Warum Edelbrände das Must-have für jeden Barkeeper sind

Brennen lassen! Und zwar so richtig. Warum Regionalität einen neuen Boom in der Barszene ausgelöst hat und High-End-Brenner plötzlich zu Obstbauern werden.
Juli 8, 2021 | Text: Lucas Palm & Bernhard Leitner | Fotos: Shutterstock

Wie oft haben wir uns gefragt, wer oder was uns endlich vom jahrzehntelangen Gin-Wahnsinn am Tresen befreien könnte. Jede zweite Bar prahlte damit, wie viele verschiedene Sorten des Wacholderschnapses sie nicht im Angebot hätte, warum dieser oder jener Filler den Gin Tonic revolutioniert und warum eine geriebene Orangenschale unser aller Leben verändern wird.

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Weder Wodka noch Whiskey fanden eine Antwort auf die scheinbar unüberwindbare Dominanz des Gins aus der Flasche. Doch die Zeiten sind vorbei!

Wie oft haben wir uns gefragt, wer oder was uns endlich vom jahrzehntelangen Gin-Wahnsinn am Tresen befreien könnte. Jede zweite Bar prahlte damit, wie viele verschiedene Sorten des Wacholderschnapses sie nicht im Angebot hätte, warum dieser oder jener Filler den Gin Tonic revolutioniert und warum eine geriebene Orangenschale unser aller Leben verändern wird.

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Weder Wodka noch Whiskey fanden eine Antwort auf die scheinbar unüberwindbare Dominanz des Gins aus der Flasche. Doch die Zeiten sind vorbei!

Back to the Roots

Corona steht mittlerweile für mehr als die verheerendste Pandemie der letzten 100 Jahre. „Seit Corona“ – so beginnt in der Regel die Beschreibung dieser neuen und so unwiderruflichen Normalität.

Und während mit Zoom-Meetings, Online-Shops und Homeoffice die Digitalisierung ihren letzten Invasionsschub in unser aller Leben erhalten hat, geht es in einer ganz bestimmten Branche um einiges bodenständiger zu.

Denn so urban, luxusbedacht und eklektisch das Spirituosengeschäft auch weiterhin scheinen mag – Corona mischt diesen hochprozentigen Sektor ordentlich auf. Das abgelutschte Stichwort Regionalität trifft es zwar im Großen und Ganzen – aber irgendwie eben auch nicht.

Schließlich geht es um mehr. Dass Österreich, Deutschland und die Schweiz einen latenten Hang zum Hochprozentigen haben, ist kein Geheimnis. Doch welch unfassbare Qualität aus den unscheinbaren Brennereien der Dach-Region fließt, war lange Zeit gar nicht so bekannt.

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Auch der Cocktail-Klassiker Cosmopolitan kann landwirtschaftliches Flair annehmen: Statt Cranberryjuice nehme man einfach Heidelbeerlikör, etwas Wodka, Zucker und Zitrone.

Kein Wunder eigentlich, dass immer mehr Mixologen auf deren Erzeugnisse zurückgreifen und quasi einer uralten Tradition wieder neues Leben einhauchen. Die Rede ist von Edelbränden. Fruchtedelbränden, um genau zu sein.

Von wegen Fallobst

Früher, da war das Obstbrennen noch reine Resteverwertung. Jene Äpfel und Birnen, die schon etwas zu lange am Boden gelegen hatten, wurden wohl oder übel gebrannt – zu Obstler, Schnaps, was auch immer.

Das hat sich vor rund 40 Jahren geändert. Denn damals schon erkannten einige vorausschauende Produzenten, dass die witzigmannsche Maxime „Das Produkt ist der Star“ genauso für das Brennen ihre Gültigkeit hat.

Also wurden auch dafür nur die besten Birnen, Pflaumen, Marillen oder Quitten verwertet. Erstaunlich dabei: Während die Spitzengastronomie schnell den Wert von Edelbränden erkannte, blieb sie bei den virtuosen Mixologen hinter dem Bartresen eher eine Rarität.

Zumindest – und das ist das Absurde – im Vergleich zu all ihren exotischen Flaschenfreunden wie Rum, Gin, Whiskey und Co. Dieser Umstand hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren – vor allem aber seit Corona – ganz gewaltig geändert. Um 360 Grad eigentlich.

Denn regionaler Hochgenuss in flüssiger Brennform ist, man kann es nicht anders sagen, en vogue. Und aus der kleinen, aber feinen Community, die in der Vergangenheit für ordentlich Furore sorgte, wurde ein fast schon mainstreamiger Gemeinplatz. Aber wovon sprechen wir genau, wenn wir von sogenannten Edelbränden ins Schwärmen kommen?

Fruchtedelbrände werden zu 100 Prozent aus Fruchtmaische destilliert, das Obst dafür handverlesen und manuell entkernt und danach mit Wasser auf Trinkstärke verdünnt. Mittels einer speziellen Gärhefe wird die Gärung an sich beschleunigt und sorgt außerdem für eine höhere Alkoholkonzen­tration in der Maische.

Je nach Temperatur, Menge und Art der Maische wird das explosive Gemisch zwischen zwei Tagen und drei Wochen gären gelassen und im Anschluss schließlich in einer Destillerie gebrannt.

Holz oder Stahl

In Sachen Lagerung scheiden sich bei Brennern allerdings die Geister. Der große Unterschied zu Whiskey und Co. besteht darin, dass der Geschmack dabei nicht hauptsächlich über die Reifung beispielsweise in Holzfässern entsteht, sondern im Prozess der Maische und des Destillierens.

Darum werden Fruchtedelbrände auch in Stahlfässern gelagert, denn die Lagerung in Holzfässern würde das Fruchtaroma schwächen. Und darum geht’s ja schließlich.

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Früher, da war das Obstbrennen noch reine Resteverwertung. Heute werden dafür nur die besten Birnen, Pflaumen, Marillen oder Quitten verwertet.

Im Glas landen die hochprozentigen Obstbomben übrigens auch nicht wie früher üblich als Shot, sondern sie werden mittlerweile eher zu Cocktails gemixt und rütteln sogar am Kultstatus von Klassikern wie Whiskey Sour, in dem statt Whiskey auch ein Williamsschnaps zu überzeugen weiß.

Vom Wareneinsatz her geht es aber auch um ein paar Cent teurer: Denn auch eine Kombination von Edelbrand und Standardspirituosen ist möglich. Etwas Zucker, Zitronensaft – und fertig ist die regionale Interpretation des urbanen Whiskey Sour.

Auch der Cocktail-Klassiker Cosmopolitan kann landwirtschaftliches Flair annehmen: Statt Cranberryjuice nehme man einfach Heidelbeerlikör, etwas Wodka, Zucker und Zitrone. Und auch kreative Neuentdeckungen mit Quitte, Traube oder Zwetschke könnten in Zukunft den Wacholderschnaps die Schneid abkaufen und die Barszene in neue Dimensionen katapultieren.

Zumindest aber scheinen die Edelbrände die gewünschte Abwechslung in der ausgelutschten Getränkekarte zu bringen und damit eine Wachablöse einzuläuten. Dass regionale Neuinterpretationen nicht immer gleich in antikapitalistisches Konzernbashing ausarten müssen, versteht sich von selbst.

Dennoch bleibt die Frage: Wird die Rückbesinnung der Barkeeper auf regionale Spirituosen, allen voran die heimischen Edelbrände, die multinationalen Konzerne das Fürchten lehren? Werden sie sich neu erfinden müssen? Oder wird beides nebeneinander existieren können?

Entscheiden können – und werden – das aller Voraussicht nach nur die Barkeeper hinter dem Tresen. Denn sie sind es letztlich auch, die mit ihrem Know-how ein gewisses Maß an Nachfrage selbst steuern und formen können.

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