel. Sie zuckt mit den Schultern und schenkt aus einer hübsch verzierten Kanne in einem eleganten Bogen duftenden Tee in kleine Gläschen. Ohne Tee passiert hier in Marokko wenig und in ihrer Cooperative genau gar nichts. Nadia ist seit vielen Jahren Präsidentin dieses bäuerlichen Zusammenschlusses von ungefähr 600 marokkanischen Frauen. Gehüllt in die bunten Gewänder ihrer Trachten sammeln sie hier, aufgeteilt in unterschiedliche Sprengel, die Mandeln des Arganbaums. Bringen sie in großen geflochtenen Körben zum Haus der Cooperative, wo sie die kirschgroßen Früchte in der Sonne zum Trocknen auflegen, um sie anschließend zu einem Produkt weiterzuverarbeiten, das sie sich selbst kaum leisten können: Arganöl.
Das Falsche Spiel der Beauty-Welt
Schon seit vielen Jahren gilt Arganöl in der Beauty-Branche als regelrechter Heilsbringer. Arganöl unterstützt die Zellerneuerung, hilft bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beugt der Hautalterung vor. Am besten, so die Botschaft, man schütte es sich täglich über den ganzen Körper. Tatsächlich aber wird das mit dem Jungbrunnen-Nimbus aufgeladene Naturprodukt in den meisten Fälle vor allem als Trick genutzt, um Cremes, Lotions und Make-up maximal teuer zu machen. In vielen Kosmetikprodukten sind in Wahrheit bloß Spurenelemente davon zu finden.
Was aber keineswegs heißen soll, dass die vielen positiven Zuschreibungen nicht stimmen. Längst ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Inhaltsstoffe dieses außergewöhnlichen Rohstoffs wahrlich Wunder wirken können. Nadia kennt die Fakten, lieber aber erzählt sie die Geschichte der Großmutter ihres Mannes. Diese sei hier, wo die Arganbäume gedeihen, groß geworden. Hat nahe Agadir gelebt. Zu einer Zeit, in der die industrialisierte Welt noch lange nichts vom flüssigen Gold der knorrigen Bäume wusste. „Jeden Tag hat sie damit ihr Gesicht beträufelt“, sagt Nadia. Vor allem aber hat sie jeder Couscous-Schale, jeder Tajine-Schüssel, schlicht jedem Gericht einige Tropfen Arganöl beigefügt. Und so habe Großmama, ist sich Nadia sicher, die pure Kraft dieses besonderen Öls regelrecht in sich aufgesogen. Nachsatz: „Sie wurde 140 Jahre alt und hatte bis 70 keine einzige Falte.“ Nadia schenkt Tee nach. Klack. Klack. Klack. Und die stumpfen Schlaglaute verleihen Nadias Worten noch mehr Gewicht.
Egal ob wahr oder nicht, solche Erzählungen gehen runter wie Öl. Diese liefert zudem eine Überraschung: Steckt die wahre Superpower des Arganöls vielleicht gar nicht im Auftragen auf Gesicht und Körper, sondern in dessen Verzehr? „Sicher“, meint Nadia. Allerdings gehe es vor allem um den Geschmack dieses Elixiers. So war Nadias Angaben zufolge für besagte Großmutter der Anti-Alterungseffekt bloß eine positive Begleiterscheinung des hohen Genussfaktors. „Heute verwenden wir stattdessen leider Olivenöl“, verweist Nadia beiläufig auf die massive Teuerung des Arganöls, die mit dessen internationaler Entdeckung einhergegangen ist. Klack. Klack. Klack.
Gute Taten mit gutem Geschmack
An eben dieser Stelle beginnt die gemeinsame Geschichte von Rachid Et-Taibi und Marcel Thiele. Der eine: ein in Belgien lebender Marokkaner mit einem globalen Verständnis für Business. Der andere: ein überall auf der Welt beheimateter Deutscher mit kanadischen Wurzeln und der Jobbeschreibung „Spice-Hunter“. Vor gut zwei Jahren liefen sich die beiden Kosmopoliten über den Weg und erkannten bald, dass sich ihre Interessen auf intelligente Weise miteinander verquicken ließen. Et-Taibi hatte das Produkt – für Sterneköche spannendes Arganöl – samt der Vision, den Arbeiterinnen der Cooperative in seiner Heimat unter die Arme zu greifen, im Gepäck. Thiele wiederum verfügte über ein internationales Netzwerk, das bis in die renommiertesten und hochdekoriertesten Küchen der Welt reicht. „Wir haben uns schlicht zusammengetan und ein Produkt entwickelt, das einerseits die Cooperative stärkt und andererseits Sterneköchen eine gänzlich neue Geschmackspalette aufsperrt“, berichten die beiden.
Sie wurde 140 Jahre alt und hatte mit 70 noch keine Falte!
Cooperative-Chefin Nadia schwört auf die Wirkung von Arganöl – sofern man es ins Essen mengt
Denn eine Sache war Marcel Thiele dank seiner langjährigen Erfahrung schon nach der ersten Kostprobe klar: Hochwertiges Arganöl auf dem Teller hat das Zeug zur echten Delikatesse. Das liegt natürlich vor allem an dessen einzigartigem Geschmack. Thiele: „Es erinnert in Farbe und Konsistenz an Olivenöl, hat aber einen ganz anderen Geschmack. Es ist leicht nussig und fühlt sich am Gaumen geschmeidig an. Auch ist eine leichte Süße wahrnehmbar.“ Doch das allein reicht in unserer schnellen Welt der nicht überprüfbaren Versprechungen längst nicht, um in die exklusive Sphären der Spitzengastronomie vorzudringen. Die zweite Zutat für den heutigen Erfolg lautet: Exklusivität. Wie jeder Stoff, aus dem Träume sind, ist auch Arganöl nicht unendlich verfügbar.
Ganz im Gegenteil, betont Rachid Et-Taibi und holt aus: „Die Arganbäume gedeihen nur in Marokko und hier auch nur in einem gewissen Gebiet. Es wurde schon versucht, sie in anderen Regionen anzusiedeln, alles erfolglos.“ Konkret erstreckt sich das Gebiet im Südwesten Marokkos von der Küste landeinwärts über insgesamt 820.000 Hektar, auf denen rund zwölf Millionen Arganbäume gedeihen. Diese Angaben lassen eine grobe Rechnung zu: Ein Baum liefert im Jahr 60 Kilo Mandeln, aus denen zwei Liter Arganöl gepresst werden können. Heißt im Klartext: Es gibt maximal 24 Millionen Liter Arganöl pro Jahr. Zum Vergleich: Jährlich werden 3,3 Milliarden Liter Olivenöl produziert.
Alles eine Frage des Geldes
Für das Unterfangen von Marcel Thiele und Rachid Et-Taibi bleibt zudem bloß ein kleiner Rest der Gesamtmenge – 80 Prozent der nationalen Produktion fließen in den Kosmetikkosmos. Und das aus Sicht der Industriestaaten auch noch zu einem Spottpreis – der aus marokkanischer Perspektive allerdings wiederum hoch genug ist, um alles zu exportieren, was die Bäume hergeben. „Unser Ziel ist es, das Öl in seiner gesamten Wertschöpfungskette als das zu bepreisen, was es ist: sehr wertvoll“, sagt Thiele. Und verweist auf die ersten Verhandlungen, die er und Et-Taibi mit Nadia führten. „Wir wollten damals wissen, was die Frauen verdienen. Dann haben wir den Betrag mehr als verdoppelt. Und davon ausgehend kalkulieren wir seither unser gesamtes Produkt weiter.“
Arganöl schmeckt leicht nussig und fühlt sich am gaumen geschmeidig an.
Marcel Thieles Versuch, einen unbeschreiblichen Geschmack zu beschreiben
Heißt: moderne Produktentwicklung mit der klar definierten Zielgruppe „Spitzenköche“. „Wir haben einen eigenen Dosierer entwickelt, damit nur wenige Tropfen aus dem Flakon tröpfeln“, erklärt der Food-Experte weiter, selbst gelernter Koch. Schließlich ist der Geschmack des teuren Arganöls einer, der nicht mit hoher Dosis besser wird, sondern schon in geringer maximalen Genuss erzeugt. Doch bis das Öl in schicken Fläschchen bei Sterneköchen landet, ist ein überraschend komplexer Prozess vonnöten. Klack. Klack. Klack.
Wie entsteht das teure Öl?
„Kommt mit!“ Nadia will nicht mehr nur erzählen und reden. Klack. Klack. KLACK. Mit jedem Schritt werden die schlagenden Geräusche nun tatsächlich lauter. Die Treppe runter, ein kleiner Raum öffnet sich. Vollgepackt mit prall gefüllten Säcken. „Das ist unser Lager“, sagt sie. Hier warten Arganmandeln im Wert von 10.000 Euro. KLACK. KLACK. KLACK. Gut ein Dutzend Frauen sitzt auf weichen Tüchern auf dem harten Lehmboden.
Es geht darum, dem Öl einen Preis zu geben, der bei den Frauen der Cooperative ankommt!
Marcel Thiele, Spice-Hunter und Arganöl-Pionier
Die Bewegungen folgen jenem nicht greifbaren Takt, den wir bis dato nur hören durften: Während die eine Hand hochkonzentriert eine Mandel auf einen Steinamboss legt, saust die andere mit einem schlichten Steinhammer präzise hernieder. Klack. Die erste Schale ist ab, der Inhalt landet in einem bereitgestellten Korb. „Wenn er voll ist, geht es in die zweite Schälrunde“, erklärt Nadia. Denn: Arganmandeln haben eine dicke und grobe Außenschale und eine feinere zweite Innenschale. Diese wird im zweiten Schritt auf gleiche Weise entfernt. Klack. Nun ist die einst fast daumengroße Mandel bloß noch so klein wie ein Fingernagel. Aber dafür bereit, um einen Raum weiter erst geröstet, dann gepresst und schließlich in die kleinen Fläschchen gefüllt zu werden.
Stichwort: Röstung. Während für die herkömmliche traditionelle Küche das Erzielen einer ungefähren Rösttemperatur ausreicht, sind die Anforderungen von Marcel Thiele und Rachid Et-Taibi freilich um ein Vielfaches höher. „Wir forschen mit Wissenschaftlern daran, die exakt beste Temperatur und Röstzeit zu ermitteln, um die maximale Geschmacksentwicklung zu erzielen“, erzählt Thiele. Die aktuellen Ergebnisse sind freilich streng geheim. Schließlich bilden sie die Basis für das gemeinsam gegründete Label „Arqan“ (www.arqanoil.com). Ein Begriff, der zwar unmissverständlich an das heiß gehandelte Wort Argan erinnern, gleichzeitig allerdings deutlich macht, dass hier kein Beautyserum teuer verkauft wird. Sondern eine Delikatesse. Und Thiele berichtet von ersten Erfolgen: „Bis dato konnten wir vor allem in Belgien namhafte Chefs als Kunden gewinnen. Nun sind wir dabei, unser ,Arqan Oil‘ im gesamten D-A-CH-Raum zu platzieren.“ Die Rückmeldungen der hochdekorierten Küchenchefs seien jedenfalls überwältigend. „Fast alle“, sagt Thiele „stellen das Öl auf eine Stufe mit Kaviar oder Trüffel“.
Arganbäume in Gefahr
Einer, der den Geschmack des Arganöls auf besondere Weise versteht, ist Rahali Jawad. Als Chef des Fine-Dine-Restaurants Les Jardins de Taroudant bei Agadir kennt er ihn seit seiner Kindheit. Gleichzeitig führten ihn viele kulinarische Reisen in Europas Top-Küchen. Er sagt: „Unser Arganöl in Kombination mit dem Können europäischer Spitzenküche ist eine einmalige Sache – es kann in beiden Regionen für neue Impulse sorgen.“ Will heißen: Während Europas Chefs das neue Produkt verstehen lernen, können Marokkos Top-Köche von der europäischen Küchenphilosophie profitieren.
Unser Arganöl in Kombination mit dem Können europäischer Topköche ist eine einmalige Sache!
Rahali Jawad, Chefkoch in Agadir
Gleichzeitig hegt der Küchenchef noch eine weitere Hoffnung, die über den kulinarischen Tellerrand hinausgeht: Durch die internationale Wahrnehmung im exklusiven Kulinariksektor würden vielleicht die Arganbäume langfristig besser geschützt. Hintergrund: Zwar stehen die teilweise bis zu 450 Jahre alten Bäume allesamt unter dem Schutz des UNESCO Weltkulturerbes, dennoch sind sie einer massiven Bedrohung ausgesetzt. Und zwar in Form von Ziegen, die in die Bäume klettern, um deren Blätter zu vertilgen! Für die Bäume eine tödliche Tortur, für die Ziegenhirten gefundenes Fressen: Das Fleisch ihrer Tiere wird durch den Verzehr der Blätter besonders geschmackvoll. Während also die einen Mauern bauen, um die Bäume für das Öl zu schützen, versuchen die anderen diese zu umgehen, um das Fleisch ihrer Tiere hochwertiger zu machen.
Ein Teufelskreis, der ein bitteres Ende nehmen könnte. Denn die Arganbäume liefern nicht nur wertvollen Rohstoff. Mit ihren bis zu 45 Meter tief in den Boden reichenden Wurzeln schützen sie die Wüstenränder vor Erosion. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen der Regen fernbleibt, besonders wichtig. Und sind erst einmal die Bäume weg, gibt es nicht nur kein wertvolles Arganöl mehr, sondern auch keine andere Landwirtschaft in der Region. Alles würde zu Wüste. „Ein weiterer Punkt“, sagt Thiele, „warum es so wichtig ist, dem Öl seinen wahren Wert zu geben“. Nur so ließe sich langfristig der Schutz des gesamten Ökosystems finanzieren. Nur so könne man helfen, die Lebensumstände der Frauen in der Cooperative zu verbessern. „Schon heute können wir unseren Kindern bessere Ausbildungen finanzieren als vor ein paar Jahren“, sagt Nadia.
Dann spitzt sie die Ohren. Klack. Klack. Klack. Diesmal kommt’s von oben. Regentropfen trommeln aufs Dach. Nadia lächelt.