Ferran Adriàs neues Buch „What Is Cooking“: Die Enzyklopädie des Kochens

Mit seinem neuen Buch legt der avantgardistische Herdtüftler ein zukunftsträchtiges Grundlagenwerk vor – und revolutioniert damit das wissenschaftliche Verständnis des Kochens.
Juli 13, 2020 | Text: Lucas Palm | Fotos: beigestellt

Das bezeichnende Fehlen des Fragezeichens

Ferran Adriàs kulinarisches Enzyklopädie-Projekt „Bullipedia“ ist um einen Band reicher. 464 Seiten ist der neue Wälzer stark, wobei beim Durchblättern – geschweige denn bei der Lektüre – der erkenntnistheoretische Umfang dieses Lebenswerks schier endlos erscheint.

Der Titel allein –„What Is Cooking“ – liefert bei genauerem Hinsehen bereits den ersten Vorgeschmack auf das, was in einer Mischung aus faustischem Wissensdurst und aristotelischer Universalgelehrtheit zwischen zwei Buchdeckel gesteckt wurde: eine W-Frage ohne Fragezeichen, die mit einer Art zaudernder Absicht alles offen lassen will, ja muss.

Denn „What Is Cooking“ ist weder klassisches Kochbuch, das hochtrabende Rezepte zum Nachkochen liefert, noch sperriger Molekularexkurs, der an eine Handvoll MINT-Professoren gerichtet ist.

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Ferran Adriàs eben erschienenes Buch „What Is Cooking“ verortet das Kochen an der Schnittstelle von Natur-, Geistes-, Sozial -und Kulturwissenschaften.

Das bezeichnende Fehlen des Fragezeichens

Ferran Adriàs kulinarisches Enzyklopädie-Projekt „Bullipedia“ ist um einen Band reicher. 464 Seiten ist der neue Wälzer stark, wobei beim Durchblättern – geschweige denn bei der Lektüre – der erkenntnistheoretische Umfang dieses Lebenswerks schier endlos erscheint.

Der Titel allein –„What Is Cooking“ – liefert bei genauerem Hinsehen bereits den ersten Vorgeschmack auf das, was in einer Mischung aus faustischem Wissensdurst und aristotelischer Universalgelehrtheit zwischen zwei Buchdeckel gesteckt wurde: eine W-Frage ohne Fragezeichen, die mit einer Art zaudernder Absicht alles offen lassen will, ja muss.

Denn „What Is Cooking“ ist weder klassisches Kochbuch, das hochtrabende Rezepte zum Nachkochen liefert, noch sperriger Molekularexkurs, der an eine Handvoll MINT-Professoren gerichtet ist.

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Ferran Adriàs eben erschienenes Buch „What Is Cooking“ verortet das Kochen an der Schnittstelle von Natur-, Geistes-, Sozial -und Kulturwissenschaften.

Der neue Escoffier?

„Dieses Buch ist ein Vorschlag, ein Aufruf, auf Dogmen zu verzichten“, heißt es etwa in Adriàs Vor-Vorwort, das – ähnlich einem Motto – den sprachlichen Notenschlüssel für die sorgsam arrangierten, bohrenden und da und dort auch abenteuerlich ausschweifenden Texte setzt. Hier zeigt sich auch, in welchem Ausmaß Adrià ungeachtet seiner hochtrabenden Virtuosität Form und Inhalt in Einklang zu bringen vermag: Kapitel über die „semantisch-lexikalischen Aspekte“ arbeiten vorwiegend mit Infokästchen, das über „kulinarische Ressourcen im Detail erklärt“ wartet gar mit assoziationsreichen Mindmaps auf, während der Teil über die „unterschiedlichen Bedeutungen des Kochens“ auf durchdachte Organigramme setzt.

Wie sich dieses geradezu ausufernd gefächerte Werk dennoch eine ganzheitlich gastronomische Schneise durch das vorhandene Weltwissen schlägt, gehört zum Verstörendsten und zugleich Beeindruckendsten, was man jemals gelesen hat.

Ferran Adriàs „What Is Cooking“ ist ohne jeden Zweifel eine Ausnahmeerscheinung der Kulinarik-Literatur 

Dass daneben seitenlange Exkurse über Grundsatzfragen wie: „Was ist Wissenschaft?“ oder „Eine Theorie der Kunst, eine Theorie des Kochens?“ gehalten werden, macht aus Adrià einen nahezu unbestrittenen Nachfolger von gelehrten Herdvordenkern wie Marie-Antoine Carême oder Auguste Escoffier, um nur einige zu nennen.

Kochen auf 360-Grad

Mit dem Unterschied, dass Adrià die postmoderne Notwendigkeit disziplinübergreifender Inputs erkennt – und damit das vermeintlich so durchgekaute Gebiet des Kochens aus einer Art 360-Grad-Perspektive zu beleuchten versucht. Nota bene: Selbst ein holistischer Riese wie Adrià braucht dafür die Unterstützung anderer Wissenschaftler, seien die nun aus der Natur-, Sozial- oder auch Geisteswissenschaft.

Wie sich dieses fast ausufernd gefächerte Werk dennoch eine ganzheitlich gastronomische Schneise durch das vorhandene Weltwissen schlägt, gehört zum Verstörendsten und zugleich Beeindruckendsten, was Foodjournalisten und andere, die eine solche Publikation etwas angeht, jemals gelesen haben.

„Dieses Buch“, so schreibt es Ferran Adrià in seinem Vorwort, „legt das Fundament, auf dem jeder Koch oder Küchenchef seine Arbeit gründen kann.“ Kann, wohlgemerkt – und nicht soll. Durchtriebene Offenheit als Wissensaneignung, wenn man so will. Für den katalanischen Kochgelehrten ist „What Is Cooking“ Teil seines Lebenswerks. Für seine Leser ist die Lektüre dieser genauso akribischen wie fesselnden Enzyklopädie ein Lebensprojekt – mindestens.

Ferran Adrià / elBullifoundation (Hrsg.): What is Cooking. The Action: Cooking. The Result: Cuisine. 2020, Phaidon.

Hier geht’s zu unserer Exklusivstory über Ferran Adrià hinter den Kulissen seines legendären elBulli.

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