Einmal ohne alles, bitte!

Vegan boomt und macht auch vor der Pâtisserie nicht halt. Was die vegane süße Küche alles (ver-)bietet und wie es sich als ei- und milchloser Pâtissier lebt.
November 13, 2015

Vegan boomt Fotos: La Vie / Michael Holz, Isabella Abel

Vegetarisch reicht nicht mehr. Wer ernährungstechnisch am Puls der Zeit verweilt, macht auf vegan. Das sagen die Trendforscher. Manche glauben an das gesteigerte Wohlbefinden, die gesündere Lebensweise bei veganer Ernährung. Andere wollen schlichtweg auf Tierisches verzichten. Und die Pâtissiers? Die hat keiner gefragt. Insbesondere in der süßen Küche, in der Ei, Butter und Co. als Texturgeber und Bindemittel allgegenwärtig sind, stellt sich die Frage, wie der Arbeitsalltag eines Pâtissiers ohne Eier eigentlich aussieht.
Gar nicht so schlecht, sind sich die süßen Postenköche im High-End-Segment einig. Es geht nur um die Einstellung. Und den Umgang mit den Produkten. Thomas Scheiblhofer ist seit der Eröffnung 2011 Chef-Pâtissier im vegetarischen Restaurant Tian in Wien und weiß, was vegane Dessertküche bedeutet: „Natürlich ist es zum Teil aufwendiger, vegane Gerichte zu kreieren, weil man auf gewohnte Produkte, die in der klassischen Pâtisserie fest verankert sind, verzichten muss.“ Knackpunkt sei es, vegane Pâtisserie nicht mit der herkömmlichen zu vergleichen. „Wenn ich ein veganes Dessert kreiere, gehe ich in den seltensten Fällen von einer normalen Rezeptur aus. Ich denke von Beginn an vegan“, so Scheiblhofer. Auf diese Weise…

Vegan boomt Fotos: La Vie / Michael Holz, Isabella Abel

Vegetarisch reicht nicht mehr. Wer ernährungstechnisch am Puls der Zeit verweilt, macht auf vegan. Das sagen die Trendforscher. Manche glauben an das gesteigerte Wohlbefinden, die gesündere Lebensweise bei veganer Ernährung. Andere wollen schlichtweg auf Tierisches verzichten. Und die Pâtissiers? Die hat keiner gefragt. Insbesondere in der süßen Küche, in der Ei, Butter und Co. als Texturgeber und Bindemittel allgegenwärtig sind, stellt sich die Frage, wie der Arbeitsalltag eines Pâtissiers ohne Eier eigentlich aussieht.
Gar nicht so schlecht, sind sich die süßen Postenköche im High-End-Segment einig. Es geht nur um die Einstellung. Und den Umgang mit den Produkten. Thomas Scheiblhofer ist seit der Eröffnung 2011 Chef-Pâtissier im vegetarischen Restaurant Tian in Wien und weiß, was vegane Dessertküche bedeutet: „Natürlich ist es zum Teil aufwendiger, vegane Gerichte zu kreieren, weil man auf gewohnte Produkte, die in der klassischen Pâtisserie fest verankert sind, verzichten muss.“ Knackpunkt sei es, vegane Pâtisserie nicht mit der herkömmlichen zu vergleichen. „Wenn ich ein veganes Dessert kreiere, gehe ich in den seltensten Fällen von einer normalen Rezeptur aus. Ich denke von Beginn an vegan“, so Scheiblhofer. Auf diese Weise komme man gleich gar nicht in die Verlegenheit, zu tief in die Trickkiste der veganen Ersatzprodukte wie Eidotter-Pulver oder Ähnliches greifen zu müssen. Als Ergebnis Scheiblhofers süßer, veganer Denkweise kommen im mit 17 Gault-Millau-Punkten dekorierten Tian aktuell beispielsweise schon einmal Erdbeer-Topfenknödel im Tofuteig oder ein mit Johannisbrotkernmehl und Carrageen gebundenes Vanille-Trifle auf den Tisch.
Dabei lebt ein beträchtlicher Teil derjenigen, die im Restaurant auf vegan setzen, gar nicht vegan. Sondern ist vielmehr einfach neugierig auf Neues. Davon kann Jean-Christian Jury, Gründer des veganen Restaurants La Mano Verde in Berlin, ein Liedchen singen. „Als wir 2008 mit unserem Konzept durchstarten wollten, war es sehr schwer, Gäste, die nicht vegan leben, in unser Lokal zu locken.“ Der Anteil an Veganern habe damals in Berlin bei 0,01 Prozent gelegen. „Das entsprach zu unseren Beginnzeiten einem Gästeschnitt von drei Personen pro Tag.“ Das reicht natürlich schwerlich, um auf Dauer zu überleben. Heute sieht die Situation freilich anders aus. Jury: „Vegan macht Spaß und schmeckt auch. Viele wollen einfach nur gesund essen und sind gar keine Veganer.“ Der bekömmliche Effekt veganer Küche sei unumstritten und so reiche der vegane Foodtrend inzwischen schon weit in das Bewusstsein der nichtveganen Bevölkerung hinein. „Zu Beginn haben wir uns schwergetan, unsere Vorstellungen geschmacklich umzusetzen. Inzwischen aber können wir alles. Das ist auch der heutzutage viel breiteren Produktauswahl geschuldet“, so der selbstbewusste Franzose. „Der Trend von Rohkost und Veganismus kommt eigentlich aus den USA. Aber wie so oft haben die Amis etwas begonnen. Wir in Europa führen es durch und perfektionieren es.“ Unverträglichkeiten sind ein weiterer Punkt, der die Nachfrage nach veganer Pâtisserie fördert. „Etwa fünf Prozent meiner Bestellungen sind vegan“, bestätigt auch Daniela Summer, Inhaberin des Tortenateliers in Graz. Ihr Geschäftsmodell, die Auslieferung von Torten, Petits Fours und allerlei süßen Kunstwerken, bringe es mit sich, dass die Kunden auf Nummer sicher gehen wollen. Schließlich bestellt in den seltensten Fällen der Gefeierte selbst. Summer: „Gerade hat eine Gruppe von Männern eine Torte in Basketballoptik bestellt. Sie waren sich aber nicht sicher, ob ihr Freund außer Gluten noch weitere Unverträglichkeiten hat. Mit der veganen Torte waren sie somit einfach auf der sichersten Seite.“

Vegane Desserts sind eine komplett eigene Kategorie.
Rene Frank, Restaurant La Vie, Osnabrück

Vegan boomt

Wenn vegan einfach passiert
Von der engagierten Pâtissierwarte aus betrachtet, kann man den veganen Gaul aber auch leicht von hinten aufsatteln.
So passiert in der mit drei Sternen des Guide Michelin dekorierten Küche des Restaurants La Vie in Osnabrück. Chef-Pâtissier Rene Frank: „Nach einer langen Menüfolge ist es wichtig, dass das Dessert dem Gast nicht den letzten Rest gibt, sondern die Geschmacksknospen im Idealfall sogar wieder aufweckt.“ Des Weiteren stelle er sich immer gerne der Herausforderung, mit neuen Produkten zu arbeiten. Die Kombination aus noch weniger gefestigten Lebensmitteln in der Pâtisserie wie Mandel- oder Sojamilch, fermentierter Tofu sowie dem Bekömmlichkeitsgedanken ergab bereits 2012 Franks Dessert „Petersilienwurzel und Pistazie“. Inzwischen ein Klassiker. Die Petersilienwurzel ist dabei aus Isomalt geblasen und wird mit einem Eis aus Petersilienwurzel und Kokosmilch serviert. Der gar nicht an erster Stelle angestrebte Nebeneffekt: Das Gericht ist komplett vegan. Frank: „Wenn Gäste Unverträglichkeiten haben, ist es natürlich wichtig, derartige Alternativen in petto zu haben. Ich lege es aber nicht darauf an, vegane Desserts zu kreieren.“
Das aus einem einfachen Grund: „In der gehobenen Gastronomie werden meist ganze Menüfolgen angeboten. Wenn also nicht das komplette Menü vegan ist, hat ein veganes Dessert wenig Sinn.“ Außerdem, so Frank, solle jeder so arbeiten, wie es seiner Philosophie entspreche. In seinem Fall seien die veganen Desserts der Beschäftigung mit Ernährung sowie der Suche nach neuen Produkten entsprungen. „Und man darf schließlich auch nicht vergessen, dass sich damit auch den Gästen gänzlich neue Horizonte erschließen.“

Eier. Die macht der gewohnheit: Es ist das Adabei der Dessertkunst: das Ei. Denn nichts bindet so schön klassisch wie des Huhns größter Schatz. Auf dem Markt existieren Ersatzprodukte, die beispielsweise auf Kartoffelmehl basieren. Richtig angerührt und ausreichend gewürzt, kann man damit arbeiten. Experten empfehlen allerdings, nur in Ermangelung anderer Alternativen auf derartige Ersatzprodukte zurückzugreifen. Besser sei es, abseits der Bahnen zu denken. So hat beispielsweise auch Soja eine bindende Wirkung. Außerdem: Wer länger auf die Zutat Ei verzichtet und dann wieder ein Dessert probiert, in dem Eier vertreten sind, wird feststellen: Auch die runden Alleskönner haben einen Eigengeschmack, der gar nicht einmal so angenehm ist.

Tierisches Fett. Butter, Butter, Butter: Das soll Paul Bocuse einmal als Geheimnis der Nouvelle Cuisine bezeichnet haben. In der veganen Dessertküche hat das tierische Fett allerdings nichts verloren. Was keinesfalls heißt, dass die Gerichte deshalb gleich weniger gut schmecken. Die Palette an Möglichkeiten reicht vom relativ geschmacks-freien Traubenkernöl über Kakaobutter, die mittels Temperaturregelung auch hervorragend als bindendes Element verwendet werden kann, bis hin zur Margarine – wenn die Kreation nach einer butterartigen Konsistenz verlangt. Zudem steht die vegane Küche im Gegensatz zur Nouvelle Cuisine für leichte, bekömmliche Gerichte, sodass die Fettkomponente ohnehin meist schlanker ausfällt.

Milch. Mandel-Molke und Soja-Drink: „So, ja“, pflegen vegane Pâtissiers auszurufen, wenn die Diskussion sich um erwünschte Milch- und Milchprodukte in der tierfreien Küche dreht. Die Optionen reichen von klassischer Sojamilch über Mandel- und Reismilch bis hin zur Kokosmilch. Letztere hinterlässt im Vergleich zu Kuhmilch einen leichteren Eindruck am Gaumen und eignet sich somit für bekömmlichere Dessertvarianten, als Alternative zu Sahne und Co. Sei das Dessert nun vegan oder nicht. Wie in den übrigen Produktgruppen auch, ist es essenziell, im inzwischen relativ breiten Angebotssortiment auf die Qualität zu achten. Damit auch keine aromatisierte Sojamilch oder zäher Tofu den süßen Veganertraum trübt.

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