Kutter bei die Fisch – So verändern zwei Hamburger die deutsche Hochseefischerei

Mit Frisch Gefischt gründete Lars Bäumer zusammen mit seinem Jugendfreund Andreas Reinhardt das erste Unternehmen Deutschlands, das die Hamburger Gas­tronomie direkt mit Fisch aus der Nord- und Ostsee versorgt. Warum das revolutionär ist – und was der giftigste Fisch Europas in Zukunft auf den Tellern zu suchen hat.
Juli 8, 2021 | Text: Lucas Palm | Fotos: Shutterstock, Yves Pascal Eckhardt, Lorbeer.media | Lorenz Töpfer, Claudio Martinuzzi

Waterkant, das heißt auf Plattdeutsch so viel wie Küste. Gemeint sind damit die Meereslandstriche zwischen Norddeutschland und den Niederlanden, sprich: das Küstengebiet entlang der Nord- und Ostsee.

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Andreas Reinhardt (li.) und Lars Bäumer (re.) von Frisch Gefischt.

Unumstrittene Handels- und Wirtschaftsmetropole dieses umtriebigen Streifens Erde ist die freie Hansestadt Hamburg. Der Hafen, der niemals schläft, das Partyviertel St. Pauli, das noch weniger schläft – und Matjes, Bismarckhering, Lachs und Krabben gehören zur Millionenstadt wie der Eiffelturm zu Paris.

Waterkant, das heißt auf Plattdeutsch so viel wie Küste. Gemeint sind damit die Meereslandstriche zwischen Norddeutschland und den Niederlanden, sprich: das Küstengebiet entlang der Nord- und Ostsee.

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Das ändern Lars Bäumer (li.) und Andreas Reinhardt (re.) von Frisch Gefischt.

Unumstrittene Handels- und Wirtschaftsmetropole dieses umtriebigen Streifens Erde ist die freie Hansestadt Hamburg. Der Hafen, der niemals schläft, das Partyviertel St. Pauli, das noch weniger schläft – und Matjes, Bismarckhering, Lachs und Krabben gehören zur Millionenstadt wie der Eiffelturm zu Paris.

Mit der Ost- und Nordsee quasi ums Eck könnte man meinen, Hamburg werde, wie so viele andere Hafenstädte, regelrecht überschwemmt von all diesen essbaren Meeresbewohnern, die in Form von Fischbrötchen die kulinarische DNA der Hansestadt ausmachen. Dem ist aber nicht so.

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Hanseatische Nationalfische wie der Hering kommen seit den 1980ern nicht mehr direkt von der Nordsee nach Hamburg.

Oder eben nicht mehr. Konkret: Es ist in Hamburg ein Ding der Unmöglichkeit, Fisch unmittelbar von der deutschen Küste zu bekommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Gegenmaßnahmen nicht. Frisch Gefischt heißt das 2-Mann-Unternehmen, das Lars Bäumer und Andreas Reinhardt 2019 gegründet haben.

Ihre Mission: Fisch aus der Nord- und Ostsee direkt nach Hamburg zu bringen. Warum ist das, was so selbstverständlich klingt, ein radikales Novum? Und warum könnte das auch die deutsche Gastronomie im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig verändern?

Globaler geht nicht

„Deutschland als Fischereistandort ist ungefähr ab den 1980er-Jahren relativ unbedeutend geworden“, erklärt Bäumer.

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An unterschiedlichen Häfen entlang der Nord- und Ostsee beziehen sie den Fisch von den Kleinfischern direkt und verkaufen ihn an die Hamburger Gastronomie.

Das liegt auch daran, dass damals das deutsche Cuxhaven als Handelsort weggefallen ist. Damit gibt es seither keinen Fischauktionsplatz mehr in der Bundesrepublik. Deutsche Fischer, die in der Nord- und Ostsee unterwegs sind, schicken ihre Fische deswegen zu den etablierten Auktionsplätzen in Dänemark und den Niederlanden, um ihn dort zu verkaufen.

Nichts wird so extrem global gehandelt wie Fisch.
Lars Bäumer ist überzeugt: Meeresfisch mit Regionalitätsanspruch ist etwas, wonach sich viele Menschen sehnen

Muss das sein? Alternative gab es bis jetzt jedenfalls keine, erklärt Bäumer: „Man muss sich vor Augen halten, dass Fischer in erster Linie Fischer sind. Sie wollen aufs Meer hinausfahren, einen guten Fang machen und sind unglaublich freiheitsliebend. Demografisch gesehen ist es so, dass ihr Durchschnittsalter relativ hoch ist.

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Vertragspartner sind rund 20 Kleinkutter mit schonenden Fangtechniken.

Klar, es gibt Nachwuchs, aber nicht viel. Digitalisierung und Vertrieb sind daher nicht ihr Lieblingsthema. Und da kommen eben wir ins Spiel.“ Lars Bäumer, Anfang 30, gründete Frisch Gefischt 2019 mit seinem Jugendfreund Andreas Reinhardt. Anfangs machten die beiden Meeresidealisten das Ganze so nebenbei.

Doch der studierte Erziehungswissenschaftler und der Manager stellten bald fest, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell offenbar mitten ins Schwarze getroffen haben.

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Auch mit Spezialitäten wie dem Helgoländer Hummer, der kurz vor dem Aussterben war, trumpft Frisch Gefischt auf.

Kurze Handelswege, totale Transparenz, wer wie wo und wann diesen Fisch noch vor wenigen Stunden aus dem Meer geholt hat: So ein produktaffines Storytelling, das schmeckt den Küchenchefs der Hansestadt. „Die Fischerei“, erklärt sich Bäumer den Erfolg, „ist ein extrem globales Thema. Nichts wird so extrem global gehandelt wie Fisch.“

Und das wiederum schmeckt vielen Küchenchefs und auch Endverbrauchern immer weniger. Wer blickt bei all den vermeintlichen Nachhaltigkeitssiegeln für ach so nachhaltigen Fischfang noch durch? Und warum ist die Herkunftsbezeichnung bei Fleisch, die in der (Spitzen-)Gastronomie auf dem Vormarsch ist, noch um so viel publikumswirksamer als bei Meeresfisch?

Brutales Abschleppen

Das Konzept hinter Frisch Gefischt ist keine Hexerei: Anstatt über Auktionen wird der von heimischen Kuttern gefangene Fisch direkt an Bäumer und Co. übergeben, die ihn wiederum direkt den Restaurants liefern.

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Die beiden Jungs von Frisch Gefischt kennen alle ihre Partner-Fischer persönlich.

Mitunter kann es sein, dass ein Fisch, der auf dem Teller eines Gastes landet, noch wenige Stunden zuvor munter in der Nord- oder Ostsee schwamm. Direktvertrieb lautet das Zauberwort. „Es gab bis 2019 keine Infrastruktur, die heimischen Meeresfisch in der Hamburger Gastronomie und Spitzengastronomie mit regionalem Anspruch verfügbar machte. Diese Brücke sind jetzt eben wir. Wir haben also eine eigene Kühllogistik aufgebaut, auch weil wir sehr agil sein müssen in den Zeiten und den Mengen, die wir liefern.“

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Prachtexemplare wie dieser Helgoländer Hummer nehmen dank Frisch Gefischt keinen Umweg mehr über Auktionen im Ausland, sondern landen direkt von der Nordsee in den Restaurantküchen Hamburgs.

Logistik ist das eine. Das, was auf den Kuttern passiert, das andere – und mindestens genauso ausschlaggebend. „Wir haben von Anfang an auf Qualität gesetzt. Dafür sind die Fangmethoden entscheidend“, so Bäumer. „Wir arbeiten mit Küstenfischern, die allein schon aufgrund der Größe ihrer Boote handwerklicher arbeiten als industrielle Schiffe oder Fangflotten. Sie fangen zwar weniger, dafür aber auch viel schonender.“

Die Methoden reichen von der sogenannten Stellnetz-, der Langleinen bis hin zur Reusen- und Bundgarnfischerei. Bei der Stellnetzfischerei geht vieles über die Maschenweite. Das bedeutet, dass im Unterschied zu konventionellen Methoden Beifang vermieden werden kann.

Direktvertrieb lautet das Zauberwort.

„Die Netze werden bei der Stellnetzfischerei erst abends oder nachts ausgesetzt und schon am Morgen darauf reingeholt. Die Netze sind also immer nur wenige Stunden im Wasser. Dabei handelt es sich auch um eine passive Fangmethode, bedeutet: Die Fische schwimmen selbst in das Netz und nicht das Netz wird hinter dem Boot hergezogen.

Das heißt, es ist sehr, sehr selektiv und die Fische waren meistens nur wenige Stunden im Netz. Das führt automatisch zu einer sehr hohen Qualität.“ Genauso ins Schwärmen gerät Bäumer bei der Bundgarnfischerei: „Dabei handelt es sich um Kammersysteme, in die die Fische hineinschwimmen und dann am Ende nur he­rausgehoben werden.

Das heißt, die sind bis zum Ende quicklebendig und unverletzt.“ Das alles steht im krassen Gegensatz zur industriellen Methode der sogenannten Grundschleppnetzfischerei. Bis zu 60 Tonnen werden da auf einmal eingesammelt.

Dadurch, dass die riesigen Netze knapp über dem Grund nachgezogen werden, graben sie nicht nur den Meeresboden um, es gibt auch so viel Beifang, dass ganze Schwärme mit einem Mal vernichtet werden. Das passiert – selbstredend – auch in der Ost- und Nordsee. Doch was die industrielle Brutal-Fischerei anrichten kann, lässt sich laut Bäumer derzeit vor allem an der westafrikanischen Küste beobachten.

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Filets werden gleich nach dem Fang und ohne Umwege luftgetrocknet, bevor sie weiterverarbeitet werden.

„Eine große spanische Fangflotte, von der EU subventioniert, fischt dort vor allem Fischarten, auf die die Räuber gehen: Makrele, Sardinen, Sardellen und so weiter. Die Raubfische ziehen deswegen weg, wodurch die gesamte Fischereistruktur wegbricht, denn die werden dort traditionell händisch gefangen. Der Fischereihandel, von dem eine Vielzahl an Menschen abhängt, ist dort inzwischen total kollabiert.“

Giftig und lecker

Dass der nachhaltige Zugang von Bäumers Projekt nicht bei der Warenannahme der Restaurants endet, zeigt die Resonanz vieler Gastronomen und Küchenchefs. „Dadurch, dass in der Gastronomie immer noch viel Filetware bezogen wird, merken wir, dass sich langsam ein sehr fruchtbarer Dialog mit vielen Köchen entwickelt, vor allem in Sachen nose-to-tail bei Fisch. Ob Chips von den Augen oder die Kabeljau-Zunge, da gibt es einfach noch viele vergessene Möglichkeiten.“

Die beliebtesten Fänge unter der Schirmherrschaft von Frisch Gefischt waren im vergangenen Jahr der wilde Wolfsbarsch, wilde Meeräschen, Scholle, Kliesche, Flunder, der Helgoländer Hummer sowie Taschenkrebse und Kabeljau.

Für die Qualität sind Fangmethoden entscheidend.
Die industrielle Schleppnetzmethode kommt bei Frisch Gefischt nicht auf den Kutter

Aber auch vergessene Arten erwecken Bäumer und Co. wieder allmählich zu neuem kulinarischem Leben. Wie zum Beispiel das Petermännchen, einer der giftigsten Fische Europas. Seine Giftigkeit steckt aber nicht im Fleisch, sondern in den Flossenstacheln der ersten Rückenflosse und dem Stachel auf dem Kiemendeckel. „Sein Fleisch schmeckt hervorragend“, versichert Bäumer, „und es gibt ihn zahlreich in unseren Gewässern.“

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Die Stellnetze werden meist abends ausgeworfen und am Morgen danach eingezogen.

Womit Bäumer nicht gerechnet hatte, das sind die vielen Anfragen von Gastronomen für Personalschulungen. Weniger in der Küche – in der Spitzengastronomie weiß ein Poissonnier bekanntlich, was mit einem ganzen Fisch zu tun ist –, sondern im Servicebereich, „damit die ganze Geschichte auch bei den Gästen ankommt“. Und die könnte man im Großen und Ganzen so zusammenfassen: Nachhaltiger Fischfang, das ist auch und vor allem regional möglich.

Und vor allem eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: für die kleinen Küstenfischer, die ihre verdiente Sichtbarkeit zurückerlangen. Für die Fische selbst, denen am Teller ihre ebenso verdiente Wertschätzung zurückgegeben wird. Und für die heillosen Weltverbesserer wie Bäumer und Reinhardt, die Brücken schlagen, die in jeglicher Hinsicht überlebenswichtig sind.

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VON KOPF BIS SCHWANZ
Das Rückenfilet des Fischs ist das wohl meistverwertete (Edel-)Teil in der weltweiten Produktion. Bis auf den Knurrhahn und ein paar andere Ausnahmen lässt sich das Filet außerdem auch ansprechend portionieren und servieren. Doch immer mehr Spitzenköche zeigen: Saftig, zart und himmlisch bissfest können auch anderen Fischteile sein.
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BBQ-STOFF
Fischkoteletts sind die zwei bis drei Zentimeter dicken Scheiben rund um die Hauptgräte. Ob zuerst mariniert, pochiert oder sogar sous-vide-gegart: Sie eignen sich wohl am besten zum krossen Anbraten über dem Grill.
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AU BACKE!
Das zarte Fleisch zwischen Augen und Kiemen wird immer noch sträflich vernachlässigt, dabei kann es ohne großen Zusatz­aufwand gebraten und theoretisch davor auch mit anderen
„Edelteilen“ mit mariniert werden. Sogar bei Süßwasserfischen haben die Backen eine unglaublich zarte Konsistenz und zergehen im Mund wie Butter. Wird der Fisch als Ganzes im Ofen gegart, sind sie auch relativ einfach entnehmbar. Besonders empfehlenswert: pfannengebratene Heilbuttbäckchen!

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