Da pfeift das Klon-Schwein!

Das Transatlantische Handelsabkommen hüllt sich in Schweigen und sorgt damit für Aufsehen: Was bedeuten Abkommen mit den USA und Kanada für unsere Lebensmittel?
November 13, 2015

Das Transatlantische Handelsabkommen

Rund neun Millionen Ergebnisse bei der bekanntesten Suchmaschine, wenn man den Begriff TTIP – die Abkürzung für die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – in die Suchzeile eingibt. Neun Millionen Einträge und davon gleich das vierte Ergebnis ein Aufschrei: Nein zum Freihandelsabkommen!
Woher kommt diese Abneigung gegen ein Abkommen, das im Geheimen von der Europäischen Kommission und Vertretern der USA seit zwei Jahren besprochen wird? Die Antwort liegt bereits in der Frage: im Geheimen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird die Zukunft des Handels besprochen. Na ja, sind wir mal ehrlich: Wer interessiert sich schon für das, was Politiker und Vertreter der Europäischen Union tagtäglich machen? Sollen sie es doch im Geheimen machen und…

Das Transatlantische Handelsabkommen

Rund neun Millionen Ergebnisse bei der bekanntesten Suchmaschine, wenn man den Begriff TTIP – die Abkürzung für die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – in die Suchzeile eingibt. Neun Millionen Einträge und davon gleich das vierte Ergebnis ein Aufschrei: Nein zum Freihandelsabkommen!
Woher kommt diese Abneigung gegen ein Abkommen, das im Geheimen von der Europäischen Kommission und Vertretern der USA seit zwei Jahren besprochen wird? Die Antwort liegt bereits in der Frage: im Geheimen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird die Zukunft des Handels besprochen. Na ja, sind wir mal ehrlich: Wer interessiert sich schon für das, was Politiker und Vertreter der Europäischen Union tagtäglich machen? Sollen sie es doch im Geheimen machen und die Zivilgesellschaft damit in Ruhe lassen. Handelshemmnisse, Bürokratie und Zölle sollen abgeschafft werden. Klingt doch gut: Wenn Hans Wurst seine Spezialitäten nach Amerika exportieren möchte, muss er keine seitenlangen Erklärungen und bürokratischen Spießroutenläufe über sich ergehen lassen. Genauso darf sich Homo Ökonomikus darüber freuen, seine Mais-Verarbeitungsmaschinen für den gleichen Preis in den USA anzubieten wie in der EU. Sein Markt wird auf einmal um ein Vielfaches vergrößert – damit auch sein Umsatz und nicht zuletzt der Gewinn. Klasse! Für die Automobilbranche wird solch ein Abkommen bedeuten, dass sich Standards angleichen werden. Damit können sie einmal eine große Charge bauen und müssen sich nicht mehr an unterschiedliche Regelungen aus verschiedenen Partnerländern halten. Wie schön wäre es, ohne Adapter in die USA zu reisen und die gleichen Steckdosen zu haben? Schöne neue Welt!
So weit die positiven Seiten des Abkommens ohne Handelshemmnisse. Schön, dass Amerika der EU so entgegenkommt. Im Abkommen mit der Abkürzung CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement oder auch als Canada EU Trade Agreement gelesen – verbirgt sich ein geplantes europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen. Auch Kanada möchte mit der EU in Zukunft ohne Hemmnisse handeln. Aber wie das nun mal so ist in Verhandlungen: Sie wollen auch etwas zurück. Europa soll genauso Tür und Tor für amerikanische und kanadische Erzeugnisse öffnen. Es ist schließlich ein Geben und Nehmen. Wolfgang Pirklhuber, grüner Sprecher für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Regionalpolitik in Österreich, weiß, worum es wirklich geht: „Bei dem Freihandelsabkommen geht es um den Abbau von sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnissen. Das sind beispielsweise gesetzliche Vorschriften zum Gesundheitsschutz, zur Produktsicherheit oder zum Umweltschutz.“ Moment … Gesetze abbauen? Das klingt gar nicht mehr so gut.

Die politische Grundlage
Aber zunächst der Anfang der Geschichte: Zuerst übergaben die europäischen Mitgliedsstaaten der EU-Kommission das Mandat, die Freihandelsabkommen mit den Handelskammern der USA (TTIP) und Kanada (CETA) zu besprechen. Dann stimmte das Europäische Parlament, also die Vertreter der Europäischen Union mit ihrem Sitz in Brüssel, der Mandatsübergabe zu – ohne zu wissen, worum es da eigentlich genau ging. Mittlerweile ist bekannt, dass dabei die Leitlinien für die Verhandlungen, die für CETA 2009 und für TTIP 2013 begannen, festgelegt wurden. Nach der Veröffentlichung ist klar, warum. Darin steht zum Beispiel, dass die Verhandlungen auf „gemeinsamen Werten in Bereichen wie Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ beruhen. Aber auch: „Für den Erfolg von Verhandlungen über ein Handelsabkommen braucht es ein gewisses Maß an Vertraulichkeit“ und: „Die Kommission kann entscheiden, bestimmte Dokumente öffentlich zu machen, die allein die Position der EU betreffen.“ Man zeigt seine Karten ja schließlich nicht dem Mitspieler, auch wenn das wenig mit Demokratie zu tun hat.
Was genau soll verheimlicht werden? Die Kommission wie auch die amerikanischen Verhandlungspartner nehmen offenbar sehr gerne Beratungen durch Unternehmensvertreter aus Amerika, aber auch aus Europa in Anspruch. „Nicht nur die amerikanischen Unternehmen sehen Vorteile in niedrigeren Standards. Die europäische Ernährungsindustrie würde sich auch freuen, weniger Auflagen erfüllen zu müssen“, weiß Martin Häusling, grüner Politiker in Deutschland mit Sitz im Europäischen Parlament. Die Mitspieler, denen diese Karten nicht gezeigt werden, sind die Mitgliedsstaaten: die Bevölkerung, die sich wehren würde und es bereits tut, wenn alle Texte veröffentlicht würden, in denen die Lobbyisten der Unternehmen großen Einfluss haben. In der Geheimhaltung liegt das große Problem. Denn normalerweise werden bei Verhandlungen die Positionen veröffentlicht und das Europäische Parlament und der Ministerrat, mit der Unterstützung von Lobbyisten und Nichtregierungsorganisationen (so was wie Greenpeace), dürfen noch einmal nachhaken und Änderungen vorschlagen, über die dann abgestimmt wird. Bei den Freihandelsabkommen ist das anders: Erst der fertige Text wird veröffentlicht und Änderungen sind nicht mehr zulässig. Es kann nur noch abgestimmt werden ja oder nein. Die Europäische Kommission nutzt also das Mandat vollends aus: In öffentlichen Debatten legt sie immer großen Wert darauf, dass die TTIP-Verhandlungen demokratisch gerechtfertigt seien. Das Europaparlament werde auf dem Laufenden gehalten und könne sich früh äußern. Allerdings sehen das zu-Wort-Melden und die Pseudo-Transparenz so aus: Tausende Seiten werden ausgewählten Parlamentariern vorgelegt, die diese dann ohne Stift oder andere technische Hilfsmittel durcharbeiten müssen, um sie in kurzer Zeit zu verstehen und zu bewerten. Das ist die klassische Methode, mit der man müde Männer mürbe macht. Informationsmüllhaufen, durch die es sich durchzuschlagen gilt.
Also das Parlament wird nicht beziehungsweise wenig miteingezogen. Aber wer dann? Ganze 119 Mal hat sich die Kommission zur Vorbereitung der Verhandlungen – wieder im Geheimen – mit Vertretern großer Konzerne und ihren Lobbygruppen getroffen – und nur ein paar Mal mit Gewerkschaften und Verbraucherschützern. Die Menschen mit Geld werden also öfter angehört. Klingt sehr vertrauenswürdig …

Klon Lebensmittel

Angst und bange
Die Verhandlungen laufen also irgendwie schon einmal ganz eigenartig ab. Was genau besprochen wird, ist nur aufgrund der bisher veröffentlichten Positionspapiere abzuschätzen. Außerdem ist das CETA-Abkommen bereits öffentlich zugänglich. CETA und TTIP sind zwar zwei verschiedene Paar Schuhe, die aber eines gemeinsam haben: Beide wurden im Geheimen besprochen. Allerdings sind die Verhandlungen mit Kanada einen Schritt weiter, erklärt Heidemarie Porstner, Gentechnik- und GMO-Campaigner der Nichtregierungsorganisation GLOBAL 2000 – Friends of the Earth Austria: „Das fertige Abkommen wurde veröffentlicht und über dieses soll Ende 2015 beziehungsweise spätestens Anfang 2016 abgestimmt werden. Wobei wir versuchen, die Abstimmung zu blockieren, weil alle unsere Befürchtungen bezüglich der Formulierungen und Inhalte zutreffen. Die USA und Kanada haben sehr strikte Forderungen wie beispielsweise die Öffnung des europäischen Marktes für gentechnisch veränderte Lebensmittel. An dem veröffentlichten Abkommen kann abgeschätzt werden, was bei dem Handelsabkommen mit den USA auf Europa zukommen wird.“ Die besagten Handelshemmnisse, die es Hans Wurst so einfach machen, in die USA zu exportieren, schaffen allerdings auch weniger Barrieren für Importe aus den USA. Das Problem ist folgendes: Die Europäische Union ist ganz schön strebermäßig unterwegs. Es gibt Richtlinien für neue Pflanzenschutzmittel, die erst eine Reihe von Tests unabhängiger Stellen bestehen müssen, bevor sie auf den Markt kommen. Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden grundsätzlich verboten (außer Gen-Mais). Klonen von Tieren ist verboten. Alles, bei dem die langfristigen Konsequenzen nicht abschätzbar sind, wird erst einmal verboten. Das finden die Verbraucher gut. In den USA gilt nicht das Vorsorge-Prinzip, sondern ein sehr gutes Haftungsprinzip. Erst einmal wird (fast) alles zugelassen. Wenn jemand Krebs bekommt, weil er das Pflanzenschutzmittel zu lange eingeatmet hat, darf er das Pflanzenschutzmittel-Unternehmen verklagen. Damit kommt derjenige in den USA auch gut durch und wird Tausende von Euros als Schadensersatz bekommen. Toll, bis auf die Sache mit dem Krebs. Wenn Europa nun zustimmt, Handelshemmnisse zu beseitigen und Standards der Verhandlungsländer anzuerkennen, wird es nicht darum herumkommen, auch Standards zu senken. Es ist schließlich ein Geben und Nehmen. Das bedeutet, das Vorsorge-Prinzip wird nicht länger durchsetzbar sein, weil das ein Handelshemmnis für die USA ist. Noch schlimmer ist es, dass gemeinsam Gesetze geschrieben werden sollen, die das freie Handeln nicht beschränken. Und jetzt kommt der beste Part, über den sich jedes amerikanische Unternehmen riesig freuen wird: Wenn die EU ein Gesetz verabschiedet oder eines nicht ändern will, und es ein Handelshemmnis darstellt, dann dürfen amerikanische Klon-Schwein-Firmen die Regierungen in der EU verklagen! Und wer hätte es gedacht: Im Geheimen vor privaten Schiedsgerichten! So weit, so schlecht. Was sagen denn eigentlich die Befürworter? Die Europäische Kommission mit ihrer Vorsitzenden Cecilia Malmström beharrt darauf, dass die Verhandlungstexte auf verschiedene Arten gelesen werden können. Nur weil es darin heißt, dass Standards angepasst werden, müsse es nicht bedeuten, dass die europäischen Standards heruntergestuft werden. Außerdem soll die Wirtschaft wachsen und Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. Eigentlich aber wird auf politischer Seite gezweifelt, ob die Europäische Union weiterhin als starke Partnerin im globalen Geschehen auftreten kann, wenn keine Abkommen geschlossen werden. Die Spielregeln der Wirtschaft macht nun einmal der Mächtigste. Und damit die Union dazugehört, muss sie dieses Abkommen schließen. „Aber bitte nicht die USA als solches verteufeln! Nur eben der Konzerneinfluss ist groß und hat seine eigenen Interessen. Auch die europäische Industrie freut sich über laschere Standards“, erklärt Porstner. Allerdings sind das Interessen, die Verbraucher und Umwelt nicht berücksichtigen.

Krisen und Katastrophen
Vor 21 Jahren trat das damals größte Freihandelsabkommen zwischen Kanada, den USA und Mexiko in Kraft – NAFTA, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen. Der Lebensmittelmarkt wurde davon stark beeinflusst: Laut einer Veröffentlichung der Umweltorganisation Sierra Club habe NAFTA zu mehr Wachstum der Industrie und damit mehr Lastwagenverkehr, mehr Abwässern, mehr toxischen Abfällen und zu einer stärkeren Umweltbelastung geführt. Die Angst um die klein- und mittelständischen Bauern ist zudem gerechtfertigt: Der Export von kostengünstig angebautem und gentechnisch verändertem Mais aus den USA nach Mexiko habe dort die Existenz kleiner Farmer zerstört. Das Ding mit den privaten Gerichten ist auch spannend: Die amerikanische Regierung hat noch nie ein Verfahren gegen Kanada oder Mexiko verloren. Zusätzlich ist es kaum möglich, aus dem Abkommen wieder auszusteigen: Wenn Europa in ein paar Jahren von dem Wirtschaftswachstum nicht überzeugt ist oder der Überschwemmung von billig produzierten Lebensmitteln entgegenwirken möchte, geht das nicht, weil die Vertragskosten und Entschädigungen so hoch sind.

Gastronomie ohne Regionalität
Was dieses Handelsabkommen genau für die Lebensmittel in Europa bedeutet, liegt in der Formulierung der Forderungen: Sollen die Hemmnisse verschwinden und Standards anerkannt werden, werden besonders lokale Anbieter vom Tellerrand rutschen. „Regionale Kleinbauern, Bäcker oder Metzger brauchen politischen Schutz durch die sogenannten Handelsbarrieren, die abgebaut werden sollen“, erklärt Pirklhuber. „Gentech-Pflanzen, Klonfleisch, Chlorhuhn und Hormonmilch landen in den USA auf den Tellern der Konsumenten. In Europa konnten wir das bisher verhindern.“ Der Schutz durch die Kennzeichnungspflicht, den es in den USA nicht oder kaum gibt, wird die kleinen Bauern vom Markt fegen. Die Produktionsbedingungen bewirken ein Sinken der Preise für Lebensmittel, deren Ursprung niemand beurteilen kann. So können auch Gastronomen nicht mehr gewährleisten, woher ihre Produkte kommen, oder gemeinsam mit Kleinbauern an neuen Sorten und der Vielfalt arbeiten.
Das ist nur eine kleine Anzahl von Befürchtungen, wie sich unsere Lebensmittelsituation verändern könnte. Als die Verhandlungen um CETA begannen, wusste niemand, was da vor sich geht. Aber mit mutigen Menschen und fleißiger Unterstützung ist es möglich, die Unruhen zu stärken und Politiker auf die Meinung der Zivilgesellschaft aufmerksam zu machen. Auch wenn es gewisse Vorteile geben mag, ein Freihandelsabkommen zu schließen, hieß es nicht umsonst schon zu Schulzeiten: Wer flüstert, der lügt!

ein Vergleich der Lebensmittelstandards

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