Konditor vs. Pâtissier
Fotos: Restaurant La Vie/ Michael Holz Studio, Shutterstock
Wissenschaftliche Ansätze, süße Labors, Experimente mit Hydrokolloiden, Zuckerarten und ganze Restaurants, die ausschließlich Desserts anbieten. Ganz vorne mit dabei Jordi Butróns Espai Sucre in Barcelona oder Janice Wongs 2am: dessertbar in Singapur. Was in diesen Pâtisserie-Werkstätten produziert wird, passiert auf höchstem Niveau. Davor ziehen auch Spitzenköche weltweit anerkennend den Hut.
Und die Konditorei? Gefangen zwischen Ostereiern und glasierten Schokohasen? Mit einer Marzipankugel in Schweinchenform als Highlight zum Jahresende? In der Konditorei rinnt der Zuckerguss bedeutend langsamer. Da ist man sich einig. Das ist aber nicht zwingend die Schuld der Konditoren. Auch da ist man sich einig.
Wie alles andere ist nämlich auch die süße Welt nicht einfach in ein paar Strichen schwarzweiß gezeichnet. Vielmehr…
Fotos: Restaurant La Vie/ Michael Holz Studio, Shutterstock
Wissenschaftliche Ansätze, süße Labors, Experimente mit Hydrokolloiden, Zuckerarten und ganze Restaurants, die ausschließlich Desserts anbieten. Ganz vorne mit dabei Jordi Butróns Espai Sucre in Barcelona oder Janice Wongs 2am: dessertbar in Singapur. Was in diesen Pâtisserie-Werkstätten produziert wird, passiert auf höchstem Niveau. Davor ziehen auch Spitzenköche weltweit anerkennend den Hut.
Und die Konditorei? Gefangen zwischen Ostereiern und glasierten Schokohasen? Mit einer Marzipankugel in Schweinchenform als Highlight zum Jahresende? In der Konditorei rinnt der Zuckerguss bedeutend langsamer. Da ist man sich einig. Das ist aber nicht zwingend die Schuld der Konditoren. Auch da ist man sich einig.
Wie alles andere ist nämlich auch die süße Welt nicht einfach in ein paar Strichen schwarzweiß gezeichnet. Vielmehr ist auch die Welt der Konditorei ein Zusammenspiel aus Fruchtspiegel-Rhythmen, korrekt getaktetem Schokoguss und bitter-süßen Aromensymphonien. Damit der Ton stimmt, muss der Anspruch des Konditors natürlich über Marzipanfiguren und Schokohasen hinausreichen. Auch wenn genau diese Geschenkartikel Symbol für eines der größten Hindernisse der Konditorei sind: die Optik!
Davon kann auch Matthias Ludwigs, seinerseits ehemaliger Pâtissier in der internationalen Top-Gastronomie und heute Inhaber der Konditorei Törtchen Törtchen in Köln, ein Liedchen singen: „Osterhasen und Co. sind Geschenkartikel. Hier ist die Optik vorrangig. Auch beim Einkauf von Törtchen zum Mitnehmen suchen die Kunden oft aufgrund des Aussehens aus“, so Ludwigs, während er einen weiteren Weiße-Schokolade-Hasen in die Zellophantüte fallen lässt.
bis auf wenige Ausnahmen,
tot, töter, am tötesten
Und ja, das sei oft frustrierend. „Die Leute wollen nichts Neues. Einkaufsverhalten und Erwartungshaltung sind komplett andere als im Restaurant.“ Wenn niemand da sei, um den Kunden am heimischen Esszimmertisch die Kreationen zu erklären, dann sei auch der Experimentierwille bedeutend kleiner. Das bestätigt auch Gregor Regner, Konditorweltmeister 2009 aus dem steirischen Seckau: „Wenn Leute in ein Restaurant gehen, dann wollen sie überrascht werden, neues kennenlernen. Hier wird sogar erwartet, dass Ungewöhnliches, auch beim Dessert, serviert wird. Bei uns hat schon das Anrichten im Glas eine regelrechte Revolution verursacht.“ Sich also an Punschkrapfen-Rezepte halten, die schon beim Urgroßvater funktioniert haben, und alles wird gut? Ludwigs, dem beide Branchen wohlbekannt sind: „Man bleibt in der Pâtisserie kreativer, weil die Branche lebendiger ist. Ewig dasselbe Dessert anbieten – das geht ja gar nicht.“ Schon alleine der Druck von außen, durch Internetforen, Restaurantguides und Medien, mache das zu einem Ding der Unmöglichkeit.
Ein Innovationsdruck, der in der Konditorenbranche in dieser Form nicht existiert. Dennoch sei dieses ewige Festhalten an veralteten Rezepturen fatal. „Ich habe Koch gelernt und dann den Konditor daraufgesetzt. Hätte ich es umgekehrt gemacht, wäre ich heute Elektriker“, lacht Ludwigs. Das Einschläfernde an der Konditorei: „In zu traditionellen Betrieben lernt man nicht, wie Rezepturen entstehen. Wenn man das nicht erlebt, ist das nur die halbe Wahrheit“, so Ludwigs. Der Horizont bleibt bei Osterhase und Co. kleben.
Daher steht in Ludwigs Törtchen Törtchen die Entwicklung von neuen Kreationen weit oben auf der Prioritätenliste. „Auch wenn wir von vornherein wissen, dass sich außergewöhnlichere Kombinationen schlechter verkaufen, machen wir es trotzdem. Für uns. Und um unseren Angebotsmix attraktiv zu gestalten.“ Ein Drittel bewährte Klassiker, zwei Drittel Neues: Das sei ein Rezept, das wunderbar funktioniere. Rene Frank, Chef-Pâtissier im 3-Sterne-Restaurant La Vie in Osnabrück, kann Ludwigs nur recht geben: „Man muss immer das machen, was sich am besten verkauft. Blumenkohlcremetorte und Ähnliches werden bestimmt kein Topseller.“ Was nicht heißt, dass man nicht bewährte Rezepte adaptieren und verbessern kann. „Heute hat man ganz andere Techniken und Möglichkeiten, Desserts bekömmlicher zu gestalten und besser abzuschmecken. Ein wenig mehr Kochattitüde würde in der Konditorei nicht schaden“, so Frank, der sich dabei auf das Immer-wieder-Überarbeiten von Rezepten und -Abschmecken in der Pâtisserie bezieht. Dennoch hätte auch Frank gerne auf den Grundstock einer Doppellehre gebaut. „Ich habe Koch gelernt und mir Pâtisserie-Wissen durch Schulungen und Fachbücher angeeignet. Das ist schon etwas anderes. Gerade in Hotels ist der organisatorische Grundstock aus der Konditorei, wenn es um ganze Dessertbankette geht, wahrscheinlich schwer zu entbehren. Ich meine, die Kombination von beidem ist auch für die Pâtisserie von Vorteil.“
wäre ich jetzt Elektriker
Im Gegensatz dazu sieht Matthias Mittermeier, Leiter des Pfersich Trendforums in Ulm, die Schere und Entfremdung zwischen den Branchen größer denn je: „Restaurant-Pâtisserie entwickelt sich in Richtung Küche. Klassisches aus der Konditorei wie Hippenschmetterlinge haben auf modernen Desserts nichts verloren. Ich behaupte sogar die Konditorei ist, bis auf sehr wenige Ausnahmen, die man deutschlandweit an beiden Händen abzählen kann, tot, töter, am tötesten .“ Für Mittermeier ist die Konditorei in den 70er-Jahren stehen geblieben. „Audi und BMW sind heute trotzdem noch eindeutig erkennbar, sehen aber nicht mehr aus wie in den 70er-Jahren. Vielleicht muss etwas auch ganz sterben, um neu geboren zu werden“, so der Trendforum-Leiter, der selbst bei Größen von Adrià über Haeberlin und Ducasse gearbeitet hat. Hoffnungsträger für die Branche kommen für Mittermeier dabei aus dem Hobbysektor. „Es ist unglaublich, aber meistens erzählen Ärzte, Anwälte und Piloten sogar den Vortragenden noch etwas. Weil sie in ihrer Leidenschaft Fachbuch um Fachbuch inhalieren und die restlichen Teilnehmer somit sowieso in der Pfeife rauchen.“ Der wissenschaftliche Ansatz, das Kennen der Hintergründe erweitere den Handlungsspielraum um ein Vielfaches. Mittermeier: „Vielleicht muss in Deutschland ein Arzt, Anwalt oder Pilot erst eine Chocolaterie aufmachen, die rennt wie geschmiert und somit die Branche wachrüttelt.“
Die Schere geht wie in allem auseinander: Die Teilnehmer seien entweder fantastisch oder unglaublich schwach. Spezialisierung und Querdenken sind für Mittermeier die Wege für die Konditorei aus der Langeweile. „Es sind immer die Querdenker, die erfolgreich geworden sind.“
Süß und süss: Der feine Unterschied
Haltbarkeit
Pâtisserie passiert à la minute. Die Gerichte werden sofort gegessen. In der Konditorei muss eine Torte ein, zwei Tage ohne Weiteres überbrücken können. Das geht zum Teil auf Kosten des Geschmacks.
Rezeptur
Aufgrund der unterschiedlichen Kauf-absichten kann der Pâtissier in Produkten und Zubereitung variieren. In der Konditorei fällt zusätzlich das Spiel mit Temperaturen und Konsistenzen weg.
Anlass
Gäste, Guides und Co. erwarten Neues, Inspiriertes, Außergewöhnliches vom Restaurantbesuch und damit Pâtissier. In der Konditorei ist die klassische Schoko-Himbeer-Torte oft immer noch King.