Insekten in aller Munde
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Was in Thailand oder Mexiko völlig normal ist, scheint in Europa noch lange nicht alltagstauglich zu sein: Es kostet den Durchschnittseuropäer einige Überwindung, in ein ganzes Tier mit Augen, Beinen und Flügeln zu beißen. Die Vorstellung, Insekten zu essen, ruft Ekel hervor: Wird doch die Made oder Kakerlake eher mit Schmutz in Verbindung gebracht als mit einem leckeren Gericht. Wieso der Ekel aber doch überwunden werden sollte, erklärt die Studie der Welternährungsorganisation FAO anhand der steigenden Weltbevölkerung: Im Jahr 2050 soll die Nachfrage nach Fleisch um 73 Prozent steigen. Dieser Hunger kann nicht mit Rind, Schwein oder Geflügel gestillt werden.
Delikates Essen
Grundsätzlich haben Insekten, ihre Eier und jugendliche Stadien wie Larven bei rund zwei Milliarden Menschen in 80 Prozent der Länder einen sehr hohen Stellenwert: Der Verzehr ist dort normal und hat nichts mit Dreck oder Hygienemängeln zu tun. Wieso tun sie das? Es sind einerseits Tradition und der antrainierte Geschmack, den sich Europäer im Übrigen auch aneignen können. Andererseits sind Insekten eine willkommene Alternative zu Fleisch. In Thailand ist die rote Ameise eine säuerliche…
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Was in Thailand oder Mexiko völlig normal ist, scheint in Europa noch lange nicht alltagstauglich zu sein: Es kostet den Durchschnittseuropäer einige Überwindung, in ein ganzes Tier mit Augen, Beinen und Flügeln zu beißen. Die Vorstellung, Insekten zu essen, ruft Ekel hervor: Wird doch die Made oder Kakerlake eher mit Schmutz in Verbindung gebracht als mit einem leckeren Gericht. Wieso der Ekel aber doch überwunden werden sollte, erklärt die Studie der Welternährungsorganisation FAO anhand der steigenden Weltbevölkerung: Im Jahr 2050 soll die Nachfrage nach Fleisch um 73 Prozent steigen. Dieser Hunger kann nicht mit Rind, Schwein oder Geflügel gestillt werden.
Delikates Essen
Grundsätzlich haben Insekten, ihre Eier und jugendliche Stadien wie Larven bei rund zwei Milliarden Menschen in 80 Prozent der Länder einen sehr hohen Stellenwert: Der Verzehr ist dort normal und hat nichts mit Dreck oder Hygienemängeln zu tun. Wieso tun sie das? Es sind einerseits Tradition und der antrainierte Geschmack, den sich Europäer im Übrigen auch aneignen können. Andererseits sind Insekten eine willkommene Alternative zu Fleisch. In Thailand ist die rote Ameise eine säuerliche Delikatesse, was nicht zuletzt an der aufwendigen Ernte liegt: Mit Netzen werden die crunchigen Sechsbeiner und ihre Eier aus ihren Nestern vom Baum geschüttelt und wehren sich dabei. Sie beißen die Unruhestifter und drehen ihren Körper, was sie allerdings nicht davor rettet, in der Eierspeise oder im Salat zu enden. Der Erlös aus dem Verkauf sichert einen Großteil des Jahreseinkommens der Verkäufer, obwohl es nur eine zusätzliche Einnahmequelle neben der Landwirtschaft ist.
Laut FAO müssen bei der steigenden Weltbevölkerung und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Fleisch Alternativen her: Am besten natürlich welche, die nährstoffreich und umweltschonend sind. Die beste Lösung aus Sicht der Wissenschaftler: Insekten! Sie sind reich an Eiweißen, Mineralstoffen und Aminosäuren. Außerdem könnte die Menge an Treibhausgasen, die bei der Produktion von Fleisch entsteht, verringert werden. Das liegt an dem schnellen Wachstum und dem effizienten Aufbau an Körpermasse. Wieso gibt es sie dann nicht schon längst im Supermarkt? Weil Insekten in den meisten europäischen Ländern noch nicht als Lebensmittel zugelassen sind. Nach Belgien und den Niederlanden, wo ein mutiger Mensch bereits im Supermarkt küchenfertige Insekten kaufen kann, soll das ab 2016 auch in der Schweiz möglich sein. Welche Insekten von den 1930 essbaren Exemplaren dann als Lebensmittel zugelassen werden sollen, steht noch nicht fest. In der Europäischen Union fallen die Insekten unter neuartige Lebensmittel und -zutaten. Im europäischen Raum ist somit eine Bewilligung für die Vermarktung von Termiten, Raupen und Co. nötig. Der Eigenverbrauch ist allerdings erlaubt.
den steigenden Hunger der Welt stillen"
Auf der Zunge zergehen lassen
In Thailand werden Kakerlaken, Heuschrecken oder Schwarzkäfer für Touristen oftmals in großen Mengen frittiert und gelagert. Das ist eine Attraktion, bei der der Geschmack nicht an erster Stelle steht. Allerdings schmecken die Krabbeltierchen frisch viel ansprechender: „Der Geschmack von Mehlwürmern erinnert leicht an Grammeln“, erklärt der Spitzenkoch Harald Irka, der gemeinsam mit den Initiatoren des Vereins Speiseplan für eine Bewusstseinserweiterung gegenüber alternativer und nachhaltiger Ernährung für Insekten auf österreichischen Tellern kämpft. „Auch für uns war es beim allerersten Bissen eine Überwindung“, erklärt Christoph Thomann vom Verein Speiseplan. „Aber der Trend wird sich vermutlich durchsetzen, also möchten wir mit der Aufklärung frühzeitig beginnen.“ In Mexiko sind Wanzen für eine landestypische Suppe oder als Fleischersatz in Tacos besondere Highlights. Irka verwendet die Heuschrecken, deren Beine und Flügel mitgegessen werden können, naturbelassen nur in etwas Butter in einer Pfanne geröstet. Sind die Tiere größer, sollten die Beine und Flügel entfernt werden, da sie ähnlich wie Fischgräten unangenehm sind.
In der Vorspeise zeigt er, dass Wachsmottenlarven kurz gekocht und durch ein Sieb gepresst sowie mit gutem Olivenöl vermischt einen fruchtigen Geschmack entwickeln. Ein Salatdressing mit Nährstoffgehalt und leicht bitterer Note.
Woher, wenn nicht selber anbauen?
Auf industrielle Weise werden Insekten als Lebensmittel zurzeit nur sehr wenig gezüchtet: „Die Gründe, wieso noch nicht so viel aus industrieller Sicht passiert, liegen überwiegend bei der geringen Nachfrage“, erklärt Thomann. „Medikamente oder Antibiotika werden aus heutiger Sicht selbst bei der Massentierhaltung nicht benötigt, da es sich um eine sehr naturnahe Züchtung handelt. „Die meisten Insekten sind keine Müllschlucker: Um gesunde Tiere zu züchten, brauchen sie auch einwandfreies Futter. Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Soldatenfliegen fressen Haushaltsabfall!
Laut FAO betreiben etwa 15.000 Menschen weltweit kleine Insektenzuchten – seit 20 Jahren entwickelt sich das Geschäft besonders in Thailand sehr gut, da die Insekten von Familienbetrieben gewisserweise nebenher gezüchtet werden. Und der Verzehr in Asien hat nichts mit Armut zutun: Zu einigen Jahreszeiten ist die Nachfrage so hoch, dass aus Nachbarländern importiert werden muss. In Dornbirn züchtet Andreas Pollner einige Tiere als Futtermittel. Von ihm stammen auch die Wüstenheuschrecken in der Hauptspeise von Irka. In Österreich und Deutschland bekommt man Tiere lediglich aus der Futtermittelzucht. „Wir raten ab, bei Tierhandlungen Insekten wie Heimchen oder Heuschrecken zu kaufen, weil sie lange auf engstem Raum leben und das nicht besonders hygienisch“, warnt Thomann. Die gesunde Zucht inklusive der Säuberung, Fütterung und Fortpflanzung wie bei Pollner ist ein Fulltime-Job. In Frankreich gibt es bereits Bestrebungen und ein Pilotprojekt für die industrielle Produktion. Cédric Auriol züchtet in Toulouse Mehlwürmer und Grillen mit dem Ziel, das Nahrungstabu zu überwinden. Er produziert mit einer Fabrik Mehlwurm-Kekse für den sanften Einstieg. Denn in Europa gilt noch die alte Weisheit, die es zu überwinden gilt: Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.
Ob Insekten in Zukunft als Snack oder Mehl verkauft werden, hängt ganz entscheidend von dem Mut der Gesellschaft ab. Und damit die Überwindung nicht so schwerfällt, braucht es Köche, die aus den Sechsbeinern das Beste rausholen. Wenn sie den Welthunger stillen können, sollten wir sie nicht aufhalten.