Ist Convenience Verrat am Gast?
1) Stefan Glantschnig
Der aufstrebende Jungkoch sorgt im Gasthaus Plamenig in Kärnten als Sous Chef für Furore.
2) Andreas Döllerer
Executive Chef und Inhaber von Döllerer’s Genusswelten in Golling, mit 18 Pkt. von Gault Millau.
3)Thomas Bühner
Executive Chef und Inhaber des mit drei Michelin-Sternen dekorierten Restaurants la vie in Osnabrück.
4)Didi Dorner
Koch in Orange und Mann für alles in seinem mit 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten gleichnamigen Restaurant in Graz.
5)Sandra Kollegger
Vormals bei Andreas Döllerer in Salzburg und heute Küchenchefin der ROLLING PIN SOULKITCHEN in Graz.
Wie steht man in der gehobenen Gastronomie zu Convenience-Produkten? Ist der Einsatz erlaubt?
Thomas Bühner: Das kommt ganz wesentlich auf den Grad von Convenience an. Wenn man es streng sieht und man nicht das ganze Schwein oder Kalb in die Küche treibt, sondern ein Filet reinträgt, dann ist das ja im Prinzip schon Convenience-Food.Die unteren Stufen lasse ich mir noch gefallen, aber alles, was darüber hinausgeht, ist klarerweise ein absolutes No-Go. Die Gäste erwarten…
1) Stefan Glantschnig
Der aufstrebende Jungkoch sorgt im Gasthaus Plamenig in Kärnten als Sous Chef für Furore.
2) Andreas Döllerer
Executive Chef und Inhaber von Döllerer’s Genusswelten in Golling, mit 18 Pkt. von Gault Millau.
3)Thomas Bühner
Executive Chef und Inhaber des mit drei Michelin-Sternen dekorierten Restaurants la vie in Osnabrück.
4)Didi Dorner
Koch in Orange und Mann für alles in seinem mit 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten gleichnamigen Restaurant in Graz.
5)Sandra Kollegger
Vormals bei Andreas Döllerer in Salzburg und heute Küchenchefin der ROLLING PIN SOULKITCHEN in Graz.
Wie steht man in der gehobenen Gastronomie zu Convenience-Produkten? Ist der Einsatz erlaubt?
Thomas Bühner: Das kommt ganz wesentlich auf den Grad von Convenience an. Wenn man es streng sieht und man nicht das ganze Schwein oder Kalb in die Küche treibt, sondern ein Filet reinträgt, dann ist das ja im Prinzip schon Convenience-Food.Die unteren Stufen lasse ich mir noch gefallen, aber alles, was darüber hinausgeht, ist klarerweise ein absolutes No-Go. Die Gäste erwarten mit Recht etwas, was sie nur bei uns bekommen. Und daher spielt Convenience bei uns keine Rolle.
Andreas Döllerer: Im Prinzip sehe ich das auch so. Es kommt immer darauf an, wo man beginnt und wo man aufhört. Auch Curry-Gewürzmischungen gehören in die Sparte der Convencience-Produkte. Die sind für mich zum Beispiel o. k. Aber alles, was in die Tiefkühl-Fertigprodukte-Richtung geht, hat in der gehobenen Gastronomie natürlich nichts verloren.
Ist der vertretbare Einsatz von Convenience-Produkten also eine Frage der Definition?
Didi Dorner: Ich frage mich auch, ob wir uns mit der Diskussion zu Convenience-Food nicht zu sehr einengen. Als Beispiel, und Andreas (Anm. Döllerer), versteh mich da bitte nicht falsch, aber es gibt eine legendäre Vorspeise bei euch im Restaurant: die Weißwürste aus dem Betrieb des Bruders. Streng genommen ist das natürlich auch Convenience.
Döllerer: Das ist hausgemacht und unterscheidet sich damit für mich ganz wesentlich von Tiefkühlprodukten und Co.
Dorner: Das ist ja genau das, was wir hier diskutieren sollten, meine ich. Ganz abgesehen davon, sind wir uns doch alle einig, dass Convenience in einer hochwertigen Küche nicht nur nichts zu suchen hat, sondern tatsächlich verbannt gehört.
Bühner: Da bin ich anderer Meinung. Der Unterschied ist immer: Handelt es sich dabei um eine industriell gefertigte Zutat oder um ein industriell gefertigtes Gericht. Tomatenmark ist industriell gefertigt, und das nutze ich auch, ohne schlechtes Gewissen.
Als Zutat bis zu einem gewissen Grad also ja, als fertiges Gericht keinesfalls. Kann man das so sagen?
Dorner: Kaviar ist eine Zutat und zugleich ein eigenes Gericht. Seit Jahrzehnten wird die Kaviardose aufgerissen, ein bisschen gehackte Eier oder Sonstiges dazu und schon wird es so serviert. Aber kein Mensch sagt: „Das ist Convenience.“
Bühner: Also wenn man das Kaviar-Beispiel als Definition verwendet, dann wäre ja auch Käse ein Convenience-Produkt. Ist es aber nicht – zumindest nicht in der Wahrnehmung der Leute. Wenn ich einen Käsewagen anbiete, dann schiebe ich ja keinen Convenience-Wagen raus.Das hat ja auch regionale Gründe. Wer will und kann schon Kaviar in den Bergen machen? Und wo soll ich sonst an den Tee kommen, wenn ich ihn nicht aus Asien kriege? Das ist ja legitim. Ich habe nur etwas gegen Tüte auf und drauf. Das geht nicht.
Tüte auf und drauf ist also ein No-Go. Kommt aber doch hin und wieder vor, nicht?
Stefan Glantschnig:Ich habe einmal drei Wochen lang in einem Krankenhaus gearbeitet. Dort hatten sie für drei Gerichte pro Tag insgesamt eine Wareneinsatzvorgabe von 4,90 Euro. Hier wurde sehr viel mit Convenience-Produkten gearbeitet. Saucen wurden mit Pfeffer und Salz ein bisschen verfeinert. Der Rest kam aus der Packung. Ich sehe das auch so, dass das in der Größenordnung vielleicht auch nichts Schlechtes ist. Ich weiß nicht, wie viele Leute dort eingestellt waren. Vielleicht ist das auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit.
Bühner: Also ich berate ja das Klinikum in Osnabrück. Da haben wir genau das gleiche Problem. Da mit einem Lkw hinzufahren, um hier eine Riesenmenge an frischem Gemüse abzuladen, ist natürlich ein großes Problem. In dem Fall geht es nicht anders, zum Teil. Aber wenn ich zu einem Koch gehe, der sich auch Koch nennt, dann sehe ich das als Betrug am Gast.
Glantschnig: Genau aus dem Grund habe ich auch nach so kurzer Zeit aufgehört, im Krankenhaus zu arbeiten. Das hatte für mich nicht mehr viel mit Kochen zu tun. Sachen in den Ofen schieben, dämpfen und auf den Teller legen war das, was wir dort gemacht haben. Kochen würde ich das nicht nennen.
Kann man Convenience-Produkte im Geschmack eindeutig von frisch zubereiteten Produkten unterscheiden?
Sandra Kollegger: Ich denke ja. Auf jeden Fall. Es macht auch keinen Spaß, mit Fertigprodukten zu arbeiten. Für mich verletzt das das Berufsethos als Koch.
Bühner: Ich glaube, das ist eine schwierige Frage. Im Klinikum haben sie mir erzählt, dass sie zu Weihnachten einmal Kartoffelpüree selbst zubereitet haben. Die Rückmeldung war, dass die Patienten das andere Püree lieber gegessen haben. Das ist ja das Fatale: Gerade bei Convenience-Produkten spielt die Gewöhnung an den Geschmack eine wichtige Rolle. In einer Blindprobe würde ich nicht behaupten, dass man sich sicher sein kann, dass das selbst gemachte Gericht besser abschneidet.
Kann man diesen Umstand als Argument für Convenience deuten?
Bühner: Eigentlich ist es ein Argument gegen Convenience. Weil der Geschmack auch so gleich ist, immer. Für die Fernsehsendung „Galileo“ haben wir einmal einen Test mit Vanillesaucen gemacht. Kinder waren die Tester. Und die Convenience-Sauce hat haushoch gewonnen. Aber das ist eben das Fatale an Convenience-Produkten in dieser hohen Stufe. Es ist nichts Individuelles darin. Der Geschmack ist vereinheitlicht. Durch das Überwürzen, Übersüßen, sprich also Überaromatisieren, gewöhnt man sich eben an den Geschmack.
Döllerer: Das ist das Problem. Irgendwann gewöhnen sich die Leute, und insbesondere die Kinder an den Geschmack und dann ist auf einmal das frisch Gekochte das Sonderbare.
Glantschnig: Ich finde, das zieht sich hin bis zum Tiefkühlgemüse. Wenn ich einen Brokkoli frisch koche oder dünste, wird dieser immer anders schmecken als ein Brokkoli, der schon einmal tiefgefroren war. Denn durch das Frosten verändert sich doch auch die Zellstruktur des Gemüses.
Tiefkühlgemüse ist also auch so weit wie möglich aus der Küche zu verbannen?
Bühner: Es gibt auch Produkte, die sind besser. Es gibt beispielsweise keine schöneren Erbsen als TK-Erbsen. Aber wenn, muss ich sie eben verarbeiten. Ich würde niemals die Erbsen warm machen und dann auf den Teller kullern lassen. Aber wenn ich sie nutze, um eine schöne Creme herzustellen, dann finde ich es legitim.
Wo kann man also die Grenze zwischen guten und bösen Convenience-Produkten ziehen?
Dorner: Zum Teil haben wir das schon aufgelöst, meine ich. Man muss davon ausgehen, dass wir als Köche die Ehrlichkeits- und Wahrheitspflicht haben, Lebensmittel nach bestem Wissen und Gewissen zu verarbeiten und einzukaufen. Die Gerichte, bei denen keine Hand mehr angelegt wird und keine Verarbeitung mehr stattfindet, das gilt es meiner Meinung nach zu verurteilen.
Bühner: Ein weiteres großes Pro-blem ist, zumindest in Deutschland, dass genau diese Definition der Industrie extrem positiv zugutekommt. Habe ich ein fertiges Gericht, an dem ich nichts mehr verändere, wird es mit sieben Prozent besteuert. Wenn du daran arbeitest, musst du 19 Prozent Steuer abführen.
Döllerer: In Österreich ist das, denke ich, nicht der Fall. Bei uns werden Speisen mit zehn Prozent besteuert, Getränke mit 20.
In Deutschland wird man also dafür bestraft, frisch zu kochen?
Bühner: Ich finde schon. Als Beispiel: Mein Essen im Restaurant wird mit 19 Prozent besteuert. Bei McDonald’s ist es so: Die machen zwar Convenience, aber ungeachtet dessen werden die Gerichte im Restaurant mit 19 Prozent versteuert. Werden sie aber mitgenommen, liegt der Steuersatz bei sieben Prozent.
Diese Besteuerung spielt also wiederum der Industrie und damit der Vereinheitlichung des Geschmacks in die Hände, nicht?
Döllerer: Um genau dem entgegenzusteuern, arbeiten viele Gastronomen auch lieber mit kleineren Produzenten, deren Lebensmittel sich in Geschmack und Qualität vom großen Einheitsbrei unterscheiden. Dass regionale, biologisch arbeitende Produzenten dabei immer gefragter werden, spricht schon dafür, dass hier wenigstens ein Licht am Ende des Tunnels ersichtlich ist. Es ist die Pflicht eines jeden guten Kochs, dass er eben nach besseren Produkten sucht, als es sie in der Packung gibt.
Dorner: Genau hier fängt die Verantwortlichkeit des Kochs an. Der Einkauf an sich ist für mich einer der wesentlichsten Punkte des Kochdaseins. Oft habe ich das Gefühl, dass F&B-Manager mit ihren Vorgaben hier dagegen arbeiten. Für mich hat das zum Teil mit Profitgier zu tun. Wir selber unterliegen dem Irrglauben, dass die Bereiche, in denen wir tätig sind, also die Gastronomie, nur ein gewisses Preisniveau verträgt. Vielleicht ist das ein Irrglaube. Es gibt sehr wohl Länder, in denen mehr für Essen ausgegeben wird als in Deutschland und Österreich, um nicht das vielzitierte Argument zu bemühen, dass man in unseren Breitengraden im Verhältnis mehr Geld für Motoröl, Zigaretten und Co. ausgibt als für Lebensmittel.
Döllerer: Der Ecke, aus der Convenience-Food kommt, kann man allerdings keine Profitgier unterstellen. Ursprünglich waren Convenience-Produkte dafür gedacht, Haushalten das Leben schlichtweg zu erleichtern.
Bühner: Ich bin hier wieder beim Grad an Convenience. Wenn einer einen Liter Milch kauft und dann pur trinkt, dann ist das auch Convenience, aber nicht zwingend schlecht. Es geht ganz generell darum, dass wieder mehr darauf geachtet werden sollte, welche Produkte eingekauft werden.
Inwiefern liegt dieses Bewusstsein-Schaffen für den Kauf von hochwertigeren Produkten in der Verantwortung der Köche?
Glantschnig: Ich bin der Meinung, dass man seine Stimme als Koch sehr wohl dafür nutzen sollte, Gäste und Menschen dazu zu animieren, frisch zu kochen. Daher finde ich diese Kochsendungen persönlich alle nicht schlecht.
Döllerer: Die Frage ist, ob die Menschen aufgrund solcher Sendungen wirklich mehr kochen. Oder nicht sogar während der Kochsendung aufstehen, zum Kühlschrank gehen und sich dann doch etwas komplett fertiges und nicht unbedingt Gesundes herauszuholen. Wünschenswert wäre natürlich der Fall, dass solche Kochsendungen auf fruchtbaren Boden fallen. Nichts Besseres könnte uns allen passieren. Das würde bedeuten, dass Convenience-Produkte automatisch zurückgehen.
Die Rolle der Medien ist in der Causa Convenience also auch nicht unwesentlich.
Dorner: Sie ist sogar essenziell. Gerade durch Werbung, wie beispielsweise des österreichischen Skiteams für einen namhaften Hersteller, wird der Jugend doch suggeriert, dass man sich so gesund ernährt. Die Message ist: „Wenn du diese Produkte konsumierst, dann bist du fit und gesund.“ Dem Falschbild, das von Medien zum Teil gefördert wird, muss man entgegenwirken.
Kollegger: Ich glaube, dass wir hier auch schon in eine gute Richtung unterwegs sind. Sich gesund zu ernähren, ist ein Trend, den auch die Medien schon lange breitenwirksam aufgenommen haben.
Trotzdem beschweren sich Hersteller von Convenience-Food immer noch selten über Absatzprobleme. Wer kauft diese Produkte also?
Glantschnig: Es gibt genug Betriebe, die diese Produkte kaufen. Im österreichischen Tourismus, und ich meine damit nicht die Spitzengastronomie, ist Convenience weitverbreitet.
Döllerer: Als Koch denkt man beim Einkauf ja nicht: „Ist das Convenience oder nicht?“ Vielmehr wird einem der Händler einen Produktnamen nennen, ein Lebensmittel vorstellen und man selbst wird dann entscheiden, ob das für einen in Ordnung ist oder nicht. Ich finde es gefährlich, die Begrifflichkeit und auch die Produzenten in diesem Fall über einen Kamm zu scheren. Der Grad an Convenience ist entscheidend.
Dorner: Man kann das Ganze ganz einfach mit der Autoindustrie vergleichen. Wenn ich einen Porsche, Jaguar oder sonst eine Luxuskarosse kaufe, dann habe ich den Anspruch, dass dieses Auto mehr kann als mein einfacheres Modell. Genauso sehe ich das in der Gastronomie. Es kommt darauf an, welche Leistung ein Restaurant dem Gast verspricht. Darunter reiht sich auch die Berechtigung beziehungsweise das Ausmaß, in dem Convenience-Produkte in der Küche verwendet werden dürfen. Wenn ich dem Gast ein gewisses Erlebnis durch mein Image verspreche, dann habe ich auch die Pflicht,
das einzuhalten. Alles andere ist nicht tolerierbar und fällt für mich eindeutig unter Betrug am Gast.
Als Gast muss man also, was frische Zubereitung und den Einsatz von Convenience-Produkten betrifft, blind auf den Gastronomen vertrauen.
Döllerer: Ich würde eine Kennzeichnungspflicht, genauso wie es bei den Allergenen gehandhabt wird, sehr begrüßen. Wenn beispielsweise auf der Karte stehen würde, dass der Apfelstrudel nicht selbst gemacht ist, sondern fertig gekauft, dann bin ich überzeugt davon, dass der Kunde das nicht tolerieren würde.
Dorner: Das wäre begrüßenswert. Schließlich würde es den Koch wieder, dem Grundgedanken des Berufs entsprechend, in die Pflicht nehmen.
Döllerer: Das wird aber nie passieren. Aus Gründen, die wir vorhin besprochen haben. Die Industrie würde so etwas niemals zulassen.
Convenience-Produkte haben also eine zu starke Lobby. Heißt das im Umkehrschluss, dass der Anteil an Convenience in der Gas-tronomie eher steigen als sinken wird?
Döllerer: Ich glaube, die Schere wird immer weiter aufgehen. In der Top-Gastronomie wird das nie ein Thema sein. Andere Betriebe werden sich mit dem Griff zu Convenience-Produkten dem steigenden Druck an Zeit- und Personalmangel beugen. Diese Dinge machen es für größere Betriebe nämlich immer schwieriger, frisch zu kochen.
Ist der Griff ins Convenience-Regal also ein Resultat aus Zeit-, Geld- und Personalnot?
Dorner: Das glaube ich nicht. Schließlich sind manche Convenience-Produkte ja bedeutend teurer, als wenn man sie frisch herstellt. Ich denke da an fixfertige Bratkartoffeln.
Bühner: Der Stellenwert von gesunder Ernährung und gutem Essen steigt in der Gesellschaft zusehends. Daher habe ich auch die vage Hoffnung, dass der Anteil an Convenience-Produkten höherer Stufen in der Gastronomie nicht mehr wird, sondern weniger. Weil umgekehrt immer mehr Menschen essen, um gut zu leben, und nicht ausschließlich, um das Grundbedürfnis Hunger, egal auf welche Art, zu stillen.