Eiskalt Abschluss

Zergeht auf der Zunge: Innovative Techniken heben Granité, Parfait oder auch Sorbet auf ein neues Level.
November 13, 2015

Innovative Techniken mit SorbetFotos: Roman Matejov Fotografie

Gelungene Desserts, die in Erinnerung bleiben: eine Symphonie an Geschmäcken, crunchy versus cremig, Säure, Süße, warme Komponenten und zur Krönung essbarer Sexappeal, der elegant den Hals hinabkühlt. Eis, gut gemacht, ist sinnlich, verleiht dem Dessert oder auch pikanten Gerichten das gewisse Etwas. Der Star auf dem Teller, durch den sich alle übrigen Komponenten zu einem großen ganzen Meisterwerk vereinen.
Der Negativabklatsch davon: picksüßer Matsch, bei dem der Unterschied zwischen Vanille- und Erdbeereis nur in der Farbe erkennbar ist.
Das kommt in der Top-Pâtisserie natürlich selten bis gar nicht vor. Dennoch: Gerade was die Eis- und Sorbetherstellung betrifft, gibt es eine Menge an Stellschrauben, die aus einem unvergesslichen Menüabschluss ganz schnell ein „Hätte ich doch beim Hauptgang aufgehört“-Erlebnis machen. „Das beginnt damit, dass man genau wissen muss, wie sich Aromen und Produkte im gefrorenen Zustand verhalten“, stellt Fernando Sáenz Duarte gleich zu Beginn des Interviews klar. Er ist einer, der…

Innovative Techniken mit SorbetFotos: Roman Matejov Fotografie

Gelungene Desserts, die in Erinnerung bleiben: eine Symphonie an Geschmäcken, crunchy versus cremig, Säure, Süße, warme Komponenten und zur Krönung essbarer Sexappeal, der elegant den Hals hinabkühlt. Eis, gut gemacht, ist sinnlich, verleiht dem Dessert oder auch pikanten Gerichten das gewisse Etwas. Der Star auf dem Teller, durch den sich alle übrigen Komponenten zu einem großen ganzen Meisterwerk vereinen.
Der Negativabklatsch davon: picksüßer Matsch, bei dem der Unterschied zwischen Vanille- und Erdbeereis nur in der Farbe erkennbar ist.
Das kommt in der Top-Pâtisserie natürlich selten bis gar nicht vor. Dennoch: Gerade was die Eis- und Sorbetherstellung betrifft, gibt es eine Menge an Stellschrauben, die aus einem unvergesslichen Menüabschluss ganz schnell ein „Hätte ich doch beim Hauptgang aufgehört“-Erlebnis machen. „Das beginnt damit, dass man genau wissen muss, wie sich Aromen und Produkte im gefrorenen Zustand verhalten“, stellt Fernando Sáenz Duarte gleich zu Beginn des Interviews klar. Er ist einer, der es wissen muss. Schließlich bauen Sterneköche von Andoni Luis Aduriz aus dem 2-Sterne-Restaurant Mugaritz bis hin zu Eneko Atxa im 3-Sterne-Restaurant Azurmendi auf das Können des Riojaner Eisherstellers aus Logroño.
Das soll nicht heißen, dass diese Top-Gastronomen das Eis von Duarte kaufen. Vielmehr gibt der Betreiber von Obrador Grate Masterclasses in den Restaurants vor Ort, um die Pâtissiers in die Kunst des Eismachens einzuweihen. Denn für Eis in Perfektion braucht es schon mehr als Eisschrank, Zucker und Geschmackshauptkomponente. Mit Sternekoch Atxa hat der findige Eismann gar ein komplettes Menü zusammengestellt, das in jedem Gang eine Eiskomponente beinhaltet. Atxa: „Beim Hauptgang habe ich wirklich geschwitzt, ob das mit dem Fleisch funktioniert.“ Wie sich herausstellen sollte, zu Unrecht. „Die Kombination des Täubchens mit der geeisten Creme aus Blumenkohlwasser, Whisky und Kaffee ist legendär. Das Eis verleiht der ganzen Komposition mehr Tiefe.“

Sorbet auf einem neuen Level

Auch Christian Hümbs’ erste Reaktion auf die Frage nach Eis in der Pâtisserie: „Ohne Eis kann ich gar nicht. In der Regel ist es auch der Mittelpunkt meiner Gerichte“, so der Top-Pâtissier, der sich in seiner aktuellen Wirkungsstätte, dem Restaurant Haerlin in Hamburg, zu einer Neuauflage seines viel gerühmten Aromenmenüs hinreißen hat lassen. Schon zum Amuse-Gueule kombiniert Hümbs Kürbis mit Kokoseis, Estragon und Vanilleessig. Sauerteigeis kommt im Zusammenspiel mit Verbene und Rhabarber auf den Tisch. Eis vom Fromage blanc verknüpft Hümbs mit Dill, grünem Apfel und Kartoffel. „Es gibt einfach Kombinationen, die funktionieren. Alleine oft langweilig, ergeben sie im Zusammenspiel geniale Aromen am Gaumen“, so der 34-jährige Pâtissier. Maracuja und Gurke sei beispielsweise so ein aromentechnisches Traumpaar.
Aber ist das alles noch Pâtisserie? Der Grat ist schmal, zugegeben. Doch das sei eben oft der Irrglaube, der der Pâtisserie anhänge: Desserts sind süß und kalorienreich. Hümbs: „Darum verwende ich lieber das Wort lieblich statt süß.“
Komponenten wie eben Eis sorgen dabei für klare Fronten. Das ist Pâtisserie. Hümbs: „Auch wenn 50 Prozent meiner Kompositionen auf der warmen Küche basieren, so sind die Arbeitsweise und Zubereitung eindeutig der Pâtisserie zugehörig.“
Da kommen zur Sorbetzubereitung schon schnell einmal Refraktometer oder Saccharometer zur exakten Zuckerbestimmung in der Masse zum Einsatz. Wobei Zucker insbesondere bei der Eisherstellung natürlich auch nicht gleich Zucker ist. Hümbs: „Glyzerin beispielsweise verhindert, dass Eis durchfriert. Bei Eis mit einem relativ hohen Fettanteil wie Joghurt ist das von großem Vorteil.“ Denn dadurch behalte das Eis immer dieselbe Konsistenz und müsse nicht immer wieder aufgeschlagen beziehungsweise pakossiert werden. Auch Glukosepulver ist beim Absenken des Gefrierpunktes – damit das Eis noch formbar und nicht zu fest ist – wesentlich effektiver als Zucker. Ohne, den Süßegrad in unangenehme Höhen zu katapultieren. Dieser liegt für Sorbets wiederum mit dem Refraktometer gemessen, eigentlich ein Werkzeug aus dem Weinbau, bei maximal 32 Brix. Ein Brix entspricht dabei einem Prozent Zucker in der Flüssigkeit.
„Die Technik muss beherrscht werden. Darauf kann man dann aufbauen“, bestätigt auch Francisco Migoya, Produktionsleiter des Modernist-Cuisine-Labors in Seattle. „Nur Rezepte weiterzugeben, reicht beim Eis nicht aus.“ Der Umstand, dass es dazu zu seiner Zeit als Pâtissier wenig bis gar keine Literatur gab, habe ihn dazu veranlasst, selbst ein Buch darüber zu schreiben: „Frozen Desserts“. Zwar schon im Jahr 2008 veröffentlicht, sind Migoyas Pro- und Contra-Listen von Pacojet über Präzisionswaagen bis hin zu Carageen und Invertzucker immer noch gelebte Realität in der Spitzenpâtisserie.
Und schließlich sorgen ja gerade in Perfektion hergestellte Klassiker wie Vanille- bis hin zu Schokoeis, im modernen Zusammenspiel, wie in Hümbs’ Fall mit Wachholder und Ahorn-Balsamicojus, für unverfroren geniale kulinarische Höhepunkte.

Bei einem Eiscreme-Grundrezept liegt der Zuckeranteil bei 12 bis 16, bei Sorbets bei 25 bis 32 Prozent.
Francisco Migoya über empfohlene Zuckermengen

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