Süß mit bitterem Abgang: Stirbt der Beruf des Pâtissiers und Konditors?

Rolling Pin Patissière des Jahres 2023, Jaimy Reisinger, und Patissier des Jahres 2013, Dominik Fitz, über die aktuelle Lage im süßesten Bereich der Gastronomie.
Jänner 14, 2025 | Text: Alina Lerch

Sternerestaurant, Schnellimbiss, Wirtshaus, Cocktailbar – die Gastronomie ist unfassbar breit gefächert, hat so viele unterschiedliche und spannende Sparten. Besonders Restaurants mit außergewöhnlichen Konzepten, neuen Ideen, Inflations-Anpassungen oder anderen Problemchen schmücken in den letzten Jahren die Seiten vieler Zeitungen. 

Doch über einen Teilbereich der Gastronomie redet momentan kaum jemand. Dabei ist es mit Abstand der süßeste…

Wie geht es eigentlich den Konditoreien, Zuckerbäckereien und Patisserie-Betrieben? 

Zwar spricht kaum jemand über die süße Sparte der Gastronomie, aber ihre Produkte erleben zurzeit vor allem in den sozialen Medien einen regelrechten Hype. “Schuld” daran ist – wohl oder übel – die Dubai Schokolade. 

“Durch den Dubai-Schokoladen-Trend erlebt die Patisserie seit rund einem Jahr eine neue Wertschätzung, das ist eine tolle Sache”, sagt der Rolling Pin CEO Jürgen Pichler. So sehr das Thema mittlerweile die Gesellschaft spaltet, hat der Trend auch seine guten Seiten. “Die Leute haben durch diese Social Media Trends ein neues Gespür für die Konditorkunst bekommen”, so Pichler. 

Wir haben mit der Rolling Pin Patissière des Jahres 2023, Jaimy Reisinger, und dem Patissier des Jahres 2013 und ehemaligen Hangar-7-Chefpatissier Dominik Fitz über die aktuelle Lage gesprochen.

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2023 wurde die damals erst 23-jährige Jaimy Reisinger als Patissière des Jahres ausgezeichnet.

Beide arbeiten selbstständig in der Patisserie: Fitz als Inhaber der erfolgreichen “Einfach Fitz – die Zuckerbäckerei” in Feldbach und Reisinger als Mitglied des kulinarischen Kollektivs Kuliktiv und als Patissière

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Aus dem Archiv: 2013 sahen die Gewinner-Auszeichnungen noch etwas anders aus als heute. Hier: Patissier des Jahres 2013 Dominik Fitz.

Die Lage in der Patisserie / Konditorei / Zuckerbäckerei

Die Frage, ob die Patisserie, ähnlich wie die Gastronomie, mit ausbleibenden Gästen zu kämpfen hat, verneinen beide Branchen-Experten. 

“Die Leute schätzen unser Handwerk. Wer sich als Auszeit oder zu einem speziellen Anlass etwas gönnen möchte, kommt zu uns und genießt ein Törtchen und einen Kaffee. Ein süßer Genuss, den man sich ab und zu mal gerne leistet. Es ist nunmal einfacher, sich auf einen Kaffee mit einem guten Stück Torte zu treffen, als am Abend fein essen zu gehen. Letzteres ist ja deutlich kostspieliger”, so Dominik Fitz. 

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Dominik Fitz‘ Fluffy Lime Pie aus seiner Zeit im Hangar-7. Hier geht es zum Rezept. – Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Und auch Reisinger sieht die Situation ähnlich: “Die Konditorei ist ja kein Ort, den man jeden Tag besucht. Das gönnt man sich zu speziellen, besonderen Anlässen. Das war früher so und ist bis heute geblieben. Auf eine süße Versuchung möchten die Leute nicht verzichten.”

Und weiter: “Es mangelt in der Patisserie zum Glück nicht an Konsumenten. Die Menschen schätzen das Handwerk, vor allem in Zeiten von 25-Euro-Torten aus dem Supermarkt, die einfach nur süß sind und nach nichts schmecken.”

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Reisingers Kreationen sind sowohl Augen- als auch Gaumenschmaus. – Foto: Bastian Knapp

Österreich ist und bleibt somit Konditorei- und Patisserie-Hochburg. Immerhin wurde das Handwerk der österreichischen Zuckerbäckerei 2022 als immaterielles UNESCO-Kulturerbe anerkannt. 

Doch ganz so rosig ist die Situation in der Branche dennoch nicht. 

“Die Herausforderung sind nicht die ausbleibenden Gäste”, beginnt Reisinger und fährt fort: ”Das Problem sind die ausbleibenden Konditoren und Konditorinnen. Die Kollektivverträge sind so veraltet, kaum ein Beruf wird so schlecht bezahlt. Das ist der Grund, wieso sich viele gegen eine Lehre in der Patisserie entscheiden. Auch ich habe deshalb in die Gastro gewechselt, da startet man gleich einmal mit einigen hundert Euro mehr im Monat. Viele Konditorei-Besitzer, die ich kenne, haben mit Personalmangel zu kämpfen, nicht mit dem Verkauf ihrer Produkte. “

 

 
 
 
 
 
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Bis zur Selbstständigkeit im Herbst 2024 arbeitete Reisinger im Vier-Hauben-Restaurant von Spitzenkoch Hubert Wallner.

“Das größte Problem sind definitiv die Löhne ausgebildeter Zuckerbäcker. Der Kollektivlohn ist sehr gering, weshalb es sich die Leute mehrmals überlegen, den Job zu machen”, stimmt ihr Fitz zu. Dem Spitzenkonditor nach ist es ein Preis-Lohn-Teufelskreis: 

„Das Einzige, was der Mensch wirklich zum Überleben braucht, ist Essen, Trinken und Schlafen. Und genau hier spart er am meisten ein. Die Leute regen sich zwar über die steigenden Preise in Restaurants auf, aber in Wahrheit ist es noch immer viel zu günstig.“ 

Er vergleicht die Situation in der Zuckerbäckerei mit technischen Branchen: “Die Wochenendzuschläge sind bei Elektrikern beispielsweise ja der Wahnsinn. Aber die Leute zahlen den Preis, man braucht die Dienstleistung ja. Aber was würde passieren, wenn ich meine Preise am Wochenende plötzlich hochfahre? Die Leute würden ausrasten. Kaum einer regt sich darüber auf, dass es zwanzig Euro kostet, eine einfache Schraube in einem Gerät auszutauschen. Eine Arbeit von einer Minute. Wenn ich aber für stundenlang handgearbeitete Produkte mit den besten Zutaten für ebenso einen Preis anbiete, zeigen mir die Leute den Vogel.” 

Ein handgemachtes Törtchen kostet bei ihm im Online Shop 5,90 Euro. Die Bearbeitungsgebühr für einen Laptop-Service – hier wurde noch nichts repariert, sondern lediglich das Problem analysiert – kostet 80 Euro. Mehr braucht dazu nicht gesagt werden.

 

 
 
 
 
 
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Im „Einfach Fitz“ im steirischen Feldback werden süße Kunstwerke zu (zu) fairen Preisen verkauft. 

Durchhaltevermögen macht sich bezahlt 

Fitz bildet in seiner Zuckerbäckerei außerdem Lehrlinge aus. Es fehlt ihm zum Glück nicht an Personal, vielen seiner Kollegen geht es jedoch leider anders.

Was möchte er jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich vielleicht aufgrund der niedrigen Löhne nicht trauen, ihrem Traumberuf nachzugehen?

“Folge deinem Herzen! Die Patisserie ist ein Herzensjob, den man lieben muss. Und wenn man das tut, ist nichts anderes mehr wichtig, weil sich die Arbeit nicht nach Arbeit anfühlt. 

Dass man als junger Lehrling nicht besonders viel verdient, ist in den meisten Branchen so. Und nicht jeder Konditor, Patissier etc. verdient wenig – man muss einfach den richtigen Weg für sich einschlagen.

In der Gastro ist es nunmal so, dass man enorm viel Erfahrung sammeln muss, um gut zu werden, da braucht es Durchhaltevermögen. Ja, der Anfang ist eine zache Partie, aber sie macht sich definitiv belohnt.”

„Durchhaltevermögen macht sich belohnt“

– Spitzenpatissier Dominik Fitz aus Feldbach

Er gibt außerdem einen wichtigen Tipp: “Strebt nicht danach, sofort nach der Ausbildung Chef zu werden. Sammelt Erfahrungen. Den Chefposten bekommt ihr früher oder später ohnehin.”

Konditoreien und Zuckerbäckereien gibt es in Österreich einige. Sie sind eine Art “Safe Space”, an dem nichts anderes zählt, als Genuss und Zufriedenheit. Aber was macht einen erfolgreichen Zuckerbäcker oder eine erfolgreiche Konditorin aus?

Dominik Fitz meint dazu:” Man muss immer dran bleiben. Als Zuckerbäcker oder Patissier erlebt man im Berufsalltag viele Höhen und Tiefen. Besonders bei Letzterem muss man sich immer wieder ins Gewissen rufen: Dran bleiben! Nicht aufgeben und immer weiter lernen.”

Reisinger, die mit jungen 23 Jahren Patissiere des Jahres wurde, zum Thema:” Es ist vor allem in der Gastro super wichtig Dinge umzudenken und sich etwas zu trauen. Rene Frank ist das beste Beispiel. Mit seinem Coda in Berlin ist er heute absoluter Vorreiter und immer gut besucht. Zu Beginn haben die Leute sein Konzept einer Dessert-Bar aber ordentlich hinterfragt. Aber: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Auch in österreichischen Konditoreien kommst du heute nicht mehr weit, wenn du nur noch die altbekannten Punschkrapferln und Sachertorten anbietest. Man muss mit der Zeit gehen und mutig sein.” 

 

 
 
 
 
 
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Dass sie ständig über sich hinauswächst und Neues probiert beweist Reisinger täglich.  

Das Dessert-Mastermind und viermaliger Patissier des Jahres Rene Frank hat Rolling Pin letztes Jahr sein Erfolgsgeheimnis verraten: Mut beweisen, Nischen einschlagen und sich selbst immer wieder neu erfinden.

Und was die Patisserie betrifft, liegt ihm besonders Folgendes am Herzen: “Online glitzert und glänzt alles, doch der Geschmack steht nicht an erster Stelle. Ein Gericht oder ein Dessert muss die Menschen überraschen und beeindrucken – mit dem Geschmack, nicht der Optik. Das ist alles, was zählt.” 

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René Frank stellt mit seinem Team im Restaurant alle Komponenten selbst her und verzichtet auf industriellen Zucker.

Sowohl Reisinger als auch Fitz sind sich mit dem Zwei-Sterne-Koch einig: “Natürlich muss ein Dessert optisch ansprechend sein. Das Auge isst immerhin mit. Doch am wichtigsten sind Geschmack und Konsistenzen,” so Dominik Fitz. 

Logisch. Ein hübsches, aber nicht schmeckendes Dessert bestellt niemand ein zweites Mal. Und der Genuss wird zum Verdruss. 

Was lernen wir daraus? 

Es braucht in der Gesellschaft ein klares Umdenken. Ist mir der Genuss von Handwerkskunst ein paar Euro mehr wert oder möchte ich riskieren, dass das Fachpersonal, das meine geschätzen Desserts zubereitet, ausstirbt?

Essen wir eines Tages nur noch McDonald`s Cookies, TK-Torten und Donuts aus dem Supermarkt, weil es keine Konditoren und Patissiers mehr gibt?

Ganz so dramatisch wird es wohl hoffentlich nicht. Aber am Hungerlohn der Gastronomie – an dem muss gearbeitet werden.

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