Convenience
Fotos: Wofgang Hummer, Shutterstock
Aber Tüte-Auf ist definitiv kein sinnvolles Betriebskonzept.
Die Convenience-Dose der Pandora, aus der heute munter panierte Schnitzel, Tiefkühlgemüse und Ravioli schnell servierbar quellen, öffnete sich früh. Bereits 1750 wurden in England kleine getrocknete Würfelchen mit Fleischextrakt an den reisenden Gentleman gebracht. Justus von Liebig, deutscher Chemiker und Pionier der Lebensmittelforschung, perfektionierte und vor allem industrialisierte in weiterer Folge und etwa 100 Jahre später dieses Verfahren um die gepresste Fleischware. Eigentlich als Heilmittel mit dem Namen „Fleischinfusum“ für Choleraerkrankte 1852 hergestellt und in wenigen Apotheken in München vertrieben, revolutionierte diese Erfindung die Denkweise über Nahrungsmittel, als der deutsche Ingenieur Georg Christian Giebert 1862 von Liebig die Lizenz zur Großproduktion in Uruguay erhalten hatte. Weltweit wurde von Fray Bentos aus „Liebigs Fleischextrakt“ verschifft. Der Gedanke von Liebig war dabei ein hehrer: Er wollte der ärmeren Bevölkerungsschicht die Möglichkeit bieten, sich auch anständig ernähren zu können und das zu geringeren Kosten. Zumindest in Relation zu den Frischprodukten. Aus gleichem Antrieb brachte er die „Suppe für Säuglinge“, wie Liebig es nannte, auf den Markt. Sein Beitrag zu dem Thema: Wie kann man Neugeborene, deren Mütter keine Muttermilch geben oder die sich keine Amme leisten können, vor dem Verhungern bewahren – und damit wurde er zum Pionier der heutigen Babynahrungshersteller. Dass er zudem einen chemischen Zusatz, mit dessen Hilfe man Brot backen konnte, ohne auf die leicht verderbliche Hefe angewiesen zu sein, in seinem Labor zusammenbastelte, rundet die Sache ab. Heute nennen wir es schlicht Backpulver. Das neue Wundermittel fand seinen Durchbruch allerdings erst durch den Apotheker August Oetker, der nach zweijähriger Tüftelei 1893 „Backin“ auf den Markt brachte. Das Besondere – neben der Tatsache, dass keine Hefe mehr gebraucht wurde: Es war in der genauen Menge abgepackt, die ein Pfund Mehl für das Treiben benögt. Warum genial? Weil…
Fotos: Wofgang Hummer, Shutterstock
Aber Tüte-Auf ist definitiv kein sinnvolles Betriebskonzept.
Die Convenience-Dose der Pandora, aus der heute munter panierte Schnitzel, Tiefkühlgemüse und Ravioli schnell servierbar quellen, öffnete sich früh. Bereits 1750 wurden in England kleine getrocknete Würfelchen mit Fleischextrakt an den reisenden Gentleman gebracht. Justus von Liebig, deutscher Chemiker und Pionier der Lebensmittelforschung, perfektionierte und vor allem industrialisierte in weiterer Folge und etwa 100 Jahre später dieses Verfahren um die gepresste Fleischware. Eigentlich als Heilmittel mit dem Namen „Fleischinfusum“ für Choleraerkrankte 1852 hergestellt und in wenigen Apotheken in München vertrieben, revolutionierte diese Erfindung die Denkweise über Nahrungsmittel, als der deutsche Ingenieur Georg Christian Giebert 1862 von Liebig die Lizenz zur Großproduktion in Uruguay erhalten hatte. Weltweit wurde von Fray Bentos aus „Liebigs Fleischextrakt“ verschifft. Der Gedanke von Liebig war dabei ein hehrer: Er wollte der ärmeren Bevölkerungsschicht die Möglichkeit bieten, sich auch anständig ernähren zu können und das zu geringeren Kosten. Zumindest in Relation zu den Frischprodukten. Aus gleichem Antrieb brachte er die „Suppe für Säuglinge“, wie Liebig es nannte, auf den Markt. Sein Beitrag zu dem Thema: Wie kann man Neugeborene, deren Mütter keine Muttermilch geben oder die sich keine Amme leisten können, vor dem Verhungern bewahren – und damit wurde er zum Pionier der heutigen Babynahrungshersteller. Dass er zudem einen chemischen Zusatz, mit dessen Hilfe man Brot backen konnte, ohne auf die leicht verderbliche Hefe angewiesen zu sein, in seinem Labor zusammenbastelte, rundet die Sache ab. Heute nennen wir es schlicht Backpulver. Das neue Wundermittel fand seinen Durchbruch allerdings erst durch den Apotheker August Oetker, der nach zweijähriger Tüftelei 1893 „Backin“ auf den Markt brachte. Das Besondere – neben der Tatsache, dass keine Hefe mehr gebraucht wurde: Es war in der genauen Menge abgepackt, die ein Pfund Mehl für das Treiben benögt. Warum genial? Weil in der damaligen Zeit kaum ein Haushalt eine Waage sein Eigen nennen konnte. Und, hurra, die Gams, der Absatz war reißend. Zur etwa selben Zeit begab sich auch der Müllersohn Julius Maggi auf die Suche nach schnellen, einfachen Lebensmitteln und brachte 1886 die ersten kochfertigen Suppen aus Erbsen- und Bohnenmehl in den Handel. Zudem machte er sich das „Liebigs Fleischextrakt“ zunutze, das trotz aller Versuche relativ teuer geblieben war und mehr als Würze für Suppen und Speisen verwendet wurde. Und aus dieser Idee entstand es, das ultimative Produkt, das seit 1908 sinnbildlich für Convenience steht: der Fleischbrühwürfel von Maggi.
Die Sache mit dem In-den-Spiegel-Sehen
ist dabei aber auch nicht aus den Augen zu verlieren.
Eine Waffe schießt nicht von selbst
Warum die Geschichte zur Entstehung von Convenience? Damit klar wird, dass die Entwicklung einfach handzuhabender und gebrauchsfertiger oder vorbehandelter Produkte nicht aus dem Hirn eines teuflisch denkenen Marketingfuzzis entsprungen ist. Sondern kluge Köpfe haben sich dem Bedürfnis der Menschen nach sicheren Lebensmitteln, weil weniger schnell verderbbar, die auch erschwinglich sind, angenommen. Und damit klar wird, dass Convenience per se nichts Böses ist. Es ist lediglich die Frage, wie man Convenience für sich selbst einsetzt. Wenn wir einmal Schnellimbisse und Fast-Food-Ketten, die Fertigprodukt-Ikonen der heutigen Zeit, aus dem Spiel nehmen, kann für jeden anspruchsvollen Gastronomen Tüte-auf-und-gut-Isses kein sinnvolles Betriebskonzept sein. Eigentlich sollte jeder, der sich Koch nennt, nicht einmal daran denken.
Wobei sich die Möglichkeiten seit dem ersten Suppenwürfel dramatisch gesteigert haben. Heute sind etwa 87 Prozent aller Lebensmittel, die im Handel erhältlich sind, bereits in irgendeiner Weise vorab behandelt worden und somit in die Kategorie Convenience einzuordnen. Ein C&C-Markt führt durchschnittlich 830 Artikel alleine im Tiefkühlkostsortiment. Der Gesamtabsatz in Deutschland für gekühlte Feinkostsalate lag im Zeitraum zwischen Juli 2011 und Juni 2012 bei 211,4 Tonnen bei einem Umsatz von 790,6 Millionen Euro. Was beweist, dass aus dem Wunsch, ein Bedürfnis zu befriedigen, binnen 100 Jahren ein veritables Business geworden ist.
Per Definition sind heute Convenience-Produkte Lebensmittel, die einen höheren Bearbeitungsgrad als Rohware aufweisen und durch bestimmte Verfahren haltbar gemacht werden. Ausnehmen kann man dabei Produkte wie Wurst oder Räucherlachs, da diese keine Rationalisierung darstellen, sondern zur Profilierung der Qualität beitragen. Nach der eng gefassten Convenience-Beschreibung ist es auch de facto nicht möglich, weder in einem Landgasthof noch in einer 3-Sterne-Küche, ohne Convenience-Produkte auszukommen. Denn Butter, Senf oder auch Olivenöl müssen Convenience zugerechnet werden. Und diese drei Produkte stehen sogar auf der 100-Prozent-Stufe, da sie zum sofortigen Verzehr geeignet sind. Auch wenn einige Küchenchefs wie Daniel Patterson vom 2-Sterne-Restaurant Coi in San Francisco die Butter für das Brot beim Amuse selbst erzeugen. Es glaubt doch niemand, dass er diese Butter auch für das normale Kochen verwendet. Oder Mehl. Zu 15 Prozent vorverarbeitet und als „küchenfertig“ einzuordnen. Prinzipiell ist die Handhabe, dass, je teurer und edler ein Lebensmittel ist, desto häufiger wird es in seiner Grundstufe, also als Rohprodukt, eingekauft.
Sollte man aber nicht ganze Rinder-hälften selbst zerlegen oder den Bund Karotten vom Feldesrand direkt in die Küche mitsamt Erde und Grün bekommen, dann, richtig, kauft man ebenfalls Convenience. Zwar wäre es löblich, dieser hohen Kunst der ausschließlichen Verarbeitung von Rohware – nicht Frischware, denn das kann Convenience auch sein – zu frönen. Aber es ist Fron, das zu erwarten.
Aus zwei einfachen Gründen: Die Qualität der Waren ist mittlerweile einfach gut. Auch wenn sie vorab geputzt oder zerteilt wurden. Und: Wer kann es sich heute noch leisten? Nicht falsch verstehen, wir finden die Vision von den kleinen Küchenburschen, die den ganzen Tag nur für Kost und Logis dankbar in der Küchenecke sitzen und Kartoffeln waschen und schälen auch märchenhaft. Aber leider ist diese Mär ausgeträumt. Das zeigt die Statistik: Die Zahl der Lehrlinge hat sich in den vergangenen acht Jahren fast halbiert. Zählte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband 2006 noch 42.857 Ausbildungsverträge, waren es im vergangenen Jahr noch 23.029. Zudem wurden dem Bundesinstitut für Berufsbildung zufolge 48 Prozent der Koch-Ausbildungsverträge im Jahr 2012 vorzeitig gelöst. Dieser rasante Personalschwund ist fruchtbarer Boden für Convenience. Denn greift ein Betrieb auf 80 Prozent Convenience-Ware zurück, können so auf der Personalseite bis zu 30 Prozent eingespart beziehungsweise aufgefangen werden. Keine grandiose Vorstellung, aber leider Realität. Wer kein Personal hat, muss gangbare Optionen finden. Und wieder nein, hier ist nicht die Rede von Einmal-aufwärmen-Danke.
Daher scheint es wichtig, explizit für die Spitzengastronomie eine eigene Definition von Convenience zu finden oder eine Vereinbarung zu treffen, bis zu welchem Grad Convenience in der gehobenen Gastronomie vertretbar ist.
Selbermacher vs. Shopaholics
Für Alain Ducasse und 14 seiner französischen Kochkumpanen, darunter Paul Bocuse und Anne-Sophie Pic, lautet die Antwort: Convenience ist gar nicht zu verwenden. Und so hat er im letzten Jahr ein Qualitätssiegel für Restaurants ins Leben gerufen, mit dem Betriebe ausgezeichnet werden, die gänzlich darauf verzichten. Nach welchen Kriterien er Convenience definiert, hat er dabei aber nicht erwähnt.
Ein möglicher Konsens – vermutlich auch für Ducasse – ist: Produkte, deren Herstellung die Arbeitszeit und die Personalkosten sprengen würden und die bereits fertig zu erwerbende Covenience-Ware in ihrer Qualität nicht übertreffen würden, sind legitim. Was auf Olivenöl, Tomatenmark, Maracuja-Mus, Pralinenhohlkörper und Ähnliches zutrifft. Kein Restaurant wird diese Produkte selbst herstellen. Das wäre nämlich nicht nur aus kaufmännischer Sicht ein voller Jump ins unrentable Fettnäpfchen.
Um die Frage „Make or Buy“ allerdings sinnvoll beantworten zu können, ist es individuell unumgänglich, eine Vollkostenrechnung zu erstellen, die Personal-, Waren-, Reinigungs- und Abfallkosten inkludiert. Ist die Kauf-Variante die deutlich besser finanzierbare und zweckmäßigere, sind Clean-Label-Produkte allen anderen vorzuziehen. Diese sind ohne deklarationspflichtige Zusatzstoffe, was in Anbetracht der kommenden Kennzeichnungspflicht Ende des Jahres von den meisten Großlieferanten bereits angeboten wird.
Ebenfalls vertretbar sind Waren bis zur Convenience-Stufe 30 bis 50 Prozent. Die Zeitersparnis, die diese Convenience-Produkte mit sich bringen, also die Dauer, in der die Grobarbeiten und Vorproduktion hätten stattfinden müssen, kann zu Besserem genutzt werden: nämlich zu der Veredelung der Convenience-Produkte und somit sogar für ein höheres Qualitätsniveau. Denn erst ab „pfannenfertig“ ist die Kreativität nicht mehr gefragt – wer sich auf diese Stufe einlässt, der schließt einen Pakt mit dem Teufel.
Oder doch nicht? Nein. Denn hier ist man an dem Punkt: unternehmensabhängig. Cateringbetriebe sind oftmals auf spezialisierte und hochwertige Zulieferer angewiesen. Und greifen gerne zu, da die pyramidenförmigen Sülzchen, mehrschichtigen Mousse-Terrinen und kleinen Röllchen erstens eine angeschriebene Zubereitungsdauer von 45 Sekunden haben und deren Qualität den Verbrauch rechtfertigt. Zudem werden viele Gerichte aus diesen Groß-Manufakturen auch speziell für den jeweiligen Kunden kreiert – mit dem Unterschied am Ende, dass der Zulieferer die gewünschte Qualität in der gewünschten Menge um einen wesentlich geringeren Preis herstellen kann.
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil in der Verwendung von Convenience liegt in den HACCP-Regelungen. Diese werden nämlich zum Teil auf den direkten Hersteller vorverlegt. Höchste und gesicherte Hygienestandards müssen in Bezug auf Inhaltsstoffe, Bearbeitung und in der Logistik der haltbaren Warendistribution garantiert sein.
nämlich Bequemlichkeit, für bare Münze nehmen.
Heilige oder Hure?
Man sollte sich an dieser Stelle allerdings nicht heiliger machen, als man ist. Die Gefahr der Scheinheiligkeit ist dabei zu groß. Wenn die Waren nicht in-house hergestellt wurden, aber einen wesentlichen Bestandteil des Gerichtes ausmachen, dann sollte das für den Gast deutlich gemacht werden. Die Pasta ist von einem kleinen Herstellerbetrieb in der Nähe, von dem Sie wissen, wo er seine Zutaten bezieht? Dann sagen Sie es. Das Marshmallow für die Petits Fours ist von dieser kleinen Manufaktur in Hessen? Label it! Das ist erstens ehrlich und zweitens kann man eben nicht alles selbst machen.
Doch einen Fehler darf man nicht machen: Convenience in seiner wortwörtlichen Übersetzung, nämlich Bequemlichkeit, für bare Münze nehmen (oder diese daraus ziehen). Das darf Convenience nur in der privaten Küche der Endverbraucher. Im Fine-Dine-Bereich bezahlt der Gast nicht dafür, dass fertig abgepackte Vakuumbeutel nur noch im Wasserbad auf Temperatur gebracht werden. Convenience-Produkte bieten die Möglichkeit, der Küche durch effizienteres Zeitmanagement eine qualitative Wertsteigerung zu geben und sind in einem gewissen Maß eine Krücke in personalschwachen Zeiten. Aber wer diese Krücke zu seinem Steckenpferd und in weiterer Folge zur tragenden Säule seines F&B-Konzeptes macht, der verwandelt das potenzielle Hilfsmittel und den ehemaligen Heilsbringer in den vierten Reiter der Apokalypse. Und der steht für Niedergang. In diesem Fall der Kochkultur.